Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Klage wegen Staatshaftung nach § 198 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG).
Er macht die unangemessene Dauer des auf den (weiteren) Bezug von Krankengeld gerichteten Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Münster (S 17 (11) KR 1/06) einschließlich des vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen geführten Berufungsverfahrens (L 1 KR 332/10 bzw. L 1 KR 130/13) geltend. Das SG wies die Klage durch Urteil vom 04.03.2010 ab. Das Berufungsverfahren endete mit dem die Berufung zurückweisenden Urteil des LSG vom 20.12.2016. Den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde lehnte das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 30.05.2017 – B 3 KR 1/17 BH – ab. Am 30.01.2015 erhob der Antragsteller Verzögerungsrüge.
Am 15.08.2017 (Eingang 17.08.2017) hat der Antragsteller PKH beantragt. Er meint, das Ausgangsverfahren habe unangemessen gedauert und beziffert die "Überlänge" mit 10,5 Jahren.
Er beantragt,
ihm für die Entschädigungsklage gegen das Land Nordrhein-Westfalen Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Das beklagte Land beantragt,
den Antrag abzulehnen und die Klage abzuweisen.
Die Verzögerungsrüge vom 30.01.2015 sei verspätet. Sein Anspruch sei insoweit präkludiert. Im Übrigen habe das Ausgangsverfahren nicht unangemessen gedauert (wird ausgeführt).
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf die Akten des Ausgangsverfahrens und die Streitakte.
II.
Der zulässige PKH-Antrag ist unbegründet. Der Antragssteller hat das Streitverhältnis in einer gerade noch als geboten zu bezeichnenden Weise dargestellt. Mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung kann PKH jedoch nicht gewährt werden. Das Verfahren hat nicht unangemessen gedauert. Überdies hat der Antragsteller die Verzögerungsrüge zur Unzeit erhoben, so dass sie unwirksam ist.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Gemäß § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hierzu ist nach § 73 Abs. 1 SGG i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO in dem PKH-Antrag das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen. Wird PKH für eine vor dem LSG erhobene oder noch zu erhebende Entschädigungsklage gemäß § 198 GVG beantragt, muss der nicht vertretene Antragssteller zumindest in laienhafter Form schildern, inwieweit das von dem Entschädigungsanspruch betroffene Ausgangsverfahren unangemessen verzögert worden ist (hierzu Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 03.07.2014 – X S 9/14 (PKH) -; Beschluss vom 23.01.2014 – X S 40/13 -).
b) Diesen Anforderungen entspricht der PKH-Antrag gerade noch. Der Antragssteller stellt dar, dass er Entschädigung für das vor dem SG Münster am 02.01.2006 anhängig gemachte Verfahren S 17 (11) KR 1/06 einschließlich des vor dem LSG Nordrhein-Westfalen geführten Berufungsverfahrens L 1 KR 332/13 bzw. L 1 KR 130/13 begehrt. Allerdings hat er es unterlassen, die Entschädigungshöhe zu beziffern. Damit erweist sich der Antrag mit Blick auf die Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens als rechtlich problematisch.
aa) Für das Hauptsacheverfahren gilt: Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen (§ 92 Abs. 1 Satz 1 SGG). Sie soll einen bestimmten Antrag enthalten (§ 92 Abs. 1 Satz 3 SGG). Das Streitverhältnis ("Gegenstand des Klagebegehrens") muss substantiiert dargestellt werden. Der Kläger muss hierzu in laienhafter Form schildern, inwiefern das von dem Entschädigungsanspruch betroffene Verfahren unangemessen gedauert hat. Der Leistungsantrag ist hinsichtlich des materiellen Nachteils und der insoweit begehrten Entschädigung als klassischer Zahlungsantrag zu stellen. Er ist daher grundsätzlich zu beziffern, da er vollstreckungsfähig sein muss. Der Antrag ist demnach unzulässig, wenn er unbeziffert ist und weder aus Klageantrag noch Klagebegründung die ungefähre Größenordnung des geltend gemachten Anspruchs oder zumindest ein Mindestbetrag zu entnehmen ist. Diese Rechtslage gilt auch für Entschädigungsklagen wegen immaterieller Nachteile (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG). Zwar wird es einem Kläger vielfach nicht möglich sein, den immateriellen Nachteil zu beziffern. Eine ungefähre Präzisierung ist gleichwohl angezeigt. Angesichts der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG geregelten Entschädigungspauschale für immaterielle Nachteile und wegen des Erfordernisses eines bestimmten Klageantrags ist es daher notwendig, dass ein Kläger die für die Bemessung der Anspruchshöhe notwendigen Tatsachen benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Entschädigung angibt, was wiederum bedingt, dass der Umfang des Leistungsbegehrens durch einen Mindestbetrag oder einen ungefähren Betrag gekennzeichnet wird, wobei dieser hilfsweise der Klagebegründung entnommen werden kann. Infolgedessen müssen bei Entschädigungsklagen die für die Bemessung der Höhe des Anspruchs erforderlichen Tatsachen benannt werden; zumindest ist eine Größenordnung anzugeben (Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.09.2015 – 13 D 27/14 -).
bb) Diesen Anforderung genügt das vom Antragsteller skizzierte Begehren nur knapp. Lediglich pauschal macht er eine unangemessene Verfahrensdauer von über 10 Jahren geltend. Nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beträgt die Entschädigung 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung. Demzufolge richtet sich der PKH-Antrag auf eine in der Hauptsache zu verfolgende Leistungsklage mit dem Ziel, das beklagte Land zu einer Entschädigung von mindestens 12.000,00 EUR zu verurteilen. Da der entschädigungsrechtlich maßgebende Sachverhalt den zwar optisch unübersichtlichen und inhaltlich wenig strukturierten Schriftsätzen des Antragsteller insoweit näherungsweise entnommen werden kann, erachtet der Senat die Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO gerade noch als gegeben. Der Antrag ist daher zulässig.
2. Der Antrag ist unbegründet.
a) PKH ist nach Maßgabe des § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 Satz 1 ZPO zu bewilligen, wenn u.a. die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Erfolgsaussicht i.S.d. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist regelmäßig ohne vollständig abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes zu beurteilen, da diese Prüfung nicht dazu dienen soll, die Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Verfahrens in der Hauptsache treten zu lassen. Daraus folgt, dass an die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht keine überspannten Anforderungen gestellt werden darf (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 22.08.2018 – 2 BvR 2647/17 -; Beschluss vom 03.09.2013 – 1 BvR 1419/13 -; Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 -; Senat, Beschluss vom 07.03.2018 – L 11 KR 571/17 B -).
Gemessen an diesen Maßstäben hat die Entschädigungsklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
b) Für eine Entschädigungsklage wegen unangemessener Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind § 198 Abs. 1 GVG sowie die §§ 183, 197a und 202 SGG in der ab 03.12.2011 geltenden Fassung durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl. I 2302), zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06.12.2011 (BGBl. I 2554), maßgebend.
c) Zuständig ist das LSG Nordrhein-Westfalen. Nach § 200 Satz 1 GVG haftet das Land für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Landes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen das Land ist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Für sozialgerichtliche Verfahren ergänzt § 202 Satz 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198 – 201 GVG) u.a. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des OLG das LSG und an die Stelle der ZPO das SGG tritt. Daraus folgt die Zuständigkeit des LSG Nordrhein-Westfalen; das streitgegenständliche Verfahren wurde im Bezirk des LSG Nordrhein-Westfalen geführt. Zwar hat der Antragsteller vor dem BSG einen Antrag auf PKH zwecks Nichtzulassungsbeschwerde gestellt. Haftungsschuldner wäre der Bund (§ 201 Satz 1 GVG). Indessen macht er nicht geltend, dieses Verfahren habe unangemessen gedauert.
d) Die beabsichtigte Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft (hierzu BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/17 R -; Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -; Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -). Einen solchen Antrag hat der Antragsteller bislang nicht formuliert. Allerdings kann sein Vorbringen – wie ausgeführt – dahin verstanden werden, dass er in der Hauptsache eine Entschädigung von 12.000,00 EUR begehrt.
e) Die Klage hat in der Sache keine Erfolgsaussicht. Sie wäre nicht begründet.
Haftungsauslösend ist eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 SGG). Haftungsgrund ist die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sowie Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 14.11.2013 – III ZR 376/12 -; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D -; BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -) infolge Versagens des Landes Nordrhein-Westfalen in seiner Funktion als Justizgewährungsgarant und Haftungsschuldner (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.2005 – 2 BVR 1737/05 -). Auf die Frage, ob der zuständige Richter pflichtwidrig oder schuldhaft gehandelt hat, kommt es – anders als bei der Amtshaftung – nicht an (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 19). Gleichermaßen unerheblich ist, ob sonstige Justizgewährungsgaranten wie Angehörige der Exekutive (Justizverwaltung, Gerichtsleitung, Landesregierung) oder der Landtag Nordrhein-Westfalen als zuständiges Legislativorgan es pflichtwidrig oder schuldhaft unterlassen haben, dem SG personelle Kapazitäten in einem Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK gerecht werdenden Umfang zuzuweisen.
aa) Die Dauer des Ausgangsverfahrens war nicht unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.
(1) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Feste Zeitvorgaben sind mit § 198 GVG nicht vereinbar. Die Vorschrift verbietet es nachgerade, die Angemessenheit der Verfahrensdauer mit Hilfe von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit gerichtlicher Verfahren zu ermitteln, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme, Erfahrungswerten oder auf statistisch basierten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (Senat, Beschluss vom 04.03.2016 – L 11 SF 554/15 EK SB -; Urteil vom 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -; so auch BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -; Urteil vom 05.12.2013 – II ZR 73/13 -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; BVerwG, Urteil vom 17.08.2017 – 5 A 2/17 D -; Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 D -; Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; OVG Sachsen, Urteil vom 12.06.2018 – 11 F 6/17.EK -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2013 – L 37 SF 82/12 EK R -; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2013 – 23 SchH 2/13 EntV -; LSG Thüringen, Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1149/12 EK -; Urteil vom 18.06.2013 – L 3 SF 1759/12 EK -; ausführlich Frehse, Die Kompensation der verlorenen Zeit – ÜGG, 1. Auflage, 2017, S. 804 ff.). Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, nach dem sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer "nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" richtet, folgt überdies aus der Gesetzesbegründung, der zufolge eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (BT-Drucks. 17/3802, S. 18; insoweit abweichend BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -, wonach statistischen Daten eine Indizwirkung zukommen soll; abgrenzend hierzu BSG, Beschluss vom 16.12.2013 – B 10 ÜG 13/13 B -). Auch die als Auslegungshilfe mit Orientierungsfunktion heranzuziehende Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK (hierzu BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 -) lässt nicht ansatzweise den Schluss zu, der Gerichtshof habe feste Vorgaben entwickelt. Das Gegenteil ist der Fall. Jeder Sachverhalt wird auf der Grundlage der immer wiederkehrenden Eingangsformel
"Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände der Rechtssache sowie unter Berücksichtigung folgender Kriterien zu beurteilen ist: Komplexität der Rechtssache, Verhalten des Beschwerdeführers sowie der zuständigen Behörden und Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer (siehe u.v.a. Frydlender./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 30979/96, Rdnr. 43, ECHR 2000-VII)"
einer individuellen Betrachtung unterzogen (z.B. EGMR, Urteil vom 13.10.2011 – 37264/06 – (Mianowicz/Deutschland); Urteil vom 22.09.2011 – 28348/09 – (Otto/Deutschland); Urteil vom 21.07.2011 – 21965/09 – (Bellut/Deutschland); Urteil vom 07.06.2011 – 277/05 – (S.T.S./Niederlande)). Es gibt weder eine feste zeitliche Grenze noch hat der EGMR eine allgemeine Höchstdauer für Verfahren einer bestimmten Art definiert (vgl. Mayer-Ladewig, EMRK, 3. Auflage, 2011, Art 6. Rn. 199; Meyer in Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Auflage, 2015, Art. 6 Rn. 76; Frehse, a.a.O., S. 271). So hat der EGMR eine Verfahrensdauer von 12 Jahren und sieben Monaten durch mehrere Instanzen einschließlich des Kosten- und Vollstreckungsverfahrens unter Berücksichtigung der Komplexität der Sach- und Rechtslage und des Verhaltens des Beschwerdeführers als angemessen bewertet (EGMR, Urteil vom 04.02.2010 – 13791/06 – (Gromzig/Deutschland)). § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt deshalb nur beispielhaft ("insbesondere") solche Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (BT-Drucks. 17/3802, S. 18), nämlich die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
Das beklagte Land Nordrhein-Westfalen als verantwortlicher Justizgewährungsträger und Haftungssubjekt ist zwar verpflichtet, die Justiz so zu organisieren und mit Personal und sächlichen Mitteln auszustatten, dass die Gerichte in der Lage sind, Rechtsschutz in einer den Vorgaben von Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK inhaltlich richtig und zeitnah zu gewähren. Versäumt das Land, entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen, haftet es nach den Maßgaben des § 198 GVG für dem jeweiligen Beteiligten entstandene materielle und/oder immaterielle Nachteile. Andererseits ist das Land nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/14 R -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Hingegen vermag eine hohe Belastung des zuständigen Gerichts eine lange Verfahrensdauer nicht zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.08.2010 – 1 BvR 331/10 -). Um einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen, haben Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber vielmehr die dafür erforderlichen – personellen wie sächlichen – Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73 -; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 17.12.2009 – VfGBbg 30/09 – und Beschluss vom 13.04.2012 – VfGBbg 54/11 – zu Art. 52 Abs. 4 der Landesverfassung). Einen Finanzierungsvorbehalt gibt es nicht (LSG Sachsen, Beschluss vom 12.07.2016 – L 11 SF 50/15 EK -).
Die Verfahrensdauer ist unangemessen i.S.v. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ("Gesamtabwägung") ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Die Verfahrensdauer muss insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt. Durch die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen wird deutlich gemacht, dass die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen muss. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BGH, Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -). Allerdings verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die gerichtliche Pflicht, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -).
(2) Zeitlicher Bemessungsmaßstab des Entschädigungsanspruchs ist das Gerichtsverfahren, beginnend mit der Einleitung und endend mit dem rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Die Klage S 11 KR 1/06 wurde am 02.10.2006 anhängig und gleichzeitig rechtshängig (§ 94 Satz 1 SGG). Das Verfahren endete mit Zustellung des Urteils vom 04.03.2010 am 05.06.2010. Das anschließende Berufungsverfahren begann am 24.06.2010 und wurde mit Zustellung des Urteils vom 20.12.2016 am 28.01.2017 abgeschlossen. Würde das sich anschließende PKH-Verfahren vor dem BSG einbezogen, endete das Gesamtverfahren mit Zustellung des Beschluss des BSG vom 30.05.2017. Hierfür spräche das Urteil des BSG vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 3/16 R – (PKH-Verfahren als Annex). Das kann letztlich dahinstehen (dazu unten).
Der Senat legt zugunsten des Antragstellers als Gesamtverfahrensdauer nur den am 02.01.2006 beginnenden und am 28.01.2017 endenden Zeitraum zugrunde. Das entspricht einer Verfahrensdauer von rund zehn Jahren und drei Monaten. Das ist statistisch fraglos überlang. Dieser Befund hat allerdings keinen Bezug zum anspruchsbegründenden Merkmal "unangemessene Dauer" in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.
Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -; Urteil vom 13.02.2014 – III ZR 311/13 -; BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Gerichte sind überdies wegen des Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) berechtigt, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt (BSG, Urteil vom 03.09. 2014 – B 10 ÜG 2/13 R -). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – III ZR 141/14 -, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -; BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -; OLG Frankfurt, Urteil vom 14.01.2015 – 4 EK 3/14 -). Inhaltliche Richtigkeit geht wegen Art. 20 Abs. 3 GG vor Schnelligkeit.
(3) Unerheblich ist in diesem Kontext, ob das SG das Verfahren aus Sicht ex-post (hierzu BT-Drucks.17/3802, S. 18) optimal gefördert hat. Es ist nicht die Aufgabe des Entschädigungsgerichts, jede richterliche Verfahrenshandlung darauf zu überprüfen, ob und inwieweit sie sich ex-post als verfahrensfördernd oder -hemmend darstellt.
(4) Anspruchsauslösend sind vom Haftungssubjekt zu vertretenes Systemversagen und/oder strukturelle Defizite (zutreffend LSG Hessen, Urteil vom 06.02.2013 – L 6 SF 6/12 EK U -; hierzu auch LSG Sachsen, Beschluss vom 12.07.2016 – L 11 SF 50/15 EK – zu strukturellen Defiziten beim dortigen LSG; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.07.2014 – L 12 SF 47/13 EK U WA – zu strukturellen Defiziten der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Mecklenburg-Vorpommern; s. auch BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 3/16 R -), nicht aber etwaige richterliche Pflichtwidrigkeiten (hierzu BT- Drucks. 17/3802, S. 19). Schon im Ansatz verfehlt sind daher Überlegungen danach, richterliche Verfahrensgestaltung auf "Vertretbarkeit" mit der Folge zu prüfen ist, dass eine nicht vertretbare Maßnahme entschädigungsrelevant ist. Abgesehen davon, dass sich insoweit eine Kollisionslage mit Art. 97 Abs. 1 GG und § 26 Deutsches Richtergesetz (DRiG) ergeben kann (hierzu mit Blick auf die Untätigkeitsbeschwerde Bäcker, EuGRZ 2011, 222, 224 und Kroppenberg, ZZP 119 (2006), 177, 196 f.; zum weiten richterlichen Gestaltungsspielraum s. auch BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 -), verkennen die eine schlichte Vertretbarkeitsprüfung präferierenden Entscheidungen (z.B. OLG Brandenburg, Beschluss vom 04.12.2013 – 11 EK 4/13 (PKH) -; OLG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013 – 4 EntV 3/13 -, nachgehend BGH, Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -) Sinn- und Zweck der §§ 198 ff. GVG. Im Gegensatz zum Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB knüpft der Entschädigungsanspruch des § 198 GVG nicht an Handlungs- sondern an Erfolgs"unrecht" an. Damit verbietet sich jede Prüfung richterlicher Verfahrensgestaltung dahin, ob sie (noch) vertretbar ist. Im Übrigen werden die vom BGH entwickelten Vertretbarkeitsmaßstäbe verkannt. Mitnichten prüft der BGH richterliche Verfahrenshandlungen auf "schlichte" Vertretbarkeit. Die vom BGH verwendete Formel lautet vielmehr:
"Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen ( …). Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senatsurteile vom 4. November 2010 – III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 14; vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 45 f und vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13, juris Rn. 30)."
Diese qualifizierte Vertretbarkeitskontrolle ("nicht mehr verständlich") ist ein offenkundiges aliud zur gelegentlich vorausgesetzten, Sinn und Zweck des Entschädigungssystems der §§ 198 ff. GVG allerdings verkennenden schlichten Vertretbarkeitsprüfung (Senat, Urteil vom 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -).
Ein "nicht mehr verständliches Verhalten" des SG und des LSG hat der Kläger nicht aufgezeigt. Es liegt auch nicht vor. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen (BVerwG, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 23/12 D -; BGH, Urteil vom 23.01.2014 – III ZR 37/13 -) bzw. "nicht mehr verständlich" ist, liegt eine unangemessene Verfahrensdauer vor. Das BSG hat dies für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit dahin gehend konkretisiert, dass dem Ausgangsgericht bei Verfahren mit etwa durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten (je Instanz) eingeräumt werden könne, so dass insoweit inaktive Zeiten unschädlich seien und nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer beitragen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden könnten (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 9/13 R -).
(5) Hiernach hat das SG das Verfahren ab Eingang der Klage (02.01.2006) bis Januar 2008 durchgängig gefördert. Lücken existieren nicht. Am 18.02. und 10.03.2008 hat es jeweils eine Wiedervorlage von einem Monat verfügt und am 06.05.2008 auf die Absicht verwiesen, weitere Ermittlungen durchzuführen. Gleichzeitig hat es dem Kläger aufgegeben, eine Reihe von Fragen zu beantworten. Ein rechtserhebliches Inaktivitätsintervall ist in diesem Ablauf nicht auszumachen. Denn mit Verfügung vom 16.01.2008 hat das SG dem Beklagten die Stellungnahme des Klägers vom 16.01.2008 zur eventuellen Stellungnahme zugeleitet. Die Übersendung eines Schriftsatzes, eines Gutachtens oder Ähnliches an die Beteiligten zur Kenntnis beinhaltet stets die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf diese mögliche Stellungnahme zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, unterliegt grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative und ist – mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten – weder durch das Entschädigungs- noch durch das Revisionsgericht als Verfahrensverzögerung zu bewerten (BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R -). Allerdings begrenzt das BSG die insoweit einzuräumende Wartezeit auf bis zu sechs Wochen. Das könnte es rechtfertigen, zwei Monate rechtserheblicher Inaktivität anzunehmen (März und April 2008).
Ein weiteres Inaktivitätsintervall wäre nach diesen Maßstäben mit September 2008 auszumachen. Ab der Verfügung vom 22.09.2008 wurde das Verfahren bis zum 10.09.2009 (Wiedervorlage Erörterungstermin) wieder durchgängig gefördert. Die Ladung zum Verkündungstermin folgte am 01.02.2010. Demnach wären weitere vier Monate Inaktivität (Oktober 2009 bis Januar 2010) anzusetzen. Der Zeitraum vom 04.03.2010 bis 05.06.2010 ist nicht einzuberechnen, da die Absetzung eines Urteils notwendigerweise geräumige Zeit in Anspruch nimmt, die hier mit knapp drei Monaten jedenfalls nicht überschritten ist. Somit sind für das erstinstanzliche Verfahren maximal sieben Monate an rechtserheblicher Inaktivität zu identifizieren. Das Berufungsverfahren begann am 24.06.2010 und endete mit Zustellung des Urteils vom 20.12.2016 am 28.01.2017. Das Verfahren wurde stringent geführt. Rechtlich unerheblich ist, dass der 1. Senat den Vortrag des Klägers vom 01.09.2010 mit Verfügung vom 03.09.2010 an die Beklagte zur Stellungnahme weiterleitete und am 18.10.2010 eine Wiedervorlage von einem Monat verfügte. Karenzzeiten von bis zu sechs Wochen sind rechtlich irrelevant (s. oben). Im Übrigen folgte am 08.11.2010 eine Sachstandanfrage beim Beklagten, der zudem am 13.12.2010 und neuerlich am 13.01.2011 erinnert wurde und am 20.01.2011 die angeforderte Stellungnahme vorlegte. Diese Verzögerung ist nicht dem beklagten Land zuzurechnen.
Soweit der 1. Senat das Berufungsverfahren durch Beschluss vom 06.04.2011 ruhend stellte, erfolgte dies mit Zustimmung der Beteiligten. Schon deswegen kann der Antragsteller sich hierauf nicht berufen. Im Übrigen wird das Ruhen von einem Sachgrund getragen. Es sollte abgewartet werden, bis das den Antragsteller betreffende Gutachten aus dem Verfahren 111 O 80/09 (Landgericht Münster) vorliegt. Das Berufungsverfahren (L 1 KR 332/10) wurde am 07.11.2011 ausgetragen.
Nachfolgende Inaktivitäten hat der Antragsteller zu vertreten. Der 1. Senat hat am 15.05.2012 nach dem Sachstand angefragt. Hierauf hat der Antragsteller am 31.05.2012 mitgeteilt, das Gutachten sei problematisch, die Sache sei jetzt beim Oberlandesgericht, bis zur endgültigen Klärung und entsprechender Richtigstellung des Gutachtens solle das Verfahren L 1 KR 332/10 ruhen. Am 04.06.2012 wurde verfügt, diese Stellungnahme der Beklagten zur Kenntnis zuzuleiten. Am 05.12.2012 wurde erneut der Sachstand angefragt und am 23.01.2013 erinnert. Am 01.03.2013 beantragte der Antragsteller das Verfahren fortzuführen; nach entsprechender Benachrichtigung und Zuteilung eines neuen Aktenzeichens werde er weitergehend vortragen. Hierauf veranlasste der Berichterstatter am 05.03.2013 das Verfahren mit dem Az. L 1 KR 130/13 einzutragen, teilte dies den Beteiligten mit und verfügte eine Wiedervorlage von vier Wochen mit dem Zusatz "St.Kl.". Mit Verfügung 08.04.2013 erinnerte er den Antragsteller an die angekündigte Stellungnahme, die am 08.05.2013 beim LSG einging. Der Antragsteller erklärte, das OLG habe die Berufung zurückgewiesen, das Gutachten sei falsch und könne im Verfahren L 1 KR 130/13 nicht herangezogen werden. Am 08.05.2013 verfügte der Berichterstatter, der Beklagten diese Stellungnahme zur Kenntnis zuzuleiten. Nach Berichterstatterwechsel am 01.06.2013 hat der neue Berichterstatter am 24.06.2013 angefragt, ob das Verfahren weiter ruhen solle bis das Verfahren vor dem OLG Hamm abgeschlossen sei. Die Beklagte erteilte am 28.06.2013 ihr Einverständnis. Der Antragsteller reagierte erst am 15.07.2013 und wies – insoweit zutreffend – darauf hin, dass das Verfahren bereits abgeschlossen sei.
Auf die Verfügung vom 08.05.2013 greift die Karenzzeit von bis zu sechs Wochen. Allerdings hat die sachlich unzutreffende und insoweit überflüssige Anfrage des Berichterstatters vom 24.06.2013 eine vom beklagten Land zu vertretende Verzögerung von knapp einem Monat (Juni 2013) verursacht.
Die folgenden Verzögerungen fallen in die Verantwortungssphäre des Antragstellers. Im Schreiben vom 15.07.2013 teilte er mit, eine ausführliche Stellungnahme mit entsprechenden Beweisen sei in Arbeit. Der Berichterstatter leitete dieses Schreiben am 18.07.2014 an die Beklagte zur Kenntnis weiter. Es greift die sechswöchige Karenzzeit. Wiedervorlagen von je einem Monat wurden am 21.08. und 05.09.2014 verfügt. Am 01.10.2014 folgte eine Sachstandanfrage. Am 16.10.2014 teilte der Antragsteller mit, bis spätestens Ende November weiter vorzutragen. Das geschah nicht. Am 19.12.2014 verfügte der Berichterstatter deswegen einen Erörterungstermin. Die Ladung zum 11.03.2014 folgte am 12.02.2014. Diese Verzögerungen fallen in den Verantwortungsbereich des Antragstellers. Im Anschluss an sein Schreiben vom 08.05.20154 hat er es, trotz Ankündigung weiter vortragen zu wollen, nahezu ein ¾ Jahr unterlassen, am Verfahren mitzuwirken.
Im Zeitraum ab dem Erörterungstermin vom 11.03.2014 bis zur Bewilligung von PKH (Beschluss vom 02.12.2014) sind keine vom Land zu verantwortenden Inaktivitäten festzustellen. Soweit der Antragsteller den vom Berichterstatter am 08.08.2014 angeforderten SGB II-Bescheid zunächst unvollständig und erst am 14.10.2014 vollständig vorgelegt hat, unterfällt das seiner Verantwortung. Der PKH bewilligende Beschluss vom 02.12.2014 erging zeitnah.
Am 19.12.2014 beantragte der dem Antragsteller beigeordnete Rechtsanwalt A Akteneinsicht und begründete die Klage mit Schriftsatz vom 10.03.2015. Das Zeitintervall von Dezember 2014 bis März 2015 ist dem Antragsteller zuzurechnen. Das gilt auch für die nachfolgenden Verzögerungen, die darauf beruhen, dass sein Bevollmächtigter auf gerichtliche Anfragen nicht oder nur sehr zögerlich reagierte und beispielsweise die ihm am 18.02.2015 übersandten Akten erst nach mehrmaliger Aufforderung am 04.05.2015 zurückreichte. Die hinhaltende Mitwirkung mündet letztlich in die Anfrage des Berichterstatters vom 14.10.2015 ein, ob noch Interesse an der Rechtsverfolgung bestehe.
Lediglich im Zeitraum von 05.07.2016 bis zum 27.10.2016 war der Berichterstatter nicht aktiv. Am 05.07.2016 verfügt er, die Auskunft von Dr. O an die Beteiligten zur Kenntnis zu senden. Die Karenzzeit von bis zu sechs Wochen wurde überschritten, da die nächste Aktivität erst am 27.10.2016 folgte (richterliche Hinweise auf die Sach- und Rechtslage). Da die kleinste relevante Zeiteinheit ein Monat ist, führt das zu einer rechtserheblichen Lücke von einem Monat (September 2016).
Weitere Lücken im Verfahrensablauf sind bis zum Urteil vom 20.12.2016 nicht auszumachen. Das Urteil wurde auch zeitnah am 28.01.2017 zugestellt. Mithin weist das Berufungsverfahren rechtserhebliche Lücken in einem Umfang von zwei Monaten auf.
Zusammenfassend ergibt sich hieraus eine entschädigungsrelevante Lücke von sieben Monaten im erstinstanzlichen Verfahren und von zwei Monaten im Berufungsverfahren. Dem Ausgangsgericht ist allerdings grundsätzlich eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzugestehen, die sich auf bis zu einem Jahr je Instanz belaufen kann (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 7/14 R -; Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R -). Ungeachtet erheblicher methodischer Bedenken hinsichtlich der rechtlichen Herleitung dieser Frist folgt der Senat dem (hierzu Senat, Urteil vom 17.02.2016 – L 11 SF 85/16 EK SB -). Die Karenzzeit beträgt daher mindestens zwei Jahre. Dieser Zeitraum wird mit neun Monaten rechtserheblicher Inaktivität für zwei Instanzen bei weitem nicht erreicht.
Besonderheiten, die es rechtfertigen würden, hiervon abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Der Streitstoff des Ausgangsverfahrens war mit drei Aktenbänden und rund 440 Seiten umfangreich. Zudem weist das Ausgangsverfahren rechtlich jedenfalls mittelgradige Schwierigkeiten auf. Ein erheblicher Teil des Zeitverzugs ist dem Antragsteller zuzuordnen. Es steht kein eilbedürftiger, z.B. auf Existenzsicherung gerichteter Anspruch in Streit. Davon ausgehend besteht kein Anhaltspunkt dafür, von der vom BSG (Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 9/13 R -) als regelmäßig akzeptierten Zeitspanne von zwölf Monaten je Instanz abzuweichen. Infolgedessen kann offen bleiben, ob das dem Berufungsurteil folgende Verfahren auf Gewährung von PKH vor dem BSG dazu führt, dass die Karenzzeit um ein weiteres Jahr zu erhöhen ist.
bb) Der Anspruch scheitert auch im Übrigen.
(1) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 2 Satz 1 GVG). Dabei ist unter dem mit der Sache befassten Gericht die jeweilige Instanz des Ausgangsverfahrens zu verstehen. Denn nach § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge, wenn sich das Verfahren bei einem "anderen Gericht" weiter verzögert; wobei ein "anderes Gericht" insbesondere ein höheres Gericht im Instanzenzug ist (BT-Drucks. 17/3802, S. 21). Daher ist in jeder Instanz eine Verzögerungsrüge zu erheben. Die in einer Instanz nicht ordnungsgemäß erhobene Verzögerungsrüge führt zur materiell-rechtlichen Präklusion des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Verfahrensdauer für diese Instanz (hierzu LSG Sachsen, Beschluss vom 12.07.2016 – L 11 SF 50/15 EK -).
Eine erstinstanzlich erhobene Verzögerungsrüge ist nicht aktenkundig. Die Verzögerungsrüge vom 30.01.2015 hat der Antragsteller im anhängigen Berufungsverfahren erhoben. Ein Entschädigungsanspruch für das erstinstanzliche Verfahren wäre mithin präkludiert. Indessen greift die Besonderheit, dass das erstinstanzliche Ausgangsverfahren bereits durch Urteil vom 04.03.2010 beendet wurde, mithin deutlich vor Inkrafttreten des ÜGG. Eine vorgreifliche Verzögerungsrüge musste der Kläger daher nicht erheben und konnte dies aus Rechtsgründen auch nicht.
(2) Allerdings kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG). Andernfalls werden diese Umstände von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat, bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Abs. 2 Satz 5 GVG).
Die Verzögerungsrüge hat eine Doppelnatur. Sie ist materielle Anspruchsvoraussetzung (BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; BSG, Beschluss vom 27.06.2013 – B 10 ÜG 9/13 B -; LSG Thüringen, Urteil vom 26.11.2013 – L 3 SF 1135/12 EK -; LSG Bayern, Urteil vom 20.06.2013 – L 8 SF 134/12 EK -), kombiniert mit Elementen einer Prozesshandlung (BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -). Ohne wirksame Verzögerungsrüge entsteht der Entschädigungsanspruch nicht (BFH, Urteil vom 26.10.2016 – X K 2/15 -; Senat, Beschluss vom 17.12.2014 – L 11 SF 832/14 EK AS PKH -).
So liegt es hier. Der Kläger hat die Rüge zur Unzeit erhoben. Schon deshalb ist der geltend gemachte Entschädigungsanspruch nicht begründet und wäre die Klage abzuweisen (vgl. BGH, Urteil vom 17.07.2014 – III ZR 228/13 -). Die Gesetzesbegründung formuliert, dass die Rüge "ins Leere" geht (BT-Drucks. 17/3802, S. 20). Sie ist damit endgültig unwirksam und wird auch dann nicht wirksam, wenn tatsächlich eine unangemessene Verfahrensdauer eintritt (vgl. auch Senat, Urteil vom 27.08.2014 – L 11 SF 155/13 EK SO -; Beschluss vom 04.12.2013 – L 11 SF 398/13 EK AS -).
Im Berufungsverfahren ist bis zum Zeitpunkt der Verzögerungsrüge am 30.01.2015 lediglich eine, an der vorgenannten Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten gemessen lediglich unbedeutende Inaktivität von einem Monat festzustellen. Selbst wenn das erstinstanzliche Verfahren einbezogen wird, ergäbe sich lediglich eine Verzögerung von weiteren sieben Monaten. Ansonsten wurde das Berufungsverfahren bis zum 30.01.2015 durchgängig und ohne jede dem beklagten Land zuzurechnende Verzögerung betrieben. Die Rüge ist mithin unwirksam. Ein Entschädigungsanspruch kann schon deswegen nicht entstehen.
cc) Fehlt es an einer wirksamen Verzögerungsrüge, kann dennoch die Feststellung ausgesprochen werden, dass die Verfahrensdauer unangemessen war (§ 198 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 GVG). Hierauf kann sich der Antragsteller indessen nicht berufen, weil die Grundvoraussetzung für den von ihm geltend gemachten Anspruch fehlt. Das Ausgangsverfahren war nicht unangemessen lang.
dd) Übergangsrecht greift entgegen der Auffassung des Beklagten nicht. Für Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG abgeschlossen oder bereits anhängig waren, gilt die Besonderheit, dass die Verzögerungsrüge nicht allein in § 198 Abs. 3 GVG geregelt ist, sondern auch in der Übergangsbestimmung des Art. 23 ÜGG. Danach ist eine Verzögerungsrüge ggf. entbehrlich (Art. 23 Satz 4 ÜGG) oder ihre verspätete Erhebung führt zu einer weitergehenden materiell-rechtlichen Präklusion (Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGG). Art. 23 Satz 2 ÜGG bestimmt:
"Für anhängige Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten schon verzögert sind, gilt § 198 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss."
Die Verzögerungsrüge datiert vom 30.01.2015. Diese Rüge ist nicht unverzüglich, d.h. innerhalb von drei Monaten seit Inkrafttreten der §§ 198 ff. GVG am 03.12.2011 erhoben worden (hierzu BSG, Urteil vom 15.12.2015 – B 10 ÜG 1/15 R -). Allerdings ist das unschädlich, denn das Ausgangsverfahren war beim Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 noch nicht verzögert. Die Begrifflichkeit "Verzögerung" ist in Anlehnung an § 198 Abs. 1 GVG als zwar anderes, aber inhaltsgleiches Wort wie die den Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 GVG auslösende Wortfolge "unangemessene Verfahrensdauer" auszulegen. Das wird bestätigt durch § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG, der davon spricht, dass die Entschädigung 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung beträgt (hierzu Frehse, a.a.O., S. 999). Grammatikalisch und systematisch ist mithin die Begrifflichkeit "verzögert" in Art. 23 Satz 2 ÜGG identisch mit der "unangemessenen Verfahrensdauer" in § 198 Abs. 1 GVG. Der vom Antragsteller geltend gemachte Anspruch ist mithin insoweit nicht durch Übergangsrecht präkludiert. Es würde "Normalrecht" gelten, das allerdings aus anderen Gründen (s. oben) keinen Entschädigungsanspruch begründet.
3. Nach alledem hat die beabsichtigte Klage keinerlei hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Antrag auf Gewährung von PKH ist daher abzulehnen.
III.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 23.10.2018
Zuletzt verändert am: 23.10.2018