Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 14. September 2007 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Veranlagung der Klägerin nach dem ab dem 01.01.2006 gültigen 1. Gefahrtarif der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft.
Die Klägerin wurde mit Bescheid vom 26.05.1983 mit Wirkung zum 01.04.1983 in das Unternehmerverzeichnis der Tiefbau-Berufsgenossenschaft (BG) aufgenommen. Auf der Grundlage des ab dem 01.01.2003 gültigen 21. Gefahrtarifs der Tiefbau-BG war die Klägerin zuletzt nach der Gefahrtarifstelle 1 (Erd- und Straßenbau), Kennziffer 10 (Selbständige Erdarbeiten) mit der Gefahrklasse 5,0, ferner der Gefahrtarifstelle 13 (Büroteil), Kennziffer 70 mit der Gefahrklasse 1,0 sowie schließlich der Gefahrtarifstelle 14 (Gesondert veranlagte, dauernd betriebene Hilfsunternehmen), Kennziffer 72 (Bau- und Gerätehöfe, Werkstätten, Aufbereitungs- und Mischanlagen) mit der Gefahrklasse 6,6 veranlagt. Auf dieser Grundlage war seitens der Klägerin für das Umlagejahr 2005 ein Beitrag in Höhe von insgesamt 42.709,54 EUR zu entrichten (Beitragsbescheid vom 21.04.2006).
Mit Wirkung zum 01.05.2005 fusionierten die 7 Bau-Berufsgenossenschaften und die Tiefbau-BG zur beklagten BG der Bauwirtschaft. Zuvor hatten die jeweiligen Vertreterversammlungen der fusionierenden Berufsgenossenschaften einen Gefahrtarif zur Berechnung der Beiträge ab dem 01.01.2006 beschlossen, den das Bundesversicherungsamt am 24.06.2005 genehmigt hat.
Die Beklagte, die Rechtsnachfolgerin der 8 fusionierten Berufsgenossenschaften ist, stellte mit Bescheid vom 09.12.2005 die Einstufung der Klägerin nach dem 1. Gefahrtarif der BG Bau ab dem 01.01.2006 zum Hauptunternehmen Erd- und Straßenbau (Tarifstelle 300, Gefahrklasse 7,3) und zum Hilfsunternehmen Büroteil (Tarifstelle 900, Gefahrklasse 1,0) fest. Auf dieser Basis ergab sich für das Umlagejahr 2006 ein Beitrag in Höhe von 38.774,35 EUR (Beitragsbescheid vom 20.04.2007).
Den gegen den Veranlagungsbescheid erhobenen Widerspruch der Klägerin, mit dem diese geltend machte, dass die Neueinteilung der Gefahrklassen willkürlich und sachfremd sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2006 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Gefahrklassen auf der Grundlage eines gemeinsamen Zahlenwerkes aller fusionierten Berufsgenossenschaften berechnet worden seien. Dieses Zahlenwerk habe den Beobachtungszeitraum der Jahre 1999 bis 2003 mit den in diesem Zeitraum nachgewiesenen Entgelten und den Entschädigungsleistungen der eingetretenen Versicherungsfälle umfasst. Die Klägerin führe Arbeiten aus, die nach dem 1. Gefahrtarif in der Gefahrklasse 7,3 (Erd- und Straßenbau, Tarifstelle 300) und 1,0 (Büroteil, Tarifstelle 900) fielen. Anhaltspunkte dafür, dass eine unzutreffende Veranlagung erfolgt sei, seien weder erkennbar noch konkret behauptet worden.
Die dagegen am 03.07.2006 vor dem Sozialgericht (SG) Aachen erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 14.09.2007 abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 18.09.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.10.2007 Berufung eingelegt.
Sie trägt vor, der angefochtene Veranlagungsbescheid sei bereits formell rechtswidrig, da nicht der zuständige Unfallversicherungsträger den hier maßgeblichen Gefahrtarif erlassen habe. Denn dieser sei nicht von der Vertreterversammlung der fusionierten Berufsgenossenschaften, sondern von den Vertreterversammlungen der acht Berufsgenossenschaften vor der Verschmelzung zur BG Bau beschlossen worden. Der Veranlagungsbescheid sei auch materiell rechtswidrig, da er gegen das Übermaßverbot verstoße. Bei der Neuveranlagung bezüglich des Gefahrtarifes habe die Beklagte die bisher praktizierte Umrechnung der Gefahrklassen auf einer gleichbleibenden Basis der größten Tarifstelle aufgegeben. Durch die neue Berechnung seien alle gewerblichen Gefahrklassen angestiegen. Für sie habe sich die Gefahrklasse von 5,0 auf 7,3 erhöht. Darüber hinaus habe die Beklagte den für den Büroteil zugelassenen Personenkreis eingeschränkt. Bei der neuen Gefahrveranlagung würden dem Büroteil nur noch Beschäftigte zugerechnet, die ausschließlich Bürotätigkeiten in Büros verrichteten. Alle Personen, die einer wechselseitigen Tätigkeit nachgingen, beispielsweise als Bauleiter, seien mit ihrem vollständigen Entgelt der gewerblichen Gefahrklasse zuzuordnen. Dies bedeute für sie, dass der bei ihr tätige Bauleiter, der sowohl Büroarbeiten als auch Tätigkeiten außerhalb des Büros verrichte, mit seinem vollständigen Entgelt der gewerblichen Gefahrklasse zugeordnet werde. Die von der Beklagten vorgenommenen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken seien in der konkreten Ausprägung der dem Veranlagungsbescheid zugrunde liegenden Gefahrengemeinschaften willkürlich. Die Beklagte habe in ihren außergerichtlich erteilten Informationsschreiben im Ergebnis unzutreffend darauf hingewiesen, dass den Unternehmer aufgrund der Umstellung keine Beitragserhöhung treffen könne, weil der Beitragsfuß als weitere wesentliche Komponente der Beitragsberechnung im Gegenzug gesenkt worden sei. Diese Maßnahme sei jedoch nicht ausreichend, um eine nicht unerhebliche und nicht gerechtfertigte Erhöhung der Gefahrklassen zu bewirken. Im Übrigen berücksichtige der Einheitstarif auch nicht die regionalen Gegebenheiten vor der Fusion.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 14.09.2007 abzuändern und den Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 09.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der dem Veranlagungsbescheid zugrunde liegende Gefahrtarif sei ordnungsgemäß erlassen worden. Über den Gefahrtarif hätten die Vertreterversammlungen der fusionierenden Berufsgenossenschaften zu beschließen, da es andernfalls entgegen den gesetzlichen Vorgaben, nach denen zwingend ein gültiger Gefahrtarif bestehen müsse, im Zeitpunkt der Fusion an einem gültigen Gefahrtarif der neu entstandenen BG fehle. Ferner sei der neue Gefahrtarif auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot rechtswidrig. Die Berechnung der neuen Gefahrklasse 7,3 für den Gewerbezweig "Erd- und Straßenbau" habe sich aus der Gegenüberstellung der in diesem Gewerbezweig angefallenen Entschädigungsleistungen gegenüber den dort nachgewiesenen Bruttoentgelten ergeben. Im Gegenzug zur Erhöhung der Gefahrklasse von 5,0 auf 7,3 sei der Beitragsfuß als weiterer Rechenfaktor für die Beiträge gesenkt worden. Auch die Regelung, wonach wechselseitig eingesetztes Personal nur noch dann dem Büroteil zuzuordnen sei, wenn es dort ausschließlich tätig werde, unterliege keinen Bedenken, denn der den Berufsgenossenschaften zustehende weite Gestaltungsspielraum werde hierdurch nicht überschritten. Soweit die Klägerin im Übrigen einwende, dass der neue Gefahrtarif einen Einheitstarif darstelle, der die regionalen Gegebenheiten vor der Fusion nicht berücksichtige, sei zu beachten, dass bereits die Rechtsvorgängerin, die Tiefbau-BG, bundesweit tätig gewesen sei und insoweit noch niemals eine regionale Aufteilung im Gefahrtarif bestanden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 09.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2006 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, weil dieser Bescheid nicht rechtswidrig ist. Die Beklagte hat die Klägerin zutreffend zu den Gefahrtarifstellen 300 und 900 des für die Zeit ab dem 01.01.2006 gültigen 1. Gefahrtarifs der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft und zu den Gefahrklassen 7,3 bzw. 1,0 veranlagt.
Rechtsgrundlage für den Veranlagungsbescheid ist § 159 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII), nach dem der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu Gefahrklassen veranlagt. Die Vertreterversammlung des Unfallversicherungsträgers (§ 33 Abs. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB IV]) setzt hierzu gem. § 157 Abs. 1 SGB VII als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest, in dem zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen sind (§ 157 Abs. 1 Satz 1, 2 SGB VII). Der Gefahrtarif wird nach Gefahrtarifstellen gegliedert, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden (§ 157 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Bei der Bildung von Risikogemeinschaften kommt die Aufstellung von Gewerbezweig- und Tätigkeitstarifen in Betracht. Wie viele Gefahrtarifstellen der Unfallversicherungsträger bildet und nach welchen Kriterien er sie voneinander abgrenzt, steht grundsätzlich im Ermessen der Vertreterversammlung. Dabei gebührt dem Gewerbezweigtarif der Vorrang, weil er am besten die gewerbetypischen Gefahren und damit das gemeinschaftliche Risiko erfasst (BSG SozR 2200 § 734 Nr. 1). Aber auch gemischte Tarife sind grundsätzlich zulässig (BSG a.a.O.). Jede Gefahrtarifstelle muss so groß sein, dass zufallsbedingte Schwankungen in der Belastungsentwicklung ausgeschlossen werden. Es ist daher – mangels ausreichender Größe – nicht immer möglich, für jeden Gewerbezweig eine eigene Gefahrtarifstelle zu bilden. Deshalb sind auch Zusammenfassungen mehrerer Gewerbezweige mit wenigstens annähernd gleichen Risiken grundsätzlich zulässig und im Einzelfall auch geboten (Ricke in: Kasseler Kommentar, § 157 SGB VII Rdnr. 11).
Wird der Veranlagungsbescheid angefochten, so darf das Gericht den Gefahrtarif inzident überprüfen (Ricke, a.a.O.). Als autonom gesetztes Recht ist er aber nur daraufhin überprüfbar, ob er mit seiner Ermächtigungsgrundlage und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist. Ähnlich wie dem Gesetzgeber ist den Sozialversicherungsträgern, die ihre Angelegenheiten als öffentlich-rechtliche Körperschaften und Stellen der mittelbaren Staatsverwaltung selbst regeln, ein nicht zu eng bemessener Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt (BSG SozR 4-2700 § 157 Nr. 1; Senatsurteil vom 26.01.2005 – L 17 U 159/01). Als gesetzliche Vorgaben sind die Zielvorstellungen und Wertentscheidungen, die in §§ 152 f, 157, 162 SGB VII zum Ausdruck kommen, sowie die tragenden Grundsätze des Unfallversicherungsrechts zu beachten. Dabei prüfen die Gerichte nicht, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft; die Abwägung zwischen mehreren, jeweils für die eine oder andere Regelung bei der Gestaltung des Gefahrtarifs wesentlichen Gesichtspunkte und die daraus folgende Entscheidung obliegt dem Unfallversicherungsträger. Bei komplexen und sich sprunghaft entwickelnden Sachverhalten ist ihm ein zeitlicher Anpassungsspielraum zuzubilligen, um weitere Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und Mängeln in den Regelungen abzuhelfen (BSG, a.a.O.). Aufgrund dieser eingeschränkten gerichtlichen Überprüfungsbefugnis kann nicht jeder Fehler Beachtung finden. Die Bildung des Gefahrtarifs muss aber auf gesichertem Zahlenmaterial fußen und versicherungsmathematischen Grundsätzen entsprechen. Denn Veranlagungs- und Beitragsbescheide sind eingreifende Verwaltungsakte, die nur auf einer klaren rechtlichen und tatsächlichen Grundlage erlassen werden dürfen (BSG, a.a.O. und Urteil vom 18.10.1994 – 2 RU 6/94 – SGb 1995, 253).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der von der Klägerin angefochtene Veranlagungsbescheid der Beklagten nicht zu beanstanden. Dieser beruht auf dem 1. Gefahrtarif der BG der Bauwirtschaft, der weder formell (I.) noch materiell (II.) rechtswidrig ist.
I.
Der Gefahrtarif ist von den Vertreterversammlungen der zum 01.05.2005 fusionierten acht Berufsgenossenschaften der Bauwirtschaft vor der Verschmelzung zur BG Bau beschlossen worden, von der Vertreterversammlung der Tiefbau-BG am 10./11.03.2005. Die Beschlüsse wurden vom Bundesversicherungsamt als zuständige Aufsichtsbehörde am 24.06.2005 genehmigt (§ 158 Abs. 1 SGB VII). Entgegen der Auffassung der Klägerin war hinsichtlich des Gefahrtarifs ein erneuter Beschluss der Vertreterversammlung der Beklagten nicht erforderlich. Zwar muss grundsätzlich die neue BG zur Berechnung der Beiträge – unabhängig von einer besonderen Vereinbarung zur Gefahrtarif- und Beitragsgestaltung nach § 118 Abs. 1 Satz 3 SGB VII – einen Gefahrtarif beschließen (Platz in Lauterbach, SGB VII, § 118 Rz. 14; Quabach in jurisPK-SGB VII, § 118 Rz. 72). Allerdings enthält § 118 SGB VII keine Aussage über die Fortgeltung bzw. das Außerkrafttreten von autonomem Recht der durch die Vereinigung aufgelösten Berufsgenossenschaften. Insofern ist aus § 118 Abs. 1 Satz 3 SGB VII im Wege eines Gegenschlusses abzuleiten, dass diese autonomen Rechtsnormen auch nach der Vereinigung bis zu einer Ablösung durch neu beschlossene Vorschriften in Kraft bleiben (Bigge in Wannagat, SGB VII, § 118 Rz. 11). Da vorliegend die Verteterversammlung der Tiefbau-BG zum einen im Rahmen der Vereinbarung über die Gefahr- und Beitragsgestaltung für die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft beschlossen hat, dass der zum 01.01.2003 in Kraft getretene 21. Gefahrtarif der Tiefbau-BG im bisherigen Zuständigkeitsbereich der Tiefbau-BG bis zum 31.12.2005 weiter gilt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 der Vereinbarung, abgedruckt als Anhang 1 zur Satzung der Beklagten) und zum anderen die Vertreterversammlung der Tiefbau-BG als nachfolgenden Gefahrtarif den 1. Gefahrtarif der Bauwirtschaft (mit) beschlossen hat, gilt dieser Gefahrtarif bis zu einer Ablösung durch einen – dann von der Vertreterversammlung der BG Bau zu beschließenden – Gefahrtarif weiter.
Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass der 1. Gefahrtarif der Bauwirtschaft formell rechtswidrig ist, müssten hier die Vorschriften dieses Gefahrtarifs als wirksame Rechtsgrundlage der für die Zeit ab dem 01.01.2006 erteilten Veranlagungs- und darauf aufbauend Beitragsbescheide angesehen werden. Zwar ist eine Rechtsvorschrift, die gegen höherrangiges Recht verstößt, regelmäßig nichtig, also von Anfang an unwirksam, und deshalb vom Richter bei der Entscheidung über ein Rechtsschutzbegehren unberücksichtigt zu lassen. Das BSG hat aber überzeugend darauf hingewiesen, dass es aus zwingenden Gründen geboten sein kann, gesetzes- oder verfassungswidrige untergesetzliche Vorschriften – vergleichbar der Situation bei verfassungswidrigen Gesetzen – ausnahmsweise weiter anzuwenden, wenn die Nichtanwendung der Norm, insbesondere auf in der Vergangenheit bereits abgeschlossene Sachverhalte, zu untragbaren Ergebnissen führen würde, die von der gesetzes- und verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt sind als ein Zustand, bei dem es dem Normunterworfenen zugemutet wird, die Anwendung einer rechtswidrigen Norm für eine begrenzte Zeit hinzunehmen (BSGE 94, 38 = SozR 4-2700 § 182 Nr. 1; BSG, Urteil vom 04.12.2007 – B 2 U 36/06 R – zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Auch nach diesen Grundsätzen ist hier von der Fortgeltung des 1. Gefahrtarifs der Bauwirtschaft bis zu einer Ablösung durch einen von der Vertreterversammlung der Beklagten beschlossenen Gefahrtarif auszugehen, denn ansonsten wären alle bisher erlassenen Veranlagungs- und Beitragsbescheide der Beklagten unwirksam. Alle Beitragsbescheide für den inzwischen drei Jahre (2006 bis 2008) umfassenden Umlagezeitraum und für nachfolgende Umlagejahre bis zum Erlass eines neuen Gefahrtarifs wären rechtswidrig und müssten auch in bindend abgeschlossenen Verfahren von der Beklagten nach § 44 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) nachträglich aufgegriffen werden. Die entstehenden Beitragseinbußen für die zurückliegenden Jahre hätten die heute beitragspflichtigen Unternehmer zu tragen. Solche Konsequenzen, die die Existenz des Versicherungsträgers gefährden können, müssen indes vermieden werden, weil sonst ein Zustand eintritt, der mit der gesetzes- und verfassungsmäßigen Ordnung noch weniger zu vereinbaren ist als eine übergangsweise Aufrechterhaltung von rechtswidrigen Bestimmungen (BSG, a.aO.).
II.
Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen das Übermaßverbot liegt nicht vor. Insoweit kann die Klägerin weder eine unzulässige Einschränkung des für den Büroteil zugelassenen Personenkreises (1.) noch den Anstieg der Gefahrklasse von 5,0 auf 7,3 anführen (2.).
1. Die Regelung, dass unter die Tarifstelle 900 "Büroteil des Unternehmens" nur Beschäftigte fallen, die ausschließlich Bürotätigkeiten in Büros in Verwaltungsgebäuden verrichten, während Teil II Nr. 3 der sonstigen Bestimmungen des 1. Gefahrtarifs der BG Bau ergänzend klarstellt, dass Beschäftigte, die neben Bürotätigkeiten auch Tätigkeiten ausüben, die unmittelbarer Bestandteil der veranlagten Gewerbezweige sind, nicht zum separat veranlagten Hilfsunternehmen der Tarifstelle 900 gehören, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht und hält sich im Rahmen des den Unfallversicherungsträgern im Rahmen der Aufstellung von Gefahrtarifen eingeräumten Gestaltungsspielraumes. Wie bereits dargelegt ergibt sich aus der Verpflichtung, Gefahrgemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs zu bilden, dass danach bei einem nach Gewerbezweigen gegliederten Gefahrtarif Gewerbezweige und nach einem nach Tätigkeiten gegliederten Gefahrtarif Tätigkeiten mit annähernd gleichen Risiko zu Tarifstellen zusammengefasst werden sollen. Auch wenn mittlerweile praktisch alle gewerblichen Berufsgenossenschaften wegen der einfacheren Handhabung und geringeren Fehleranfälligkeit auf einen sogenannten Gewerbezweigtarif umgestellt haben, enthält dieser noch teilweise Elemente eines Tätigkeitstarifs, insbesondere für den kaufmännischen und verwaltenden Teil (Büroteil) der Unternehmen, was rechtlich – wie das BSG in Bezug auf Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung ausgeführt hat – nicht zu beanstanden ist (Urteil vom 21.08.1991 – 2 RU 54/90 – NZA 1992, 335 ff). Dabei ist eine Differenzierung nach gewerbsmäßigen Arbeitnehmern einerseits und solchen Beschäftigten, die ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten verrichten, sachgerecht (Senatsurteil vom 29.10.2003 – L 17 U 209/00). Insbesondere ist den Berufsgenossenschaften bei Aufstellung von Gefahrtarifen gestattet, typisierende Abgrenzungsregelungen zu schaffen, die z.B. in der Tarifstelle des Büroteils nur diejenigen Beschäftigten erfassen, die ausschließlich im Büro arbeiten (vgl. bereits Bayrisches LSG, Urteil vom 07.12.1988 – L 2 U 78/87). Folgen solcher typisierenden Regelungen sind im Hinblick auf die Praktikabilität der gesamten Beitragsgestaltung unvermeidbar. Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die Unfallversicherungsträger nicht gehindert sind, durch Typisierungen den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung zu tragen (BVerfG SozR 2200 § 734 RVO Nr. 2; BVerfG SozR 4-2700 § 157 Nr. 3). Dabei gegebenenfalls auftretende Härten sind bei einer generalisierenden Regelung unvermeidlich und – überschreiten sie, wie hier, nicht das Maß des Zumutbaren – hinzunehmen.
2. Ferner ist auch die Berechnung der Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 300 mit 7,3 nicht zu beanstanden.
Die nach Gliederung des Gefahrtarifs in Gefahrtarifstellen den jeweiligen Gefahrtarifstellen zuzuordnenden Gefahrklassen werden "aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet" (§ 157 Abs. 3 SGB VII). Für eine Gefahrtarifstelle wird nur eine Gefahrklasse errechnet. Sind in einer Gefahrtarifstelle mehrere Gewerbezweige zu einer Gefahrengemeinschaft zusammengefasst, so kann der Unfallversicherungsträger für jeden von ihnen eine eigene Berechnung durchführen, um bei einem zukünftigen, neuen Gefahrtarif die Zusammensetzung der Gefahrtarifstellen ggf zu ändern. "Gezahlte Leistungen" sind alle Entschädigungsleistungen des jeweiligen Unfallversicherungsträgers für alle Versicherungsfälle – also Arbeitsunfälle einschließlich Wegeunfälle sowie Berufskrankheiten – der Versicherten, deren Unternehmen von der jeweiligen Gefahrtarifstelle umfasst sind. Das BSG hält es dabei für zulässig, dass nur die sog. Neulast, die z.B. nur die Entschädigungsleistungen aus einem Beobachtungszeitraum umfasst, der Berechnung zugrunde gelegt wird (BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr. 1). "Arbeitsentgelte" wiederum sind die von den Unternehmen nach § 165 Abs. 1 SGB VII zur Berechnung der Beiträge innerhalb von sechs Wochen nach Ablauf des Kalenderjahres im Lohnnachweis zu meldenden Beträge.
Vor diesem Hintergrund war es nicht ermessensfehlerhaft, für die Berechnung der Gefahrklasse einen vierjährigen Beobachtungszeitraum in den Jahren 1999 bis 2003 mit den in diesem Zeitraum nachgewiesenen Entgelten und den Entschädigungsleistungen der eingetretenen Versicherungsfälle zu berücksichtigen. Da in dem Gewerbezweig "Erd- und Straßenbau" Leistungen in Höhe von 134.641.103,20 EUR Entgelte in Höhe von 18.379.319.081,08 EUR gegenüber standen, errechnete sich hieraus die Belastungsziffer von (134.641.103,20: 18.379.319.081,08 x 1.000 =) 7,3257, also gerundet 7,3. Dass sich infolge der Erhöhung der Gefahrklasse von 5,0 auf 7,3 entgegen der von der Klägerin geäußerten Befürchtung nicht automatisch eine höhere Beitragslast ergibt, ist schon daraus ersichtlich, dass die Klägerin auf der Grundlage des 21. Gefahrtarifs der Tiefbau-BG für das Umlagejahr 2005 bei Arbeitsentgelten in Höhe von insgesamt 1.173.382,10 EUR einen Umlagebeitrag in Höhe von insgesamt 42.709,54 EUR zu entrichten hatte, während für das Umlagejahr 2006 auf der Grundlage des 1. Gefahrtarifs der BG Bau trotz höherer Arbeitsentgelte (1.243.887,75 EUR) ein niedrigerer Beitrag (38.774,35 EUR) anfiel.
Dass sich im Übrigen ein Verstoß gegen höherrangiges Recht aus dem Einwand der Klägerin, der neue Gefahrtarif stelle einen Einheitstarif dar, der die regionalen Gegebenheiten vor der Fusion nicht berücksichtige, nicht herleiten lässt, folgt zum einen aus dem zutreffenden Hinweis der Beklagten, dass bereits ihre Rechtsvorgängerin, die Tiefbau-BG, bundesweit tätig gewesen ist und auch insoweit zu keinem Zeitpunkt eine regionale Aufteilung im Gefahrtarif bestanden hat. Zum anderen ist es ausdrücklicher gesetzgeberischer Wille, die Zahl der gewerblichen Berufsgenossenschaften zu reduzieren (vgl. insoweit die Begründung zum Gesetzentwurf des Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes, BR-Drucks 113/08 S. 57), was zwangsläufig die Schaffung größerer Risikogemeinschaften mit einer geringeren regionalen Differenzierung zur Folge hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 52 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Bei einem Veranlagungsstreit hält das BSG einen Streitwert in Höhe des Doppelten der streitigen Beitragsdifferenz, mindestens jedoch in Höhe des dreifachen Auffangstreitwertes, für angemessen (BSG, Beschluss vom 30.11.2006 – B 2 U 410/05 B). Hier ergibt sich der Streitwert aus der Summe des dreifachen Auffangstreitwertes von (3 x 5.000,00 EUR =) 15.000,00 EUR.
Erstellt am: 28.07.2016
Zuletzt verändert am: 28.07.2016