Rev. des Kl. wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30.07.2012 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Ereignisses vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall im Rahmen der Wegeunfallversicherung gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII.
Der am 00.00.1987 geborene Kläger war im Zeitpunkt des genannten Ereignisses eingeschriebener Student an der Universität C, Fachbereich Kognitive Informatik. Am 15.12.2008 befand sich der Kläger gegen 10:00 Uhr auf dem Bahnsteig des Hauptbahnhofs C, an dem die zur Universität führende Linie 4 abfahren sollte. Der Kläger kam auf dem Bahnsteig zu Fall, prallte mit dem Kopf auf den Boden und blieb dort liegen. Er wurde notfallmäßig vom Rettungsdienst der Stadt C in das Evangelische Krankenhaus C, Epilepsieklinik Haus N eingeliefert. Nachdem hier ein schweres Schädel-Hirntrauma mit Kontusionsblutung links temporal sowie eine Subarachnoidalblutung und ein Subduralhämatom rechts festgestellt wurden, erfolgte die Verlegung in die neurochirurgische Intensivabteilung der Evangelischen Kliniken, wo der Kläger anschließend mehrfach operiert wurde.
Im Bericht von Dr. T, Kliniken N vom 17.12.2008 an die übernehmende Klinik heißt es, der Patient sei durch den Rettungsdienst in die dortige Ambulanz gebracht worden. Er sei durch Passanten an der U-Bahn-Haltestelle Hauptbahnhof mit einem epileptischen Anfall aufgefunden worden. Auf Nachfrage habe er am Boden liegend "Zuckungen der Arme und Beine" gezeigt. Bei Eintreffen des Rettungsdienstes habe der Anfall bereits sistiert, der Patient habe noch über starke Kopfschmerzen geklagt. Eine genauere Fremdanamnese sei nicht zu erheben gewesen, ein direkter Beobachter sei nicht anwesend gewesen. Bei Eintreffen in der Notaufnahme habe der Patient in Rechtsseitenlage auf einer Liege gelegen, sei schläfrig gewesen, habe jedoch prompt und adäquat auf Ansprache reagiert. Es hätten keine äußeren Verletzungszeichen vorgelegen. Der Patient sei zu allen Qualitäten orientiert gewesen, habe sich jedoch an den Verlauf des Morgens nicht erinnern können. Er habe rekonstruiert, dass er sich montags morgens auf dem Weg zur Uni befunden haben müsse. Zum Ereignis selbst habe er keinerlei Angaben machen können. Nach seinen Angaben bestünden keine relevanten Vorerkrankungen, insbesondere keine Epilepsie. In der vergangenen Nacht habe er nur wenige Stunden geschlafen.
Im Einsatzprotokoll des Rettungsdienstes C, erstellt durch die Rettungsassistenten, wird das Notfallgeschehen wie folgt beschrieben: "Patient hat auf dem Bahnsteig einen Krampfanfall erlitten. Bei unserem Eintreffen war der Krampf vorbei. Patient allerdings schreckhaft und lichtempfindlich. Klagt über Kopfschmerzen."
Am 17.12.2008 erhielt die Beklagte die Mitteilung, der Kläger habe am 15.12.2008 auf dem Weg zur Universität einen Unfall gehabt. Der Kläger liege im Koma und könne den genauen Ablauf noch nicht beschreiben. Die Eltern des Klägers teilten ausweislich eines Dienstreiseberichtes vom 24.02.2009 mit, der Kläger könne sich an das Ereignis überhaupt nicht erinnern. In dem anschließend vorgelegten Wegeunfall-Fragebogen gab der Kläger an, der Unfall habe sich am 15.12.2008 gegen 9:30 Uhr beim Umsteigen am Hauptbahnhof C von der Linie 3 zur Linie 4 der Stadtbahn C, Richtung Universität ereignet. Zum Unfallzeitpunkt sei der Kläger von zu Hause gekommen, um zur Universität C zu fahren. Er habe seine Wohnung gegen 9:00 Uhr verlassen. Der Beginn der Vorlesung an der Universität sei um etwa 10:00 Uhr gewesen. Wie sich der Unfall ereignet habe, sei wegen seiner Erinnerungslücken nicht bekannt. Nach dem Unfall sei ein Herr G hinzugekommen, der auch den Rettungswagen alarmiert habe.
Die Beklagte nahm daraufhin telefonisch Kontakt zu dem Zeugen G auf, der ausweislich des Vermerks vom 11.02.2009 mitteilte, er habe bei dem fraglichen Ereignis höchstens 2 Meter von dem Kläger entfernt gestanden. Dieser habe auf die U-Bahn wartend auf dem Bahnsteig gestanden und sei plötzlich ohne äußere Einwirkung umgefallen. Im Fallen habe der Kläger keinen Kontakt mit einer Säule oder einem anderen Gegenstand gehabt. Vielmehr sei er ohne Abwehrbewegung ausschließlich auf dem Bogen aufgeschlagen. Außerdem habe der Kläger sofort krampfartige Bewegungen gemacht, wobei er nicht angeben könne, ob ein Krampfanfall bereits zum Fallen geführt habe oder erst direkt nach dem Sturz eingesetzt sei. Schriftlich führte der Zeuge G hierzu am 31.03.2009 ergänzend aus, er habe am 15.12.2008 am Gleis 4 der U-Bahn Stationen C am Hauptbahnhof gestanden und auf seine Bahn gewartet. Plötzlich sei ein ihm bis dahin unbekannter Mann in einer Entfernung von 5 Meter umgekippt. Eine vorherige Einwirkung Dritter habe er nicht beobachtet. Er habe gesehen, wie der Kläger ohne jeglichen Schutzreflex mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen sei. Er sei zusammen mit einer Frau zu dem Kläger gerannt und habe versucht, ihn anzusprechen. Er habe nichts erwidert und der Kläger schien einen Krampfanfall erlitten zu haben. Daraufhin habe er per Mobiltelefon den Notarzt gerufen.
Mit Bescheid vom 29.04.2009 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung des Ereignisses vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall ab. Bei dem Unfall habe es sich um ein Ereignis aus innerer Ursache ohne äußere Einwirkung gehandelt. Auch habe die Beschaffenheit der Unfallstelle nicht wesentlich zur Art oder Schwere der Verletzung beigetragen. Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 Abs. 2 SGB VII (Wegeunfall) sei deshalb nicht gegeben.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, es sei nicht erwiesen, ob zuerst ein Krampfanfall aufgetreten sei mit einem anschließenden Sturz oder ob aufgrund des Sturzes Verkrampfung aufgetreten seien. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) könne sich die Beklagte in einem solchen Fall nicht auf eine innere Ursache berufen. Die Beklagte zog zunächst weitere medizinische Befundunterlagen bei, unter anderem auch ein Vorerkrankungsverzeichnis, aus dem sich keine Anfallsleiden oder sonstige Erkrankungen des zentralen Nervensystems ergeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2010 wies die Beklagte den Rechtsbehelf zurück. Auch wenn eine innere Ursache nicht nachgewiesen sei und deshalb bei der weiteren Prüfung außer Acht bleiben müsse, sei damit zwangsläufig nicht der positive Beweis erbracht, dass die konkrete versicherte Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt zumindest mitursächlich für den Sturz gewesen sei. Das versicherte bloße Stehen als solches habe den Sturz nicht bewirkt. Andere betrieblich bedingte Umstände seien nicht ersichtlich. Es gebe zum Beispiel keine Hinweise für ein Stolpern über einen Gegenstand auf dem Boden, einen Stoß durch vorbeigehende Passanten oder ein Ausrutschen. Unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen G, wonach der Kläger plötzlich umgekippt sei und ohne Schutzreflexe mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen sei, bleibe als einzige plausible Erklärungsmöglichkeit letztendlich ein plötzlicher Bewusstseinsverlust und jedenfalls kein nachweisbar der betrieblichen Tätigkeit zuzurechnendes Geschehen.
Hiergegen hat der Kläger am 30.03.2010 Klage vor dem Sozialgericht Chemnitz erhoben, welches den Rechtstreit an das SG Detmold verwiesen hat. Der Kläger hat sich im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren gestützt. Außerdem hat er ein Schreiben sowie eine Skizze des Sicherheitsdienstes N GmbH vom 04.06.2009 zu den Akten gereicht. Hierin wird ausgeführt: "In obiger Unfallsache haben wir die Stellungnahme der seinerzeit vor Ort anwesenden Sicherheitskräfte bekommen. Diese schildern den Unfall wie folgt:
"Aufgrund eines sehr lauten dumpfen Knalls wurden wir auf den Vorfall aufmerksam. Da die Fahrgäste sehr dicht aneinander gedrängt auf dem Bahnsteig gestanden trafen wir augenblicklich in der Mitte zusammen, um den ungewöhnlichen Geräuschen nachzugehen und die genaue Herkunftsrichtung zu bestimmen. Innerhalb von Sekunden erfassten wir, dass das Geräusch in dem Bereich der Vitrine neben der Treppe entstanden sein musste, da etwas Tumult entstand. Dadurch dass so viele Menschen so dicht bei einander standen, mussten wir uns einen Weg dorthin bahnen, um genauer sehen zu können. Blitzschnell erfassten wir die Situation und handelten. Der Kollege D nahm das Diensthandy heraus, um über die Verkehrszentralen Rettungswagen und den Notarzt zu verständigen, da eine bewusstlose Person auf dem Bahnsteig liege. Die Kollegin L und T kümmerten sich um den bewusstlose nicht ansprechbaren, am Boden liegenden jungen Mann und legten ihn in die stabile Seitenlage. Wir redet mit ihm und geleisteten Beistand, während der Kollege D sich um den Empfang und das Geleit der Rettungskräfte kümmerte. Innerhalb von Minuten trafen die Sanitäter und der Notarzt ein.
Nebenstehende Personen sagten aus, dass ihnen nichts aufgefallen sei, was auf fremde Einwirkungen schließen ließ. Ebenfalls wurden sie durch den dumpfen lauten Knall auf den jungen Mann aufmerksam. Sie sahen lediglich, dass der junge Mann plötzlich auf dem Boden lag, so wie wir ihn vorgefunden haben. Er lag mit dem Hinterkopf auf den Fliesen des Bahnsteigs, als wolle er die Decke anschauen, während die Fußsohlen in Richtung Gleisbett zeigten."
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen G am 12.05.2011. Wegen des Inhalts der Zeugenaussage wird auf Blatt 60 bis 61 der Gerichtsakten Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat anschließend ein Gutachten nach Aktenlage des Facharztes für Nervenheilkunde Dr. Dr. X eingeholt. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 24.08.2011 in Verbindung mit der ergänzenden Stellungnahme vom 03.12.2011 zu dem Ergebnis gelangt, aufgrund der schriftlichen Hergangsschilderung des Zeugen G vom 31.03.2009, vor allem aber aufgrund der notärztlichen Diagnose sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass bei dem Kläger eine innere Ursache den Sturz am 15.12.2008 verursacht habe, konkret ein cerebraler Krampfanfall. Eine äußere Einwirkung auf den Körper des Klägers sei hingegen auszuschließen.
Mit Urteil vom 30.07.2012 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen. In den Entscheidungsgründen wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Sturz sich während des Weges zur Universität ereignet habe. Damit sei die versicherte Tätigkeit kausal für den Sturz. Eine innere Ursache, wie sie der Sachverständige für wahrscheinlich halte, sei hingegen nicht voll bewiesen. Entsprechend der Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R, sei eine nicht nachgewiesene innere Ursache im Rahmen der Kausalitätserwägungen nicht zu berücksichtigen.
Gegen das am 22.08.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.09.2012 Berufung eingelegt.
Die Beklagte trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihrer bisherigen Argumentation vor, das Sozialgericht habe in rechtswidriger Weise den Begriff der konkreten Verrichtung im Unfallzeitpunkt mit demjenigen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit gleichgesetzt. Der Kläger sei zwar unstreitig auf einem versicherten Weg gewesen, als es zu dem Sturz gekommen sei. Der Sturz müsse aber nicht nur irgendwie während des grundsätzlich versicherten Weges aufgetreten sein, sondern auf die konkrete Verrichtung im Zeitpunkt des Sturzes zurückzuführen sein. Der Kläger sei aus dem bloßen Stand heraus ohne erkennbare äußere Einwirkung auf den Boden aufgeschlagen. Das bloße Stehen führe jedoch nicht zum Sturz. Es sei stets ein weiterer Ursachenbeitrag für einen Sturz erforderlich, es sei eine äußere Ursache (Stolpern, Anrempeln) oder eine innere Ursache, z. B. Syncope bei Kreislaufversagen oder Anfallsereignis) zu erwarten. Das Stehen selbst sei daher zwar Mitursache im naturwissenschaftlichen Sinne, aber eben nicht rechtlich wesentliche Bedingung für den Sturz. Da eine äußere Mitursache über das bloße Stehen hinaus nicht nachgewiesen sei, liege ein Arbeitsunfall nicht vor. Hinsichtlich der Umstände im Einzelnen sei i. Ü. auf die zeitnah erstellten schriftlichen Angaben des Zeugen abzustellen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30.07.2012 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger trägt unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens vor, der Unfall sei zwischen dem unteren Ende der Treppe und der Aushangvitrine geschehen. Die Sicherheitskräfte hätten einen dumpfen Knall gehört und seien ihm zu Hilfe geeilt. In der Gesamtschau müsse zweifellos davon ausgegangen werden, dass ein Aufprall an einer Säule oder dem Schaukasten infolge Anrempeln durch Dritte auf dem belebten und vollen Bahnsteig oder Stolpern und im Anschluss daran ein Aufschlagen auf dem Boden erfolgt sei. Der Zeuge G habe lediglich das Ende des Unfalls gesehen, als er bereits auf dem Boden gelegen habe. Es sei daher nicht gerechtfertigt, die angeblich zeitnahen anders lautenden Angaben des Zeugen heranzuziehen. Da eine innere Ursache für den Unfall nicht festgestellt werden könne, habe es bei der Anerkennung als Arbeitsunfall zu verbleiben.
Der Senat hat die Unterlagen über die Erstversorgung des Klägers im Krankenhaus N GmbH beigezogen und anschließend ein Gutachten nach Aktenlage der Ärztin für Neurologie Dr. C eingeholt. Die Sachverständige wurde gebeten, die Beweisfragen alternativ unter Berücksichtigung der Schilderung des Zeugen G gegenüber der Beklagten sowie seiner Schilderung bei der gerichtlichen Vernehmung am 12.05.2011 zu beantworten bezogen auf die Frage, ob sich hierdurch eine Änderung der medizinischen Beurteilung, je nachdem, welche Schilderung des Zeugen zugrundegelegt wird, ergibt. Außerdem wurde die Sachverständige dazu befragt, ob sich ein traumatisch bedingter Krampfanfall von einem aufgrund eines bereits vorhandenen Epilepsieleidens verursachten Krampfgeschehen abgrenzen lasse.
Die Sachverständige ist in ihrem Gutachten vom 30.08.2013 zu dem Ergebnis gelangt, ein fehlender Schutzreflex beim Sturz sei nicht beweisend für einen epileptischen Anfall. Es sei retrospektiv anhand der Lokalisation der erlittenen Schädelfraktur nicht möglich festzustellen, ob der Kläger eine Abwehrreaktion gezeigt haben könnte. Ein erstmaliger epileptischer Anfall als sog. innere Ursache für den Sturz und der dadurch hervorgerufenen schweren Schädel-Hirnverletzung sei möglich, aber nicht beweisbar. Ein durch das Schädel-Hirntrauma hervorgerufener, also verletzungsbedingter Anfall sei ebenso möglich, aber nicht beweisbar. Dem Sturz könne auch ein Kreislaufkollaps vorausgegangen sein, was aber ebenso wenig beweisbar sei. Anhand der Semiologie eines epileptischen Anfalls lasse sich ebenfalls keine Unterscheidung zwischen einer traumatisch bedingten Epilepsie und einer sogenannten idiopathischen Epilepsie treffen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und nach § 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, das Ereignis vom 15.12.2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der angefochtene Bescheid vom 29.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010 entspricht der Sach- und Rechtslage.
Der Kläger hat am 15.12.2008 keinen Arbeitsunfall i. S. des hier allein in Betracht kommenden § 8 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – 7. Buch – (SGB VII) erlitten.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VI begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zurzeit des Unfalls der versicherte Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtungen zu den zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Die Verrichtung muss das von außen einwirkende Ereignis und den Gesundheitserstschaden objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben; das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale versicherte Tätigkeit, Verrichtung zurzeit des Unfalls, Unfallereignis sowie Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – vgl. BSG vom 02.04.2009 – B 2 U 29/07 – m. w. N; vom 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R -).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Der Kläger zählte zwar als eingeschriebener Student zu dem in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personenkreis, § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII. Er befand sich zurzeit des Unfalls unstreitig auf dem unmittelbaren Weg von seiner Wohnung zum Ort seiner versicherten Tätigkeit (Universität), den er zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegte. Damit war er im Zeitpunkt des hier in Rede stehenden Ereignisses zwar nicht in der Beschäftigtenversicherung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII, aber in der Wegeunfallversicherung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes versichert.
Der Kläger hat auch eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erlitten. Nach dem Gesamtergebnis der durchgeführten Ermittlungen konnte als im Vollbeweis gesichert festgestellt werden, dass der Kläger plötzlich auf dem Boden lag. Ob der Kläger , wie der Zeuge G zunächst erklärt hatte, "aus dem Stand" umgefallen ist oder ob er – wie der Kläger nunmehr vermutet, angerempelt worden ist oder mit der Vitrine im Treppenbereich zusammengestoßen ist, lässt sich nicht klären. Weitere Zeugen für den Vorgang, welche die genauen tatsächlichen Umstände des "zu Fallkommens" beschreiben könnten, gibt es nicht. Auch die Sicherheitskräfte haben das Geschehen erst wahr genommen, als der Kläger bereits am Boden lag. Soweit sie in ihrem Bericht von einem "sehr lauten dumpfen Knall" sprechen, lässt diese Wahrnehmung nicht den Schluss zu, dass es sich hierbei um ein durch ein Zusammentreffen des Körpers des Klägers mit einem Gegenstand (etwa der Vitrine) verursachtes "Anstoßgeräusch" gehandelt hat; auch heißt es in dem Bericht der Sicherheitskräfte, dass die Umstehenden keine fremden Einwirkungen bemerkt hätten, sie seien ebenfalls erst durch den dumpfen lauten Knall auf den Kläger aufmerksam geworden. Bei dem genannten Geräusch kann es sich daher genauso gut um das Geräusch gehandelt haben, welches beim Aufprall des Körpers, insbesondere des Kopfes des Klägers auf den Fliesenboden des Bahnsteigs entstanden ist. Der Kläger selbst hat keinerlei Erinnerung mehr an den Vorgang.
Dem braucht der Senat indessen – an diesem Punkt der Kausalitätsprüfung – nicht weiter nachzugehen. Dadurch, dass der Kläger auf den Fliesenboden des Bahnsteigs prallte, wurde seine körperliche Unversehrtheit verletzt. Das von außen auf den Körper einwirkende Ereignis liegt nicht nur bei einem ungewöhnlichen Geschehen, z. B. Zusammenstoß mit einer anderen Person oder einem Gegenstand, sondern auch bei einem alltäglichen Vorgang, wie etwa beim Stolpern über die eigenen Füße oder beim Aufschlagen auf den Boden vor, weil hierdurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (BSG, Urteil vom 17.02.2009 a. a. O.). Dieses einwirkende Ereignis führte zu einem Subduralhämatom und inneren Blutungen im Bereich des Gehirns.
Diese Einwirkung und die unstreitig dadurch verursachte Kopfverletzung sind zwar bei, jedoch entgegen § 8 Abs. 1 S 1 SGB VII nicht "infolge" der versicherten Tätigkeit eingetreten und ihr damit nicht zuzurechnen.
Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert zweistufig die Erfüllung 1. tatsächlicher und 2. darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung, und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben. Auf der 1. Stufe setzt die Zurechnung voraus, dass die Einwirkung durch die versicherte Verrichtung objektiv (mit) verursacht wurde. Für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine Wirkursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und hat der Unfallversicherungsträger nicht einzustehen. Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt der Zurechnung die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiel (conditio-sine-qua-non). In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der "conditio Formel" eine erforderliche Bedingung des Erfolges (stets neben anderen Bedingungen) war, darüber hinaus in einer besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mit bewirkt haben und darf nicht nur eine (bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare) zufällige Randbedingung gewesen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung (und dadurch für den Gesundheitserstschaden) war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen (gegebenenfalls unter Einholung von Sachverständigengutachten) beantwortet werden. Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der 2. Stufe die Wirkung (hier: die Einwirkung) rechtlich unter Würdigung auch aller auf der 1. Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Verrichtung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Einwirkung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (vergl. BSG vom 13.11.2012 – B 2 U 19/12 R-).
Die Einwirkung auf den Körper des Klägers ist zwar objektiv, d. h. im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, nicht aber rechtlich wesentlich durch dessen zuvor verrichtete versicherte Tätigkeit (Zurücklegen des Weges von zu Hause zur Universität) verursacht worden.
Dabei geht der Senat nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen mit der Neurologin Dr. C, bei der es sich um eine Gutachterin handelt, die über besonderes Fachwissen im Bereich der Beurteilung epileptischer Krankheitsbilder handelt, davon aus, dass es sich vorliegend medizinisch nicht klären lässt, ob beim Kläger eine Erstmanifestation eines Anfallsleidens oder eine Kreislaufstörung zum "Umkippen" und Aufschlagen auf den Boden führte oder ob das Anfallsgeschehen erst durch die beim Aufprall hervorgerufenen Kopfverletzungen bewirkt wurde. Dies entspricht auch der Einschätzung der Ärzte des Epilepsiekrankenhauses N. Entgegen der Einschätzung von Dr. Dr. X, der seine Beurteilung im Wesentlichen auf die Bekundungen des Zeugen G – eines medizinischen Laien – , der bei seinen schriftlichen Angaben einen unmittelbar nach dem Sturz einsetzenden Krampfanfall beschrieben hat, und auf die Diagnose der Rettungssanitäter-, die den Krampfanfall aber nicht gesehen haben, stützt, ist eine innere Ursache zwar möglich, aber nicht im Vollbeweis gesichert und kann daher nicht Gegenstand einer Zurechnungsprüfung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung sein ( BSG, Urteil vom 17.02.2009 a. a. O).
Im Kontext der Wegeversicherung verlangt das BSG auf der 2. Stufe der Zurechnungsprüfung bezogen auf die rechtliche Wesentlichkeit jedoch weiter, dass sich bei dem Geschehen eine dem Schutzzweck der Wegeversicherung entsprechende, spezifische Gefahr realisiert hat. Das BSG hat hierzu in der Entscheidung vom 13.11.2012 (a. a. O. RndNr. 45 ff) ausgeführt:
"Die Unfallversicherung des Zurücklegens des Weges nach und von dem Ort der (jeweiligen) versicherten Tätigkeit schützt nur gegen Gefahren für Gesundheit und Leben, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Fußgänger oder Benutzer eines Verkehrsmittels, also aus eigenem oder fremdem Verkehrsverhalten oder äußeren Einflüssen die Beschaffenheit des Verkehrsraumes hervorgehen.
Die Wegeunfallversicherung wurde mit der Regelung des § 545 a Reichsversicherungsordnung durch das Zweite Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 14.07.1925 (RGBl I 97) eingeführt. Danach galt als Beschäftigung in einem der Versicherung unterliegenden Betriebe der mit der Beschäftigung in diesem Betriebe zusammenhängende Weg nach und von der Arbeitsstätte. Hintergrund dieser Erweiterung des Unfallversicherungsschutzes war, dass die "Wege umfangreicher und durch die motorische Zurücklegung auch gefährlicher" geworden seien und daher "diese Gefahren" erfasst werden müssten (vgl. Bericht des 9. Ausschusses für soziale Angelegenheiten Nr. 1060 S. 6).
An diesem Schutzzweck hat sich bis heute nichts geändert. Zwar ist nunmehr in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII bestimmt, dass zu den versicherten Tätigkeiten auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit zählt. Dadurch ist aber nur verdeutlicht worden, dass nicht der Weg an sich, sondern dessen Zurücklegen, also der Vorgang des Sichfortbewegens versichert ist. Auch der Versicherungstatbestand des § 8 Abs. 2 Nummer 1 SGB VII trägt daher allein Gefahren Rechnung, die sich während der gezielten Fortbewegung im Verkehr aus eigenem, gegebenenfalls auch verbotswidrigem Verhalten, dem Verkehrshandeln anderer Verkehrsteilnehmer oder Einflüssen auf das versicherte Zurücklegen des Weges ergeben, die aus dem benutzten Verkehrsraum oder Verkehrsmittel auf die Fortbewegung wirken."
Der Senat schließt sich dieser Auffassung aus eigener Überzeugung an.
Bei Anwendung dieser Grundsätze vermag der Senat allerdings nicht festzustellen, dass sich bei dem Ereignis vom 15.12.2008 eine solche spezifische Verkehrsgefahr realisiert hat. Wie bereits dargestellt, konnten keine Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie und warum der Kläger auf dem Bahnsteig umgefallen bzw. gestürzt ist. Ein Verhalten Dritter – etwa Anrempeln durch anderen Fahrgäste oder Anwesende auf dem Bahnsteig ist nicht erwiesen, ebenso wenig wie widrige Bodenverhältnisse – etwa ein Ausrutschen auf einem Gegenstand oder einem rutschigen Untergrund – oder das Anstoßen an eine im Treppenbereich aufgestellte Vitrine. Dies gilt unabhängig davon, ob man die schriftlichen Angaben des Zeugen G – wonach der Kläger aus dem Stand umgefallen ist – oder seine späterer Aussage – wonach er den eigentlichen Sturz gar nicht wahrgenommen hat – zugrunde legt. Entsprechendes gilt für die Sicherheitskräfte, die den Sturzvorgang selbst nicht gesehen haben. Allein der Umstand, dass an den Bahnsteigen eines Bahnhofes einer deutschen Großstadt an einem Werktag zwischen 9.00 und 10.00 Uhr reger Publikumsverkehr geherrscht haben dürfte, kann nach Auffassung des Senats – jedenfalls ohne weitere Vorkommnisse, für die es aber keine Anhaltspunkte gibt – eine spezifische, von dem Schutzzweck der Wegeversicherung erfasste Gefahr, nicht begründen. Allein durch das Umfallen und auf dem Boden Aufschlagen hat sich ein spezifisches Wegerisiko nicht realisiert. Damit ist die Wesentlichkeit der Wirkursache der versicherten Verrichtung nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs. 1 Nr. 1 SGG.
Erstellt am: 28.04.2016
Zuletzt verändert am: 28.04.2016