I. Der Bescheid vom 6. Mai 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2005 wird wie folgt aufgehoben und abgeändert: Die Belastungsgrenze für Zuzahlungen ist unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 5.808,00 EUR neu festzusetzen. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21,60 EUR zu zahlen.
II. Die Beklagte erstattet die notwendigen außer- gerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der am 1945 geborene Kläger wendet sich gegen die Ermittlung der Belastungsgrenze nach § 62 Abs. 1 und 2 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Streitig ist zwischen den Parteien, ob der Kinderfreibetrag gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 SGB V in Verbindung mit § 32 Abs. 6 Satz 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit 3.648,00 EUR oder 5.808,00 EUR anzusetzen ist.
Mit Bescheid vom 06.05.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2005 hat die Beklagte ausgeführt: Der Kläger habe für das Jahr 2004 die Befreiung von Zuzahlungen beantragt. Die Beklagte habe als Belastungsgrenze für den Kläger und seine im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen einen Betrag in Höhe von 292,16 EUR ermittelt. Mit diesem Betrag sei der Kläger nicht einverstanden. Den Widerspurch habe der Kläger damit begründet, dass der seitens der Beklagten angesetzte Freibetrag für Kinder falsch bestimmt worden und dadurch die Belastungsgrenze zu hoch ausgefallen sei. – Der Kläger lebe zusammen mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in einem Haushalt. Die individuelle Belastungsgrenze für seine Familie habe die Beklagte mit 292,16 EUR errechnet. Der Berechnung seien Einnahmen zum Lebensunterhalt in Höhe von 37.211,44 EUR zugrunde gelegt worden: Von den jährlichen Einnahmen zum Lebensunterhalt sei ein Betrag in Höhe von 15 v.H. der jährlichen Bezugsgröße (4.347,00 EUR) für den ersten im Haushalt lebenden Angehörigen (Ehefrau) abgezogen worden. Zusätzlich werde für jedes Kind ein Freibetrag berücksichtigt. Zur Berechnung des Freibetrages bei der Ermittlung der Belastungsgrenze verweise § 62 Abs. 2 Satz 3 SGB V auf den sich nach § 32 Abs. 6 Satz 1 und 2 EStG ergebenden Betrag. Aus der Gesetzesbegründung sei ersichtlich, dass ausschließlich der Kinderfreibetrag (2004 = 3.648,00 EUR) heranzuziehen sei. – Somit würden sich zu berücksichtigende Einnahmen zum Lebensunterhalt von 29.216,44 EUR ergeben. Eine schwerwiegende, chronische Erkrankung liege vor, so dass die Belastungsgrenze in Höhe von 1 % maßgebend sei. Sie betrage somit 292,16 EUR.
Die hiergegen gerichtete Klageschrift vom 09.11.2005 ging am selben Tag im Sozialgericht Augsburg ein. Zur Begründung hob der Kläger hervor, dass gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 SGB V die Bruttoeinnahmen u.a. um den sich aus § 32 Abs. 6 Satz 1 und 2 EStG ergebenden Betrag zu vermindern seien. Dort sei zusätzlich zu dem zur Sicherung des Existenzminimums gedachten Freibetrag in Höhe von 1.824,00 EUR je Kind noch ein Freibetrag von 1.080,00 EUR für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf vorgesehen. Nach Satz 2 dieser Norm seien beide Freibeträge zu verdoppeln. Für jedes Kind ergäbe sich somit insgesamt ein Freibetrag von 5.808,00 EUR. Eine andere Auslegung der Regelungen scheide angesichts des klaren Gesetzeswortlautes aus. Ob der Gesetzgeber bei der Verabschiedung möglicherweise einen anderen Freibetrag habe festsetzen wollen, spiele demgegenüber keine Rolle. Entscheidend sei, was tatsächlich Gesetz geworden sei und nicht das, was der Gesetzgeber habe sagen wollen. – Die Beklagte habe damit bei der Ermittlung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen vom Bruttoeinkommen des Klägers 2.160,00 EUR zu wenig abgezogen. 1 % dieses Betrages (= 21,60 EUR) habe sie damit noch an den Kläger zu zahlen.
Von Seiten des Gerichts wurden die Akten der Beklagten beigezogen. Im Folgenden wurden die Beteiligten auf das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16.06.2005 – S 10 KR 350/04) aufmerksam gemacht, ebenso auf das diesbezügliche Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) L 4 KR 218/05.
Das Sozialgericht Augsburg kündigte mit Nachricht vom 10.01.2006 den Erlass eines Gerichtsbescheides im Sinne von § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nunmehr endgültig an.
Der Kläger hat bereits mit Klageschrift vom 09.11.2005 beantragt:
1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.05.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2005 zu verurteilen, die Belastungsgrenze für Zuzahlungen unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 5.808,00 EUR neu festzusetzen und
2. die Beklagte zu verurteilen, 21,60 EUR an den Kläger zu zahlen.
Die Beklagte hat bereits mit Aktenübersendung vom 08.12.2005 beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten und den der beigezogenen Unterlagen der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Augsburg form- und fristgerecht erhobene Klage ist gemäß §§ 51 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig.
Die Klage erweist sich auch als begründet. Die Beklagte ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in Verbindung mit § 32 Abs. 6 Satz 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verpflichtet, unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 5.808,00 EUR dem Kläger 21,60 EUR zu zahlen.
Der im Haushalt des Klägers lebende Sohn ist – zwischen den Parteien unstreitig – gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 SGB V mit einem Freibetrag zu berücksichtigen. – Nach dem Wortlaut in § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG ist der Freibetrag mit 5.808,00 EUR anzusetzen, auch wenn dies von dem Gesetzgeber nicht so gewollt war (vgl. BT-Drucksache 15/1525 zu Nr. 40: 3648,00 EUR).
Nicht die Motive des Gesetzgebers sind maßgeblich, sondern der ausdrückliche Wortlaut des Gesetzes. – In dem Parallelverfahren des Sozialgerichts Augsburg S 10 KR 350/04 hat die dortige Beklagte diesen Punkt anerkannt, so dass nicht sicher ist, ob sich das BayLSG nochmals zu der hier interessierenden Frage der Höhe des Kinderfreibetrages äußern wird.
Nach alledem ist der Klage stattzugeben gewesen. Das Gericht ist gemäß § 105 Abs. 1 SGG auch befugt gewesen, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf: Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig. – Die Beteiligten sind vorab mit Nachrichten des Gerichts vom 13.12.2005 und 10.01.2006 gehört worden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen gewesen.
Erstellt am: 27.03.2007
Zuletzt verändert am: 27.03.2007