Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 27. April 2007 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Zuschläge für die Beitragsjahre 2004 und 2005 zahlen muss.
Die Klägerin ist die Witwe und Alleinerbin des Bauunternehmers G I, der Mitglied der Beklagten war und am 02. August 2007 verstorben ist (Bauunternehmer). Im Umlagejahr 2004 führte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Bau-Berufsgenossenschaft Rheinland und Westfalen (Bau-BG), in ihrer Satzung ein neues Beitragszuschlagsverfahren ein. Es sah einen Zuschlag vor, wenn die Eigenbelastung des einzelnen Beitragspflichtigen die Durchschnittsbelastung aller Beitragspflichtigen überschritt (§ 28 Abs. 2 der Satzung a.F.). Den Zuschlag begrenzte die Satzung auf 30% des Beitrags, den der Beitragspflichtige ohnehin zu zahlen hatte (Abs. 3 Satz 1). Dieser Höchstzuschlag war anzusetzen, sobald die Eigenbelastung des Unternehmens den sog. Eigenbelastungshöchstwert erreicht oder überschritten hatte (Abs. 3 Satz 2). Als Eigenbelastungshöchstwert galt das Dreifache der Durchschnittsbelastung (Abs. 4 Satz 2). Die Beklagte ermittelte 2004 für alle Beitragspflichtigen eine Durchschnittsbelastung von 0,1093 (= 31.587.843,57 EUR Aufwendungen für Geld- und Sachleistungen im Umlagejahr 2004./. 288.794.816,59 EUR Umlagesoll) und errechnete einen Eigenbelastungshöchstwert von 0,3279 (= 3 x 0,1093). Am 01. Mai 2005 ging die Bau-BG durch Verschmelzung ("Fusion") in der Beklagten auf. Gleichzeitig trat eine neue Satzung in Kraft, die zum Beitragszuschlagsverfahren weitgehend inhaltgleiche Regelungen enthält (§ 30 der Satzung n.F.).
Am 13. August 2004 erlitt der Versicherte L I1, der bei dem Bauunternehmer beschäftigt war, einen Arbeitsunfall, für den die Bau-BG 2004 insgesamt 2.910,96 EUR und im Folgejahr 5.682,37 EUR aufwandte. Mit Beitragsbescheid vom 22. April 2005 erhob sie für das Kalenderjahr 2004 einen Umlagebeitrag von 7.194,14 EUR und einen Beitragszuschlag von 2.158,24 EUR. Die Eigenbelastung des Bauunternehmers von 0,4046 errechnete sie, indem sie die Aufwendungen für den Arbeitsunfall vom 13. August 2004 in Höhe von 2.910,96 EUR durch den Umlagebeitrag von 7.194,14 EUR dividierte. Da die Eigenbelastung des Bauunternehmers (0,4046) den Eigenbelastungshöchstwert (0,3279) überschritt, setzte die Bau-BG den Höchstzuschlag (2.158,24 EUR = 7.194,14 EUR x 0,3) fest.
Dagegen erhob der Bauunternehmer am 24. Mai 2005 Widerspruch und beantragte Ende Juni 2005 erfolglos, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen (Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 29. Juni 2005). Im einstweiligen Rechtschutzverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Aachen (Az.: S 14 U 82/05 ER) bezweifelte er die Befugnis der Bau-BG, Zuschläge zu erheben, ohne in der Satzung Nachlässe vorzusehen. Denn nur eine Kombination von Zu- und Abschlägen könne die Unfallverhütung wirksam fördern. Zudem berücksichtige die Satzung nicht, ob der jeweilige Arbeitsunfall, der den Zuschlag auslöse, auf einem Verstoß gegen Arbeitsschutzvorschriften oder auf Eigen- bzw. Mitverschulden des Versicherten beruhe. Überdies habe es die Bau-BG versäumt, ihre Mitglieder über das neue Beitragsausgleichsverfahren zutreffend und umfassend zu informieren. Vorliegend habe die Bau-BG fälschlicherweise den gesamten Jahresbeitrag herangezogen, um den Zuschlag zu berechnen, obwohl der verunglückte Versicherte L I1 bereits zum 30. November 2004 aus dem Unternehmen ausgeschieden sei. Am 26. August 2005 erklärte der Bauunternehmer das Eilverfahren für erledigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die Berufsgenossenschaften seien gesetzlich ermächtigt, ein reines Beitragszuschlagsverfahren einzuführen. Dieses System sei gerecht, weil es Betriebe mit überdurchschnittlicher Unfallbelastung stärker heranziehe. Gleichzeitig verhindere die 30%ige Kappungsgrenze eine übermäßige Belastung der Unternehmer. Über das neue Beitragsausgleichverfahren habe die Bau-BG ihre Mitglieder in Merk- und Mitteilungsblättern ausführlich informiert.
Dagegen hat der Bauunternehmer am 28. Dezember 2005 vor dem SG Aachen Klage erhoben (Az.: S 14 U 138/05) und ausgeführt, die Beklagte habe ihre "Monopolstellung" missbraucht und ihr Satzungsermessen fehlerhaft ausgeübt, als sie die Kappungsgrenze auf 30% erhöht habe.
Während des Klageverfahrens setzte die Beklagte mit Bescheid vom 21. April 2006 die Umlage für das Beitragsjahr 2005 auf 4.933,92 EUR fest und erhob den Beitragshöchstzuschlag von 1.480,18 EUR (= 4.933,92 EUR x 0,3), weil die Eigenbelastung des Bauunternehmers von 1,1516 (= 4.933,92 EUR Umlage./. 5.682,37 EUR Aufwendungen für Arbeitsunfall) den Eigenbelastungshöchstwert von 0,3774 (= 3 x 0,1258 Durchschnittsbelastung) überschritten hatte. Den Widerspruch vom 05. Mai 2006 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2006 zurück. Hiergegen hat der Bauunternehmer am 20. November 2006 Klage vor dem SG Aachen erhoben (S 9 (14) U 90/06), das beide Klageverfahren miteinander verbunden hat. Er hat bestritten, dass für die unfallbedingte Behandlung des ehemaligen Mitarbeiters L I1 in den Jahren 2004 und 2005 wirklich 8.593,33 EUR (= 2.910,96 EUR + 5.682,37 EUR) aufgewandt worden seien. Ungeachtet dessen sei es unverhältnismäßig und unbillig, wenn die Beklagte insgesamt 3.638,42 EUR (= 2.158,24 EUR +1.480,18 EUR) und damit 42,34 % der angeblichen Behandlungsgesamtkosten als Beitragszuschlag geltend mache. Erst recht könne nicht hingenommen werden, dass die Beklagte für einen einzigen Arbeitsunfall zweimal Beitragszuschläge erhebe, nämlich im Unfall- und im Folgejahr.
Die Beklagte hat erwidert, dass sie für Beitragszuschläge alle Aufwendungen für Arbeitsunfälle berücksichtigen müsse, die im Umlage- und Vorjahr gemeldet worden seien. Zu dieser Satzungsregelung sei sie gesetzlich ermächtigt. Folglich seien die Kosten für Sach- und Geldleistungen, die sie für den verunglückten Versicherten L I1 im Kalenderjahr 2005 aufgewandt habe, auch in das Beitragsausgleichverfahren 2005 einzubeziehen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen sei es unzulässig, dem Arbeitgeber die Behandlungskosten detailliert aufzuschlüsseln oder ihm Einsicht in die Leistungsakte des Versicherten zu gewähren. Deshalb reiche es aus, dem beitragspflichtigen Arbeitgeber die Eigen- und Durchschnittsbelastungsziffer mitzuteilen und ihn – auf Nachfrage – über die Gesamthöhe der arbeitsunfallbedingten Aufwendungen zu informieren.
Mit Urteil vom 27. April 2007 hat das SG die Klage(n) abgewiesen: Die Bau-BG und die Beklagte hätten die Zuschläge für die Beitragsjahre 2004 und 2005 zu Recht erhoben. Das Beitragszuschlagsverfahren sei mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (§ 162 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB VII]) vereinbar und verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die Ermächtigungsgrundlage erlaube reine Zuschlags- und Nachlassverfahren sowie kombinierte Zuschlags- und Nachlassverfahren. Dass sich die Bau-BG und die Beklagte für ein reines Zuschlagsverfahren entschieden hätten, sei keinesfalls ermessensfehlerhaft. Die Satzungsregelungen verletzten auch keine Grundrechte des Bauunternehmers und verstießen nicht gegen das Übermaßverbot. Denn die 30%ige Kappungsgrenze beschränke die Eigenunfallbelastung und trage dem Übermaßverbot ausreichend Rechnung. Die Höhe der Kappungsgrenze bestimme die Vertreterversammlung des Unfallversicherungsträgers. Ob sie dabei die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Satzungsregelung beschlossen habe, sei gerichtlich nicht überprüfbar.
Nach Zustellung am 15. Mai 2007 hat der Bauunternehmer gegen dieses Urteil am 15. Juni 2007 Berufung eingelegt. Nach seinem Tod hat die Klägerin das Berufungsverfahren aufgenommen. Sie trägt vor, die Beklagte dürfe keine Zuschläge erheben, wenn sie unfallfreien Betrieben keine Nachlässe gewähre. Denn die Ermächtigungsgrundlage (§ 162 SGB VII) sehe ein Kombinationssystem von Zu- und Abschlägen "zwingend" vor. Das reine Zuschlagsverfahren belaste die Pflichtmitglieder "überdimensional" und verfehle den Zweck des Beitragsausgleichverfahrens, die Arbeitgeber zur Unfallverhütung zu motivieren. Da die Unfallversicherungsträger Monopolisten seien, sei ihr satzungsrechtlicher Gestaltungs- und Ermessensspielraum eng begrenzt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 27. April 2007 zu ändern und den Bescheid vom 22. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2005 sowie den Bescheid vom 21. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2006 aufzuheben, soweit darin Zuschläge erhoben worden sind, hilfsweise die Revision zuzulassen
Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte (Az.: 000) verwiesen. Beide Akten sowie die Streitakte aus dem einstweiligen Rechtschutzverfahren vor dem SG Aachen (Az.: S 14 U 82/05 ER) waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klagen zu Recht abgewiesen, weil die Beitragszuschlagsbescheide vom 22. April 2005 und 21. April 2006 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 24. November 2005 und 18. Oktober 2006 (§ 95 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) formell und materiell rechtmäßig sind und die Klägerin deshalb nicht beschweren (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin ist als Alleinerbin des verstorbenen Bauunternehmers in dessen Rechtspostion eingetreten; die Beklagte ist am 01. Mai 2005 durch Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der Bau-BG geworden.
Die Bescheide sind formell nicht zu beanstanden: Die Beklagte durfte vor der Erhebung der Zuschläge von einer Anhörung gem. § 24 Abs. 2 Nr. 4, 2. Fall des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) absehen, weil sie derartige Verwaltungsakte "in größerer Zahl" schematisch erlassen musste. Die Verwaltungsakte waren auch hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X) und ausreichend begründet (§ 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X). Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin haben dem Bauunternehmer die Berechnungsgrundlagen in Merkblättern und im Aufklärungsschreiben vom 01. Juni 2006 ausführlich erläutert. Diese Erklärungen hat die Beklagte in den Widerspruchsbescheiden nochmals vertieft und damit etwaige Begründungsmängel geheilt (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X).
Die Beitragszuschlagsbescheide sind auch materiell rechtmäßig. Die Bau-BG und die Beklagte haben die Beitragszuschläge in den angefochtenen Bescheiden sachlich und rechnerisch korrekt festgesetzt und dabei die jeweiligen Satzungsbestimmungen, die im Wesentlichen inhaltsgleich sind, zutreffend angewandt. Denn die Eigenbelastung des Bauunternehmers (0,4046 bzw. 1,1516) überschritt den jeweiligen Eigenbelastungshöchstwert (0,3279 bzw. 0,3774), so dass nach den Satzungen der BG-Bau und der Beklagten jeweils der Höchstzuschlag festzusetzen war. Dieser betrug jeweils 30% des Umlagebeitrags, also 2.158,24 EUR (= 7.194,14 EUR x 0,3) bzw. 1.480,18 EUR (= 4.933,92 EUR x 0,3). Beide Satzungen sind mit der Ermächtigungsgrundlage in § 162 Abs. 1 Satz 3 SGB VII vereinbar (1.) und verstoßen weder gegen Verfassungsrecht (2.) noch gegen europäisches Recht (3.).
1. Die Satzungen sind mit § 162 Abs. 1 SGB VII vereinbar. Danach haben die Berufsgenossenschaften (BGen) unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Höhe der Zuschläge und Nachlässe richtet sich nach der Zahl, der Schwere oder den Aufwendungen der Versicherungsfälle oder nach mehreren dieser Merkmale (§ 162 Abs. 1 Satz 4 SGB VII). Die sog. Wegeunfälle (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII) bleiben dabei außer Betracht (§ 162 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Nach § 162 Abs. 1 Satz 3, 2. HS SGB VII kann die Satzung Berufskrankheiten oder Versicherungsfälle durch höhere Gewalt ausnehmen. Das Nähere bestimmt die Satzung (§ 162 Abs. 1 Satz 3, 1. HS SGB VII).
Mit § 162 Abs. 1 SGB VII knüpft der Gesetzgeber im Wesentlichen an die Vorgängerregelung des § 725 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) an (vgl. Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/2204, S. 112). Deshalb hat das Bundessozialgericht (BSG) für die Auslegung des § 162 Abs. 1 SGB VII auf seine bisherige Rechtsprechung zu § 725 Abs. 2 RVO zurückgegriffen (Urteile vom 06. Mai. 2003, B 2 U 7/02 R, SozR 4-2700 § 162 Nr. 1 und B 2 U 17/02 R, HVBG-INFO 2003, 2003 ff.). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Danach gilt folgendes: Die BG muss ein Zuschlags-Nachlass-Verfahren einführen, wobei sie aufgrund ihrer besonderen Sachkunde und Sachnähe im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben einen weiten Gestaltungsspielraum hat. Die Gerichte entscheiden nicht, ob das beschlossene Verfahren die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung ist (BSG, Urteil vom 15. Dezember 1982, Az.: 2 RU 61/81, SozR 2200 § 809 Nr. 1). Das Verfahren muss Zuschläge und Nachlässe von wirtschaftlichem Gewicht vorsehen (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1984, Az.: 2 RU 31/83, SozR 2200 § 725 Nr. 10). Grenzen sind das Versicherungsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot), der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitet (BSG SozR 2200 § 725 Nr. 10). Das Verfahren soll den Unternehmer anspornen, sich verstärkt für die Unfallverhütung einzusetzen. Nach den gesetzlichen Kriterien ("Zahl, Schwere oder Aufwendungen für die Versicherungsfälle") ist für die Höhe der Zuschläge und Nachlässe das Unfallgeschehen ausschlaggebend, das Folge der Gefahrenlage ist, die der Betrieb hervorruft (BSG, Urteil vom 05. August 1976, Az.: 2 RU 231/74, SozR 2200 § 548 Nr. 22). Die Gerichte können und dürfen nur prüfen, ob die Satzung mit der Ermächtigungsnorm und sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist (vgl. BSG, Urteile vom 02. Mai 1979, Az.: 2 RU 95/78, SozR 2200 § 725 Nr. 5, vom 18. Oktober 1984, Az.: 2 RU 31/83, SozR 2200 § 725 Nr. 10 sowie vom 09. Dezember 1993, Az.: 2 RU 44/92, SozR 3-2200 § 725 Nr. 2).
Die Satzungen der Bau-BG und der Beklagten messen die Beitragszuschläge an den Aufwendungen für die Sach- und Geldleistungen, die im Umlagejahr für Versicherungsfälle im Unternehmen des Beitragspflichtigen gezahlt worden sind. Dabei ist der Zuschlag auf 30% des Beitrages begrenzt, den der Beitragspflichtige ohnehin entrichten muss (Höchstzuschlag). Diese Regelungen sind nicht zu beanstanden. Denn die Satzungsbestimmungen sind autonomes Recht (§ 34 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB IV]), über das die Vertreterversammlung des Unfallversicherungsträgers entscheidet (§ 33 Abs. 1 SGB IV). Da die Vertreterversammlung besonders sachnah und sachkundig ist, hat sie einen weiten Spielraum, um das Beitragsausgleichsverfahren zu gestalten (vgl. BSG, Urteil vom 11. Oktober 2003, B 2 U 55/02 R, HVBG-INFO 2004, 62 ff.; Burchardt in: Brackmann, SGB VII, § 162 Rn. 30; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung [Handkommentar], § 162 Rn. 5). Dies gilt auch für die Frage, wie Zuschläge bzw. Nachlässe im Einzelnen berechnet werden und wo die Kappungsgrenze anzusetzen ist.
Die Bau-BG und die Beklagte haben sich im Einklang mit § 162 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB VII entschlossen, den Beitragspflichtigen ausschließlich Zuschläge aufzuerlegen. Dass nach dem Wortlaut des § 162 SGB VII Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen sind, erlaubt reine Zuschlagsverfahren, reine Nachlassverfahren oder kombinierte Zuschlags- und Nachlassverfahren (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. August 2005, Az.: L 2 U 39/04; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09. Januar 2006, Az.: L 3 U 58/04; Ricke in: Kasseler Kommentar, SGB VII, § 162 Rn. 8 ff.; Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., § 162 Rn. 5). Dies verdeutlicht der Gesetzgeber, indem er anstelle des Wortes "und" das Wort "oder" in § 162 Abs. 1 Satz 1 SGB VII verwendet. Deshalb rügt die Klägerin zu Unrecht, dass die Beklagte keine Zuschläge erheben dürfe, solange sie unfallfreien Betrieben keine Nachlässe gewähre. Wäre dieser Gedanke richtig, müsste die Klägerin im Ergebnis noch höhere Zuschläge zahlen, weil ihr Unternehmen nicht zu den unfallfreien Betrieben zählt. Denn sie müsste die Nachlässe für unfallfreie Betriebe durch höhere Zuschläge mitfinanzieren. Dies belegt, dass die Klägerin im Vergleich zu einem gemischten Nachlass-Zuschlagsverfahren durch das reine Zuschlagssystem überhaupt nicht beschwert ist.
Zu Unrecht nimmt die Klägerin schließlich an, die Satzungen seien "ermessensfehlerhaft" oder "ermessenswidrig" zustande gekommen. Denn wer Satzungen überprüft, kann nicht auf die Grundsätze zurückgreifen, die für die Ausübung des Ermessens beim Erlass von Verwaltungsakten gelten. Bei Rechtsnormen – zu denen auch Satzungen gehören – findet nämlich immer nur eine Ergebniskontrolle statt (vgl. dazu Senatsurteil vom 30. März 2005, Az.: L 17 U 140/02). Zudem lässt sich der Willensbildungsprozess bei Rechtsnormen kaum erforschen, weil sie – anders als belastende Verwaltungsakte (vgl. § 35 SGB X) – grundsätzlich nicht begründet werden müssen. Damit bleiben Art und Weise der Willensbildung des Normgebers oft im Dunkeln. Angesichts dieser Unsicherheit kann die Gültigkeit der Satzungsnorm schwerlich davon abhängig gemacht werden, ob der Satzungsgeber alle widerstreitenden Interessen berücksichtigt und sachgerecht gegen- und untereinander abgewogen hat. Zudem weisen untergesetzliche Normen schon wegen ihrer Regelungsbreite und ihrer Substitutionsfunktion im Verhältnis zu formellen Gesetzen häufig eine besondere politische Komponente auf. Sie sind oft Gegenstand politischer Auseinandersetzungen und vollziehen sich deshalb nicht nach den Grundsätzen strenger Rationalität (Senatsurteil, a.a.O.; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 47 Rn. 118).
2. Die Satzungsbestimmungen verstoßen weder gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) noch gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) oder die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG):
a) Ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG liegt nicht vor. Legt der Staat Bürgern Geldleistungspflichten auf, so greift er damit grundsätzlich nicht in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG ein. Denn die Eigentumsgarantie schützt nicht das Vermögen als solches (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer vom 25. September 1990, Az: 1 BvR 907/87, NJW 1991, 746 f.). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn eine Abgabe den Pflichtigen übermäßig belastet und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigt, die Abgabe also "erdrosselnde Wirkung" hat (BSG, Urteil vom 21. Oktober 1999, Az: B 11/10 AL 8/98 R, SozR 3-4100 § 186 b Nr. 1; Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, 7. Aufl. 2004, Art. 14 Rn. 15). Dies ist angesichts eines jährlichen Beitragszuschlags von 2.158,24 EUR bzw. 1.480,18 EUR bei betrieblichen Lohnsummen von 91.966,73 EUR bzw. 73.181,84 EUR auszuschließen.
b) Indem der Satzungsgeber die Klägerin verpflichtet, Beitragszuschläge zu zahlen, tangiert er den Schutzbereich des Art 12 Abs. 1 GG nicht. Denn die Erhebung der Zuschläge lässt keine berufsregelnde Tendenz erkennen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. November 1989, Az: 1 BvR 1402/87 u.a., BVerfGE 81, 108, 121 f.). Die Vorschriften über die Beitragszuschläge sind im Hinblick auf Berufswahl und Berufsausübung völlig neutral. Sie zielen nicht auf Art oder Inhalt der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit von Unternehmen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Oktober 1999, Az: B 11/10 AL 8/98 R, SozR 3-4100 § 186 b Nr. 1). Denn es nicht erkennbar, dass der Satzungsgeber beabsichtigt, durch die Finanzierung seiner Aufwendungen unternehmerische Entscheidungen zu beeinflussen.
c) Die Beitragszuschläge verstoßen auch nicht gegen die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die auch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit schützt (BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 1974, Az: 1 BvR 430/65 u.a., BVerfGE 38, 281, 298). Diese Betätigungsfreiheit ist nur gewährleistet, soweit sie nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung, zu der jedes nach der Verfassung zustande gekommene Gesetz gehört, oder das Sittengesetz verstößt. Die Beitragszuschläge werden aufgrund eines formell und materiell rechtmäßigen Bundesgesetzes in Verbindung mit einer rechtmäßigen Satzungsbestimmung erhoben. Die Zuschläge sind nicht unverhältnismäßig hoch, weil sie durch die 30%ige Kappungsgrenze begrenzt werden. Diese Grenze trägt dem Übermaßverbot in ausreichender Weise Rechnung, wie das SG zu Recht entschieden hat. Vergleicht man nämlich die Höhe der Zuschläge mit der betrieblichen Lohnsumme, so kann von einer Unverhältnismäßigkeit keine Rede sein. Aufgrund der verhältnismäßig geringen Zuschläge ist zudem nicht erkennbar, dass der Klägerin aufgrund der Umlage kein angemessener Spielraum mehr verbleibt, um sich als Unternehmerin wirtschaftlich frei zu entfalten.
3. Soweit die Klägerin unter Hinweis auf die "Monopolstellung" der Beklagten nicht nur die Höhe der Zuschläge beanstandet, sondern ihre Beitragspflicht zur gesetzlichen Unfallversicherung insgesamt bestreiten will, scheitert dies schon daran, dass eine ersatzlose Aufhebung des Beitragsbescheides auch im Falle der Verfassungs- oder Europarechtswidrigkeit des geltenden Unfallversicherungsrechts nicht in Betracht käme. Das BSG hat bereits entschieden, dass in einem Beitragsstreitverfahren die rechtlichen Grundlagen des gesamten Sicherungssystems nicht in Frage gestellt werden können (BSG, Urteil vom 09. Dezember 2004, Az.: B 6 KA 44/03 R, SozR 4-2500 § 72 Nr. 2). Denn sonst ließe sich die Funktion des gesamten Systems nicht gewährleisten. Die Finanzmittel, die die Berufsgenossenschaften benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen, werden nicht – wie in der privaten Versicherungswirtschaft – nach dem Kapitaldeckungsverfahren, sondern im Wege einer Umlage aufgebracht. Die Beiträge werden gemäß § 152 Abs. 1 SGB VII nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragsansprüche dem Grunde nach entstanden sind, in der Weise festgesetzt, dass der Bedarf des abgelaufenen Kalenderjahres einschließlich der zur Ansammlung der Rücklage nötigen Beträge gedeckt wird (Prinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung). Mit dieser Art der Mittelaufbringung müssen Rechtsansprüche auf Leistungen, die in der Vergangenheit, unter Umständen schon vor Jahrzehnten, entstanden sind, aktuell und in Zukunft erfüllt werden. Ein solches umlagefinanziertes Versicherungssystem könnte, auch wenn seine Ausgestaltung ganz oder teilweise übergeordneten Rechtsgrundsätzen widersprechen sollte, nicht ad hoc durch eine Gerichtsentscheidung außer Kraft gesetzt, sondern nur vom Gesetzgeber mit einer ausreichend langen Übergangsfrist unter Wahrung bereits entstandener Ansprüche in ein anderes, verfassungs- und europarechtskonformes System überführt werden (zur gebotenen Zurückhaltung der Fachgerichte mit Blick auf die Gestaltungsfreiheit des Normgebers: BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az.: 1 BvR 541/02 und 1 BvR 542/02, BVerfGE 115, 81, 93). Das spricht dafür, dass es nicht zulässig sein kann, die Rechtmäßigkeit der Systementscheidung als solcher in einem Beitragsstreitverfahren überprüfen zu lassen. Denn die Berufsgenossenschaften könnten ihre laufenden und zukünftigen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen und die Funktionsfähigkeit der Unfallversicherung wäre bedroht, wenn Unternehmer ihre Beitragspflicht mit diesem Argument erfolgreich bestreiten könnten (BSG, Urteil vom 20. März 2007, Az.: B 2 U 9/06 R, UV-Recht Aktuell 2007, 1065 ff.).
Dessen ungeachtet sind die beanstandeten Vorschriften des SGB VII mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Das BSG und der Senat haben bereits in früheren Verfahren entschieden, dass die Organisation der gesetzlichen Unfallversicherung und die im SGB VII geregelte Beitragsgestaltung europarechtskonform sind (BSG, Urteile vom 11. November 2003; Az.: B 2 U 16/03 R, SozR 4-2700 § 150 Nr. 1, vom 09. Mai 2006, Az.: B 2 U 34/05 R, UV-Recht Aktuell 2006, 456 ff. und vom 20. März 2007, Az.: B 2 U 9/06 R, UV-Recht Aktuell 2007, 1065 ff.; Senatsurteile vom 14. September 2005, Az.: L 17 U 138/05 und vom 25. Juli 2007, Az.: L 17 U 50/07). Daran hält der Senat fest.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a Abs. 1 Satz 1, 3. Teilsatz SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterliegt.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 30.01.2008
Zuletzt verändert am: 30.01.2008