Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 28.12.2018 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.349,63 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die am 7.2.2019 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr am 7.1.2019 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Aachen vom 28.12.2018 ist zulässig, jedoch unbegründet.
Das SG hat zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin am 14.9.2018 erhobenen Klage (S 6 BA 516/18 SG Aachen) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2018 anzuordnen.
Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine – wie hier erfolgte – Entscheidung über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten haben gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt auch für Säumniszuschläge (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschluss v. 11.3.2016 – L 8 R 506/14 B ER – juris Rn. 49 m.w.N.).
Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (hierzu unter 1.) oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (hierzu unter 2.).
1. Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 11.3.2016 – L 8 R 506/14 B ER – juris Rn. 51 m.w.N.).
Nach der gegenwärtigen Aktenlage bestehen derzeit keine überwiegenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 6.12.2017, mit dem die Antragsgegnerin von der Antragstellerin für den Prüfungszeitraum vom 1.1.2011 bis 31.12.2011 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 41.398,53 Euro einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 16.577,50 Euro nachfordert. Ein Erfolg der Klage ist entsprechend nicht wahrscheinlich, so dass das Interesse am Vollzug des Bescheides überwiegt.
Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 28p Abs. 1 S. 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Nach dieser Vorschrift erlassen die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gegenüber den Arbeitgebern.
a) Der Bescheid vom 6.12.2017 ist formell rechtmäßig. Die Antragstellerin ist vor dessen Erlass am 26.6.2017 ordnungsgemäß angehört worden (§ 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X -). Insbesondere ist der Bescheid vom 6.12.2017 auch hinreichend begründet worden (§ 35 SGB X). Gem. § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X sind in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Der Betroffene muss in die Lage versetzt werden, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen bzw. zu verteidigen. Die Verwaltung darf sich auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken (vgl. BSG Urt. v. 9.3.1994 – 6 RKa 18/92 – juris Rn. 21 mwN). Kein Verstoß gegen die Begründungspflicht liegt vor, wenn sich die Behörde in der Begründung auf andere Verwaltungsakte, weitere Schreiben, Gutachten o.ä. bezieht, sofern diese Unterlagen dem Adressaten des Verwaltungsaktes bekannt bzw. zugänglich sind (von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 35 Rdnr. 5 c). Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte den Bescheid vom 6.12.2017 auf 11 Seiten und über 80 Seiten Anlage hinreichend begründet. Sie hat dargelegt, aus welchen Gründen davon auszugehen sei, dass Arbeitnehmer mit "Doppelbeschäftigung" tatsächlich ihre Arbeitskraft nur einem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt hätten und keine Beitragsfreiheit der Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge sowie der Fahrgelder vorliege. Ebenfalls keinen Bedenken begegnet es, dass sich die Antragsgegnerin im Bescheid vom 6.12.2017 auf den Strafbefehl des Amtsgerichts J vom 14.10.2016, Prüfungsunterlagen des Hauptzollamtes B etc. bezogen hat, da diese Unterlagen der Antragstellerin bekannt gewesen sind.
b) Nach der im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ist – wie das SG zur Überzeugung des Senats zu Recht ausgeführt hat – gegenwärtig auch zumindest nicht mit der notwendigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich der angegriffene Bescheid als materiell rechtswidrig erweisen wird.
Nach § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten, d.h. die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung (§ 28d Sätze 1 SGB IV), zu entrichten. Der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – SGB XI, § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – SGB III).
aa) Es bestehen derzeit im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens keine überwiegenden Zweifel, dass die Antragstellerin die Beitragspflicht betreffend der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer nicht erfüllt hat, wobei weitere Ermittlungen ggf. dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei der Klägerin beschäftigte Arbeitnehmer zusätzlich ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis bei der C Pflege GmbH hatten, welches wegen der Regelung in § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB IV nicht beitragspflichtig gewesen wäre. Anderweitige Tatsachen hat die Klägerin nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass tatsächlich – soweit es den Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheides betrifft – lediglich jeweils ein einziges beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu der Antragstellerin vorgelegen hat. Hierfür spricht zunächst die fehlende Dokumentation des Einsatzes der Pflegekräfte. Die Auswertung der durch das Hauptzollamt C sichergestellten Unterlagen ergibt, dass sich personenbezogene Feststellungen zu den nachzuerhebenden Beiträgen unter Berücksichtigung der bereits gezahlten Beiträge treffen lassen. Aus der vorliegenden Zusammenschau der Aussagen der Arbeitnehmer der Antragstellerin gegenüber dem Hauptzollamt C und der Kreispolizeibehörde D zeigt sich, dass diese tatsächlich nur für die Antragstellerin gearbeitet haben, jedoch über zwei Verträge verfügten, einen "Haupt-" Vertrag bei der Antragstellerin und einen Vertrag über eine geringfügige Tätigkeit bei der C Pflege GmbH. Beispielhaft hat die bei der Klägerin seit Januar 2011 als Pflegerin beschäftigte K. I. ausgesagt, dass sie zwei Verträge habe, warum wisse sie nicht. Sie wisse nur, dass sie für die Klägerin arbeite. Diese habe ihr die zwei Verträge gegeben; sie habe nicht nachgefragt, warum. Hieraus lässt sich schließen, dass sich im Verhalten der Klägerin hinsichtlich der Beschäftigung der Pflegekräfte und der arbeitgeberseitigen Aufzeichnungspflicht im Jahr 2011 gegenüber dem vorangegangenen Zeitraum von 2007 bis 2010 keine Änderung ergeben hat. Letzterer Zeitraum ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Senat zum Az. L 8 BA 189/18 ER gewesen. Insoweit wird auf den Senatsbeschluss vom 31.10.2019 Bezug genommen. Die Klägerin hat im Übrigen auch nicht vorgetragen bzw. glaubhaft gemacht, ihr Verhalten geändert zu haben.
Dieses Ergebnis wird durch den nach vorangegangener Verständigung erlassenen Strafbefehl des Amtsgerichts Jülich vom 14.10.2016 gegen den Ehemann der Klägerin, Dr. S. J., gestützt. Auch dieser Umstand legt die Vorenthaltung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für das Jahr 2011 in enger Verquickung mit dem Unternehmen der Klägerin und die im Einverständnis mit dieser erfolgte fehlerhafte Anmeldung der Beschäftigten nahe.
Da demnach davon auszugehen ist, dass jeweils tatsächlich nur ein (einziges) Beschäftigungsverhältnis zur Antragstellerin vorgelegen hat, stellt sich bereits die Frage nicht, ob es sich bei dem tatsächlichen Beschäftigungsverhältnis mit der Antragstellerin und dem nicht dokumentierten – angeblichen – geringfügigen Beschäftigungsverhältnis mit der Benjamin Pflege GmbH um ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis gehandelt hat.
bb) Auch die Höhe der durch die Antragsgegnerin festgestellten Beitragsforderung begegnet nach dem derzeitigen Sachstand keinen rechtlichen Bedenken. Ebenso bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Ermittlung der Bruttoentgelte. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Bescheid vom 6.12.2017 Bezug genommen (§§ 153 Abs. 1, 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG), gegen dessen Richtigkeit konkrete Einwendungen nicht vorgebracht worden sind. Hieraus ergibt sich insbesondere, dass das den jeweiligen Beschäftigten gezahlte und zuvor schon gemeldete Arbeitsentgelt in Abzug gebracht worden ist. Der vom Ehemann der Antragstellerin gezahlte Betrag zur Schadenswiedergutmachung von 22.137,84 Euro ist nicht im Betriebsprüfungsverfahren, sondern erst von der Einzugsstelle im Rahmen der Vollstreckung zu berücksichtigen (BSG Urt. v. 28.5.2015 – B 12 R 16/13 – juris Rn. 22). Es steht der Antragstellerin frei, im Hauptsacheverfahren konkrete Angaben zum Personaleinsatz und zu den gezahlten Arbeitsentgelten zu machen.
cc) Im Übrigen verweist der Senat, insbesondere hinsichtlich der Verjährung nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV und hinsichtlich der Erhebung von Säumniszuschlägen auf die Begründung des Beschlusses des SG vom 28.12.2018, der er sich anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG analog). Der Antragstellerin als langjähriger Inhaberin eines Unternehmens mit sozialversicherungspflichtig und geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern ist zumindest bedingt vorsätzliches Handeln vorzuwerfen. Auch der Senat geht nach dem derzeitigen Sachstand davon aus, dass nur der Schein von Beschäftigungsverhältnissen bei zwei Arbeitgebern hervorgerufen werden sollte, während sich aus dem Gesamtergebnis der Ermittlungen, insbesondere den Zeugenaussagen ergibt, dass in Wahrheit nur ein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat. Aufzeichnungen bezüglich getrennter Beschäftigungsverhältnisse sind – nach dem aktenkundigen Sachstand – tatsächlich auch gar nicht geführt worden. Die Antragstellerin hat nicht einen konkreten Fall dargelegt, bei dem die Beschäftigung eines Arbeitnehmers bei den behaupteten zwei Arbeitgebern nachvollziehbar getrennt gehandhabt worden ist.
2. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte bedeuten würde, bestehen nicht. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für sie verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten sind. Darüber hinausgehende, nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile sind nicht erkennbar. Im Hinblick auf die mit der Beitragsnachforderung verbundenen berechtigten Interessen der Versichertengemeinschaft sowie der einzelnen Versicherten kann vielmehr gerade bei bestehender oder drohender Zahlungsunfähigkeit des Beitragsschuldners eine alsbaldige Beitreibung geboten sein (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 21.2.2012 – L 8 R 1047/11 B ER – juris Rn. 37). Eine beachtliche Härte in diesem Sinne ist also regelmäßig nur dann denkbar, wenn es dem Beitragsschuldner gelingt, darzustellen, dass das Beitreiben der Forderung aktuell die Insolvenz und/oder die Zerschlagung seines Geschäftsbetriebes zur Folge hätte, die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache aber zumindest nicht weiter gefährdet wäre als derzeit (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 13.7.2011 – L 8 R 287/11 B ER – juris Rn. 18). Das hat die Antragstellerin indes nicht glaubhaft gemacht.
Hinsichtlich etwaiger mit dem Forderungseinzug verbundener wirtschaftlicher Härten hat sich die Antragstellerin an die zuständige Einzugsstelle zu wenden. Diese hat als Anspruchsinhaberin bzw. gesetzliche Prozessstandschafterin des Anspruchs auf Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (vgl. § 28h Abs. 1 S. 3 SGB IV) über Fragen des Forderungseinzugs zu befinden und insoweit über eine etwaige Stundung, einen Erlass oder die Niederschlagung der Beitragsforderung (§ 76 Abs. 3 SGB IV) sowie die Einstellung bzw. Beschränkung der Zwangsvollstreckung (vgl. § 257 Abgabenordnung) zu entscheiden (vgl. zur Zuständigkeit der Einzugsstelle im Rahmen des Beitragseinzugs auch BSG Urt. v. 28.5.2015 – B 12 R 16/13 R – juris Rn. 22).
Mit diesem Beschluss wird der Beschluss des Senats vom 7.3.2019 gegenstandslos.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 52 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache als Streitwert anzusetzen ist (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 21.2.2012 – L 8 R 1047/11 B ER – juris Rn. 38 m.w.N.).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.06.2020
Zuletzt verändert am: 09.06.2020