Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 15.03.2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Gründungszuschusses.
Der 1968 geborene Kläger war vom 01.10.1994 bis zum 22.06.2008 als Ingenieur selbstständig tätig. In der Zeit vom 12.05.2006 bis zum 22.06.2008 stand er dabei in einem Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag gemäß § 28a Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Anschließend war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld bis zum 03.09.2008. Seit dem 04.09.2008 übt er unter Verlegung seines Wohnsitzes eine selbständige Tätigkeit als freiberuflicher Ingenieur in R aus.
Am 01.09.2008 beantragte der Kläger die Gewährung eines Gründungszuschusses zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit als freiberuflicher, international tätiger Ingenieur. In dem Antrag gab er an, dass diese Tätigkeit in T aufgenommen werden solle. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.09.2008 mit der Begründung ab, bei der ab September 2008 ausgeübten Tätigkeit handele es sich nicht um eine Neugründung im Sinne des § 57 SGB III. Ein Spartenwechsel im Rahmen der selbständigen Tätigkeit als Ingenieur reiche für die Gewährung des Gründungszuschusses nicht aus.
Nachdem der Kläger hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, ermittelte die Beklagte über eine EMA-Anfrage, dass Kläger zum 04.09.2008 seinen Wohnsitz nach R verlegt hatte. Sie wies daraufhin den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2008 mit der Begründung als unbegründet zurück, die Voraussetzungen für die Gewährung eines Gründungszuschusses lägen jedenfalls deshalb nicht vor, weil die Tätigkeit nicht im Geltungsbereich des SGB III ausgeübt werde.
Der Kläger hat am 27.10.2008 Klage zum Sozialgericht (SG) Münster erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, der Anspruch auf einen Gründungszuschuss setze nicht die Aufnahme einer Inlandstätigkeit voraus. Es sei für ihn auch nicht nachvollziehbar, dass er als Deutscher mit regelmäßigem Arbeitsaufenthalt in einem Nicht-EU-Staat gesetzlich arbeitslosenversichert sein solle und die vollen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen könne und müsse, ohne während seiner Aufenthaltszeit in einem dieser Länder einen Anspruch auf Leistungen während und aus seinen Beitragsleistungen in die deutsche Arbeitslosenversicherung zu haben.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.09.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2008 zu verurteilen, ihm einen Gründungszuschuss zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen und die Auffassung vertreten, dass selbst wenn in der nunmehr ausgeübten Ingenieurtätigkeit die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit gesehen würde, ein Gründungszuschuss nicht gewährt werden könne. Die Ausübung der Tätigkeit in R schließe eine Förderung aus.
Mit Urteil vom 15.03.2011 hat das SG Münster die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf den begehrten Gründungszuschuss nach § 57 Abs. 1 SGB III. Es könne dahinstehen, ob ein Anspruch auf die Leistung bereits deshalb ausgeschlossen sei, weil es sich – wie die Beklagte zunächst unterstellt habe – nicht um eine Existenzneugründung, sondern lediglich um eine Neuorientierung im Rahmen einer bereits vorher bestandenen Selbstständigkeit handele. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten führe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R) auch der Umstand, dass der Kläger seine selbstständige Tätigkeit im Ausland verrichte, nicht bereits zu einem Leistungsausschluss. Einem Anspruch des Klägers auf Leistung eines Gründungszu-schusses stehe jedoch entgegen, dass er seinen Wohnsitz mit der Aufnahme der selb-ständigen Tätigkeit nach R verlegt habe. Nach § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) gälten die Vorschriften dieses Gesetzbuches für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich hätten. Die vom Kläger begehrte Leistung dürfe demzufolge nur an Personen erbracht werden, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hätten. Die Ausnahmeregelung des § 30 Abs. 2 SGB I, wonach Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts auch bei einem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland einen Sozialleistungsanspruch nach deutschem Recht begründen könnten, greife vorliegend nicht. Zwar gelte das Wohnsitzprinzip nicht uneingeschränkt (vgl. § 37 SGB I). Nach der Rechtsauffassung der Kammer ergäben sich allerdings aus den Besonderen Teilen des SGB keine abweichenden Regelungen, die – unter leistungsrechtlichen Aspekten – eine Durchbrechung des Wohnsitzgrundsatzes rechtfertigen.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 22.03.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.04.2011 Berufung eingelegt.
Er meint, § 30 SGB I enthalte keine Kollisionsnorm, sondern sei insbesondere gegenüber § 57 SGB III, welcher auf dem Personalitätsprinzip aufbaue, subsidiär. Seine Auffassung werde durch das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 23.09.2011 – L 7 AL 104/09 bestätigt. Weiterhin meint er, es könne nicht rechtens sein, dass für denselben Sachverhalt (freiwillige Arbeitslosenversicherung) bei der Einzahlung der Anknüpfungspunkt "Wohnsitz" keine Rolle spiele, bei der Auszahlung der Leistungen jedoch der zentrale Anknüpfungspunkt sein solle. Schließlich liege in seinem Fall auch nicht lediglich eine Neuorientierung im Rahmen einer bereits bestandenen Selbstständigkeit, sondern eine Existenzneugründung vor, da seine in einem völlig fremden Kulturkreis begonnene Tätigkeit in R mit völlig neuen Randbedingungen und Risiken verbunden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17.09.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.10.2008 zu verurteilen, ihm für seine in R ausgeübte selbstständige Tätigkeit als international tätiger Ingenieur den beantragten Gründungszuschuss zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Ausführungen im Urteil des SG Bezug. Ergänzend trägt sie vor, der Kläger habe am 23.06.2008 die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für 360 Tage erfüllt. Bei der erneuten Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit am 04.09.2008 habe noch ein Restanspruch von 289 Tagen bestanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf die Prozessakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen.
Es kann dahinstehen, ob der Kläger die Voraussetzungen der allein einschlägigen Anspruchsgrundlage des § 57 SGB III (§ 421l SGB III ist nach seinem Abs. 5 nicht anwend-bar) erfüllt, denn die Vorschriften des deutschen Sozialrechts und damit auch die Vor-schriften des SGB III einschließlich des § 57 SGB III finden auf den Kläger, der sowohl seine selbstständige Tätigkeit im nicht grenznahen Ausland ausübt als auch seinen Wohnsitz mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ins nicht grenznahe Ausland verlegt hat, keine Anwendung.
1. Die allgemeine Regelung über die Anwendbarkeit deutschen Sozialrechts ist in § 30 Abs. 1 SGB I enthalten. Hierbei handelt es sich entgegen der Auffassung des Klägers um eine (einseitige) Kollisionsnorm (vgl. BSG, Urt. v. 09.08.1995 – 13 RJ 59/93 -, juris Rn. 32; Urt. v. 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R -, juris Rn. 24), die die Anwendbarkeit deutschen Sozialrechts regelt. Nach § 30 Abs. 1 SGB I gelten die Vorschriften dieses Gesetzbuchs für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. In dieser Vorschrift kommt auch der Grundsatz zum Ausdruck, dass das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG den Gesetzgeber nur dazu verpflichtet, denen eine soziale Sicherheit zu garantieren, für die er verantwortlich ist (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 27.08.2008, a.a.O. m. N. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)).
Danach sind die Vorschriften des SGB einschließlich der Vorschriften des SGB III für den Kläger nicht anwendbar, denn der Kläger hat seit Beginn der Ausübung seiner selbstständigen Tätigkeit weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Seinen Lebensmittelpunkt hat der Kläger bereits mit Beginn seiner selbstständigen Tätigkeit nach R verlagert, denn hier wollte er sich in Zukunft aufhalten und eine wirtschaftliche Existenz aufbauen. Dass er wegen mietvertraglicher Kündigungsvorschriften noch für eine Übergangszeit Miete für seine bisherige Wohnung in Deutschland zahlen musste, ändert daran nichts. Im Verhältnis zu R existieren auch keine zwischen- oder überstaatlichen abweichenden Regelungen im Sinne von § 30 Abs. 2 SGB I.
2. Die Anwendbarkeit des § 57 SGB III ergibt sich auch nicht aus abweichenden Kollisionsnormen in den besonderen Teilen des SGB, die gemäß § 37 Satz 1 1. Halbsatz SGB I gegenüber § 30 Abs. 1 SGB I vorrangig wären.
a) § 3 SGB IV vermag die Anwendbarkeit des § 57 SGB III nicht zu begründen. Nach dieser Vorschrift, die gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV auch für die Arbeitsförderung gilt, gel-ten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs beschäftigt oder selbständig tätig sind (Nr. 1), während der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt nur (wie nach § 30 Abs. 1 SGB I) der maßgebliche Anknüpfungspunkt bleibt, soweit eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit nicht vorausgesetzt wird (Nr. 2). Ungeachtet der Frage, ob § 3 SGB IV überhaupt etwas über die Anwendbarkeit des Leistungsrechts des SGB III aussagt (ablehnend Brand, in: Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 25 Rn. 42; allgemein offengelassen und für den besonderen Fall der Gewährung eines Existenzgründungszuschusses nach § 421l SGB III an einen im Inland ansässigen Selbstständigen, der seine Tätigkeit im grenznahen Ausland ausübt, abgelehnt BSG, Urt. v. 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R -, juris Rn. 26), ist § 57 SGB III nach dieser Vorschrift nicht anwendbar, da der Kläger seine selbstständige Tätigkeit im Ausland ausübt.
b) Aus § 28a SGB III (hier anwendbar in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung) kann der Kläger nichts für die Anwendbarkeit des § 57 SGB III herleiten. Vielmehr folgt aus § 3 Nr. 1 SGB IV, dass die Versicherungspflicht auf Antrag des Klägers nach § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III a.F. mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit in R ge-endet hat (§ 28a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III a.F.), weil ab diesem Zeitpunkt die Vorschrift des § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III a.F. für den Kläger nicht mehr anwendbar war. Wie sich im Umkehrschluss aus § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III ergibt, berechtigt die Aus-übung einer selbstständigen Tätigkeit im Ausland nicht zur Begründung eines Versiche-rungspflichtverhältnisses auf Antrag; eine Abweichung von § 3 Nr. 1 SGB IV ist in § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III a.F. nicht geregelt. Insoweit geht der – sinngemäße – Einwand des Klägers, es könne nicht sein, dass er weiterhin Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen müsse, ihm jedoch die Gewährung von Leistungen der Arbeitsförderung versagt blieben, fehl. Falls er während der Ausübung seiner selbstständigen Tätigkeit in R weiterhin Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt hat, dürfte ihm insoweit vielmehr ein Erstattungsanspruch zustehen.
c) § 57 SGB III selbst enthält keine gegenüber § 30 Abs. 1 SGB I vorrangige Kollisionsnorm. Ausdrücklich regelt § 57 SGB III nicht, ob und unter welchen Voraussetzungen er bei einem Sachverhalt mit Auslandsbezug anwendbar und ein Gründungszuschuss zu gewähren ist (vgl. insoweit auch BSG, Urt. v. 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R -, juris Rn. 20 zu § 421l SGB III).
In § 57 SGB III ist auch keine versteckte einseitige Kollisionsnorm dergestalt enthalten, dass ein Gründungszuschuss unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz im Ausland hat und seine selbstständige Tätigkeit im Ausland ausübt, immer dann zu gewähren ist, wenn die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 SGB III, insbesondere das Bestehen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit für eine Restdauer von mindestens 90 Tagen, erfüllt sind. Wie in anderen Sozialleistungsbereichen regeln auch im Arbeitsförderungsrecht die leistungsrechtlichen Bestimmungen nicht den Fall des Leistungsexports. Ebenso wie in anderen Büchern des SGB erfolgt die Abgrenzung des jeweiligen Anwendungsbereichs durch ausdrückliche und eigenständige Regelungen. § 57 SGB III lässt sich ebenso wenig wie den §§ 118 ff. SGB III ein Wille des Gesetzgebers entnehmen, den Anwendungsbereich des SGB III selbst zu bestimmen. Geregelt werden vielmehr nur die Voraussetzungen des Leistungsrechts, nicht dagegen die vorgelagerte Frage, ob das Leistungsrecht des SGB III überhaupt Anwendung findet (vgl. zum Ganzen Mutschler, SGb 2000, 110 (113)).
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Sinn und Zweck des Gründungszuschusses (anders für einen Anspruch auf Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III a.F. bei Wohnsitz und Ausübung der Tätigkeit im grenznahen EU-Ausland (Österreich) in einem obiter dictum Hessisches LSG, Urt. v. 23.09.2011 – L 7 AL 104/09 -, juris Rn. 31). Der mit dem Zuschuss bezweckte Anreiz zum Schritt in die Selbständigkeit soll einen Beitrag leisten zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland und damit zugleich auch zur Einsparung von Entgeltersatzleistungen sowie zur Eindämmung der Schwarzarbeit, insbesondere soweit sie bisher parallel zum Bezug von Entgeltersatzleistungen ausgeübt und in diesen Fällen sozusagen subventioniert wurde (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R -, juris Rn. 20 zu § 421l SGB III). Es kann dahinstehen, ob dieser Zweck überhaupt einschlägig ist, wenn der Existenzgründer nicht nur den Ort seiner Tätigkeit, sondern auch seinen Wohnsitz in das nicht grenznahe Ausland verlagert, weil Arbeitslosengeld in solchen Fällen unabhängig von der Ausübung der selbstständigen Tätigkeit schon deshalb nicht mehr zu leisten ist, weil im nicht grenznahen Ausland, wie hier in R, den Vorschlägen der Agentur für Arbeit nicht zeit- und ortsnah Folge geleistet werden kann und es deshalb mangels Verfügbarkeit (§ 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 2 SGB III) an der Arbeitslosigkeit als Voraussetzung für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III) fehlt. In jedem Fall könnte aus dem Umstand, dass der Zweck des § 57 SGB III auch erreicht werden kann, wenn sowohl Wohnsitz als auch Tätigkeitsort ins Ausland verlagert werden, nicht gefolgert werden, dass § 57 SGB III die allgemeine Kollisionsregel des § 30 Abs. 1 SGB I verdrängt und quasi selbst über seine Anwendbarkeit in einem Sachverhalt mit Auslandsbezug bestimmt. Ein solcher Regelungswille kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Der Gesetzgeber hat den Gründungszuschuss vielmehr als Instrument des deutschen Sozialleistungsrechts eingeführt. Dabei hat er sich nicht mit Sachverhalten mit Auslandsbezug, wie dem vorliegenden, befasst. Überlegungen zum Sinn und Zweck des Gründungszuschusses sind im Rahmen der teleologischen Auslegung relevant, wenn die Anwendbarkeit deutschen Sozialrechts feststeht, was in dem vom BSG im Urteil vom 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R – entschiedenen Sachverhalt der Fall war. Wenn man jedoch aus dem Sinn und Zweck einer Regelung und einem hierauf gestützten Auslegungsergebnis einer inländischen Norm auf ihre Anwendbarkeit in einem Sachverhalt mit Auslandsbezug schließt, vermischt man zwei Regelungsebenen, nämlich die kollisionsrechtliche und materiellrechtliche, die nicht nur im Sozialrecht, sondern auch in anderen Rechtsgebieten streng voneinander zu unterscheiden sind.
Dass § 57 SGB III nicht selbst über seine Anwendbarkeit in einem Sachverhalt mit Aus-landsbezug bestimmt, zeigt auch ein Vergleich mit § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III in der im relevanten Zeitraum gültigen Fassung vom 01.07.2009 bis 31.12.2010 (a.F.). Danach konnten solche Personen, die eine Beschäftigung in einem Staat, in dem die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 nicht anzuwenden ist, aufnehmen und ausüben, ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen. Diese Vorschrift enthält eine Abweichung von der für die Versicherungspflicht und -berechtigung maßgeblichen Kollisionsvorschrift des § 3 SGB IV. Sie regelt unmittelbar einen besonderen Fall mit Auslandsbezug und enthält damit insoweit eine versteckte einseitige Kollisionsvorschrift. In § 57 SGB III fehlt demgegenüber jeglicher erkennbarer Auslandsbezug.
3. Die Anwendbarkeit des § 57 SGB III folgt auch nicht aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 30 Abs. 1 SGB I. Eine solche hat das BVerfG für Personen mit grenznahem Auslandswohnsitz, die im Inland beschäftigt und versichert sind (Grenzgänger), für erforderlich gehalten. Grenzgängern darf danach Arbeitslosengeld nicht wegen des feh-lenden Wohnsitzes im Inland versagt werden, wenn sie während ihrer Beschäftigung trotz des damals schon bestehenden Auslandswohnsitzes beitragspflichtig zur Arbeitsförderung waren und die übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, insbesondere die Verfügbarkeit, gegeben sind (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30.11.1999 – 1 BvR 809/95 -, juris Rn. 10 ff.; siehe zum Ganzen auch Mutschler, SGb 2000, 110 (114 f.)). Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers, wie bereits ausgeführt, nicht vor. Der Kläger ist kein Grenzgänger und ist während der Ausübung der selbstständigen Tätigkeit in R auch nicht beitragspflichtig. Der in der Entscheidung des BVerfG tragende verfassungsrechtliche Gesichtspunkt, der Gesetzgeber sei nicht frei darin, ohne gewichtige Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung zu wechseln, ist deshalb bei dem Kläger nicht einschlägig. Insoweit kann auch dahinstehen, ob das von Kläger gewünschte Ergebnis, die Normen des SGB III, insbesondere § 57 SGB III, auch dann für anwendbar zu halten, wenn sowohl Wohnsitz als auch Tätigkeitsort im nicht grenznahen Ausland liegen, die Grenzen zulässiger verfassungskonformer Auslegung (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 11.01.2005 – 2 BvR 167/02 -, juris Rn. 50 m.w.N.) überschreiten würden.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
5. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen, weil das BSG im Urteil vom 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R -, juris Rn. 28, offen gelassen hat, in wieweit bei der Auslegung des § 30 Abs. 1 SGB I auch auf den Inlandswohnsitz verzichtet werden kann, wenn der territoriale Bezug zum Geltungsbereich des SGB auf andere Weise sichergestellt, und deshalb nach Auffassung des Senats noch nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt ist, ob jedenfalls für die Gewährung eines Gründungszuschusses ein in der Vergangenheit liegender Bezug zur Versichertengemeinschaft in Deutschland genügt (vgl. insoweit auch BSG, a.a.O., Rn. 26; Hessisches LSG, Urt. v. 23.09.2011 – L 7 AL 104/09 -, juris Rn. 28, 42).
Erstellt am: 13.08.2013
Zuletzt verändert am: 13.08.2013