Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.03.2005 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die für Frau L N entstandenen Kosten in Höhe von 7.329,34 Euro zu erstatten. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist die Übernahme von Kosten für eine Berufsfindungsmaßnahme durch die Beklagte.
Die im Jahre 1977 geborene L N leidet an einer links- und beinbetonten Tetraspastik (spastische Lähmung beider Beine und Arme). Sie ist auf einen rollstuhlgerechten, ergonomisch gestalteten Arbeitsplatz angewiesen. Ausweislich des Schwerbehindertenausweises vom 15.6.1999 sind bei ihr ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen "G", "aG", "H" und "RF" festgestellt. Nach dem Abitur nahm L N zunächst ein Studium der Theaterwissenschaften (Hauptfach) auf, welches sie nach eigenen Angaben wegen Überforderung im Jahre 2002 aufgab.
Mit einem am 07.02.2002 bei der Stadt C eingegangenen Schreiben beantragte L N die Übernahme der Kosten für eine berufliche Rehabilitation in Form einer sechswöchigen Berufsfindungsmaßnahme im Berufsförderungswerk I vom 28.10.2002 bis 06.12.2002. Die beim Gesundheitsamt der Stadt C tätige Ärztin Dr. D führte in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 25.2.2002 aus, die mehrwöchige Berufsfindung mit Hilfe von Ärzten und Therapeuten sei die einzige sinnvolle Möglichkeit, einen der Krankheit entsprechenden Beruf zu finden. L N sei hoch motiviert, weil sie ihre jetzige Situation als unbefriedigend empfinde. Die Stadt C leitete den Antrag und das ärztliche Gutachten mit Schreiben vom 27.2.2002 an den Kläger weiter. Die Unterlagen gingen dort am 05.03.2002 ein.
Mit Schreiben vom 8.3.2002, bei der Beklagten eingegangen am 11.03.2002, führte der Kläger aus, L N habe die Übernahme der Kosten für eine vier- bis sechswöchige Berufsfindungsmaßnahme im Berufsförderungswerk I beim Landschaftsverband beantragt. Da hierfür die Zuständigkeit der Beklagten gegeben sei, leite sie die Antragsunterlagen an diese weiter. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 13.3.2002 mit, nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 des Sozialgesetzbuchs – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) sei der Träger der Sozialhilfe Rehabilitationsträger für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Nr. 2 SGB IX). Da die Zusendung der Antragsunterlagen nicht innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 14 SGB IX erfolgt sei, könne sie den Antrag nicht mehr annehmen.
Der Kläger entgegnete mit Schreiben vom 19.3.2002, die Frist des § 14 SGB IX beginne erst mit der Vorlage sämtlicher entscheidungsrelevanter Unterlagen. Das für den Nachweis über die Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 39 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) erforderliche amtsärztliche Gutachten sei am 25.2.2002 erstellt worden und am 27.02.2002 bei der Stadt C eingegangen. Die Abgabe an die Beklagte sei noch fristgerecht erfolgt.
Nachfolgend förderte der Kläger die Berufsfindungsmaßnahme der L N im Berufsförderungswerk I vom 28.10.2002 bis 6.12.2002. Mit Schreiben vom 16.4.2003 machte er gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe der ihm entstandenen Aufwendungen von 7.329,34 Euro geltend. Der Betrag ergab sich unter Berücksichtigung des Tagessatzes für die Berufsfindung vom 28.10.2002 bis 06.12.2002 i.H.v. 137,60 Euro (Gesamtbetrag 5.504 Euro), den Zuschlag für die Berufsfindung i.H.v. 43 Euro täglich (Gesamtbetrag 1.720 Euro) sowie der Kosten für das ärztliche Gutachten vom 18.11.2002 i.H.v. 105,34 Euro.
Die Beklagte teilte mit, ihre Prüfung habe bereits im April 2002 ergeben, dass sie für die beantragte Erbringung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zuständig sei, da ihr der Rehabilitationsantrag außerhalb der 2-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 SGB IX zugesandt worden sei. Mit Überschreiten dieser Frist werde der erstangegangene Rehabilitationsträger für die Erbringung von Leistungen zum Arbeitsleben zuständig. Eine Erstattung der erbrachten Leistungen nach § 14 Abs. 4 SGB IX sei nicht möglich, da der Kläger kein zweitangegangener Träger sei.
Der Kläger hat mit seiner am 19.01.2004 bei dem Sozialgericht (SG) Münster erhobenen Klage begehrt, ihm die für L N in der Zeit vom 28.10.2002 bis 06.12.2002 im Berufsförderungswerk I entstandenen Kosten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von 7.329,34 Euro zu erstatten. Er hat geltend gemacht, er habe die Frist des § 14 SGB IX eingehalten, so dass die Entscheidungszuständigkeit für die beantragte Maßnahme bei der Beklagten gelegen habe.
Mit Urteil vom 22.03.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe den Antrag nicht unverzüglich nach Ablauf der zweiwöchigen Prüffrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX an die Beklagte weitergeleitet. Er sei daher nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX für die Leistungsgewährung zuständig geworden. Entgegen seiner Rechtsansicht beginne die Frist des § 14 SGB IX nicht erst dann zu laufen, wenn dem zuerst angegangenen Leistungsträger auch ein Nachweis (z.B. amtsärztliches Gutachten) über die Zugehörigkeit des Antragstellers zum Personenkreis des § 39 BSHG vorliege. Das Gesetz gehe vielmehr von einer maximalen Prüfungsfrist von zwei Wochen aus, sofern – wie im vorliegenden Fall – die Mindesterfordernisse für eine Antragstellung vorlägen, nämlich die Erennbarkeit der Identität des Antragstellers und ein konkretes Leistungsbegehren. Der erstangegangene Rehabilitationsträger müsse dafür Sorge tragen, dass die weiteren aus seiner Sicht relevanten Feststellungen innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erfolgten. Mit der Regelung des § 14 SGB IX habe der Gesetzgeber verhindern wollen, dass Streitigkeiten über die Zuständigkeitsfrage einschließlich der vorläufigen Leistungserbringung bei ungeklärter Zuständigkeit zu Lasten behinderter Menschen gingen. Das Ziel, innerhalb von nur zwei Wochen einen für die Leistungserbringung zuständigen Rehabilitationsträger zu bestimmen, werde verfehlt, wenn die Weiterleitung des Antrags nach Fristablauf die Zuständigkeit des zweiten Rehabilitationsträger begründen könnte.
Gegen das ihm am 15.4.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9.5.2005 Berufung eingelegt. Er macht geltend, der vom SG festgestellte Ausschluss des Erstattungsanspruchs eines nachrangigen Sozialleistungsträgers im Sinne des § 104 des Sozialgesetzbuchs – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) stehe dem Grundsatz der Nachrangigkeit (Systemsubsidiarität) des Sozialhilferechts entgegen und könne daher nicht greifen. Zudem bestreite er die vom SG unterstellte Identität zwischen der Stadt C und ihm als Sozialleistungsträger.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.3.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm die für Frau L N entstandenen Kosten in Höhe von 7.329,34 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, eine potentielle Erstattungspflicht der Beklagten komme allenfalls nach der (speziellen) Regelung des § 14 Abs. 4 SGB IX in Betracht. Insofern gehe das SG aber zu Recht davon aus, dass die Weiterleitung eines Antrags auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausserhalb der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX erfolgt sei und deshalb ein Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten ausscheide. Wenn die Weiterleitung des Antrags von der Stadt C an die Klägerin zu Unrecht erfolgt sei, habe die Klägerin den Antrag gleichwohl nicht an die Beklagte übersenden dürfen.
In der mündlichen Verhandlung vom 16.02.2006 haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass Einigkeit hinsichtlich der Höhe der für die Berufsfindungsmaßnahme der L N entstandenen Kosten bestehe und daher die Höhe von geltend gemachten Erstattungsanspruchs nicht streitig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.03.2005 ist abzuändern. Die Klage ist begründet, weil der Kläger von der Beklagten den Ausgleich der ihm für die Berufsfindungsmaßnahme der L N entstandenen Kosten i.H.v. 7.329,34 Euro im Wege der Erstattung verlangen kann. Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist § 104 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Danach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträger Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 2). Erläuternd führt § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X zum Nachrangverhältnis aus, ein Erstattungsanspruch bestehe nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträger hätte erbringen müssen. § 104 SGB X geht also von nebeneinander bestehenden Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger aus, wobei die Verpflichtung eines der Leistungsträger entweder wegen System- oder wegen Einzelanspruchssubsidiarität der Leistungspflicht des anderen nachgeht. § 2 Abs. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) schreibt im Sinne der ersten Alternative einen institutionellen Nachrang der Sozialhilfeleistungen, also der Leistungen des Klägers, fest (BSG, Urt. v. 25.1.1994 – 7 RAr 42/93 – SozR 3-1300 § 104 Nr. 8; BSG, Urt. v. 1.7.2003 – B 1 KR 13/02 R -).
Die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 SGB X liegen vor. Die Leistungspflicht der Beklagten ergibt sich aus §§ 98, 102 SGB III i.V.m. § 33 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 7 SGB – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX), da L N ausweislich der ärztlichen Stellungnahme der Dr. D vom 25.2.2002 zur beruflichen Integration nach Abbruch ihres Studiums und aufgrund ihrer Behinderungen besondere Hilfen zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit und zur beruflichen Teilhabe benötigte, wobei vorrangig herausgefunden werden sollte, welcher Berufsweg für sie angemessen und geeignet ist. Die grundsätzliche vorrangige Trägerschaft der Beklagten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für L N – auch in Form einer Berufsfindungsmaßnahme – ist gegeben und wird von ihr nicht bestritten. Dies ist erkennbar auch an dem Umstand, dass sie sich selbst als zuständigen Rehabilitationsträger für die im Mai 2003 nun direkt bei ihr beantragte Ausbildung der L N zur Rechtsanwaltsfachangestellten mit vorgeschalteter Arbeitserprobung ab Frühjahr 2004 beim Berufsbildungswerk H ansah. Daneben war auch der Kläger für die Erbringung von Eingliederungshilfen als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 39, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BSHG als nachrangig verpflichteter Leistungsträger (§ 2 Abs. 2 BSHG) örtlich und sachlich zuständig nach §§ 97, 100, 96 Abs. 2 BSHG i.V.m. § 1 AG-BSHG-NRW.
Auch die weiteren Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X sind zu bejahen. Der Kläger und die Beklagte unterlagen hinsichtlich der hier streitigen Berufsfindungsmaßnahme vergleichbaren Leistungspflichten. Die Bewilligung der beantragten Berufsfindungsmaßnahme durch den Kläger, der bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung durch die Beklagte nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre, war rechtmäßig. Er hat schließlich auch die Ausschlußfrist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nach § 111 SGB X von zwölf Monaten nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, eingehalten. Sein Schreiben vom 16.04.2003, welches der Beklagten am 25.4.2003 zuging (vgl zum Erfordernis des Zugangs: BSG, Urt. v. 25.1.1994 – 7 RAr 42/93 – SozR 3-1300 § 104 Nr 8), enthielt die Aufforderung an die Beklagte zum Ausgleich des Erstattungsanspruchs gemäß § 102 SGB X/§ 14 Abs. 4 SGG IX. Die Höhe der Erstattungspflicht richtet sich nach der für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Vorschriften (§ 104 Abs. 3 SGB IX). Hier besteht – ausweislich der Erklärungen der Beteiligten im Termin vom 16.2.2006 – Einigkeit, dass die Kosten für die Berufsfindungsmaßnahme auch von der Beklagten in Höhe von 7.329,34 Euro zu übernehmen gewesen wären.
Die Regelungen des § 14 SGB IX über die Zusammenarbeit von Leistungsträgern mit einer vorläufigen Zuständigkeit von Leistungsträgern gegenüber den "eigentlich (endgültig) zuständigen" Leistungsträgern (BSG, Urt. v. 26.10.2004 – B 7 AL 16/04 R – SozR 4-3250 § 14 Nr 1) lassen den sich aus der Nachrangigkeit der Sozialhilfe ergebenden Erstattungsanspruch des Klägers nach § 104 Abs. 1 SGB X nicht entfallen. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass § 14 SGB IX lediglich eine – gesetzlich festgeschriebene – vorläufige Leistungspflicht i. S. des § 102 SGB X für den Bereich der Leistungen zur Teilhabe begründen soll, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit im SGB – Allgemeiner Teil – SGB I und den Leistungsgesetzen der Rehabilitationsträger vorgeht. Dabei wird ausdrücklich ausgeführt, dass die Vorschrift für die Träger der Sozialhilfe in aller Regel wegen der Nachrangigkeit gegenüber den anderen Rehabiltiationsträgern keine Bedeutung habe (BT-Drucks 14/5074, S. 102).
Die "besondere Leistungspflicht" nach § 14 SGB IX knüpft zwar an die materiell-rechtliche Zuständigkeit der verschiedenen Rehabilitationsträger (§ 6 SGB IX) an, verdrängt diese jedoch im Interesse einer schnellen Leistungserbringung. Um zu vermeiden, dass Streitigkeiten über Zuständigkeitsfragen einschließlich der vorläufigen Leistungserbringung bei ungeklärter Zuständigkeit oder bei Eilbedürftigkeit zu Lasten der behinderten Menschen bzw der Schnelligkeit und Qualität der Leistungserbringung gehen (BT-Drucks 14/5074, S. 95), enthält § 14 SGB IX verschiedenen Regelungen zur gesetzlichen Bestimmung einer vorläufigen Zuständigkeit (BT-Drucks 14/5074, S. 102). Dabei soll im Grundsatz der zuerst angegangene Rehabilitationsträger i.S. des § 6 Abs. 1 SGB IX für die vorläufige Leistungserbringung zuständig sein, der den bei ihm eingegangenen Antrag nicht innerhalb von zwei Wochen an den nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat (§ 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 SGB IX). § 14 SGB IX bezweckt eine schnelle Leistungserbringung, nicht jedoch eine Lastenverschiebung zwischen den für die Leistungen zur Teilhabe zuständigen Rehabilitationsträgern (Gagel, Trägerübergreifende Fallbehandlung statt Antragsabwicklung als Grundprinzip des SGB IX – Folgerungen aus § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX für den Prüfungsumfang in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren – in: SGB 2004, S. 464ff, 468; Luik in Eicher/Schlegel, SGB III, § 97 SGB III, Rdnr 124, Stand 11/2004).
Die in § 14 Abs. 4 Satz 1 und 3 SGB IX vorgesehenen Erstattungsregelungen zwischen Rehabilitationsträgern sind ausgehend von diesem Zweck des § 14 SGB IX zu interpretieren (BSG, Urt. v. 26.10.2004 – B 7 AL 16/04 R – SozR 4-3250 § 14 Nr. 1). Nach ihrem Regelungsgehalt schießen sie einen Erstattungsanspruch des Klägers gegen die Beklagten nach § 104 Abs. 1 SGB X nicht aus.
§ 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX bestimmt: Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. Anders als bei dem Erstattungsanspruch des unzuständigen Trägers nach § 105 Abs. 1 SGB X, bei dem sich der Umfang des Anspruchs nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften richtet (§ 105 Abs. 2 SGB X), bestimmt sich der Umfang des Erstattungsanspruchs gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX nach dem Recht des zunächst leistenden Rehabiltiationsträger (Knittel, SGB IX, Kommentar, Stand 1/2006, § 14 SGB IX Rdnr 64). § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ist eine gegenüber den Ansprüchen gemäß §§ 102ff SGB X besondere, für eine bestimmte Fallkonstellation geschaffene Erstattungsregelung. Sie soll einen Ausgleich dafür schaffen, dass der Rehabilitationsträger, an den der Antrag innerhalb der Frist von zwei Wochen weitergeleitet worden ist, allein kraft dieser Weiterleitung zuständiger Rehabilitationsträger für die vorläufige Leistung wird, obwohl er nach den für ihn maßgeblichen Vorschriften nicht dafür zuständig gewesen wäre. Ein Ausschluss des Erstattungsanspruchs des nachrangigen Sozialhilfeträgers wird hiermit nicht begründet.
Eine weitere Sonderregelung enthält § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX. Hiernach ist § 105 SGB X nicht anzuwenden für unzuständige Rehabilitationsträger, die eine Leistung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX erbracht haben. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich – wie der Kläger meint – bei dem örtlichen und dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe iSd § 3 SGB XII um unterschiedliche Träger handelt und die Regelung des § 14 SGB IX auch bei einem Zuständigkeitsstreit zwischen verschiedenen Sozialhilfe- trägern Anwendung findet. Der generelle Ausschluss des unanständigen Trägers von der Erstattung kann den Anspruch des Klägers schon deshalb nicht berühren, weil § 105 SGB X, der dem unzuständigen Träger, der Sozialleistungen erbracht hat, einen Erstattungsanspruch gegen den zuständigen Träger zugesteht, keinen Anwendung findet. Der Kläger ist nach den Regelungen des BSHG im Bedarfsfall und im Rahmen seiner nachrangigen Verpflichtung zur Erbringung der streitigen Leistung verpflichtet. Die Anwendung des § 105 SGB X scheidet daher im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten von vorneherein aus (vgl BSG, Urt. v. 25.1.1994 – 7 RAr 42/93 – SozR 3-1300 § 104 Nr. 8). Mit § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX ausgeschlossen wird nur die Anwendbarkeit des § 105 SGB X, während die sonstigen Erstattungsvorschriften, insbesondere die §§ 102 bis 104 SGB X, anwendbar bleiben (Castendiek in Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, Handbuch GB IX, 1. Auflage 2004, § 8 Rdnr 57). Der Anspruch des Klägers auf Erstattung nach § 104 Abs. 1 SGB X wird daher auch durch § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX nicht berührt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Senat hat die Revision wegen der im Zusammenhang mit der Auslegung des § 14 SGB IX auftretenden Rechtsfragen zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 23.10.2006
Zuletzt verändert am: 23.10.2006