Die Beschwerde des Klägers gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 20.01.2020 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Der Kläger begehrt in dem zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren die Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides im Wege des Zugunstenverfahrens.
Der Kläger bezog zunächst von dem Jobcenter der Stadt K Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Nach Auskunft des Jobcenters K gegenüber dem Beklagten bewohnte der Kläger seit 2012 mit Frau B U eine gemeinsame Wohnung. Der Kläger und Frau U wurden dort nicht als Bedarfsgemeinschaft geführt. Im September 2015 verzog der Kläger gemeinsam mit Frau U nach S und bezog ab dem 01.09.2015 Leistungen von dem Beklagten. U.a. mit Schreiben vom 15.12.2015 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft wegen des Bestehens einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgehe und forderte den Kläger zur Vorlage von Einkommens- und Vermögensnachweisen von Frau U auf. Der Kläger bestritt das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Frau U und legte die geforderten Nachweise nicht vor.
Frau U wurde mit Schreiben des Beklagten vom 02.02.2016 aufgefordert, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse ab September 2015 zu erteilen. Nach Durchführung eines Widerspruchs- und Klageverfahrens sowie nach Androhung eines Zwangsgeldes legte Frau U am 06.06.2018 und 25.06.2018 Einkommensnachweise und Kontoauszüge für den Zeitraum vom 01.03. bis 31.05.2016 vor.
Dem Kläger wurden mit Bescheid vom 02.03.2016 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.03. bis 30.08.2016 in Höhe von 648,00 Euro (Regelbedarf 364,00 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung 284,00 Euro) monatlich von dem Beklagten gewährt. In dem Bescheid führte der Beklagte aus, dass er von einer eheähnlichen Gemeinschaft des Klägers mit Frau B U ausgehe. Es sei grundsätzlich eine gemeinsame Berechnung durchzuführen. Bis zur Entscheidung über den Widerspruch vom 03.02.2016 (von Frau U gegen den "Bescheid" vom 02.02.2016) werde künftig der maßgebliche Regelsatz eines volljährigen Partners berücksichtigt.
Nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens wandte sich der Kläger in einem Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück (Az. S 29 AS 293/16) dagegen, dass bei der Leistungsbewilligung nicht der für Alleinstehende maßgebliche Regelsatz berücksichtigt wurde, und machte geltend, er lebe nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Frau U. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG Osnabrück wurde Frau U als Zeugin vernommen. Die Beteiligten schlossen nach der Beweisaufnahme einen Vergleich, wonach für den Zeitraum ab dem 01.06.2016 nicht von dem Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen werde.
Mit Bescheid vom 15.08.2018 hob der Beklagte den Bescheid vom 02.03.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2016 für den Zeitraum vom 01.03.2016 bis 31.05.2016 insoweit auf, als Leistungen für diesen Zeitraum zu Unrecht gewährt wurden und verlangte einen überzahlten Betrag in Höhe von 1.944,00 Euro erstattet. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch seien erfüllt, da unter Anrechnung der erzielten Einkünfte der Frau U keine Bedürftigkeit im Sinne des SGB II mehr bestanden habe. Der Bescheid wurde rechtskräftig.
Am 23.11.2018 beantragte der Kläger eine Überprüfung des Bescheides vom 15.08.2018 gemäß § 44 SGB X. Die Leistungen seien bereits vollständig verbraucht worden, er habe auch keinen Unterhaltsanspruch gegen Frau U gehabt. Mit Bescheid vom 29.11.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2019 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Bei Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides sei weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich als unrichtig erwiesen habe. Mit dem vor dem SG Osnabrück geschlossenen Vergleich habe der Kläger das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau U für die Zeit vom 01.03. bis 31.05.2016 eingeräumt. Der Rückforderungsanspruch sei auch zutreffend berechnet worden.
Gegen den Bescheid hat der Kläger am 23.05.2019 Klage vor dem SG Osnabrück erhoben. Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 08.07.2019 an das örtlich zuständige SG Münster verwiesen. Er hat geltend gemacht, die Leistungen in voller Höhe für seinen Lebensunterhalt verbraucht zu haben. Er habe keine Leistungen zum Lebensunterhalt von Frau U erhalten und keine Kenntnis über die Höhe der Einkünfte von Frau U gehabt. Zudem sei der Bescheid bereits aus formalen Gründen aufzuheben, da er nicht auf § 48 SGB X habe gestützt werden können.
Mit Beschluss vom 20.01.2020 hat das SG Münster den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es bestehe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, denn der Kläger habe – unabhängig von der einschlägigen Rechtsgrundlage des Aufhebungsbescheides – nicht im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X Sozialleistungen zu Unrecht nicht erhalten. Im streitgegenständlichen Zeitraum seien ihm gemeinsam mit seiner Partnerin die Gewährung von Arbeitslosengeld II übersteigendes Einkommen zugeflossen. Weitere Ermittlungen "ins Blaue hinein" seien nicht angezeigt.
Gegen den ihm am 24.01.2020 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 24.02.2020 Beschwerde eingelegt. Er meint, seine damalige Lebensgefährtin sei als Zeugin zum Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zu vernehmen. Überdies könne auch nicht dahinstehen, welche Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides und die Rückforderung der Leistungen von dem Beklagten angewandt worden sei.
II.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das SG Münster den Antrag auf Bewilligung von PKH mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abgelehnt.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) wird PKH nur gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht liegt hier nicht vor.
Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des PKH-Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 12. Aufl. 2017, § 73a Rdnr. 7a). Dabei dürfen die Erfolgsaussichten aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht überspannt werden. Es reicht eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit aus. Schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in einem Verfahren, in dem sie anwaltlich vertreten sind, zugeführt werden können. Ist ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte, darf der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe dagegen abgelehnt werden (vgl. Schmidt, aaO). Der Zeitpunkt zur Beurteilung, ob hinreichende Erfolgsaussichten i.S.d. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO gegeben sind, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, bei rückwirkender Bewilligung der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Antrags auf PKH (Bayerisches Landessozialgericht vom 19.03.2009 – L 7 AS 52/09 B PKH, Rdnr. 6 bei juris; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 06.04.2011 – L 5 AS 397/10 B PKH; Rdnr. 4 bei juris, Schmidt, aaO, § 73a Rn. 13d).
Gemessen an diesen Vorgaben hat die Klage keine Aussicht auf Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 29.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2019 ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 SGG. Der Kläger kann die Rücknahme des Bescheides vom 15.08.2018 nicht beanspruchen.
Nach § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II iVm § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15.08.2018 ist nicht rechtswidrig in diesem Sinne.
Unerheblich ist, dass das Kläger vor dem Erlass des zu überprüfenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheides nicht ordnungsgemäß nach § 24 SGB X angehört worden ist, da im Rahmen des § 44 SGB X nur die materielle Rechtslage maßgebend ist, Verstöße gegen nicht dem materiellen Recht zuzurechnende Vorschriften, wie z. B. reine Formvorschriften, Verletzung der Anhörungspflicht, bleiben außer Betracht. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X: "[ ] und soweit deshalb [ ]". Dementsprechend kann nur die materielle Rechtswidrigkeit des zu überprüfenden Bescheides die Bestandskraft des Verwaltungsaktes beseitigen (vgl. BSG, Urt. vom 03.05.2018 – B 11 AL 3/17 R, Rdnr. 12 ff. LSG NRW. Beschluss vom 23.12.2013 – L 19 AS 1814/13 B, Rdnr. 17 bei juris m.w.N.; Heße in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 56. Edition, Stand: 01.03.2020, § 44 Rdnr. 12).
Unerheblich ist deshalb auch, dass der Beklagte die Aufhebungsentscheidung unzutreffend auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X stützt, obwohl es sich im Hinblick auf den Bewilligungsbescheid vom 02.03.2016 um einen Sachverhalt nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X gehandelt hat. Ein Auswechseln der Rechtsgrundlagen ist zulässig, da es sich bei den Aufhebungen von Leistungen nach dem SGB II mit Wirkung für die Vergangenheit nach §§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, 330 (SGB III) Sozialgesetzbuch Drittes Buch um gebundene Entscheidungen handelt, unabhängig davon auf welcher Rechtsgrundlage – § 45 SGB X oder § 48 SGB X – sie beruhen (vgl. BSG Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 59/12 R, Rdnr. 17 bei juris, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R – Rdnr. 23 bei juris).
Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X lagen vor. Nach diesen Vorschriften muss ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des ergangenen Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit ist nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gegeben, wenn der Kläger die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Diese Voraussetzungen liegen hier offensichtlich vor. Der Kläger hätte bei Anwendung der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht wissen müssen, dass ihm die mit Bescheid vom 02.03.2016 gewährten Leistungen wegen des anrechenbaren Einkommens von Frau U nicht zustanden. Er ist vor Erlass des Verwaltungsaktes vom 02.03.2016 mehrfach von dem Beklagten darauf hingewiesen worden, dass dieser von dem Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft und infolgedessen von einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau U ausgehe und deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse nachzuweisen seien. Das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft mit Frau U im Zeitraum vom 01.03. bis 31.05.2013 hat der Kläger im Vergleich vor dem SG Osnabrück schließlich nicht mehr in Frage gestellt. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit Erklärungen im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs in einem früheren Rechtsstreit die Anwendung von § 44 SGB X beschränken (vgl. dazu Schütze in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 44 Rdnr. 3a m.w.N.), ergibt sich aus seinem Vortrag im vorliegenden Verfahren auch keine andere Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II mit der Folge, dass das Einkommen von Frau U gem. § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II bei der Berücksichtigung des Hilfebedarfs zu berücksichtigen ist. Frau U ist bereits im Verfahren vor dem SG Osnabrück (Az. S 29 AS 293/16) als Zeugin vernommen worden. Tatsachen, die eine weitere Beweisaufnahme erforderlich machen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermittlung und/oder Anrechnung des Einkommens der Frau U sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Jahresfrist für die Rücknahme gem. § 45 Abs. 4 SGB X ist im Hinblick darauf, dass die vollständigen Einkommensunterlagen durch Frau U erst im Juni 2018 vorgelegt wurden, eingehalten. Ermessen hinsichtlich der Rücknahmeentscheidung war von dem Beklagten nicht auszuüben (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 Abs. 3 SGB III).
Der Erstattungsanspruch des Beklagten ergibt sich aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Auf einen Verbrauch der ihm mit Bescheid vom 02.03.2016 gewährten Leistungen kann sich der Kläger nicht berufen. Der Entreicherungseinwand nach § 818 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) findet im Rahmen sozialrechtlicher Rückgewähr keine Anwendung (vgl. Schütze, aaO, § 50 Rdnr. 7, 19).
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 22.06.2020
Zuletzt verändert am: 22.06.2020