I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 1. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Oktober 2005 verurteilt, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über den 31. August 2005 hinaus in gesetzlicher Höhe und Dauer zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist der maßgebliche Grundfreibetrag (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II – in Verbindung mit § 65 Abs. 5 SGB II).
Der Kläger, geboren 1946, hatte bis 16.07.2005 Arbeitslosengeld bezogen, zum Ende des Leistungsbezugs für sich und die Ehefrau M., geboren 1946, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gestellt. Nach den vorgelegten Unterlagen bestanden im Antragszeitpunkt folgende Vermögenswerte: Girokonto 6.943,00 EUR Guthaben, diverse Sparbücher 40.941,00 EUR Guthaben, Genußrechtsbrief bei der Genossenschaft W. mit einem Guthaben von 11.504,00 EUR, zwei kapitalbildende Lebensversicherungen mit einem Rückkaufwert von 14.770,49 EUR bzw. 7.896,71 EUR. Bezüglich beider Lebensversicherungen hatte der Kläger am 26.04.2005 nach § 165 Versicherungsvertragsgesetz einen Verwertungsausschluss vereinbart. Die Ehefrau des Klägers verfügt über ein Sparguthaben in Höhe von 1.774,00 EUR. Die auf den Monat umgerechneten Zinseinnahmen betrugen 210,25 EUR.
Bei der ersten Bewilligung ging die Beklagte davon aus, dass für den Kläger zweimal der Höchstbetrag nach § 65 Abs. 5 SGB II anzusetzen sei (also 61.360,00 EUR). Bezüglich der Lebensversicherungen legte die Beklagte den weiteren Freibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 SGB II (also 26.000,00 EUR) zugrunde. Damit lagen die Vermögenswerte unter den Freibetragsgrenzen, sodass die Beklagte mit Bescheid vom 01.08.2005 ab 16.06.2005 bis 31.12.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II bewilligte.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren wurde die Auffassung zugrunde gelegt, dass nach dem Wortlaut von § 65 Abs. 5 SGB II bei "Bestandsschutzfällen" nur maximal einmal der Höchstfreibetrag von maximal 33.800,00 EUR zugrunde gelegt werden dürfe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.2005 wurde daraufhin nach § 45 SGB X die Leistungsbewilligung ab 01.09.2005 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit zurückgenommen.
Dagegen legte der Kläger am 24.10.2005 Klage zum Sozialgericht Augsburg ein mit dem Antrag, dass es auch für die Zeit ab 01.09.2005 bei der bewilligten Leistung verbleiben solle.
Vom Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.12.2005 wurde der Kläger ordnungsgemäß benachrichtigt.
Der Vertreter der Beklagten beantragte im Termin die Klageabweisung.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Leistungsakte der Beklagten sowie der Klageakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung im Bescheid vom 01.08.2005 lagen für die Zeit ab 01.09.2005 nicht vor, da die Leistungsbewilligung für den Zeitraum ab 01.09.2005 bis 31.12.2005 nicht rechtswidrig gewesen war (§ 45 SGB X, § 330 Abs. 2 SGB III, § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II).
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld II setzt Hilfebedürftigkeit voraus (§ 19 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln vor allem nicht aus zu berücksichtigendem Einkommen oder Vermögen bestreiten kann (§ 9 Abs. 1 SGB II). Zu berücksichtigen ist auch das Einkommen und Vermögen des Partners (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II).
Beim Kläger sind so nach § 11 Abs. 1 SGB II die Zinseinnahmen als laufende Einnahmen in Anrechnung zu bringen.
Nach § 12 SGB II sind auch alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Vom Vermögen sind aber abzusetzen ein Grundfreibetrag in Höhe von 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seines Partners, der Grundfreibetrag darf für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seinen Partner jeweils 13.000,00 EUR nicht übersteigen (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II). Ein entsprechender weiterer Freibetrag gilt für Altersvorsorgeansprüche, bei denen die Verwertbarkeit vor Eintritt in den Ruhestand ausgeschlossen ist (§ 12 a Abs. 2 Nr. 3 SGB II).
Nach § 65 Abs. 5 SGB II gilt § 12 Abs. 2 Nr. 1 mit der Maßgabe, dass für die in § 4 Abs. 2 Satz 2 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13.12.2001 (BGBl I S. 3734) in der Fassung vom 31.12.2004 genannte Personen an die Stelle des Grundfreibetrages in Höhe von 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr ein Freibetrag von 520,00 EUR tritt und an die Stelle des Höchstfreibetrags in Höhe von jeweils 13.000,00 EUR ein Höchstfreibetrag in Höhe von 33.800,00 EUR.
Am Ende von § 65 Abs. 5 SGB II fehlt also ein eindeutiges "je" (in Höhe von "je" 33.800,00 EUR). Daraus folgert die Beklagte, dass für "Bestandsschutzfälle", wie er beim Kläger und seiner Ehefrau vorliegt, nur maximal ein Freibetrag angesetzt werden dürfe.
Dieser Meinung ist nach Beurteilung der Kammer nicht zu folgen.
In der Begründung zum Gesetzentwurf vom 05.09.2003 (Bundestagsdrucksache 15/1516, S. 27) ist zur Regelung des § 65 Abs. 5 SGB II ausgeführt: "Abs. 5 soll den durch das 1. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt geregelten Vertrauensschutz hinsichtlich der Berücksichtigung von Vermögen für 55-jährige Arbeitslosenhilfebezieher auch in der Grundsicherung für Arbeitssuchende gewährleisten."
§ 4 der Arbeitslosenhilfeverordnung 2002 vom 13.12.2001 (BGBl I, S. 3734) hatte geregelt, dass in § 6 Abs. 4 Nr. 2 an die Stelle der Angabe 1.000,00 Deutsche Mark die Angabe 520,00 Euro tritt.
Im Gesetzesvollzug war immer unstreitig, dass der Betrag für den Arbeitslosenhilfeempfänger anzusetzen ist und zusätzlich für den nach § 193 SGB III a.F. zu berücksichtigenden Partner.
Der Betrag war dann durch das Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I, S. 4607) mit Wirkung ab 01.01.2003 auf 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen und seines Partners (maximal jeweils 13.000,00 EUR) abgesenkt worden.
Die Bestandsschutzregelung des § 65 Abs. 5 SGB II nimmt genau auf diese Rechtsentwicklung Bezug. Für "Bestandsschutzfälle" wie beim Kläger und seiner Ehefrau soll weiterhin die für den Arbeitslosenhilfebezug maßgebliche Freibetragsgrenze von jeweils 520,00 EUR pro Lebensjahr des Hilfebedürftigen und seines Partners gelten. So ist in § 65 Abs. 5 1. Halbsatz SGB II formuliert, dass an die Stelle des Grundfreibetrages von 200,00 EUR je vollendetem Lebensjahr ein Freibetrag von 520,00 EUR treten soll. Daraus ergibt sich zwangsläufig – so auch die Formulierung im ersten Teil des zweiten Halbsatzes – dass an Stelle des Höchstfreibetrags von jeweils 13.000,00 EUR der entsprechende frühere Höchstfreibetrag (also jeweils 33.800,00 EUR) treten soll. Die Formulierung mit "je" 33.800,00 EUR wäre sicher eindeutiger gewesen, der Gesetzestext ist aber auch so in der dargelegten Weise interpretierbar. Nach der Gesetzesentwicklung und nach dem Sinn und Zweck der Bestandsschutzregelung ist so in Bestandsschutzfällen immer der höhere Freibetrag für den Hilfebedürftigen und zusätzlich für den zu berücksichtigenden Partner anzusetzen.
Damit war dem Klageantrag zu entsprechen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Es war der Erfolg der Klage zu berücksichtigen.
Erstellt am: 12.12.2005
Zuletzt verändert am: 12.12.2005