I. Die Beklagte wird verpflichtet bei entsprechender kassenärztlicher Verordnung das Rezepturarzneimittel Dronabinol der Klägerin als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte erstattet 08/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die am 1974 geborene Klägerin ist gesetzlich krankenversichert. Sie begehrt die Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel "Dronabinol", einem Cannabis-Produkt.
Die Klägerin leidet seit 1995 unter chronischen Kopfschmerzen. Im Mai 1996 ist eine Arachnoidalzyste im rechten Kleinhirnbrückenwinkel kernspintomographisch festgestellt worden. Bei unzureichender Besserung unter konservativer Behandlung ist am 16.04.1998 in der Neurochirurgischen Abteilung der Universitätsklinik W. eine Zystenöffnung und Teilresektion erfolgt. – Nach kurzfristiger Besserung der Beschwerden sind ab dem Sommer 1998 wieder vermehrt Kopfschmerzen sowie Sensibilitätsstörungen in der linken Hand und begleitende Gangstörungen aufgetreten. Im Oktober 2001 ist ein erneuter neurochirurgischer Eingriff in der Universitätsklinik W. mit Entfernung eines Granuloms rechts occipital durchgeführt worden. Im Verlauf hat eine unverändert erhebliche Kopfschmerzsymptomatik mit anhaltendem dumpfem Dauerkopfschmerz sowie episodischen Schmerzspitzen fortbestanden. Auf einer Schmerzskala von null bis 10 ist ein überwiegendes Schmerzniveau von 8 angegeben worden. – In der Vergangenheit sind zahlreiche medikamentöse Behandlungsversuche mit NSAR, Metamizol, Opioiden (Tramal, Valoron N, Fortral und Temgesic), Katadolon, Trizyklika (Amitriptylin, Doxepin), SSRI und SNRI jeweils ohne suffiziente Schmerzlinderung durchgeführt worden. Zusätzlich sind eine Neuraltherapie, Akupunkturbehandlungen, Psychotherapie, Fußreflexmassage, progressive Muskelentspannung nach Jacobson und Krankengymnastik erfolgt. Auch stationäre Behandlungsmaßnahmen (stationäre schmerztherapeutische Intervention vom 01.07. bis 25.07.2002 in der Oberschwabenklinik des Kreiskrankenhauses W.) sind ohne wesentliche Besserung der Beschwerdesymptomatik durchgeführt worden.
Seit Februar 2003 wird die Klägerin in der Schmerzambulanz des Universitätsklinikums W. betreut. Nach einer Testphase wird bei der Klägerin seit dem 28.03.2003 eine Dronabinol-Dauertherapie durchgeführt. Es konnte eine nahezu völlige Beschwerdefreiheit erzielt werden. – In dieser Situation hat Herr Prof. Dr. med. G. S. mit Nachricht vom 25.05.2004 einen Antrag auf eine Kostenübernahme für das Rezepturarzneimittel Dronabinol gestellt. Die Kosten für eine Tagesdosis würden etwa 2 EUR betragen, die Kosten im Quartal etwa 180 EUR.
Von Seiten der Beklagten ist der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeschaltet worden. Dieser hat mit dem vorstehend auszugsweise zitierten sozialmedizinischen Gutachten vom 26.05.2004 (nach Aktenlage) zusammenfassend ausgeführt, dass erst die Behandlung mit Dronabinol seit März 2003 die Patientin in die Lage versetzt habe, ein weitgehend normales Alltagsleben zu führen und zu einer ausreichenden Stabilisierung zur angestrebten beruflichen Neuorientierung beitragen zu können. Inwieweit hierdurch leistungsrechtliche Möglichkeiten einer Kostenübernahme gesehen würden, obliege der Beurteilung der Krankenkasse.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 17.06.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2004 den Antrag abgelehnt: Zur Schmerztherapie stünden in Deutschland genügend zugelassene Arzneimittel inklusive der Opioide bzw. Opiate zur Verfügung. Durch die Verordnung einer Dronabinol-Rezeptur werde die Zulassungspflicht klar unterlaufen, da Rezepturen nicht der Zulassungspflicht unterliegen. Der Arzt könne zwar im Rahmen seiner Therapiefreiheit Arzneimittel auch außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete oder als Rezeptur verordnen, trage in diesen Fällen jedoch das volle Haftungsrisiko allein. Eine generelle Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei damit nicht verbunden. – Nach aktueller Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien Pharmakotherapien der Kontrolle durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu unterwerfen, bei denen das eingesetzte Medikament keiner arzneimittelrechtlichen Zulassung bedürfe, weil andernfalls die Qualitätsprüfung bei neuen Behandlungsmethoden lückenhaft bliebe und die gesetzliche Regelung teilweise leerliefe (Urteil des BSG vom 28.03.2000 – B 1 KR 11/98 R). Der Bundesausschuss habe zur Anwendung von Dronabinol-Rezepturen bisher kein positives Votum abgegeben. – Ein Arzneimittel sei aber auch dann von der Verordnungsfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, wenn eine Entscheidung über die Zulassung ausstehe, sei es, weil das Zulassungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei oder weil der Hersteller des Medikamentes die Zulassung nicht beantragt habe (Urteil des BSG vom 23.07.1998 – B 1 KR 19/96 R).
Die hiergegen gerichtete Klageschrift vom 21.12.2004 ging am selben Tag im Sozialgericht Augsburg ein.
Von Seiten des Gerichts wurden die Unterlagen der Beklagten und die Schwerbehinderten-Akten des Zentrums Bayern Familie und Soziales – Region Schwaben beigezogen. Dort sind die Folgen der operativ behandelten Arachnoidalzyste samt Kopfschmerzsymptomatik und diskreter Halbseitensymptomatik links mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 im Sinne von § 2 Abs. 1 und § 69 des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) bewertet worden.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hob mit Klagebegründung vom 17.03.2005 hervor, dass sich die Beklagte nicht hinter die "Off-Label-Use-Entscheidung" des BSG zurückziehen dürfe; vielmehr müsse auf den konkreten Einzelfall abgestellt werden. Letztendlich könne es von der Beklagten doch nicht ernst gemeint sein, der Klägerin vermeintlich alternative Schmerzmittel finanzieren zu wollen, die nachweislich keinen Erfolg gebracht hätten und zudem auch noch teurer seien als die Behandlung mit Dronabinol, die bereits nachweislich Erfolg mit sich gebracht habe.
Herr Dr. med. W. M. übermittelte mit Befundbericht vom 22.03.2005 die ihm vorliegenden Unterlagen des Universitätsklinikums W … Auch von dort wurde am 04.04.2005 ein aktueller Befundbericht erstellt. Die Neurologische Klinik E. berichtete über den Behandlungsverlauf seit dem 24.04.1996 und das Ergebnis der letzten Konsultation am 26.08.2003.
Der Bevollmächtigte der Klägerin betonte in Beantwortung der Anfrage des Sozialgerichts Augsburg vom 13.04.2005 mit ergänzender Klagebegründung vom 21.10.2005, dass entgegen den Ausführungen der Beklagten zur Schmerztherapie in Deutschland keine geeigneten anderweitigen Arzneimittel inklusive Opioiden und Opiaten zur Verfügung stünden. Die jetzigen Kopfschmerzen seien keinem der bekannten Kopfschmerzsyndrome zuordenbar; deswegen konnten auch mit den validierten Methoden der Schmerztherapie keine Erfolge erzielt werden (vgl. Schreiben des Universitätsklinikums W. vom 04.04.2005 an das Sozialgericht Augsburg).
In der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2006 wird mit den Beteiligten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 sowie die hierauf aufbauenden Entscheidungen des BSG vom 04.04.2006 (vgl. Termin-Bericht Nr. 19/06 des Bundessozialgerichts vom 05.04.2006) erörtert. – Die Klägerin schildert ihren Leidensweg: Nach jahrelanger gravierender Kopfschmerzsymptomatik habe erst durch den Einsatz von Dronabinol Anfang des Jahres 2003 eine nahezu vollständige Schmerzfreiheit erzielt werden können. Es ist ihr möglich gewesen, eine neue Partnerschaft einzugehen. Sie sei jetzt entsprechend ihren Wunschvorstellungen als Pflegedienstleitung tätig. Die Kosten der Dronabinol-Behandlung habe sie anfänglich selbst getragen, später mangels finanzieller Leistungsfähigkeit ihre Eltern und zuletzt das Universitätsklinikum W … Zusammenfassend: Sie benötige das Rezepturarzneimittel Dronabinol auf Dauer, da eine anderweitige Therapiemöglichkeit in ihrem Fall nicht bestehe.
Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt im Einvernehmen mit der Klägerin die Anträge aus der Klageschrift vom 21.12.2004: 1. Der Bescheid der Beklagten vom 17.06.2004 in Gestalt des Wi- derspruchsbescheides vom 22.11.2004 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten ihrer Dronabinol-Behandlung zu entspre- chen. 3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten und den der beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Augsburg form- und fristgerecht erhobene Klage ist gemäß §§ 51 ff. des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig.
Die Klage erweist sich auch insoweit als begründet, als die Beklagte (mit Wirkung für die Zukunft) verpflichtet ist, bei entsprechender kassenärztlicher Verordnung das Rezepturarzneimittel Dronabinol der Klägerin als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Im Einzelnen: Dronabinol ist der internationale Freiname für den wichtigsten psychotrop wirksamen Inhaltsstoff der Hanfpflanze (Cannabis sativa). Dronabinol ist in die Anlage III (zu § 1 Abs. 1) der Zehnten Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung (10. BtMÄndV) aufgenommen worden und darf seit Inkrafttreten der Verordnung am 01.02.1998 grundsätzlich auf einem Betäubungsmittelrezept mit einer Verordnungshöchstmenge von 500 mg Dronabinol innerhalb von 30 Tagen verschrieben werden. – Dronabinol wird in Deutschland nur als Rezeptursubstanz angeboten. Ein Dronabinol-Fertigarzneimittel steht auf dem deutschen Markt nicht zur Verfügung. In den USA und in Kanada hingegen ist das Dronabinol-Präparat Marinol für die Behandlung zugelassen. – Die therapeutische Verwendung von Marinol ist dabei auf zwei Indikationen beschränkt: Zur Appetitsteigerung bei Aids-Patienten mit Anorexie verbunden mit starken Gewichtsverlusten sowie Übelkeit und Erbrechen bei Krebspatienten unter Zytostatikatherapie, wenn dies mit anderen Medikamenten nicht zu beherrschen ist. – Diese Indikationen werden auch für die Rezepturzubereitung von Dronabinol beansprucht. Da in Deutschland kein Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Dronabinol zugelassen ist, existiert auch keine Nutzen-/Risikobewertung durch eine offizielle Stelle wie z.B. das BfArM. – Gemäß § 13 der Arzneimittel-Richtlinien darf der Vertragsarzt Arzneimittel mit nicht ausreichend gesichertem therapeutischem Nutzen nicht verordnen (KV Blickpunkt, Ausgabe 2/2004, S. 18 und 19).
Die ablehnende Entscheidung der Beklagten mit Bescheid vom 17.06.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2004 hat somit der allgemeinen Rechtsauffassung und der diese bestätigenden höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG entsprochen (BSG mit Urteilen vom 16.09.1997 – 1 RK 17/95, 23.07.1998 – B 1 KR 19/96 R und 28.03.2000 – B 1 KR 11/98 R).
Zwischenzeitlich hat sich in der Bundesrepublik Deutschland eine intensive Diskussion dahingehend entwickelt, ob eine Schmerzbekämpfung mit Cannabis-Produkten in Ausnahmefällen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbracht werden kann: Die Krankenkassen sollen Schwerkranken Cannabis-Präparate zur Schmerzbekämpfung bezahlen. Dafür hat sich der Petitionsausschuss des Bundestages einstimmig eingesetzt. Eine schwer krebskranke Frau hatte sich mit der Beschwerde an den Ausschuss gewandt, dass ihre Krankenkasse die Kosten für das Cannabis-Präparat Dronabinol nicht übernimmt. Weil viele Tumorkranke auf schmerzlindernde Cannabis-Produkte angewiesen seien, müssten die Kassen die Kosten dafür übernehmen, so der Ausschuss. Entscheiden müsse darüber der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (Finanztest 2/2006, S. 67).
Hiervon ausgehend ist im Falle der Klägerin für das erkennende Gericht entscheidungserheblich, dass es sich um eine absolute Ausnahmesituation handelt. Die Klägerin leidet an den Folgen einer operativ behandelten Arachnoidalzyste samt gravierender Kopfschmerzsymptomatik und diskreter Halbseitensymptomatik links (vgl. Unterlagen des Zentrums Bayern Familie und Soziales – Region Schwaben, dort: Herr Dr. med. D. H., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 04.02.2002).
Herr Prof. Dr. med. G. S., Leiter der Schmerzambulanz des Universitätsklinikums W., hat mit umfassendem Arztbrief vom 25.05.2004 ausgeführt, dass eine therapeutische Alternative nicht besteht. Ohne eine Dauer-Medikamentation mit dem Rezeptur-Arzneimittel Dronabinol ist ein sozialer und gesundheitlicher Absturz zu befürchten. Die Behandlung mit Dronabinol wird nach einer Testphase als Dauertherapie seit 28.03.2003 durchgeführt und hat bis zum heutigen Tag ein normales Alltagsleben und die berufliche Neuorientierung ermöglicht.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2006 bestätigt, dass sich hieran nichts geändert habe. – Ihr Bevollmächtigter verdeutlicht, dass ohne eine Dauerbehandlung mit dem Rezeptur-Arzneimittel Dronabinol die Klägerin kein "lebenswertes Leben" mehr führen könne. Jeder, der an einer gravierenden Kopfschmerzsymptomatik leide, wisse dies.
Hiervon ausgehend ist auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 aufmerksam zu machen. Dort hat das BVerfG unter Ziff. 3 ausgeführt: Für die Behandlung der Duchenne schen Muskeldystrophie steht gegenwärtig allein ein symptomatisches Therapiespektrum zur Verfügung. Eine unmittelbare Einwirkung auf die Krankheit und ihren Verlauf mit gesicherten wissenschaftlichen Methoden ist noch nicht möglich. In derartigen Fällen haben die im Streitfall vom Versicherten angerufenen Sozialgerichte zu prüfen, ob es für die vom Arzt nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene oder von ihm beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf im konkreten Einzelfall gibt.
In Fortführung der vorstehend bezeichneten Entscheidung des BVerfG und unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG mit Urteilen vom 04.04.2006 (vgl. Termin-Bericht des BSG Nr. 19/06 vom 05.04.2006) ist hier (erneut) darauf abzustellen, dass es sich im Fall der Klägerin um einen absoluten Ausnahmefall handelt: Wie bereits erwähnt leidet sie an einer gravierenden atypischen Kopfschmerzsymptomatik nach operativ behandelter Arachnoidalzyste. – Ausweislich der schlüssigen und überzeugenden Ausführungen von Herrn Prof. Dr. med. G. S. mit Arztbrief vom 25.05.2004 und ergänzendem Befundbericht vom 04.04.2005 (gefertigt von Herrn Dr. med. R. Sch.) sind Therapiealternativen nicht gegeben: Eine begleitende Therapie mit dem Antikonvulsivum Topiramat beseitigte die sehr störenden periorbitalen muskulären Zuckungen, hatte aber wenig Einfluss auf das Kopfschmerzniveau, was durch einen Auslassversuch des Dronabinol nachgewiesen werden konnte.
Da es sich um einen absoluten Ausnahmefall handelt, ist auch nicht zu erwarten, dass diesbezüglich von der pharmazeutischen Industrie Forschungsmaßnahmen mit dem Ziel in die Wege geleitet werden, eine Zulassung für ein Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Dronabinol zu erlangen, das dem Beschwerdebild der Klägerin Rechnung trägt.
Mit anderen Worten: Die Klägerin ist in ihrer Ausnahmesituation auf das Rezeptur-Arzneimittel Dronabinol angewiesen, damit sie ein "lebenswertes Leben" führen kann, wie dies ihr Bevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2006 nochmals betont hat.
Aus der Sicht des erkennenden Gerichts ist die Gesamt-Beschwerdesymptomatik der Klägerin nicht lebensbedrohlich, insbesondere sind keine Anhaltspunkte für eine Suizidgefahr gegeben. Dennoch führt das Aussetzen der Dronabinol-Therapie im Falle der Klägerin zu erheblichen Funktionsausfällen aufgrund der dann wieder einsetzenden gravierenden Kopfschmerzsymptomatik, die auch die Gefahr eines erneuten sozialen Abgleitens beinhaltet. – Das BVerfG hat mit Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 zusammenfassend ausgeführt: Es ist mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf besteht. – Im Falle der Klägerin und deren Ausnahmesituation ist die vorstehend auszugsweise zitierte Rechtsprechung des BVerfG dahingehend fortzuentwickeln, dass auch bei nicht lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheitsbildern gravierender Art mit erheblicher Einbuße der Lebensqualität ein nachweislich wirksames Rezeptur-Arzneimittel (hier: Dronabinol) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen ist, wenn andere Therapiemöglichkeiten nicht bestehen.
Nach alledem ist der Klage mit Wirkung für die Zukunft stattzugeben gewesen. – Soweit die Klage abgewiesen worden ist, betrifft dies die Vergangenheit: Die Klägerin hat die von ihr verauslagten Kosten für die Behandlung mit dem Rezeptur-Arzneimittel Dronabinol bislang nicht beziffert. Anstelle einer diesbezüglichen Feststellungsklage hätte aber bereits Leistungsklage gemäß § 202 SGG in Verbindung mit §§ 253 ff der Zivilprozessordnung (ZPO) erhoben werden können und müssen. Weiterhin kommt eine Kostenerstattung entsprechend § 13 Abs. 3 SGB V erst ab Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 17.06.2004 in Betracht. Insoweit sind die Kosten nach dem glaubhaften Bekunden der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 07.04.2006 jedoch von Dritten, vor allem dem Universitätsklinikum W. getragen worden. Zum dritten hat erst das BVerfG mit Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 den Weg für eine positive Entscheidung bereitet.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen bzw. Unterliegen der Beteiligten.
Erstellt am: 12.06.2008
Zuletzt verändert am: 12.06.2008