Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 31.05.2019 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerinnen wenden sich gegen eine Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und eine Erstattungsforderung iHv insgesamt 162 EUR. Umstritten ist die Anrechnungsfreiheit von Einkommen aus einer in den Schulferien verrichteten Erwerbstätigkeit.
Die 1976 geborene Klägerin zu 1) ist die Mutter der 2005 geborenen Klägerin zu 2). Die Klägerin zu 1) hat das alleinige Sorgerecht über die Klägerin zu 2). Die Klägerinnen beziehen unter Anrechnung des Kindergeldes iHv 192 EUR für die Klägerin zu 2) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bis Oktober 2017 gehörte zur Bedarfsgemeinschaft der Klägerinnen auch die 1999 geborene weitere Tochter der Klägerin zu 1), R. (R.), für die ebenfalls Kindergeld iHv monatlich 192 EUR bezogen wurde. R. absolvierte im Jahr 2017 eine schulische Ausbildung zur Sozialpädagogin und erhielt u.a. im November 2017 zuschussweise Leistungen nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG iHv 231 EUR. Zugleich ging im November 2017 eine BAföG-Nachzahlung iHv 70 EUR für Oktober 2017 auf dem Konto von R. ein, sodass ihr im November 2017 insgesamt BAföG-Leistungen iHv 301 EUR zugingen. Daneben war R. ab dem 15.07.2017 in einem auf vier Monate befristeten Beschäftigungsverhältnis auf geringfügiger Basis bei der N. Q. GmbH beschäftigt. Im November 2017 ging R. das in dieser Tätigkeit erzielte Einkommen für Oktober 2017 iHv insgesamt 534,17 EUR zu. Die Klägerinnen und R. leben zusammen in einer Wohnung in P., für die monatliche Unterkunfts- und Heizkosten iHv 700 EUR anfallen. Die Warmwasseraufbereitung erfolgt dezentral.
Mit Bescheid vom 02.10.2017 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft u.a. Leistungen iHv insgesamt 1.442,49 EUR für November 2017. Hiervon entfielen 700,82 EUR auf die Klägerin zu 1), 335,82 EUR auf die Klägerin zu 2) und 405,85 EUR auf R.
Aufgrund eines Datenabgleichs erhielt der Beklagte von der Erwerbstätigkeit von R. und dem Zufluss des Einkommens im November 2017 Kenntnis. Weitere Ermittlungen im August 2018 ergaben, dass sie wie folgt gearbeitet hatte:
15.07.2017 3,75 Stunden
16.07.2017 3,25 Stunden
19.07.2017 7,75 Stunden 1. Ferienwoche Sommerferien
20.07.2017 2,50 Stunden 1. Ferienwoche Sommerferien
21.07.2017 5,25 Stunden 1. Ferienwoche Sommerferien
22.07.2017 4,50 Stunden 1. Ferienwoche Sommerferien
27.07.2017 3,00 Stunden 2. Ferienwoche Sommerferien
05.08.2017 4,00 Stunden 3. Ferienwoche Sommerferien
12.08.2017 7,75 Stunden 4. Ferienwoche Sommerferien
13.08.2017 5,00 Stunden 4. Ferienwoche Sommerferien
19.08.2017 6,25 Stunden 5. Ferienwoche Sommerferien
20.08.2017 4,50 Stunden 5. Ferienwoche Sommerferien
22.08.2017 3,50 Stunden 6. Ferienwoche Sommerferien
25.08.2017 3,50 Stunden 6. Ferienwoche Sommerferien
26.08.2017 3,00 Stunden 6. Ferienwoche Sommerferien
07.10.2017 4,25 Stunden
08.10.2017 3,00 Stunden
14.10.2017 5,00 Stunden
15.10.2017 5,00 Stunden
21.10.2017 8,75 Stunden
22.10.2017 5,50 Stunden
25.10.2017 2,75 Stunden 1. Ferienwoche Herbstferien
26.10.2017 5,75 Stunden 1. Ferienwoche Herbstferien
27.10.2017 4,50 Stunden 1. Ferienwoche Herbstferien
28.10.2017 4,75 Stunden 1. Ferienwoche Herbstferien
29.10.2017 3,25 Stunden 1. Ferienwoche Herbstferien
30.10.2017 4,75 Stunden 2. Ferienwoche Herbstferien
02.11.2017 6,75 Stunden 2. Ferienwoche Herbstferien
03.11.2017 9,00 Stunden 2. Ferienwoche Herbstferien
04.11.2017 5,00 Stunden 2. Ferienwoche Herbstferien
R. teilte auf ein Anhörungsschreiben des Beklagten mit, sie habe in den Sommer- und Herbstferien bei der N. Q. GmbH gearbeitet. Sie sei davon ausgegangen, dass in der Ferienzeit erzieltes Einkommen nicht angerechnet werde. So sei es ihr vom Jobcenter mitgeteilt worden. Die Aufnahme der Beschäftigung sei dem Beklagten zudem angezeigt worden.
Mit Schreiben vom 05.02.2018 hörte der Beklagte die Klägerin zu 1) und über diese als gesetzliche Vertreterin auch die Klägerin zu 2) zu einer beabsichtigten Aufhebung der Leistungen und Erstattungspflicht aufgrund der Berücksichtigung des Einkommens von R. an. Die Klägerin zu 1) ließ sich dahingehend ein, ebenso wie R. dem Beklagten die Aufnahme des Ferienjobs mitgeteilt zu haben. Ihr sei erläutert worden, in den Ferien erzieltes Einkommen müsse nicht mitgeteilt werden.
Mit Bescheid vom 02.03.2018 hob der Beklagte gestützt auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X wegen anzurechnenden Einkommens die Leistungsbewilligung für November 2017 für die Klägerin zu 1) iHv 109,52 EUR und für die Klägerin zu 2) iHv 52,48 EUR (insgesamt 162 EUR) auf und forderte die entsprechenden Beträge zurück. Den hiergegen ohne Begründung erhobenen Widerspruch vom 28.03.2018, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.05.2018 zurück. Da R. im November 2017 ihren Gesamtbedarf iHv 567,85 EUR mit dem BAföG und dem Erwerbseinkommen habe decken können, sei das für sie zustehende Kindergeld nach Abzug der Freibeträge iHv 162 bei den Klägerinnen anzurechnen.
Hiergegen haben die Klägerinnen am 14.06.2018 Klage bei dem Sozialgericht Duisburg erhoben. Die Klägerinnen berufen sich auf § 1 Abs. 4 Alg II-V. Hiernach sei das Einkommen von R. für 28 Kalendertage (4 Wochen = 28 Kalendertage) bis zu einem Betrag iHv 1.200 EUR anrechnungsfrei.
Die Klägerinnen haben beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 02.03.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2018 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Anrechnungsfrei sei nur das Einkommen für vier Ferienwochen. Daher sei das Einkommen aus den Sommerferien, nicht jedoch das hier maßgebliche Einkommen aus den Herbstferien privilegiert.
Mit Urteil vom 31.05.2019 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 02.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2018 aufgehoben und die Berufung zugelassen. Bei den Klägerinnen sei überschießendes Kindergeld von R. nicht anzurechnen, da dieses für die Bedarfsdeckung bei dieser benötigt werde. Das Erwerbseinkommen im November 2017 sei über einen Betrag von 267,08 EUR (freibetragsbereinigt 133,66 EUR) hinaus nicht anrechenbar, weil es im Übrigen nach § 1 Abs. 4 Alg II-V privilegiert sei. Mit dem Privilegierungszeitraum von vier Wochen knüpfe die Vorschrift an das JArbSchG an. Nach § 15 JArbSchG dürften je Woche fünf Tage gearbeitet werden. Zur Vermeidung im Übrigen unbilliger Ergebnisse sei der privilegierte Zeitraum daher mit 20 Tagen anzusetzen. Da R. in den Sommerferien 2017 erst 16 Tage gearbeitet habe, habe sie in den Herbstferien 2017 weitere vier Tage anrechnungsfrei arbeiten können. Damit sei maximal die Hälfte des zugeflossenen Einkommens anzurechnen, womit der Bedarf von R. nicht gedeckt gewesen sei.
Gegen das ihm am 08.07.2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 29.07.2019 Berufung eingelegt. Die grammatikalische Auslegung von § 1 Abs. 4 Alg II-V habe Vorrang vor anderen Methoden der Gesetzesauslegung. Wäre eine Umrechnung der Wochen in Tage gewollt gewesen, hätte der Verordnungsgeber dies zum Ausdruck bringen müssen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 31.05.2019 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweisen auf das erstinstanzliche Urteil.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Sozialgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Bescheid vom 02.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2018 aufgehoben. Dieser ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage sind §§ 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III 45 SGB X. Abweichend vom angefochtenen Bescheid ist § 48 SGB X nicht einschlägig. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt demgegenüber, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. Die Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Verwaltungsakts voneinander ab. Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären, um die objektiven Verhältnisse festzustellen. Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Dies gilt unabhängig davon, zu welchen Ermittlungen sich die Verwaltung aufgrund der Angaben des Antragstellers vor Erlass des Ausgangsverwaltungsakts gedrängt sehen musste. Der Erlass eines endgültigen Bescheides – hier des Bewilligungsbescheides vom 02.10.2017 – ist damit kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit einer Schätzung der Einkommenssituation besteht. Wenn das zu erwartende Arbeitsentgelt ohne ein von vornherein fest vereinbartes Fixum vertraglich geregelt ist, ist typischerweise der Anwendungsbereich des § 41a SGB II eröffnet. Der Erlass eines endgültigen Bescheides statt eines vorläufigen Bescheides ist bei schwankendem Einkommen von Anfang an rechtswidrig und § 45 SGB X die für seine Aufhebung einschlägige Ermächtigungsgrundlage (vgl. BSG Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R mwN). Dies gilt unabhängig davon, ob dem Leistungsträger die Beschäftigung bekannt war oder nicht.
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere sind die Klägerinnen ordnungsgemäß gem. §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 24 SGB X angehört worden (hierzu BSG Urteil vom 07.07.2011 – B 14 AS 144/10 R), wobei die Klägerin zu 2) von der Klägerin zu 1) wirksam vertreten wurde (§ 1629 Abs. 1 BGB). Der Umstand, dass die Klägerinnen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht angehört worden sind, ist unbeachtlich. Bezüglich der Frage, ob ein Anhörungsfehler vorliegt, ist von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der handelnden Verwaltungsbehörde auszugehen, mag sie auch falsch sein (BSG Urteile vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R und vom 09.11.2010 – B 4 AS 37/09 R).
Der Bescheid ist materiell rechtmäßig.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist hinreichend bestimmt iSd §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 33 Abs. 1 SGB X, da der aufgehobene Bescheid, die von der Aufhebung und Erstattung betroffenen Zeiträume und Personen sowie die jeweiligen Summen genannt werden.
Der Umstand, dass der Beklagte seine Aufhebungsverfügung fehlerhaft auf § 48 SGB X gestützt hat, ist allein nicht klagebegründend. Weil die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsakts, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich – so auch hier – zulässig (vgl. BSG Urteile vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R und vom 21.06.2011 – B 4 AS 21/10 R).
Der Bewilligungsbescheid vom 02.10.2017 ist rechtswidrig iSd § 45 Abs. 1 SGB X, weil bei der Bedarfsberechnung auch der Klägerinnen das Einkommen von R. aus der Beschäftigung bei der N. Q. GmbH nicht berücksichtigt wurde. Hierdurch wurde das bedarfsübersteigende Kindergeld für R. bei den Klägerinnen entgegen § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II nicht berücksichtigt. Damit sind den Klägerinnen im November 2017 Leistungen iHv insgesamt 162 EUR zu Unrecht bewilligt worden. Die Klägerinnen hatten in diesem Monat einen Gesamtbedarf iHv 1.228,64 EUR (409 EUR Regelbedarf, 291 EUR Sozialgeld, 49,08 EUR Mehrbedarf für Alleinerziehende [12 % von 409 EUR, § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II], 12,90 Mehrbedarf Warmwasser [2,3 % von 409 EUR, § 21 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 SGB II und 1,2 % von 291 EUR, § 21 Abs. 7 Satz 2 Nr. 3 SGB II], 466,66 EUR kopfteilige Unterkunfts- und Heizbedarfe [2/3 von 700 EUR Gesamtmiete]). Auf diesem Gesamtbedarf hat der Beklagte zu Unrecht nur das Kindergeld für die Klägerin zu 2) iHv 192 EUR gemäß § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II angerechnet. Auch das Kindergeld für R. hätte bei den Klägerinnen als Einkommen bedarfsmindernd angerechnet werden müssen.
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 5 SGB II ist das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28 SGB II, benötigt wird, als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Grundsätzlich ist das Kindergeld somit (vertikal) als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen. Das Kindergeld für R. wurde im November 2017 aber nicht zur Sicherung ihres Lebensunterhalts benötigt, sodass sie in diesem Monat gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht zur Bedarfsgemeinschaft der Klägerinnen gehörte und das Kindergeld bei den Klägerinnen anzurechnen war. Denn bereits das Einkommen von R. aus dem BAföG und der Erwerbstätigkeit überstieg ihren Grundsicherungsbedarf. Dieser betrug im November 2017 insgesamt 567,85 EUR (327 EUR Regelbedarf, 7,52 EUR Mehrbedarf Warmwasser, 233,33 EUR kopfteilige Unterkunfts- und Heizbedarfe). Auf diesen Gesamtbedarf ist zunächst das Einkommen aus dem BAföG von 301 EUR (231 EUR BAföG zuzüglich 70 EUR Nachzahlung aus Oktober 2017) anzurechnen. Soweit bis Juli 2016 ein ausbildungsspezifischer Anteil des BAföG von 20 % als zweckbestimmte Einnahme nicht angerechnet wurde (hierzu Söhngen in: Juris-PK-SGB II, 4. Aufl. 2015 Rn. 35 mwN), ist dies obsolet. Gemäß dem mit Wirkung vom 01.08.2016 eingefügten § 11a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 SGB II sind BAföG-Leistungen ungeachtet der Zweckbestimmung einzelner Teile der Leistung in vollem Umfang als Einkommen zu berücksichtigen (vgl. BT-Drs. 18/8041, Seite 33 f.; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 11a SGB II Rn. 261a mwN).
Das im November 2017 zugeflossene Erwerbseinkommen von R. für die Beschäftigung im Oktober 2017 ist nicht privilegiert iSv § 13 Abs. 1 Nr. 1 SGB II iVm § 1 Abs. 4 Alg II-V. § 1 Abs. 4 Alg II-V bestimmt: "Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen von Schülerinnen und Schülern allgemein- oder berufsbildender Schulen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, aus Erwerbstätigkeiten, die in den Schulferien für höchstens vier Wochen je Kalenderjahr ausgeübt werden, soweit diese einen Betrag in Höhe von 1200 Euro kalenderjährlich nicht überschreiten. Für die Bemessung des Zeitraums nach Satz 1 bleiben in den Schulferien ausgeübte Erwerbstätigkeiten mit einem Einkommen, das monatlich den in § 11b Absatz 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch oder in Absatz 1 Nummer 9 genannten monatlichen Betrag nicht übersteigt, außer Betracht. Satz 1 gilt nicht für Schülerinnen und Schüler, die einen Anspruch auf Ausbildungsvergütung haben. Die Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes bleiben unberührt."
Die Herbstferien in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017 begannen am 23.10.2017. Daher sind die Arbeitsleistungen von R. am 07.10.2017 (4,25 Stunden), 08.10.2017 (3 Stunden), 14.10.2017 (5 Stunden), 15.10.2017 (5 Stunden), 21.10.2017 (8,75 Stunden) und 22.10.2017 (5,5 Stunden) – wie bereits das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat – ohnehin nicht nach § 1 Abs. 4 Alg II-V privilegiert. Aber auch das ab dem 23.10.2017 erzielte Einkommen ist nicht gem. § 1 Abs. 4 Alg II-V anrechnungsfrei. Denn R. hatte bereits in den Sommerferien 2017 vier Wochen gearbeitet. Abweichend von der Entscheidung des Sozialgerichts ist der Begriff "vier Wochen" nicht im Sinne von "20 Tage" auszulegen.
Der Wortlaut der Vorschrift spricht gegen eine Aufteilung von Wochen in Tage. Der Verordnungsgeber hat eine Anrechnungsfreiheit von "höchstens vier Wochen" vorgesehen. Hätte er eine Anrechnungsfreiheit von Tagen beabsichtigt, hätte er den Verordnungstext entsprechend formulieren können. Der Wortlaut gebietet auch deshalb eine enge Auslegung, weil der Verordnungsgeber das Wort "höchstens" hinzugefügt hat. Diese Verstärkung verdeutlicht, dass eine Verlängerung der nach Wochen bemessenen Frist ausgeschlossenen sein soll.
Auch Sinn und Zweck von § 1 Abs. 4 Alg II-V gebieten diese nicht erweiternde, wortlautorientierte Auslegung. § 1 Abs. 4 Alg II-V lehnt sich nach der Begründung des Verordnungsentwurfs des BMAS vom 15.04.2010 hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung ausdrücklich an die Regelungen des JArbSchG an, wonach eine Beschäftigung von Jugendlichen, die der Vollzeitschulpflicht unterliegen, für längstens vier Wochen im Kalenderjahr zulässig ist (§ 5 Abs. 4 Satz 1 JArbSchG). Der Verordnungsgeber verfolgte damit erkennbar das Ziel, nur Einkommen zu privilegieren, das ohne Verstoß gegen das JArbSchG erzielt wurde. Dies gilt unabhängig davon, ob die Tätigkeit von einem Jugendlichen iSd § 2 JArbSchG ausgeübt wird, oder ob es sich – wie hier bei der im Oktober 2017 volljährigen Tochter R. – nicht um eine Jugendliche handelt. § 1 Abs. 4 Alg II-V ist daher nach den Gesichtspunkten auszulegen, nach denen auch die Schutzvorschrift des § 5 Abs. 4 JArbSchG auszulegen ist.
Das JArbSchG will umfassend die Gesundheit und Entwicklung des Minderjährigen in der Arbeitswelt schützen (Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2018, § 1 JArbSchG). Im Zweifel sind seine Bestimmungen so auszulegen, dass dem Schutz der Minderjährigen möglichst weitgehend entsprochen wird. Eine am Jugendschutz orientierte Auslegung spricht gegen eine Verteilung der zulässigen Arbeitszeit auf 20 Tage und damit – wie vorliegend unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Sozialgerichts – einen Zeitraum von weit mehr als vier Wochen, da Jugendlichen ermöglicht werden soll, zusammenhängend Ferien zu machen, ohne für eine Erwerbstätigkeit abrufbereit sein zu müssen (wie hier Leuchten/Ritz in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 11. Aufl. 2019, Teil 6. C. I. 2, Rn. 5; aA Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 8. Aufl. 2018, § 5 JArbSchG Rn. 8). Da R. bereits in den Sommerferien vier Wochen beschäftigt war, kommt eine Einkommensprivilegierung nach § 1 Abs. 4 Alg II-V in den Herbstferien nicht mehr in Betracht.
Damit ist das gesamte im November 2017 zugeflossene Erwerbseinkommen aus Oktober 2017 iHv 534,17 EUR im November 2017 zu berücksichtigen, sodass nach § 11b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 2 Nr. 1 SGB II ein anrechenbares Erwerbseinkommen iHv 347,34 EUR ([534,17 EUR – 100 EUR] x 0,8) anzurechnen ist. Ausgehend von einem Gesamtbedarf für R. iHv 567,85 EUR und abzüglich der Leistungen nach dem BAföG iHv 301 EUR und des bereinigten Erwerbseinkommen iHv 347,13 EUR war R. nicht hilfebedürftig. Damit ist das Kindergeld nach Abzug der Versicherungspauschale von 30 EUR (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V) iHv 162 EUR bei der kindergeldberechtigten Klägerin zu 1) zu berücksichtigen und nach der Bedarfsanteilsmethode (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II) anteilig bei den Klägerinnen anzurechnen. Da dies unterblieben war, haben die Klägerin zu 1) iHv 109,52 EUR und die Klägerin zu 2) iHv 52,48 EUR zu Unrecht Leistungen erhalten.
Der Teilrücknahme des rechtswidrigen Bewilligungsbescheides iHv insgesamt 162 EUR steht § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gem. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 HS 2 SGB X).
Die Klägerin zu 1) hat grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht. Sie hat sich dahingehend eingelassen, sie selbst und die Tochter hätten dem Beklagten mitgeteilt, dass R. bei N.-Q. arbeiten möchte. Daraufhin sei ihr mitgeteilt worden, dass R. neben dem Grundfreibetrag iHv 100 EUR in den Ferien vier Wochen arbeiten und maximal 1.200 EUR verdienen dürfe. Damit ist allenfalls davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1) und R. dem Beklagten lediglich von einer Ferientätigkeit und nicht von der tatsächlich ab dem 15.07.2017 auf vier Monate angelegten Tätigkeit berichtet haben. Auf dieser Fehlinformation beruhte die rechtswidrig erhöhte Leistungsbewilligung, da der Beklagte bei Kenntnis der zutreffenden Verhältnisse lediglich das in vier Wochen erzielte Einkommen nicht angerechnet und im Übrigen eine Anrechnung vorgenommen hätte. Die Klägerin zu 1) hat insoweit grob fahrlässig gehandelt, da es bei einkommensabhängigen Leistungen evident ist, dass der Leistungsträger über die tatsächlichen Umstände einer Erwerbstätigkeit wahrheitsgemäß informiert werden muss und Anhaltspunkte für eine Einschränkung der entsprechenden Einsichtsfähigkeit der Klägerin zu 1) nicht vorliegen.
Das Verhalten der Klägerin zu 1) ist der Klägerin zu 2) zuzurechnen. Nach § 38 SGB II wird, soweit Anhaltspunkte nicht entgegenstehen, vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach dem SGB II auch für die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Leben mehrere erwerbsfähige Hilfebedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft, gilt diese Vermutung zugunsten desjenigen, der die Leistungen beantragt. § 38 SGB II stellt eine Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes dar, wonach es einem Beteiligten freisteht, sich im Verwaltungsverfahren vertreten zu lassen, obwohl eigentlich jedes einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Leistungen beantragen müsste, da es sich um Individualansprüche handelt. Ob sich ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft jedes Verschulden eines nach § 38 SGB II handelnden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zurechnen muss, muss vorliegend nicht entschieden werden. Eine Zurechnung des Vertreterhandelns kommt in Betracht, wenn – wie vorliegend – eine ausdrückliche gesetzliche Bevollmächtigung bejaht werden kann. Die Klägerin zu 1) konnte als nach § 1626 BGB sorgeberechtigte Mutter die Klägerin zu 2) nach §§ 1629 iVm 164 ff BGB wirksam vertreten. Das Verschulden der Klägerin zu 1) ist der Klägerin zu 2) in entsprechender Anwendung von §§ 166 Abs.1, 278 BGB zuzurechnen (BSG Urteil vom 22.10.1968 – 9 RV 418/65; Bayerisches LSG Urteil vom 01.07.2010 – L 11 AS 162/09).
Der Bewilligungsbescheid war mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Ermessen hatte der Beklagte nicht auszuüben (§§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II). Die Erstattungspflicht folgt aus §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Erstellt am: 03.06.2020
Zuletzt verändert am: 03.06.2020