Die aufschiebende Wirkung der am 15.07.2016 anhängig gemachten Klage gegen den Schiedsspruch der Antragsgegnerin vom 23.05.2016 wird insoweit wiederhergestellt, als die festgesetzte Pauschale je Behandlungsfall einen Betrag von 247,84 EUR übersteigt. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte als Gesamtschuldner.
Gründe:
I.
Im Hauptsacheverfahren L 11 KA 54/16 KL ist die Höhe der von den Vertragspartnern quartalsmäßig festzusetzenden Vergütung für die Leistungen des von der Antragstellerin betriebenen Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) streitig. Mit Schiedsspruch vom 23.05.2016 hat die Antragsgegnerin die Quartalspauschale auf 435,67 EUR je Behandlungsfall festgesetzt (§ 120 Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch i.V.m. § 18a Abs. 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz). Zudem hat sie die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung angeordnet. Sie hat angenommen, dies sei im öffentliches Interesse geboten, weil die Beigeladene (im Verfahren vor der Schiedsstelle: die Antragstellerin) im Fall einer Klage bis zum Verfahrensabschluss keine Vergütung für ihr SPZ erhalten werde, denn im Unterschied zu älteren SPZ gelte keine bisherige Vergütungsvereinbarung, auf deren Grundlage weiter abgerechnet werden könne. Auch die für die Beigeladenen streitenden Rechte aus Art. 12 und 14 Grundgesetz verlangten im Rahmen der Interessenabwägung die Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Die Antragsteller haben den Schiedsspruch mit Schriftsatz vom 11.07.2016 mittels Klage angegriffen und um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie meinen, die Voraussetzungen für die angeordnete sofortige Vollziehung lägen nicht vor. Die Vergütung sei nur im Streit, soweit diese 171,00 EUR überschreite. Sie sei bereit, die fraglichen Leistungen in dieser Höhe zu honorieren, was sie schon im Verfahren vor der Schiedsstelle deutlich gemacht habe. Dieser Betrag bilde mithin die Untergrenze der möglichen Vergütungsfestsetzung. Ungeachtet dessen gehe es ihr nur darum, die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich des 247,84 EUR übersteigenden Betrags wiederherzustellen. Das entspreche der Durchschnittsvergütung aller SPZ in Westfalen-Lippe. Im Übrigen sei der Schiedsspruch auch in der Sache fehlerhaft (wird ausgeführt).
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der am 15.07.2016 anhängig gemachten Klage gegen den Schiedsspruch der Antragsgegnerin vom 23.05.2016 insoweit wiederherzustellen, als die festgesetzte Pauschale je Behandlungsfall einen Betrag von 247,84 EUR übersteigt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verteidigt ihre Entscheidung in der Sache und meint im Übrigen, es bleibe offen, ob und inwieweit die Antragstellerin bzw. die von ihr vertretenen Krankenkassen bzw. Krankenkassenverbände die im SPZ der Beigeladenen erbrachten Leistungen vergüten. Der Antragstellerin müsse aufgegeben werden, mitzuteilen, inwieweit die fraglichen Leistungen für die Zeit ab Quartal I/2015 vergütet worden seien.
Die Beigeladene beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Schiedsspruch sei rechtmäßig. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei infolge öffentlichen Interesses geboten gewesen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte.
II.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf § 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gestützt. Gegenläufig kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder zum Teil anordnen. Diese Anordnungsbefugnis besteht nicht nur dann, wenn von Gesetzes wegen die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage entfällt (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG), sondern auch dann, wenn eine Behörde die sofortige Vollziehung ihrer Entscheidung angeordnet hat (std. Rechtsprechung des Senats u.a. Beschluss vom 17.07.2013 – L 11 KA 101/12 B ER -). Gericht der Hauptsache ist der erkennende Senat, denn die Antragstellerin hat die Hauptsache erstinstanzlich vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen anhängig gemacht (§ 29 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Der Antrag ist auch nicht deswegen unzulässig, weil die Antragstellerin nicht zuvor versucht hat, einen Antrag nach § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG zu stellen. Grundsätzlich ist ein solcher Antrag vorrangig, anderenfalls es am Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Entscheidung fehlt. Abweichendes gilt nur dann, wenn der Antrag von vornherein aussichtslos wäre (std. Rechtsprechung des Senats z.B. Beschluss vom 13.06.2016 – L 11 KA 75/15 B ER -). So liegt es hier, was keiner Erörterung bedarf.
2. Der Antrag ist begründet.
Essentielle Grundlage dafür, dass die angeordnete sofortige Vollziehung einer behördlichen Entscheidung rechtlich bestehen kann, ist das die dem zugrungelegten Tatsachen zutreffen. Anderenfalls würde es ausreichen, wenn das den Sofortvollzug tragende öffentliche Interesse virtuellen Charakter hätte und ihm letztlich jegliches reales Substrat fehlte.
Die Antragsgegnerin hat die angeordnete sofortige Vollziehung auf einen irrealen Sachverhalt gestützt. Sie hat angenommen, dass die Beigeladene im Fall einer Klage für die in ihrem SPZ erbrachten Leistungen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens keine Vergütung erhält. Das trifft indessen nicht zu. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG (analog) i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung) die fraglichen Leistungen weiterhin zu honorieren, dies allerdings mit einer Quartalspauschale je Behandlungsfall von zumindest 171,00 EUR (Schriftsatz vom 16.12.2016) bzw. ausweislich des mit Schriftsatz vom 08.11.2016 konkretisierten Antrags ggf. mit 247,84 EUR. Angesichts dieser Sachlage ist es nicht angezeigt, den Erwägungen der Antragsgegnerin zu folgen (Schriftsatz vom 21.03.2017), weiter dahin zu ermitteln, ob und inwieweit die Leistungen tatsächlich und in welchem Umfang bezahlt wurden/werden.
Rechtlich hat dies zur Folge, dass der Sofortvollzug aufzuheben ist. Das von der Antragsgegnerin angenommene öffentliche Interesse ist schon deswegen nicht gegeben, weil sie an eine nicht existente Tatsachengrundlage anknüpft hat. Für eine vom Senat dennoch vorzunehmende Interessenabwägung ist bei dieser Sachlage kein Raum. Dem Senat ist es verwehrt, die unzureichende Begründung einer sofortigen Vollziehung nachzuholen (z.B. Senat, Beschluss vom 30.05.2014 – L 11 KA 101/13 B ER – m.w.N.). Umso mehr ist er nicht befugt, den dem Sofortvollzug zugrunde gelegten Sachverhalt auszutauschen und nunmehr hierauf aufbauend, die divergierenden Interessen der Beteiligten eigenständig zu bewerten, letztlich also die von der zuvörderst zuständigen Behörde gerade nicht getroffene Abwägung zu substituieren.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beigeladene ist an den Kosten zu beteiligen (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Der Streitwert wird gesondert festgesetzt.
Diese Entscheidung ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 24.08.2017
Zuletzt verändert am: 24.08.2017