Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.06.2012 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin hinsichtlich der Stromkostennachforderung Leistungen in Höhe von 958,01 Euro als Darlehn zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin dem Grunde nach.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).
Die Antragstellerin hat hinsichtlich der Stromkostennachforderung einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung eines Darlehns bezüglich der Stromkostennachforderung der X AG vom 10.07.2012 in Höhe von 958,01 Euro ergibt sich aus § 22 Abs. 8 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Danach können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehn erbracht werden. Mit der in § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II genannten Notlage sind solche Konstellationen angesprochen, die mit der Gefährdung der Sicherung der Unterkunft vergleichbar sind. Insbesondere in Form von Energiekostenrückständen kommt eine Behebung einer drohenden Wohnungslosigkeit vergleichbaren Notlage in Betracht. Weiterhin können auch Kosten, die in der Regelleistung enthalten sind, insbesondere Stromschulden, eine vergleichbare Notlage auslösen. Dies gilt vor allem dann, wenn eine Entscheidung dazu führen würde, dass die Wohnung unbewohnbar würde (vgl. Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage 2008, § 22, Rdn. 105/106).
Diese Voraussetzungen liegen unter Beachtung der existentiellen Bedeutung des Wohnraums vor. Entsprechend des von der Antragstellerin überreichten Schreibens der X Vertrieb AG vom 10.07.2012 hat die Antragstellerin hinsichtlich der Stromkosten noch einen Betrag von 958,01 Euro zu begleichen. Infolge dieser Rückstände droht nunmehr eine Stromsperre. Die X Vertrieb AG hat in ihrem Schreiben vom 10.07.2012 der Antragstellerin letztmalig die Gelegenheit gegeben, die Forderung bis zum 16.07.2012 auszugleichen und angekündigt, bei fruchtlosem Fristablauf die Energieversorgung ohne erneute Benachrichtigung einzustellen. Auf telefonische Nachfrage durch den Senat am 18.07.2012 hat die X Vertrieb AG mitgeteilt, dass ein Aufschub für die Einrichtung der Stromsperre längstens für eine Woche möglich sein, später ließ sie mitteilen, dass nach Rücksprache mit dem Außendienst ein Aufschub nicht möglich sei. Entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners in dem Bescheid vom 12.03.2012 kann die Antragstellerin auch nicht ohne weitere Hilfestellung durch den Antragsgegner auf eine Selbsthilfemöglichkeit verwiesen werden. Es bedarf unter Berücksichtigung der Dauer und der nicht einzuschätzenden Erfolgsaussicht eines zivilrechtlichen Rechtsstreites der Prüfung, ob die Antragstellerin zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat und inwieweit der Antragsgegner zu einer Beratung und Hilfestellung verpflichtet war (LSG NRW, Beschluss vom 02.04.2008 – L 7 B 251/07 AS ER; Hammel, info also 6/2011, 251 ff.; Berlit, a.a.O., Rn.194). Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II muss ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Leistungsberechtigte hinsichtlich rückständiger Energiekosten stets auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz verwiesen werden darf. Denn nach der Rechtsauffassung mehrerer Zivilgerichte ist der Energieversorgungsträger zu einer Wiederaufnahme der unterbrochenen Energieversorgung erst dann verpflichtet, wenn zuvor die gesamten rückständigen Energiekosten getilgt worden sind (vgl. zur zivilrechtlichen Rechtslage Gotzen, ZfF 2007, S. 248, 249 f.). Zudem entbindet eine Mitwirkungsobliegenheit des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den Grundsicherungsträger nicht von seiner in § 17 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) begründeten Förderungspflicht. Der Verweis auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz bei Unverhältnismäßigkeit drohender Stromsperren (§ 19 Abs. 2 S. 2 StromGVV) erfordert regelmäßig konsequente Beratung und Unterstützung durch den Leistungsträger (Berlit, a.a.O.). Denn der Grundsicherungsträger muss dafür Sorge tragen, dass dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nur ein solches Maß an Mitwirkung abverlangt wird, das objektiv und subjektiv zumutbar ist. Dem entspricht es nicht, einen Leistungsberechtigten, dem es regelmäßig an Erfahrung auf dem Gebiet des zivilgerichtlichen Eilrechtsschutzes fehlt, pauschal und ohne das Angebot von (ggf. auch rechtsanwaltlicher) Beratung und Hilfestellung auf diese besondere Form des gerichtlichen Rechtsschutzes zu verweisen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Antragstellerin nach Auskunft des Mitarbeiters der X Vertrieb AG Herr I am 18.07.2012 einen Antrag auf Ratenzahlung gestellt hat, der mit Schreiben vom 16.07.2012 abgelehnt worden sei.
Auch der erforderliche Anordnungsgrund liegt vor. Sowohl nach schriftlicher als auch nach telefonischer Mitteilung der X Vertrieb AG steht die Einrichtung der Stromsperre unmittelbar bevor. Der beabsichtigte Umzug der Antragstellerin verschiebt sich nach ihrer Mitteilung auf den 01.08.2013.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 26.07.2012
Zuletzt verändert am: 26.07.2012