I. Der Bescheid vom 10. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2004 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, bei entsprechender ärztlicher Verordnung dem Kläger ein Kompressionstherapiegerät mit 12-Kammer-Manschetten für den Hausgebrauch zur Verfügung zu stellen.
III. Die Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der am 1952 geborene Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für ein "Lympha-Press Mini Timer 12-Kammer-Heimgerät" gemäß § 33 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).
Bei dem schwerbehinderten Kläger besteht u.a. ein postthrombotisches Syndrom des linken Unterschenkels mit Ulcus cruris. Der behandelnde Facharzt für Chirurgie Herr Dr. med. W. hat deswegen am 02.06.2003 ein 12-Kammer-Gerät zur maschinellen intermittierenden apparativen Kompression samt Zubehör verschrieben. Die Villa Sana GmbH & Co. medizinische Produkte KG hat diesbezüglich am 05.06.2003 ein Angebot über 2.637,67 EUR erstellt.
Die Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2004 ausgeführt, dass eine Kostenübernahme für das beantragte 12-Kammer-System nicht erfolgen könne. Alternativ sei die Versorgung mit einem 4-Kammer-Kompressionstherapiegerät medizinisch sinnvoll und ausreichend.
Die hiergegen gerichtete Klageschrift vom 27.02.2004 ging am 02.03.2004 im Sozialgericht Augsburg ein. Vonseiten des Gerichts wurden die Akten der Beklagten und die Schwerbehinderten-Akten des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg beigezogen.
Die Bevollmächtigten des Klägers legten mit Klagebegründung vom 11.03.2004 umfassende Unterlagen zu Hilfsmitteln der Kompressionstherapie vor und betonten sinngemäß zusammengefasst, dass das von der Beklagten zur Verfügung gestellte 3-Kammer-System untauglich sei. Insoweit hatte der Kläger bereits mit Nachricht vom 22.09.2003 darauf hingewiesen, dass bei dem gelieferten 3-Kammer-System nach jeder Behandlung anschließend "Würgemale" an seinem Bein zu sehen seien und ca. 90 Minuten anhalten würden. Das Blut werde nicht zum Herzen zurückmassiert, sondern lediglich abgedrückt. Die Behandlung mit der 12-Kammer-Kompressionsmethode würde einer Lymphdrainage gleichkommen womit "zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden könnten".
Im Folgenden holte das Sozialgericht Augsburg Befundberichte von Herrn Dr. med. H. und vor allem von Herrn Dr. med. W. ein. Mit Beweisanordnung vom 14.09.2004 wurde Herr Priv.-Doz. Dr. med. W. gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser führte mit gefäßchirurgischem Gutachten vom 14.12.2004 aus, dass das streitgegenständliche Kompressionstherapiegerät mit einer 12-Kammer-Manschette das therapeutische Mittel der Wahl sei. Ein intermittierender Einsatz sei aufgrund des ausgeprägten Befundes unumgänglich.
In Ergänzung zu den Ausführungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit sozialmedizinischem Gutachten vom 21.10.2004 hob die Beklagte mit Schriftsatz vom 16.03.2005 hervor, dass die Versorgung mit einem System mit 12-Kammer-Manschette im Rahmen der ärztlichen Behandlung bei Herrn Dr. med. W. ohne zeitliche Begrenzung übernommen werde. Streitgegenständlich sei die dauerhafte Versorgung mit einem 12-Kammer-System zur häuslichen Versorgung. Aufgrund der vorliegenden Studien und der MDK-Gutachten sehe die Beklagte keine Möglichkeit der Kostenübernahme zu Lasten der Solidargemeinschaft. Der Mehraufwand einer zeitlich begrenzten außerhäuslichen ambulanten Behandlung sei in Anbetracht der dabei sichergestellten ärztlichen Überwachung der Therapie zumutbar.
In der mündlichen Verhandlung vom 11.06.2005 trägt der Kläger ergänzend vor, dass er seinen behandelnden Arzt in Buchloe Herrn Dr. med. W. wöchentlich durchschnittlich mindestens dreimal zur Therapie aufsuchen muss, teils häufiger, nicht jedoch wenn die Praxis urlaubsbedingt geschlossen ist. Es handelt sich hierbei um eine Therapie, die voraussichtlich auf Dauer erforderlich ist. Wenn ein 12-Kammer-Kompressionsgerät für den häuslichen Bereich zur Verfügung gestellt werden würde, könnte die ambulante Therapie bei Herrn Dr. med. W. weitgehend entfallen. Hinzu kommt eine regelmäßige Lymphdrainage, sodass der Kläger de facto die gesamte Woche "ausgebucht" ist.
Die Bevollmächtigte des Klägers stellt die Anträge aus der Klageschrift vom 27.02.2004:
1. Der Bescheid vom 10.06.2003 in Gestalt des Wider spruchsbescheides vom 03.02.2004 wird aufgehoben.
2. Dem Kläger ist antragsgemäß ein Kompressionstherapie- gerät mit 12-Kammer-Manschetten zu gewähren.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten und den der beigezogenen Unterlagen Bezug genommen, vor allem auf die darin enthaltenen ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen.
Entscheidungsgründe:
Die zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Augsburg form- und fristgerecht erhobene Klage ist gemäß §§ 51 ff des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig.
Die Klage erweist sich auch als begründet. Die Beklagte ist verpflichtet dem Kläger bei entsprechender ärztlicher Verordnung ein Kompressionstherapiegerät mit 12-Kammer-Manschetten für den Hausgebrauch gemäß § 33 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zur Verfügung zu stellen.
Versicherte haben gemäß § 33 Abs. 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 SGB V ausgeschlossen sind.
Bei dem streitgegenständlichen "Lympha-Press Mini Timer 12-Kammer-Heimgerät" samt Zubehör handelt es sich um ein solches Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB V. Ausweislich des gefäßchirurgischen Gutachtens von Herrn Priv.-Doz- Dr. med. W. vom 14.12.2004 handelt es sich um das therapeutische Mittel der Wahl. Der intermittierende Einsatz der Kompressionsmanschette mit einem 12-Kammer-System ist aufgrund des ausgeprägten Befundes unumgänglich.
Die Beteiligten streiten sich im Kern darum, ob sich der Kläger darauf verweisen lassen muss sich einer entsprechenden ambulanten Therapie bei Herrn Dr. med. W. in B. zu unterziehen, oder ob ihm ein entsprechendes Gerät für den häuslichen Gebrauch zur Verfügung zu stellen ist. Insoweit bestimmt § 12 Abs. 1 SGB V, dass die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.
Ausweislich des umfassenden Befundberichtes von Herrn Dr. med. W. vom 10.09.2004 ist eine Versorgung bzw. Behandlung mit einem 12-Kammer-Kompressionstherapiegerät in dessen Praxis möglich. Wenn der Kläger ca. 8 km (einfach) in die Praxis von Herrn Dr. med. W. fahren muss und hierbei auch einen erheblichen Verlust an Freizeit hinzunehmen hat, ist dieser Umstand nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers in §§ 12, 60 und 61 SGB V unbeachtlich. Es kommt vielmehr darauf an, welche Art der Versorgung aus der Sicht der Beklagten die wirtschaftlichere ist.
Insoweit ist das Gericht gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO) im Rahmen einer überschlägigen Berechnung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Versorgung mit einem 12-Kammer-Kompressionstherapiegerät für den häuslichen Bereich die für die Beklagte wirtschaftlichere Lösung darstellt. Im Einzelnen:
Das Amt für Versorgung und Familienförderung Augsburg hat mit dem zuletzt maßgeblichen Bescheid vom 08.04.2004 den Grad der Behinderung (GdB) für die Zeit ab 01.10.2003 mit 60 bewertet und die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" festgestellt. Als wesentliche Behinderung im Sinne von § 69 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) ist dabei ein "künstlicher Gelenkersatz des linken Knies, knöchern verheilter Oberschenkelbruch links, Kniegelenksarthrose rechts, chronische venöse Insuffizienz beidseits, wiederkehrende Beingeschwüre beidseits, Polyneuropathie" mit einem Einzel-GdB von 40 berücksichtigt worden. – Der versorgungsärztliche Dienst (Herr Dr. med. C.) hat mit Stellungnahme vom 23.03.2004 u.a. ausgeführt, dass eine Nachprüfung nicht erforderlich ist. – Letzteres korrespondiert mit den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 11.08.2005, dass es sich hierbei um eine Therapie handelt, die voraussichtlich auf Dauer erforderlich ist.
Wenn der Kläger etwa dreimal wöchentlich sich zur Behandlung in die ärztliche Praxis von Herrn Dr. med. W. begibt und zusätzlich darüber hinaus Lymphdrainagen durchgeführt werden müssen, können die hieraus resultierenden Kosten zwanglos mit mindestens 30,00 EUR pro Woche für die Beklagte geschätzt werden. – Wenn das streitgegenständliche 12-Kammer-Kompressionstherapiegerät nunmehr etwas mehr kosten dürfte als im Kostenvoranschlag der Villa Sana GmbH & Co. medizinische Produkte KG vom 05.06.2003 mit 2.637,67 EUR ausgewiesen, ergibt sich bei einem wöchentlichen Kostenanfall von mindestens 30,00 EUR ein Amortisationszeitraum von rund zwei Jahren.
In der mündlichen Verhandlung vom 11.08.2005 hat die Bevollmächtigte des Klägers Frau Rechtsanwältin R. (sie hat ihre Kanzlei in demselben Haus wie der behandelnde Arzt Herr Dr. med. W.) glaubhaft und schlüssig nachvollziehbar versichert, dass entsprechende Kompressions-Therapiegeräte eine Lebensdauer von mehr als zwei Jahren haben. – Dies gilt aus der Sicht des erkennenden Gerichts vor allem auch dann, wenn ein entsprechendes Gerät nicht in der ärztlichen Praxis für mehrere Patienten, sondern wie hier im häuslichen Bereich ausschließlich für den Kläger eingesetzt werden soll.
Zusammenfassend: In dem konkreten Einzelfall liegt ein ausgeprägter Befund vor, der den intermittierenden Einsatz eines 12-Kammer-Kompressionstherapiegerätes unumgänglich macht. Es handelt sich um eine Behandlung, die voraussichtlich auf Dauer notwendig ist. In diesem Einzelfall ist die Versorgung mit dem beantragten 12-Kammer-Kompressionstherapiegerät im häuslichen Bereich die wirtschaftlichere Lösung im Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V, weil dadurch alternative Behandlungsmaßnahmen weitgehend entfallen können.
Eine erneute ärztliche Prüfung und Verordnung durch Herrn Dr. med. W. erscheint erforderlich, weil dessen letzte Verordnung vom 02.06.2003 nicht mehr aktuell ist. Außerdem ist es Sache des behandelnden Arztes die Therapie wieder entsprechend umzustellen.
Nach alledem ist der Klage stattzugeben gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 13.12.2006
Zuletzt verändert am: 13.12.2006