Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22. Februar 1997 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Arbeitslosenhilfe (Alhi) zusteht.
Die Klägerin war bis Ende 1989 als Sozialpädagogin beschäftigt und bezog bis März 1990 Mutterschaftsgeld. Die Beklagte bewilligte ihr ab 09.07.1990 Anschlußarbeitslosenhilfe. Zum 01.07.1992 meldete sich die Klägerin aus dem Leistungsbezug ab. Sie arbeitete sodann als selbständige Therapeutin. Im ersten Halbjahr erhielt sie von der Beklagten Überbrückungsgeld. Vom 22.06.1994 bis zum 19.10.1995 bezog sie nichtbeitragspflichtiges Krankengeld von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) in Höhe von kalendertäglich 66,66 DM.
Am 16.10.1995 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Alhi. Sie machte geltend, sie sei wegen einer Hüfterkrankung gezwungen, ihre selbständige Tätigkeit aufzugeben.
Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 09.11.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.03.1996 mit der Begründung ab, die Klägerin habe die Anwartschaftszeit nicht er füllt. Sie sei vor der Arbeitslosmeldung weder beitragspflichtig beschäftigt gewesen, noch habe sie Zeiten zurückgelegt, die der Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen könnten. Insbesondere seien nicht die Voraussetzungen des Ersatztatbestandes des § 134 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gegeben. Das von ihr bezogene Krankengeld habe – wie es diese Vorschrift erfordere – keine Lohnersatzfunktion. Es handele sich bei dieser Leistung nicht um Krankengeld aus der gesetzlichen Sozialversicherung im Sinne des § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V), sondern um eine auf freiwilliger Mitgliedschaft als Selbständige beruhende Leistung.
Hiergegen richtet sich die am 24.04.1996 erhobene Klage. Die Klägerin hat zu deren Begründung vorgetragen: Die Beklagte lege die Vorschrift des § 134 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AFG unzutreffend aus. Auf die Beitragspflicht (§ 186 AFG) des bezogenen Krankengeldes könne schon deshalb nicht abgestellt werden, weil beitragspflichtiges Krankengeld bereits bei der Anwartschaftszeiterfüllung nach § 134 Abs. 1 Nr. 4b AFG iVm § 107 Abs. 1 Nr. 5a AFG zu berücksichtigen sei. Neben dem Wortlaut des § 134 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AFG spreche deshalb auch die Gesetzessystematik für eine anspruchsbegründende Berücksichtigung des gezahlten Krankengeldes. Es sei auch nicht richtig, daß Alhi grundsätzlich nur solchen Personengruppen zustehe, die zuvor beschäftigt gewesen seien. Das erhaltene Krankengeld habe unzweifelhaft der Bestreitung des Lebensunterhaltes gedient. Darüber hinaus sei bedeutsam, daß sie durch Mitarbeiter der Beklagten in eine illusorische Selbständigkeit gedrängt worden sei, obwohl ihr Gesundheitszustand eine der artige Tätigkeit von Anfang an nicht zugelassen hätte. Sie habe die selbständige Tätigkeit deshalb aus gesundheitlichen Gründen wieder aufgeben müssen. Wäre sie in dieser Hinsicht richtig beraten worden, so hätte sie weiterhin im Leistungsbezug bei der Beklagten gestanden. Darauf sei die Beklagte bisher mit keinem Wort eingegangen.
Die Klägerin, die ab 12.12.1996 eine kurzzeitige Tätigkeit als Therapeutin (bis zu 15 Stunden wöchentlich) aufgenommen hat, hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 09.11.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.1996 zu verurteilen, ihr auf ihren Antrag vom 02.11.1995 Arbeitslosenhilfe nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die angefochtenen Bescheide für Rechtens gehalten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 27.02.1997 der Klage stattgegeben. Es hat sich zur Begründung der Auffassung der Klägerin angeschlossen, daß in § 134 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AFG nur ein nicht beitragspflichtiger Krankengeldbezug gemeint sein könne. Da die Klägerin die übrigen Voraussetzungen erfülle, stehe ihr Alhi antragsgemäß zu.
Gegen das am 22.04.1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 16.05.1997 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie verbleibt bei ihrer Auffassung, die Vorschrift des § 134 Abs. 3 AFG setze typischerweise den Bezug von Barleistungen mit Lohnersatzfunktion voraus, die an ein Beschäftigungsverhältnis anknüpften. Das sei hier nicht der Fall, weil die Klägerin zuvor selbständig tätig gewesen sei und kein Arbeitsentgelt bezogen habe. Folge man der Auffassung der Klägerin, so führe dies zu dem vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Ergebnis, daß im Endeffekt jede selbständige Tätigkeit einen Anspruch auf Alhi auslösen könne, sofern nur das Krankengeld von einer gesetzlichen Krankenkasse gezahlt werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.02.1997 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus: Wie der Alhi-Anspruch nach dem Bezug von Erziehungsgeld zeige, sei es durchaus nicht systemwidrig, die Voraussetzungen für diesen Anspruch nicht in jedem Fall mittelbar oder unmittelbar an eine Beschäftigung zu knüpfen. An der Wortinterpretation des § 134 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AFG sei deshalb festzuhalten, insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber eine unklare Regelung getroffen haben sollte. Jedenfalls sei sie im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als habe sie Krankengeld wie eine Beschäftigte erhalten oder Arbeitslosenhilfe weiter bezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze verwiesen.
Die Verwaltungsakte der Beklagten (Stamm-Nr.: X) ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das angefochtene Urteil ist zu ändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Alhi für die hier streitige Zeit ab 02.11.1995.
Sie hat zwar die Anspruchsvoraussetzungen nach § 134 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1-3 AFG erfüllt, da sie arbeitslos gewesen ist, sich am 16.10.1995 beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet, Alhi beantragt, sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt, keinen Anspruch auf Alg gehabt hat und jedenfalls bis zur Aufnahme der Nebentätigkeit im Dezember 1996 – mangels anrechnungsfähigen Einkommens auch ihres Ehemannes – bedürftig gewesen ist. Sie war aber innerhalb der Vorfrist von einem Jahr (§ 134 Abs. 1 Nr. 4 AFG) weder 150 Tage beitragspflichtig beschäftigt (Nr. 4b) noch hat sie gleichgestellte Zeiten (Abs. 2) zurückgelegt oder einen der Ersatztatbestände des Abs. 3 erfüllt.
Die Voraussetzungen der insoweit allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 134 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AFG sind nicht gegeben. Die Klägerin hat innerhalb der Vorfrist von einem Jahr nicht mindestens 240 Kalendertage wegen Krankheit Leistungen der Sozialversicherung zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes bezogen. Das von ihr aufgrund einer freiwilligen Versicherung von der DAK – mehr als 240 Tage – bezogene Krankengeld, das der Bestreitung des Lebensunterhaltes gedient hat und wegen Wegfalls der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit entfallen ist, ist keine Leistung der Sozialversicherung im Sinne dieser Vorschrift. Zwar spricht der Wortlaut der Vorschrift ("Leistungen der Sozialversicherung") für die Rechtsauffassung der Klägerin und des Sozialgerichts. Denn eine Leistung der Sozialversicherung ist auch das aufgrund einer freiwilligen Versicherung (§ 9 SGB V) von einer Ersatzkasse (§ 168 SGB V) gezahlte Krankengeld (§ 44 SGB V). Die gesetzliche – im SGB V – geregelte Krankenversicherung ist ein Zweig der Sozialversicherung (vgl. § 4 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil; vgl. auch BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 3).
Durch die systematische Auslegung des § 134 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AFG, insbesondere sein Verhältnis zu § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4b iVm § 107 Satz 1 Nr. 5a AFG, wird die ausschließlich am Wortlaut orientierte Interpretation entgegen der Auffassung der Klägerin und des Sozialgerichts indessen nicht zwingend bestätigt. Die Schlußfolgerung, die Vorschrift des § 134 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AFG habe sonst keine Bedeutung, trifft nämlich nicht zu. Diese Bestimmung regelt keine Tatbestände, die an die Stelle einer anwartschaftsbegründenden Zeit im Sinne des § 134 Abs. 1 Nr. 4b AFG treten und dessen Tatbestand erfüllen können, sondern eigen ständige Ersatztatbestände, welche die in § 107 Satz 1 Nrn. 5a und 5d iVm § 186 AFG enthaltene Beitragspflicht ergänzen. Sie behält nämlich im Hinblick auf die einschränkende Regelung in § 186 Abs. 1 AFG, daß die Bezieher von Ersatzleistungen unmittelbar vor dessen Bezugsbeginn entweder versicherungspflichtig beschäftigt gewesen seien oder einer Lohnersatzleistung nach dem AFG bezogen haben müssen, ihre eigene Bedeutung, weil es an diesen Tatbestandsvoraussetzungen in manchen Fällen fehlt (so BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 9).
Sinn und Zweck des § 134 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AFG erfordern jedoch eine vom bloßen Wortlaut abweichende Auslegung der Vorschrift. Der entscheidende Grund für die Regelung war es, das zeitweilig fehlende Leistungsvermögen für eine sonst ausgeübte beitragspflichtige Beschäftigung auszugleichen. Der Bezug der dort genannten Leistungen muß also die Annahme rechtfertigen, ohne die Einschränkung des Leistungsvermögens wäre eine Beschäftigung ausgeübt worden (BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 3; Gagel/Ebsen, AFG, Stand: Januar 1998, § 134 Rdnr. 179; Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Stand August 1995, § 134 Rdnr. 60). Das ist bei Lohn- oder Arbeitsentgeltersatzleistungen der Fall, nicht aber bei einer Einkommensersatzleistung, welche die Klägerin erhalten hat. Tragendes Motiv der Einfügung des § 134 Abs. 3 AFG durch das am 01.01.1982 in Kraft getretene Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22.12.1981 (BGBl. I 1497) war, daß Personen, die noch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben oder vor der Arbeitslosigkeit ihren Lebensunterhalt nicht oder nur für kurze Zeit als Arbeitnehmer bestritten hatten, künftig grundsätzlich keinen Anspruch auf Alhi erhalten sollten (BSG aaO unter Hinweis auf BT-Drucks. 9/846 S. 46 zu Nr. 46). Mit der auf Einsparungen ausgerichteten Zielsetzung des AFKG wäre es nicht zu vereinbaren anzunehmen, daß der Gesetzgeber eine Leistungserweiterung hätte vornehmen wollen (vgl. BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 34). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis des Klägers auf den Erwerb einer Anwartschaft aus dem Bezug von Erziehungsgeld. Die Vorschrift des § 107 Satz 1 Nr. 5c AFG enthält vielmehr einen "Beschäftigungsbezug". Zeiten des Erziehungsgeldbezuges stehen für sich gesehen nicht den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich (vgl. BSG SozR 3-4100 § 107 Nr. 10).
Im Hinblick darauf, daß die Klägerin bis zu ihrer Erkrankung und dem Bezug von Krankengeld Mitte 1994 knapp zwei Jahre selbständig tätig war, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, daß sie ohne den Bezug des Krankengeldes aus der freiwilligen Versicherung "die kleine Anwartschaft" innerhalb der Jahresfrist erworben hätte.
Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29.11.1996 – L 10 Ar 906/94 – (info also 1997, 151) steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Für diese Entscheidung war nämlich die tatsächliche Feststellung tragend, daß der dortige Kläger wegen vorheriger Aufgabe seiner selbständigen Tätigkeit ohne den Leistungsbezug eine Arbeitnehmertätigkeit ausgeübt hätte (s. S. 154). Dafür liegen hier keine Anhaltspunkte vor, zumal die Klägerin auch nach der Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht ausgeübt hat. Insoweit weichen die zu beurteilenden Sachverhalte voneinander ab.
Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch auch nicht mit Erfolg auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch unter Hinweis darauf stützen, die Beklagte habe sie entgegen ihrem Willen aufgrund einer fehlerhaften Beratung in die selbständige Tätigkeit gedrängt. Selbst wenn eine solche fehlerhafte Beratung anzunehmen und sie wesentliche Bedingung für die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit gewesen wäre, könnte die Klägerin nicht so gestellt werden, als hätte sie weiter Arbeitslosenhilfe oder beitragspflichtiges Krankengeld bezogen. Denn die tatsächlich ausgeübte selbständige Tätigkeit kann ebenso wenig nachträglich im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs beseitigt werden wie der Bezug bestimmter Sozialleistungen unterstellt werden kann. Der behauptete Nachteil könnte nicht durch eine "zulässige Amtshandlung" der Beklagten beseitigt werden. Vielmehr würde die Verwaltung gesetzwidrig handeln, wenn sie die Klägerin so stellen würde, als wäre diese nicht selbständig tätig gewesen und hätte weiter Anschluß-Alhi oder "beitragspflichtiges" Krankengeld bezogen. Jedenfalls können tatsächliche Geschehensabläufe, hier Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Tätigkeit, die der Klägerin in Form der Überbrückungsbeihilfe auch Vorteile gebracht hat, nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs rückgängig gemacht werden (vgl. zB BSG vom 05.12.1989 – 11 RAr 61/88 – sowie BSG SozR 3-4100 § 249e Nr. 4).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Erstellt am: 02.09.2003
Zuletzt verändert am: 02.09.2003