Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 7. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Kläger begehrt Verletztenrente in Höhe von mindestens 40 vH der Vollrente wegen der Folgen seiner als Berufskrankheit (BK) Nr 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV, Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen Systems durch Benzol) anerkannten Erkrankung Non-Hodgin-Lymphom und die Feststellung, dass die Schädigung seiner Zähne Folge seiner BK ist.
Der 1950 geborene Kläger war unter anderem als Kfz-Mechaniker und Lackierer beschäftigt. Dabei war er von 1966 bis Oktober 2013 gegenüber Benzol exponiert (16,4 ppm-Jahre, Stellungnahme Arbeitsplatzexposition des Dr F. vom 11. Mai 2016 (215). 2005 erkrankte er an einem Non-Hodgkin-Lymphom. Nach Entfernung der Lymphknoten im April 2005 erfolgten von Mai bis Juni 2005 Bestrahlungen der Bauchdecke.
Im November 2015 begehrte der Kläger wegen dieser Erkrankung die Feststellung einer BK. Die Beklagte zog die umfangreichen Behandlungsunterlagen seit 2005 bei und stellte nach arbeitstechnischen und medizinischen Ermittlungen mit Bescheid vom 21. Dezember 2016 eine BK Nr 1318 mit einem am 28. Februar 2005 eingetretenen Versicherungsfall (Tag des Beginns der Behandlungsbedürftigkeit) fest, bezeichnete die BK-Folgen (strahlentherapeutisch behandeltes Non-Hodgin-Lymphom (follikuläres B-Zell-Lymphom) in kompletter Remission seit Juni 2005) sowie die berufskrankheitenunabhängigen Gesundheitsbeeinträchtigungen (allergisches Asthma bronchiale, Lungenembolie (Mai 2011), Hypercholesterinanämie, chronische Blinddarmentzündung und -entfernung) und lehnte die Gewährung einer Verletztenrente ab. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage nur noch 10 vH. Für Ansprüche vor dem 1. Januar 2011 mache sie die Einrede der Verjährung geltend. Weiterhin erklärte sie sich zur Übernahme der Kosten der Heilbehandlung bereit. Zur Begründung verwies sie auf die beratungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr G. vom 22. August 2016 und das arbeitsmedizinische Sachverständigengutachten nach Aktenlage der Professorin Dr H. vom 15. Juni 2016 (237). Die Gutachterin hatte die MdE für die Dauer der Strahlenbehandlung im Jahr 2005 mit 100 vH, danach für 2 Jahre mit 50 vH und anschließend wegen der Tumorfreiheit mit 10 vH bewertet. Aufgrund der kompletten Vollremission sei nicht mit einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zu rechnen. Die Beratungsärztin Dr G. sah die Einschätzung einer MdE von 10 vH nach Eintritt der Langzeitremission und dem Fehlen wesentlicher körperlicher bk-bedingter Beschwerden auch unter Berücksichtigung der psychischen Belastung durch eine Tumorerkrankung als zutreffend an.
Der Widerspruch, mit dem sich der Kläger auf valide Leistungseinschränkungen in Form von Erschöpfung, Müdigkeit und Antriebslosigkeit berief, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2017 zurückgewiesen. Eine Bestrahlung des Bauchraumes sei erfahrungsgemäß mit Nebenwirkungen verbunden, weshalb eine Erholungsphase bis einschließlich Dezember 2005 anzunehmen sei. Danach seien aber keine Funktionseinschränkungen und keine Wiedererkrankung mehr festzustellen.
Im Januar 2017 machte der Kläger Ansprüche wegen eines Zahnschadens geltend, der infolge der Strahlentherapie entstanden sei. Gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Zahnarztes Dr I. vom 22. März 2017, der den Zusammenhang wegen der fehlenden Bestrahlung der Mundhöhle und der fehlenden Erkenntnisse zu einem Zusammenhang zwischen einem Non-Hodgin-Lymphom und Zahnschäden verneinte, und eine Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes J. vom 10. April 2017 sowie der Strahlentherapeutin Dr K. vom 12. Juni 2017 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Juli 2017 und Widerspruchsbescheid vom 14. November 2017 die Feststellung der Schädigung der Zähne als weitere Folge der BK ab. Weder der behandelnde Zahnarzt noch die Strahlentherapeutin Dr K. hätten einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Strahlentherapie des Bauchraumes und dem Zahnschaden bestätigt.
Der Kläger hat gegen beide Widerspruchsbescheide am 26. April und 17. November 2017 Klagen erhoben. Diese hat das Sozialgericht (SG) Hannover mit Beschluss vom 29. Mai 2018 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Der Kläger hat eine Verletztenrente in Höhe von mindestens 40 vH begehrt. Sein Gesundheitszustand sei durch die BK sehr schwer beeinträchtigt. Er leide unter ständiger Erschöpfung, Müdigkeit und Antriebslosigkeit, Depression, Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten, insbesondere Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit sowie der Gedächtnisleistung. Deshalb habe ihm auch der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt. Sein berufskrankheitenbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sei für ihn ungeheuer belastend.
Mit Bescheid vom 13. Juni 2018 hat die Beklagte aufgrund der BK Nr 1318 ab 9. November 2017 eine Verletztenrente in Höhe von 10 vH gewährt. Ein Anspruch auf diese Verletztenrente bestehe, solange die Erwerbsfähigkeit des Klägers wegen eines Versicherungsfalls vom 9. November 2017 (Meniskopathie einschließlich Bewegungseinschränkungen des rechten Kniegelenkes) in dieser Höhe gemindert sei.
Der Kläger hat sämtliche Behandlungsunterlagen des Dr L. vorgelegt, in denen ein stabiler Untersuchungsbefund beschrieben wurde. Das SG hat selbst Befundberichte der Zahnärztin Dr M. einschließlich des Zahnmedizinischen Gutachtens des MDKN vom 15. Januar 2013, des Zahnarztes Dr N. vom 30. Juli 2020 und des Internisten Dr L. vom 7. August 2020 nebst dessen Behandlungsunterlagen eingeholt.
Auf Antrag des Klägers ist ein Gutachten der Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie Dr O. vom 27. September 2021 und deren ergänzende Stellungnahme ohne Datum eingeholt worden. Diese hat ua eine Depression diagnostiziert. Es bestehe weiterhin eine mittelschwere obstruktive und restriktive Ventilationsstörung. Der Kläger sei ungeschützt über 24 Jahre einer Benzolexposition ausgesetzt gewesen, dessen gesundheitsschädliche Wirkung bekannt sei. Für den Zeitraum von 1977 bis 1985 empfehle sie aufgrund der fehlenden Schutzkleidung und dem direkten Hautkontakt und der Inhalation von Lackierung-Stoffen eine MdE von 20 vH. Für den Zeitraum von 1989 bis 2013 und halte sie aufgrund der fehlenden Schutzkleidung und dem direkten Einatmen von Benzol aus dem Auspuff-Rohr über 24 Jahre eine MdE von 100 vH als gerechtfertigt. Insgesamt empfehle sie eine MdE von 60 vH. In ihrer ergänzenden Stellungnahme stellte sie klar, dass sie aufgrund der hohen Konzentration von Benzol eine MdE von 100 vH für den Zeitraum von April 2005 bis April 2006 und anschließend fortlaufend eine MdE von 60 vH als angemessen ansehe. Prof Dr H. lasse bei ihrer MdE-Bewertung den Umfang der Exposition des Klägers außer Acht. Er sei zwar tumorfrei, leide aber unter Zahnverlust, Neigung zu Durchfall, Depressionen, Versagensängsten, Hoffnungslosigkeit sowie Leistungseinschränkungen und Dauermüdigkeit. In Anbetracht all seiner Erkrankungen und Begleiterkrankungen sei die Lebensqualität erheblich eingeschränkt. Sie halte eine MdE von 10 vH bei dem ausgeprägten Krankheitsbild nicht für angemessen. Die Zahnschäden sehe sie als Folge der BK Nr 1318 an. Im Vergleich mit gesunden Probanden und der Normalbevölkerung würden einem nicht plötzlich alle Zähne ausfallen. Bei einer Bestrahlung könne es zu einem Strahlen-Karies kommen.
Das SG Hannover hat mit Urteil vom 7. Februar 2022 die Klage abgewiesen: Abgesehen von den von Dr L. beschriebenen Bauchschmerzen und Bauchkrämpfen habe die BK keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinterlassen. Diese berichte auch Dr L. nicht. Insofern sei eine MdE von 10 vH auch unter Berücksichtigung der psychischen Beeinträchtigungen des Klägers angemessen. Die Sachverständige Dr O. lege in ihrem Gutachten und Stellungnahmen nicht die Grundsätze der gesetzlichen Unfallversicherung zugrunde und sei deshalb nicht überzeugend. Entgegen der Auffassung des Klägers seien auch die Zahnschäden nicht auf die BK zurückzuführen. Die behandelnden Zahnärzte Dr N. und J. hätten den Zusammenhang mit der Strahlentherapie übereinstimmend verneint. Die Ärztin für Strahlentherapie Dr K. habe ebenfalls darauf hingewiesen, dass die Zahnschäden nicht mit der im Abdominalbereich erfolgten Strahlentherapie aus dem Jahr 2005 zusammenhängen könnten. Dr L. nehme einen Zusammenhang des Zahnverlustes mit einer Chemotherapie an, die hier aber tatsächlich nicht stattgefunden habe.
Der Kläger hat gegen das Urteil am 18. Februar 2022 Berufung eingelegt. Bei der Bemessung der MdE sei seine individuelle Situation zu berücksichtigen, aufgrund seines ausgeprägten Erschöpfungszustandes und seiner Müdigkeit könne er keine nennenswerten Arbeiten im Haus oder Garten mehr verrichten. Im Übrigen hat er klargestellt, dass er bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze gearbeitet und keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
- das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 7. Februar 2022 und den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2017, wiederum in Gestalt des Bescheides vom 13. Juni 2018 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2017 zu ändern bzw aufzuheben,
- festzustellen, dass die Schädigung seiner Zähne Folge der BK Nr 1318 ist und
- die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der BK Nr 1318 Verletztenrente in Höhe von mindestens 40 vH zu gewähren,
hilfsweise, ein medizinisches Gutachten eines Facharztes für Inneres und Onkologie zur Beurteilung der Folgen der BK Nr 1318 der Anlage 1 der BKV einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 7. Februar 2022 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und hat aktuelle medizinische Behandlungsunterlagen des Dr L. übersandt.
Der Senat hat einen Auszug aus der Akte des niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie (Schwerbehindertenangelegenheit) beigezogen.
Mit Verfügung der Berichterstatterin vom 26. Januar 2024 sind die Beteiligten zu der beabsichtigten Zurückweisung der Berufung als unbegründet durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG angehört worden. Der Kläger hat hierzu mit Schriftsatz vom 21. Februar 2024 Stellung genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten dieses wie auch des Verfahrens S 58 U 94/17 (Bescheid vom 1. Februar 2017/Widerspruchsbescheid vom 20. April 2017 wegen Erteilung einer Probeberechnung über die Höhe der Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH und einem Versicherungsfall vom 28. Februar 2005) Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
II.
Die statthafte Berufung ist zulässig. Der Senat hält sie jedoch einstimmig für unbegründet, weshalb er sie durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG zurückweist. Er hält eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich und hat die Beteiligten mit Verfügung der Berichterstatterin vom 26. Januar 2024 zu der beabsichtigten Vorgehensweise angehört. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Verletztenrente wegen der Folgen seiner BK Nr 1318 der Anlage 1 zur BKV. Der Zahnschaden des Klägers ist nicht Folge dieser BK und die Folgen des Non-Hodgin-Lymphoms rechtfertigen keine höhere MdE als 10 vH. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2017, wiederum in Gestalt des Bescheides vom 13. Juni 2018 und der Bescheid vom 18. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2017 sind rechtmäßig. Das SG Hannover hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des SG verwiesen (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG).
Auch der Senat konnte sich dem Gutachten der Dr O. nicht anschließen. Die Sachverständige hat sich bei ihrer Kausalitätsbeurteilung und der Bewertung der MdE nicht an den unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätzen orientiert. Die Höhe der Exposition ist für die MdE-Beurteilung nicht von Bedeutung. Weiterhin sind bei der bk-bedingten MdE nicht auch die Auswirkungen anderer, bk-unabhängiger Gesundheitsstörungen und gegebenenfalls altersbedingte Begleiterscheinungen zu berücksichtigen. Die MdE beurteilt sich allein nach den verbliebenen, bk-bedingten Funktionseinschränkungen, die hier nicht festgestellt werden können. Auch der Senat schließt sich den übereinstimmenden Einschätzungen zur MdE-Bewertung der Dr G. und der Prof Dr H. an, die im Einklang mit den Behandlungsunterlagen des Dr L. und den unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätzen stehen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl 2017, S 999 ff sowie auch Dr G. /Prof Dr P., MdE-Bemessung bei der Berufskrankheit Nr 1318, ASUmed 2016 S 211 ff).
Hinsichtlich der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der BK und dem Zahnschaden erschöpfen sich die Ausführungen der Sachverständigen Dr O. in Vermutungen, zudem handelt es sich hierbei um eine Fragestellung, die nicht ihrem Fachgebiet unterliegt. Hierauf hat bereits die Beklagte erstinstanzlich in ihrem Schriftsatz vom 4. November 2021 zutreffend hingewiesen. Auch der Senat schließt sich den Einschätzungen der Zahnärzte Dr N. und J. sowie der Strahlentherapeutin Dr K. an, in deren Fachgebiet die Beurteilung dieser Gesundheitsstörung fällt.
Der Senat erachtet den medizinischen Sachverhalt auch durch das Gutachten der Prof Dr H., die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr G. und die aktuellen Behandlungsunterlagen des Dr L. als geklärt. Dieser Arzt bezeichnet den Allgemeinzustand des Klägers als gut und erfreulich stabil und hält eine Therapie unverändert – dh seit Jahren – nicht für erforderlich (ua Bericht vom 30. Oktober 2023). Anhaltspunkte für medizinische Ermittlungen sieht der Senat nicht, worauf die Beteiligten auch mit Verfügung der Berichterstatterin vom 26. Januar 2024 hingewiesen worden sind. Deshalb war auch dem mit Schriftsatz vom 21. Februar 2024 gestellten Antrag des Klägers auf Einholung eines Gutachtens eines Facharztes für Inneres und Onkologie nicht stattzugeben. Gerade vor dem Hintergrund der von Dr L. – der Facharzt für Innere Medizin und Onkologie ist – seit Jahren beschriebenen stabilen Befundsituation ist nicht ersichtlich, welche anderen, bislang nicht bekannten Erkenntnisse durch ein solches Gutachten zu erwarten wären. Solche hat auch der Kläger nicht aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG). ——————————-
Erstellt am: 13.11.2024
Zuletzt verändert am: 23.12.2024