Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20. November 2001 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die Beklagte dem Kläger Übergangsgeld gewähren muss.
Der im … 1960 geborene Kläger wohnt in Remscheid, hat eine Ausbildung zum Fahrlehrer erfolgreich durchlaufen und war bis Mai 1996 in Deutschland rentenversichert. Anschließend arbeitete er bis zum Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit am 07. August 1998 als Sattelschlepperfahrer bei der Luxemburger Spedition L. GmbH in B. (Arbeitgeberin). In dieser Zeit entrichtete er Rentenversicherungsbeiträge an den zuständigen Versicherungsträger in Luxemburg. Aus der Verdienstbescheinigung der Arbeitgeberin zur Berechnung von Übergangsgeld vom 12. Januar 1999 geht hervor, dass der Kläger im Juli 1998 insgesamt 32,18 Überstunden geleistet und bei einer vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden einen Bruttolohn i.H.v. 4.459,00 DM und einen Nettoverdienst von 3.526,00 DM erzielt hat. Bis Juli 1999 bezog er Leistungen der Luxemburgischen staatlichen Arbeiterkrankenkasse.
Nachdem der Kläger im Juni 1999 an einer dreitägigen Maßnahme zur Beratung, Diagnostik und Erprobung (BDE) teilgenommen hatte, bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheiden vom 13. Juli 1999 einen zweimonatigen Reha-Vorbereitungslehrgang (vom 01. August bis 30. September 1999) sowie eine 21-monatige Umschulung zum Industriekaufmann (vom 04. Oktober 1999 bis 30. Juni 2001). Die Umschulung beendete er am 04. Juli 2001 mit Erfolg.
Zur Berechnung des Übergangsgeldes zog die Beklagte den Tarifvertrag für das Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen bei und stufte den Kläger in die Lohngruppe 3 ein. Anschließend gewährte sie ihm mit Bescheiden vom 26. August 1999 und 25. Oktober 1999 ab 02. August 1999 bzw. 01. Oktober 1999 Übergangsgeld in Höhe von 41,78 DM täglich und legte dabei jeweils einen tariflichen Stundenlohn von 16,78 DM bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden zugrunde.
Hiergegen erhob der Kläger am 01. September und 25. November 1999 jeweils Widerspruch und führte zur Begründung aus, dass bei der Berechnung des Übergangsgeldes allein der Verdienst berücksichtigt werden dürfe, den er im Juli 1998 erzielt habe. Denn dies sei der letzte Monat vor Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit, in dem sein Entgelt voll abgerechnet worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 1999 wies die Beklagte den Widerspruch "vom 28. August 1999 gegen den Bescheid vom 26. August 1999" zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass bei Beginn der Rehabilitationsleistungen im August 1999 der letzte Tag des Bemessungszeitraums länger als 3 Jahre zurückliege. Die Tätigkeit des Klägers in Luxemburg sei nicht zu berücksichtigen, weil die Gewährung von Übergangsgeld nur durch eine Pflichtversicherung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ausgelöst werde. Hier durch werde kein EG-Recht verletzt.
Dagegen hat der Kläger am 13. Januar 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, sein Übergangsgeld müsse aufgrund des zuletzt in Luxemburg tatsächlich erzielten Entgeltes berechnet werden. Die Entscheidung der Beklagten beeinträchtige sein Recht auf Freizügigkeit, das Art. 39 des EG-Vertrags gewährleiste. Außerdem müssten nach Art. 42 EG-Vertrag für die Berechnung von Leistungen alle Zeiten berücksichtigt werden, die er in einem anderen EU-Mitgliedsstaat zurückgelegt habe.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte wegen unentschuldigter Fehlzeiten ihre Übergangsgeldbescheide für den 29. März 2000 (Bescheid vom 18. Mai 2000), den 25. bis 26. Januar 2001 (Bescheid vom 22. Februar 2001), den 02. Mai 2001 (Bescheid vom 26. Juni 2001) sowie den 13. Juni 2001 (Bescheid vom 23. Juli 2001) aufgehoben und das Übergangsgeld zurückgefordert bzw. mit nachfolgenden Zahlungen "aufgerechnet". Durch Bescheid vom 28. September 2001 hat sie dem Kläger schließlich Anschlussübergangsgeld für die Zeit vom 05. Juli 2001 bis zum 30. September 2001 gewährt und dabei wiederum einen tariflichen Stundenlohn in Höhe von 16,78 DM bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden zugrunde gelegt. Dem hat der Kläger am 23. Oktober 2001 widersprochen.
Mit Urteil vom 20. November 2001 hat das SG den Bescheid vom 25. Oktober 1999 in die Entscheidung einbezogen und die Beklagte verurteilt, das Übergangsgeld neu zu berechnen und dabei das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das der Kläger in Luxemburg tatsächlich erzielt hat: Die deutschen Vorschriften über die Höhe des Übergangsgeldes seien unter Beachtung der Art. 48 und 51 des EG-Vertrages europarechtskonform auszulegen, um zu verhindern, dass elementare Bestandteile des EG-Rechts, der Gedanke der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und das sich daraus ergebende Benachteiligungsverbot verletzt werden. Hätte der Kläger als Berufskraftfahrer in der Bundesrepublik und nicht in Luxemburg gearbeitet, so wäre bei der Berechnung des Übergangsgeldes das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das er im letzten Kalenderjahr vor Leistungsbeginn erzielt habe. Dasselbe müsse für das in Luxemburg erzielte Arbeitsentgelt gelten, weil der Kläger sonst aufgrund seiner Beschäftigung im EG-Ausland Leistungseinbußen erleiden würde. Diese Benachteiligung sei angesichts der gesetzlichen Regelungen und angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundessozialgerichts nicht hinnehmbar.
Nach Zustellung am 02. Januar 2002 hat die Beklagte gegen diese Entscheidung am 15. Januar 2002 Berufung eingelegt: Die Übergangsgeldberechnung setze voraus, dass unmittelbar vor Beginn der Rehabilitationsleistungen oder der Arbeitsunfähigkeit Arbeitsentgelt oder -einkommen erzielt und hiervon Beiträge zur bundesdeutschen Rentenversicherung gezahlt worden seien. Das Recht des Klägers auf Freizügigkeit bleibe hiervon unberührt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20. November 2001 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten (Versicherungsnummer: …) verwiesen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Denn der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), weil sie rechtswidrig sind, soweit sie bei der Berechnung seines Übergangsgeldes das Arbeitsentgelt unberücksichtigt lassen, das er in Luxemburg erzielt hat.
Der Übergangsgeldbescheid vom 25. Oktober 1999 ist gem. § 86 SGG in das Widerspruchverfahren einbezogen worden. Die Aufhebungsbescheide vom 18. Mai 2000, 22. Februar 2001, 26. Juni 2001 sowie 23. Juli 2001 und der Anschlussübergangsgeldbescheid vom 28. September 2001 sind nach § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Nach dieser Vorschrift wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er den alten, ursprünglich angefochtenen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt. Diese Regelung ist weit auszulegen; maßgeblicher Gesichtspunkt ist der der Prozessökonomie (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 96 Rn. 4). Rechtfertigt dieser Grundgedanke die Einbeziehung und steht der neue Verwaltungsakt mit dem bisherigen Streitstoff in Zusammenhang, so ist 96 SGG nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zumindest entsprechend anwendbar (Urteil vom 24. November 1978, Az.: 11 RA 9/78, BSGE 47, 168, 170; Meyer-Ladewig, a.a.O.). Da beide Übergangsgeldbescheide und letztlich auch der Anschlussübergangsgeldbescheid vom 28. September 2001 vom Streitstoff her identisch sind, ist es prozessökonomisch, über diese Bescheide in einem Verfahren zu entscheiden. Die Aufhebungsbescheide wegen unentschuldigter Fehlzeiten sind ebenfalls Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil sie den (ursprünglichen) Übergangsgeldbescheid teilweise änderten.
Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 22 Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) in seiner bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung (a.F.). Nach dieser Norm wird die Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld bei berufsfördernden Leistungen wie bei medizinischen Leistungen ermittelt, wenn das Ende des Bemessungszeitraums bei Beginn der Leistungen nicht länger als drei Jahre zurückliegt.
Die Vorschrift ist zwar durch Art. 6 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) vom 19. Juni 2001 (BGBl. I, S. 1046) mit Wirkung vom 01. Juli 2001 aufgehoben worden. Sie ist nach der Übergangsregelung des Art. 67 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 301 Abs. 1 Satz 1 SGB VI aber weiterhin für Leistungen zur Teilhabe anzuwenden, die nach altem Recht durchgeführt wurden.
Bemessungszeitraum war der Monat Juli 1998. Denn Bemessungszeitraum ist nach der Legaldefinition des § 47 Abs. 2 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) der letzte abgerechnete Entgeltabrechnungszeitraum von mindestens vierwöchiger Dauer vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Dabei ist unter einem "abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum" derjenige Zeitraum zu verstehen, für den der Betrieb üblicherweise Lohn abrechnet (Vay in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand: April 2002, § 47 Rn. 16). Umfasst der letzte Abrechnungszeitraum – wie hier der Monat August 1998 – nicht mindestens 4 Wochen, so ist der nächste zurückliegende heranzuziehen, der die Voraussetzungen erfüllt (Höfler in: Kasseler Kommentar, § 47 SGB V Rn. 19). Letzter, mindestens 4-wöchiger Entgeltabrechnungszeitraum war der Monat Juli 1998.
Der Drei-Jahres-Zeitraum ist an den Beginn der berufsfördernden Leistungen geknüpft und von diesem Zeitpunkt an zurückzurechnen. Die Berechnung der Frist erfolgt nach § 26 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB. Hiernach wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgezählt, an dem die berufsfördernde Maßnahme beginnt.
Der Reha-Vorbereitungslehrgang, eine berufsfördernde Leistung i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB VI a.F., begann am 01. August 1999. Der Drei-Jahres-Zeitraum erstreckt sich damit vom 01. August 1996 bis zum 31. Juli 1999. Das Ende des Bemessungszeitraums (31. Juli 1998) liegt innerhalb dieses Zeitraums. Dasselbe gilt für die Umschulungsmaßnahme, die am 04. Oktober 1999 begann.
Folglich wird für die Berechnungsgrundlage wie bei medizinischen Leistungen ermittelt. Bei ihnen wird die Berechnungsgrundlage gem. § 21 Abs. 1 Satz 1, 1. HS, 1. Fall SGB VI a.F. für Pflichtversicherte, die Arbeitsentgelt erzielt haben, wie das Krankengeld für Arbeitnehmer ermittelt wird (§ 47 Abs. 1 und 2 SGB V), und zwar mit der Maßgabe, dass der Berechnung 80 vom Hundert des Regelentgeltes, höchstens jedoch das bei entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 1 und 2 SGB V berechnete Nettoarbeitsentgelt zugrunde zu legen ist.
Der Kläger ist einem "Pflichtversicherten, der Arbeitsentgelt erzielt hat", bei europarechtskonformer Auslegung gleichzustellen. Die Lohnzahlungen, die er in Luxemburg erhalten hat, waren Einnahmen aus einer abhängigen Beschäftigung und damit Arbeitsentgelt (§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Allerdings war er während seiner Tätigkeit in Luxemburg nach luxemburgischem und nicht nach deutschem Recht (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) gegen das Risiko der Invalidität (pflicht)versichert.
Denn nach § 3 Nr. 1 SGB IV gelten die deutschen Vorschriften über die Versicherungspflicht nur für Personen, die im Geltungsbereich des SGB beschäftigt sind (sog. Territorialprinzip). Da der Kläger weder von einem deutschen Arbeitgeber nach Luxemburg (sog. Ausstrahlung, § 4 SGB IV) oder umgekehrt von einem luxemburgischen Arbeitgeber nach Deutschland (sog. Einstrahlung, § 5 SGB IV) entsandt worden ist, sind vom Territorialitätsprinzip auch keine Ausnahmen zu machen. Schließlich führt auch über- und zwischenstaatliches Recht (§ 6 SGB IV) nicht zur Versicherungspflicht in der Bundesrepublik Deutschland. Dies gilt auch, wenn man die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien angehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) und der Durchführungsverordnung (EWG) Nr. 574/72 (EWGV 574/72) einbezieht. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 EWGV 1408/71 stellt den Grundsatz auf, dass Personen, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen, nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterworfen werden. Vorrangig sind dabei die Rechtsvorschriften desjenigen Staates anwendbar, auf dessen Gebiet der Schwerpunkt des Sozialversicherungsverhältnisses liegt, d.h. des Beschäftigungsstaates (vgl. Art. 13 Abs. 2 EWGV 1408/71).
Die EWGV 1408/71 enthält keine besondere Regelung, wie Entgelte, die aufgrund ausländischer Rechtsvorschriften gezahlt werden, bei der Berechnung des Übergangsgeldes als ergänzende Leistung zur Rehabilitation zu berücksichtigen sind. Diese Lücke ist im Hinblick auf Art. 42 (früher: Art. 51) des EG-Vertrages zu schließen. Denn Art. 42 lit. a) verpflichtet den Rat, die notwendigen Maßnahmen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu beschließen, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer herzustellen. Zu diesem Zweck hat er insbesondere ein System einzuführen, welches aus- und einwandernden Arbeitnehmern u.A. "die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für die Berechnung der Leistungen" sichert.
Die Zahlung von Übergangsgeld für die Durchführung einer berufsfördernden Rehabilitationsleistung erfolgt zugunsten von Arbeitnehmern auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit. Denn die berufsfördernde Rehabilitation gehört zu den Leistungen bei Invalidität, "die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind" (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. b) EWGV 1408/71). Da der Kläger in Deutschland und Luxemburg gearbeitet hat, gehört er zum Personenkreis der Wanderarbeitnehmer. Zu seinen Gunsten müssen die in Deutschland und Luxemburg zurückgelegten "Zeiten" bei der Berechnung der Leistungen zusammengerechnet werden. Über die Berücksichtigung von Entgelten zur Berechnung des Übergangsgeldes enthält Art. 42 EG-Vertrag freilich keine ausdrückliche Regelung.
Bei der Auslegung von Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts sind insbesondere die Ziele des EG-Vertrages zu berücksichtigen (Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. 1997, Rn. 547). Der EuGH betont dabei, dass Grundlage, Rahmen und Grenzen der Verordnungen über die soziale Sicherheit in den Art. 39 bis 42 EG-Vertrag zu suchen seien (so Pompe, Leistungen der sozialen Sicherheit bei Alter und Invalidität für Wanderarbeitnehmer nach Europäischem Gemeinschaftsrecht, 1986, Seite 261). Die Entscheidung im Einzelfall hat sich an den Grundsätzen der Freizügigkeit, der Gleichbehandlung, des Diskriminierungsverbotes, der Integrationsfreundlichkeit und der Besserstellung von Wanderarbeitnehmern zu orientieren (vgl. zu diesen Grundsätzen: Pompe, a.a.O.).
Auch wenn Art. 42 EG-Vertrag nur von der Zusammenrechnung von Zeiten spricht, gebieten es die Ziele der Art. 39 (früher: Art. 48) und 42 EG-Vertrag, bei der Berechnung des Übergangsgeldes Entgelte, die nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten gewährt werden, den nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften gewährten Entgelten gleichzustellen. Art 39 und 42 EG-Vertrag und die EWGV 1408/71 sind nämlich darauf gerichtet, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft zu sichern. Die Wanderarbeitnehmer sollen davor bewahrt werden, durch die Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit gegenüber sesshaften Arbeitnehmern benachteiligt zu werden. Zu einer solchen Diskriminierung eines Wanderarbeitnehmers käme es jedoch, wenn das Übergangsgeld des Klägers nach den (niedrigeren innerstaatlichen) Tarifbestimmungen berechnet und die Berücksichtigung seines Verdienstes in Luxemburg mit der Begründung verweigert würde, er hätte dieses Entgelt nicht nach innerstaatlichen Vorschriften erhalten (BSG, Urteil vom 21. Juni 1995, Az.: 5 RJ 38/94, SozR 3-2200 § 1241 Nr. 3).
Nach der Rechtsprechung des EuGH lässt Art. 42 EG-Vertrag zwar Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen. Der Zweck der Art. 39 und 42 EG-Vertrag würde jedoch verfehlt, wenn die Wanderarbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlören, auf die sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates Anspruch hätten. Demnach ist sicherzustellen, dass Wanderarbeitnehmern weder ein Verlust von Ansprüchen auf Leistungen der sozialen Sicherheit noch eine Verminderung der Höhe dieser Leistungen entsteht (EuGH, Urteil vom 9. August 1994, Rechtssache C – 406/93, Slg. 1994 I S. 4061 = SozR 3-6050 Art 46 Nr. 8). Der EuGH hatte über die Anwendung einer Vorschrift zu entscheiden, nach der die Höhe der Leistungen bei Invalidität von dem zuletzt vor Eintritt der Invalidität nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften bezogenen Arbeitsentgelt abhing. Der EuGH entschied, dass auch das in einem anderen EG-Staat vor Eintritt der Invalidität bezogene Arbeitsentgelt wie das innerstaatlich bezogene Arbeitsentgelt zu berücksichtigen sei.
Auch im vorliegenden Fall ist eine Rechtsvorschrift anzuwenden, die auf ein nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften bezogenes Entgelt für die Berechnung der Höhe einer anderen Geldleistung abstellt. Der Kläger würde einen Verlust von Ansprüchen erleiden, weil er als Wanderarbeitnehmer von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und deshalb keinen Lohn nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften erhalten hat, sondern nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates. Der Begriff des Pflichtversicherten i.S.v. § 22 Abs. 1 SGB VI a.F. ist deshalb im Lichte der Art 39 und 42 EG-Vertrag auszulegen und – um die Diskriminierung des Klägers als Grenzgänger zu vermeiden – dahin zu verstehen, dass eine Lohnzahlung nach luxemburgischen Vorschriften bei der Berechnung des Übergangsgeldes nach deutschen Vorschriften zu berücksichtigen ist.
Angesichts der dargestellten Rechtsprechung des EuGH, die eine Auslegung nationaler Rechtsvorschriften unter Beachtung der Ziele der Art. 39 und 42 EG-Vertrag verlangt, bestehen für den Senat keine ernsthaften Zweifel, dass im vorliegenden Fall § 22 Abs. 1 SGB VI a.F. in dem oben dargestellten Sinn auszulegen ist. Er hat deshalb von einer Vorlage an den EuGH gem. Art. 177 EG-Vertrag abgesehen.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) der Rechtssache zugelassen. Trotz der zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Urteil vom 21. Juni 1995, Az.: 5 RJ 38/94) und des EuGH (Urteil vom 9. August 1994, Rechtssache C – 406/93) sieht die Beklagte offenbar vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl von Wanderarbeitnehmern grundsätzlichen Klärungsbedarf durch das Bundessozialgericht. Diesem Anliegen wollte sich der Senat nicht verschließen.
Erstellt am: 14.10.2003
Zuletzt verändert am: 14.10.2003