Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.07.2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der in Belgien lebenden und in der Bundesrepublik selbständig erwerbstätigen Klägerin auf Erziehungsgeld.
Die Klägerin und ihr Ehemann sind deutsche Staatsangehörige mit Wohnsitz in Belgien. Die Klägerin ist als L mit eigener Praxis in Deutschland selbständig tätig. Ihr Ehemann ist ebenfalls selbständig bzw. freiberuflich tätig. Weder die Klägerin noch ihr Ehemann sind in der gesetzlichen Rentenversicherung oder in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig.
Die Klägerin stellte am 23.09.1996 ihren auf die ersten sechs Lebensmonate des am 00.00.0000 geborenen Sohnes M-E beschränkten Antrag auf Erziehungsgeld und gab an, sie übe seit der Geburt des Kindes bis zum Ende des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Das beklagte Land lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 03.07.1997 und Widerspruchsbescheid vom 01.07.1998 unter Hinweis auf den Auslandswohnsitz der Klägerin und ein fehlendes Arbeitsverhältnis im Geltungsbereich des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) ab. Auch die Anspruchsvoraussetzungen nach der VO (EWG) 1408/71 seien nicht erfüllt, weil der Ehemann der Klägerin keine arbeitslosenversicherungspflichtige Tätigkeit ausübe.
Ihre Klage hat das Sozialgericht Münster durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 25.07.2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Klägerin habe weder nach nationalen Rechtsvorschriften noch nach Gemeinschaftsrecht Anspruch auf Erziehungsgeld. Sie habe ihren Wohnsitz in Belgien, sei weder im Sinne des BErzGG noch der VO ( EWG) 1408/71 Arbeitnehmerin und gehöre auch nicht zu dem von den Vorschriften der VO über Familienleistungen erfassten Kreis der Selbständigen. Vorschriften des EG-Vertrages oder Grundrechte der Klägerin seien nicht verletzt.
Gegen das am 16.08.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.09.2000 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie aus: Trotz gesetzesgetreuer Anwendung des BErzGG verstoße das Urteil gegen höherrangiges Recht und verletze sie in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 GG sowie in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 GG. Außerdem verletze das angefochtene Urteil sie in ihren Rechten nach Art. 52 und Art. 8a des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der durch Beschluss des Rates vom 01.01.1995 revidierten Fassung. Das BErzGG sei verfassungs- und europarechtskonform dahin auszulegen, dass der ausländische Wohnsitz der Gewährung von Erziehungsgeld dann nicht entgegenstehe, wenn die/der Berechtigte in der Bundesrepublik selbständig tätig und unbeschränkt steuerpflichtig sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.07.2000 zu ändern und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 03.07.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.7.1998 zu verurteilen, ihr Erziehungsgeld für den am 28.08.1996 geborenen Sohn M-E nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, hilfsweise, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu der Frage einzuholen, ob die Erziehungsgeldregelung eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit gemäß Art. 8a des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EG-Vertrag) darstelle, hilfsweise, eine Vorabentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu der Frage einzuholen, ob das Territorialprinzip sie angesichts vielfältiger Durchbrechungen in ihrem Grundrecht nach Art. 3 GG verletze, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es hält das angefochtene Urteil und seine Bescheide für rechtmäßig. Soweit die Klägerin die Auffassung vertrete, die Erziehungsgeldberechtigung von Selbständigen mit Wohnsitz im EG-Ausland dürfe im Hinblick auf die Finanzierungsart des Erziehungsgeldes ausschließlich an die inländische Steuerpflicht anknüpfen, berücksichtige sie nicht ausreichend, dass das Europarecht bei Arbeitnehmern nur deshalb eine Ausnahme vom Wohnsitzerfordernis im Inland zulasse, weil sie über ihre Versicherungspflicht als solche definiert würden. Eine Gleichbehandlung der Selbständigen sei nur dann gerechtfertigt, wenn sie vergleichbare Voraussetzungen erfüllten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten der Verwaltungsakten des beklagten Landes, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat weder nach nationalen Rechtsvorschriften noch nach Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts Anspruch auf Erziehungsgeld für ihren Sohn M-E.
Nach den Vorschriften des BErzGG (Fassung des Gesetzes vom 31.01.1994) besteht kein Anspruch auf Erziehungsgeld, weil die Klägerin weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte (§ 1 Abs. 1 BErzGG) und auch keine anspruchs- berechtigte Arbeitnehmerin (§ 1 Abs. 4 BErzGG) ist.
Auch gemeinschaftsrechtlich lässt sich ein Erziehungsgeldanspruch der Klägerin nicht begründen.
Artikel 73 der VO(EWG) 1408/71 – greift nicht ein, weil die Klägerin nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich der Vorschrift fällt. Selbstständige, darum handelt es sich bei der Klägerin und ihrem Ehegatten, erfasst Artikel 73 der VO(EWG) 1408/71 nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 30.01.1997 in den verbundenen Rechtssachen C-5/95 und C-5/95 in SozR 3 – 6050 Artikel 73 Nr. 10) für die Zwecke der Gewährung von Familienleistung nach den deutschen Rechtsvorschriften nur dann, wenn diese der Definition gemäß Artikel 1 Buchstabe a Ziff. III i.V.m. Anhang I Teil C Unterabsatz b der erwähnten VO entsprechen. Dies sind nur Selbstständige, die eine Tätigkeit als Selbstständige ausüben und in einer Versicherung der selbstständigen Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig oder in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig sind. Weder die Klägerin noch ihr Ehemann erfüllen, wie die Klägerin selbst einräumt, diese Voraussetzungen.
Auch andere gemeinschaftsrechtliche Vorschriften stützen den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch nicht. Dies folgt zu Artikel 3 der VO(EWG) 1408/71 bereits daraus, dass dieser nach dessen Abs. 1 nur für Personen gilt, die im Gebiet des Mitgliedstaates wohnen, aus dessen Rechtsvorschriften sie die Rechte und Pflichten herleiten. Die Klägerin wohnt aber nicht in Deutschland, nach dessen er- ziehungsgeldrechtlichen Vorschriften sie Leistungen beansprucht.
Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass Vorschriften des EG-Vertrages nicht verletzt sind. Die durch Artikel 52 EG-Vertrag (Fassung des Vertrages von Amsterdam vom 2.10.1997: Art 43 ) geschützte Niederlassungsfreiheit umfasst die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen ( Art. 43 Abs.2 ). Niederlassung ist nach der Rspr. des EuGH die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einen anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ( vgl. die Rspr-Nachweise bei Scheuer in Lenz, EGV – Kommentar, 2. Aufl. Köln 1999 Art. 43 Rdnr. 2). Sie setzt also eine Ortsveränderung im Hinblick auf eine wirtschaftliche Tätigkeit voraus; allein ein Wohnsitzwechsel genügt nicht. Deshalb verstößt es nicht gegen Artikel 52 (jetzt: Art. 43 ) des EG-Vertrages, wenn ein Mitgliedstaat eigenen Staatsangehörigen, die ihre Berufstätigkeit in seinem Hoheitsgebiet ausüben und dort ihre Einkünfte erzielen, den Erziehungsgeldanspruch versagt, wenn sie nicht im Inland wohnen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 20.02.1998 – L 13 KG 56/96 zum Kindergeldrecht). Auch eine versteckte indirekte Diskriminierung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH liegt nicht vor, denn die eigenen Staatsangehörigen und die Wanderarbeitnehmer werden nicht unterschiedlich behandelt; die Anknüpfung an den Wohnsitz des Antragstellers gilt vielmehr für beide Personengruppen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 17.12.1999 – L 13 EG 18/99 ).
Auch Artikel 8a EG-Vertrag ( Fassung des Vertrages von Amsterdam vom 2.10.1997: Art. 18 ), der jedem Unionsbürger – vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen garantiert, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedschaften frei zu bewegen und aufzuhalten, ist nicht verletzt. Wenn man dieser Regelung überhaupt die Bedeutung eines unmittelbar anwendbaren Individualrechts beimisst ( verneinend: Kaufmann-Bühler in Lenz, EGV – Kommentar , 2.Aufl. Köln 1999, Art 18 Rdnr. 1 ; a.A. Kluth in Calliess/Ruffert EUV/EGV , Art. 18 Rdnr.9), Aufenthaltsrecht und Freizügigkeit also nicht ohnehin nur nach Maßgabe des Sekundärrechts bestehen , ist der Senat jedenfalls mit dem Sozialgericht der Auffassung, dass diese Freizügigkeitsgarantie, die Bewegung und Aufenthalt schützt, nicht bereits bei jeder nachteiligen sozialen Konsequenz einer Wohnsitzverlegung ins Ausland tangiert ist.
Zur Überzeugung des Senats liegt auch kein Verstoß gegen Grundrechte der Klägerin vor. Insoweit nimmt er zunächst Bezug auf die entsprechenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochten Urteil, welches die Rechtsprechung des erkennenden Senats wiedergibt (vgl. Urteil vom 17.12.1999 – L 13 EG 18/99). Auf die Entscheidung des BVerfG vom 30.12.1999 (1 BvR 809/95) beruft sich die Klägerin zu Unrecht. Eine Ungleichbehandlung der Person mit Auslandswohnsitz im Vergleich zu Personen mit Inlandswohnsitz kann sachlich gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 51,1). Es ist ein verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstandendes Ziel nationaler Sozialpolitik, sozial relevante Tatbestände im eigenen Staatsgebiet zu formen und zu regeln (vgl. BVerfG, NJW 1998, 2963 f.). Auch in der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung hat das BVerfG ausgeführt, dass der Gesetzgeber den Wohn- und Aufenthaltsort als Kriterium wählen kann, nach dem sich neben anderen Voraussetzungen die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit bestimmt. Er ist nach der genannten Entscheidung aber nicht frei darin, ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung zu wechseln. Dieser Gesichtspunkt lässt sich jedoch entgegen der Ansicht der Klägerin nicht auf die Erziehungsgeldberechtigung übertragen, weil es sich nicht um eine beitragsfinanzierte Leistung handelt. Was für den Wechsel des Anknüpfungssachverhalts für Beitragspflicht und Leistungsberechtigung im Recht der Arbeitslosenhilfe gilt, kann nicht zwingend Geltung beanspruchen für Steuerpflicht und Erziehungsgeldanspruch.
Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass das BErzGG selbst Ausnahmen vom Teritorialitätsprinzip aufweist (vgl. § 1 Abs. 2 BErzGG). Aus der Existenz dieser Ausnahmeregelungen lässt sich indes nicht folgern, dass das Wohnsitzerfordernis des § 1 Abs. 1 Nr. 1 BErzGG kein den Anforderungen des Artikel 3 Abs. 1 GG genügendes Differenzierungsmerkmal mehr wäre. Weder Verfassungsrecht noch Gemeinschaftsrecht gebieten, im Sinne der klägerischen Forderung im Hinblick auf die Finanzierungsart des Erziehungsgeldes ausschließlich an die inländische Steuerpflicht anzuknüpfen. Der Beklagte weist insoweit zutreffend darauf hin, dass das Europarecht bei Arbeitnehmern nur deshalb eine Ausnahme vom Wohnsitzerfordernis zulässt, weil sie über ihre Versicherungspflicht als solche definiert werden. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass auch eine umfassende EG-rechtliche Gleichstellung von Beamten, die Angehörige eines Mitgliedstaates der EG sind, mit anderen Arbeitnehmern, erst durch die EGV Nr. 1399/99 des Rates vom 29.04.1999 erfolgt ist.
Anlass zur Vorlage an das BVerfG oder an den EuGH im Sinne der Hilfsanträge der Klägerin hat nicht bestanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er ihr grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Erstellt am: 08.03.2004
Zuletzt verändert am: 08.03.2004