Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 11.07.2002 aufgehoben. Der Bescheid vom 08.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2001 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die dem Kläger und der Beigeladenen entstandenen außergerichtlichen Kosten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte (AdL) für die Zeit vom 01.02.1997 bis zum 21.05.2001 zu Recht aufgehoben hat.
Der Kläger war seit dem 01.01.1995 nach § 1 Abs.3 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) als Ehegatte der Beigeladenen versicherungspflichtig (Veranlagungsbescheid vom 09.03.1995).
Am 07.04.1995 beantragte der Kläger die Befreiung von der Versicherungspflicht wegen des Bezugs regelmäßigen Arbeitsentgelts. Der von ihm unterzeichnete Formularantrag enthielt den Hinweis, dass die Befreiung nur wirksam bleibe, solange die Voraussetzungen, die zur Befreiung von der Versicherungspflicht geführt haben, auch tatsächlich vorlägen. Entfielen die Voraussetzungen, bestehe die Verpflichtung, dies unverzüglich der Beklagten zu melden. Nach Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen trete erneut Versicherungs- und die damit verbundene Beitragspflicht ein. Eine verspätete Meldung über den Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen führe somit zwangsläufig zu einer Nachberechnung der Beiträge.
Mit Bescheid vom 15.05.1995 wurde der Kläger ab dem 01.05.1995 nach § 3 Abs.1 Nr.1 ALG befristet von der Versicherungspflicht befreit, weil sein außerlandwirtschaftliches Arbeitsentgelt ein Siebtel der Bezugsgröße überschritt. Erneut wurde in dem Bescheid darauf hingewiesen, dass die Befreiung nur gelte, solange deren Voraussetzungen erfüllt seien. Sobald der Befreiungsgrund entfalle, trete kraft Gesetzes sofort wieder Versicherungspflicht ein. Der Kläger sei nach § 73 ALG verpflichtet, den Wegfall des Befreiungsgrundes und damit den Beginn einer erneuten Versicherungspflicht unverzüglich anzuzeigen. Bei verspäteter Meldung müssten die Beiträge rückwirkend nacherhoben werden. Die Gewährung eines Beitragszuschusses sei nachträglich im Regelfall ausgeschlossen, da dafür Ausschlussfristen gälten. Die Einhaltung der Meldepflicht liege daher im Interesse des Klägers.
Auf Antrag des Klägers wurde er mit Bescheid vom 29.09.1995 unter Aufhebung des Bescheides vom 15.05.1995 bereits ab 01.01.1995 gemäß § 3 Abs.1 Nr.1 ALG befristet von der Versicherungspflicht befreit. Der Bescheid enthielt den Zusatz, dass die Befreiung Gültigkeit behalte, solange der Kläger regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen beziehe, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft ein Siebtel der Bezugsgröße (1995 = mtl. 580,00 DM) überschreite.
In der Zeit vom 10.02. bis zum 29.07.1997 besuchte der Kläger die Fachschule der Bundes-Fachlehranstalt des Landmaschinen-Handwerks und Handels e.V., Lüneburg. Während dieser Zeit bezog er weder Entgelt von seinem Arbeitgeber noch sonstige Leistungen.
Am 20.06.1997 bat die Beklagte den Kläger um Vorlage von Nachweisen, aus denen sich ergebe, dass die Befreiungsvoraussetzungen für die Zeit ab Mai 1995 weiterhin erfüllt seien, sowie um Vervollständigung einer dem Schreiben beigefügten "Erklärung zum Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen". Diese Erklärung enthielt folgenden Hinweis:
"Bitte übersenden Sie uns für den Überprüfungszeitraum (Beginn der Befreiung bis heute), im Regelfall also für die Jahre 1995 und 1996 – eine Kopie der Jahresentgeltmeldung der gesetzlichen Rentenversicherung einschließlich etwaiger Unterbrechungsmeldungen ( …) – eine Mitgliedsbescheinigung ihrer Krankenkasse ( …) oder – eine Bescheinigung Ihres Arbeitgebers über den Beginn und die Fortdauer ggf. das Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses und die Höhe ihres monatlichen Entgeltes."
In der Erklärung gab der Kläger an, es bestehe auch zur Zeit ein Beschäftigungsverhältnis. Unter der Rubrik "Zusätzliche Vermerke" machte er keine Angaben. Ferner legte er Versicherungsnachweise für die Zeit von Januar 1995 bis zum 31.12.1996 vor.
Im April 2001 wurde der Kläger um Übersendung entsprechender Nachweise für die Zeit ab Januar 1997 gebeten.
Daraufhin legte er am 22.05.2001 Versicherungsnachweise für den Monat Januar 1997 und die Zeit ab 30.07.1997 sowie eine Bescheinigung der Bundes-Fachlehranstalt des Landmaschinen-Handwerks und Handels e.V., Lüneburg, über seinen dortigen Schulbesuch von Februar bis Juli 1997 vor.
Mit Bescheid vom 08.08.2001 hob die Beklagte den Befreiungsbescheid vom 29.09.1995 nach vorheriger Anhörung des Klägers mit Wirkung ab 01.02.1997 mit der Begründung auf, dass die Befreiungsvoraussetzungen während der Zeit des Schulbesuchs nicht vorgelegen hätten. Zugleich wurde der Kläger ab dem 22.05.2001 (= Eingang der Befreiungsunterlagen) erneut von der Versicherungspflicht befreit. Zwar übe er seine bisherige Beschäftigung bereits seit dem 30.07.1997 wieder in dem alten Umfang aus. Eine erneute Befreiung könne aber erst ab Eingang des Befreiungsantrags erfolgen. Die Beitragsnachforderung für die Zeit von Februar 1997 bis Mai 2001 wurde mit 17.425,00 DM beziffert.
Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass der Befreiungsbescheid nach dem Wegfall der zur Befreiung führenden Voraussetzungen nur dann weiterhin gültig bleibe, wenn der Kläger ohne Unterbrechung eine andere der dort aufgezählten Befreiungsvoraussetzungen erfülle. Bestehe zwischen den unterschiedlichen Befreiungsvoraussetzungen eine Lücke von nur einem einzigen Tag, trete erneut Versicherungspflicht ein. In diesem Fall müsse von dem Kläger ein erneuter Befreiungsantrag gestellt werden. Dieser wirke vom Beginn der (erneuten) Versicherungspflicht an, wenn er innerhalb von drei Monaten nach deren Eintritt vorliege, bei einem späteren Antrag erst vom Tag der Antragstellung an.
Zur Begründung seines gegen diesen Bescheid am 17.08.2001 eingelegten Widerspruchs machte der Kläger geltend, auch im Kalenderjahr 1997 insgesamt ein Arbeitsentgelt von mehr als 1/7 der Bezugsgröße bezogen zu haben. Da von vornherein festgestanden habe, dass er ab dem 30.07.1997 wieder Arbeitsentgelt beziehen würde und das Arbeitsverhältnis während des Besuchs der Fachschule lediglich geruht habe, sei er davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des regelmäßigen Bezugs von Arbeitsentgelt weiterhin erfüllt seien. Selbst wenn die Befreiungsvoraussetzungen während des Schulbesuchs vorübergehend weggefallen seien, müsse er zumindest ab dem Tag der Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit (= 30.07.1997) erneut von der Versicherungspflicht befreit werden. Denn bei einer vorübergehenden Unterbrechung der Befreiung von der Versicherungspflicht bedürfe es keines erneuten Befreiungsantrags, zumal er bereits mit dem Erstantrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht eindeutig die Willenserklärung abgegeben habe, keine Beiträge zahlen zu wollen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.08.2001 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Mit seiner am 17.09.2001 beim Sozialgericht Münster erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.
Er hat schriftsätzlich beantragt,
den Bescheid vom 08.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2001 aufzuheben.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.
Mit Gerichtsbescheid vom 11.07.2002 hat das Sozialgericht die Klage unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide der Beklagten abgewiesen.
Gegen den am 15.07.2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.08.2002 Berufung eingelegt. Unter Hinweis auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.08.2000 – B 10 LW 22/99 R – vertreten er und die Beigeladene die Auffassung, dass die dreimonatige Frist zur Stellung eines Befreiungsantrags nach § 3 Abs.2 ALG bei – wie hier – rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht erst zu dem Zeitpunkt zu laufen beginne, in dem der Betroffene von dem Eintritt der Versicherungspflicht Kenntnis erlangt habe, hier also mit Zustellung des Bescheides vom 08.08.2001. Im Übrigen habe die Beklagte ihre Aufklärungspflichten verletzt, indem sie ihn nicht von vornherein darüber informiert habe, dass und binnen welcher Frist er nach Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen einen erneuten Befreiungsantrag habe stellen müssen. Da sie einen entsprechenden Hinweis in den Bescheid vom 08.08.2001 nunmehr aufgenommen habe, gehe sie offensichtlich inzwischen selbst von einer solchen Aufklärungspflicht aus.
Der Kläger und die Beigeladene beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 11.07.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend führt sie aus, es könne dahinstehen, ob die für Beitragszuschüsse geltende Regelung des § 34 Abs.2 S.3 ALG, nach der die Antragsfrist für die Gewährung eines Beitragszuschusses bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht erst mit Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht beginnt, im Bereich der Befreiung nach § 3 ALG analog anwendbar sei. Denn selbst wenn § 34 Abs.2 S.3 ALG im Rahmen des § 3 Abs.2 ALG grundsätzlich anwendbar sei, komme er vorliegend gemäß § 34 Abs.2 S.4 ALG nicht zum Tragen, weil der Kläger seine Anzeigepflichten gegenüber der Beklagten verletzt und daher die Frist zur Stellung eines erneuten Befreiungsantrags aus Gründen versäumt habe, die von ihm zu vertreten seien. Sie selbst sei nicht verpflichtet gewesen, die Befreiungsvoraussetzungen in regelmäßigen Abständen zu überprüfen. Entsprechende Richtlinien existierten nicht. Es herrsche lediglich zur Vermeidung einer drohenden Verjährung eventuell entstandener Beitragsansprüche die Verwaltungspraxis, die Befreiungsvoraussetzungen vor Ablauf der Verjährung zu überprüfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 08.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2001 im Sinne des § 54 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, weil diese Bescheide rechtswidrig sind. Die darin erfolgte Aufhebung des Befreiungsbescheides vom 29.09.1995 mit Wirkung ab 01.02.1997 wird nicht von § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X), der hier allein als Rechtsgrundlage in Betracht kommt, getragen. Nach Abs.1 S.2 iVm S.1 dieser Vorschrift soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn eine der unter § 48 Abs.1 S.2 Nr.1 bis 4 SGB X genannten Voraussetzungen erfüllt ist.
Die Bestimmung des § 48 SGB X kommt vorliegend zur Anwendung. Es handelt sich bei dem Befreiungsbescheid vom 29.09.1995 um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl. BSGE 80, 215 ff, 217 = SozR 3-2940 § 7 Nr.4 m.w.N.). Die bei seinem Erlass vorliegenden Verhältnisse haben sich ab dem 01.02.1997 geändert, weil der Kläger ab Februar 1997 eine Fachschule besucht und für die Zeit bis zum 29.07.1997 kein Arbeitsentgelt bezogen hat. Diese Änderung war auch im Sinne von § 48 Abs.1 S.1 SGB X wesentlich, d.h. rechtserheblich, weil durch den Besuch der Fachschule der in § 3 Abs.1 Nr.1 ALG geregelte, bis dahin vorliegende Befreiungstatbestand entfallen war. Nach dieser Vorschrift werden u.a. Landwirte auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatz einkommen beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Fortwirtschaft ein Siebtel der Bezugsgröße über schreitet. Der Kläger hat ab Februar 1997 jedoch kein regelmäßiges Arbeitsentgelt bezogen. Insoweit kann dahinstehen, ob das im Kalenderjahr 1997 erzielte Arbeitsentgelt trotz der Unterbrechung von Februar bis Juli 1997 insgesamt ein Siebtel der Bezugsgröße (§ 18 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs – SGB IV) überschreitet. Zwar handelt es sich bei dem in § 3 Abs.1 Nr.1 ALG genannten Grenzwert um einen Jahresbetrag. Vorliegend ist jedoch der monatliche Rhythmus des Arbeitsentgelts für die Frage eines regelmäßigen Bezugs bestimmend. Schon der vom Gesetzgeber gewählte Begriff der Regelmäßigkeit stellt klar, dass im Rahmen des § 3 Abs.1 Nr.1 ALG eine vorausschauende und nicht eine rückschauende Betrachtung (nach Abschluß des Kalenderjahres) anzuwenden ist (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.2002 – B 10 LW 5/01 R – unter Hinweis auf BT-Drucks 12/5700, S.9). Wird dieser Begriff – wie hier – in Verbindung mit dem Beziehen von Arbeitsentgelt verwendet, so kommt es auf die Art und Weise der Zahlung an, bei – wie hier – monatlichen Gehaltszahlungen somit auf den monatlichen Rhythmus (vgl. BSG, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung des monatlichen Rhythmus aber hat der Kläger ab Februar 1997 kein regelmäßiges Arbeitsentgelt bezogen. Der Begriff der Regelmäßigkeit setzt eine gewisse Stetigkeit, Dauer und Gesetzmäßigkeit voraus (vgl. dazu allgemein BSG SozR 2200 § 1241 Nr.30; BAG AP Nr.4 zu § 611 BGB Lohnzuschläge; BAG AP NR8 zu § 2 EntgeltFG). Ob insoweit entsprechend der Praxis der landwirtschaftlichen Alterskassen in Anlehnung an § 8 Abs.1 Nr.2 SGB IV eine vorübergehende Unterbrechung für eine Dauer von bis zu zwei Monaten unschädlich ist (vgl. GLA-Kommentar, Stand: 8/01, § 3 ALG, S. 3.2), bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Jedenfalls handelt es sich im vorliegenden Fall, bei dem es um den Nichtbezug von Arbeitsentgelt über einen Zeitraum von ca. fünf Monaten (10.02.1997 bis 29.07.1997) und damit nahezu die Hälfte eines Kalenderjahres geht, nicht mehr um eine unschädliche Ausnahme von der bis Januar 1997 gegebenen Regel.
Lagen somit die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 S.1 SGB X vor, so konnte die Beklagte grundsätzlich auch eine rückwirkende Aufhebung der Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 48 Abs.1 S.2 SGB X in Betracht ziehen. Denn der Kläger ist einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nach teiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen (vgl. § 48 Abs.1 Nr.2 SGB X).
Er war gemäß § 73 Abs.1 ALG iVm § 196 Abs.1 S.1 Nr.2 SGB VI verpflichtet, die Beklagte über den – wie aufgezeigt – rechtserheblichen vorübergehenden Nichtbezug von Arbeitsentgelt zu informieren. Nach diesen Vorschriften sind Änderungen in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht erheblich sind und – wie hier – nicht durch Dritte gemeldet werden, unverzüglich mitzuteilen.
Der Kläger hat seine Mitteilungspflicht zur Überzeugung des Senats auch grob fahrlässig verletzt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Versicherter die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. die Legaldefinition in § 45 Abs.3 Nr.3, 2. Halbsatz SGB X). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger ist in dem von ihm im April 1995 unterzeichneten Formularantrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht und in dem Bescheid vom 15.05.1995 deutlich und in verständlicher Form darüber belehrt worden, dass die Befreiung nur wirksam bleibt, solange die Befreiungsvoraussetzungen vorliegen, und er einen Wegfall der Voraussetzungen unverzüglich gegenüber der Beklagten anzeigen muss. Es hätte sich dem Kläger bei ganz naheliegender Überlegung auch aufdrängen müssen, dass ein regelmäßiger Bezug von Arbeitsentgelt bei einem vorübergehenden Wegfall von ca. fünf Monaten nicht mehr vorlag. Insoweit mag zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass das Arbeitsverhältnis während des Besuchs der Fachschule lediglich "ruhte" und er die Meldung aus diesem Grunde nicht für notwendig erachtete. Auch dies vermag die Nichtanzeige des Schulbesuchs jedoch nicht zu rechtfertigen. Denn schon dem Wortlaut des § 3 Abs.1 ALG ist eindeutig zu entnehmen, dass dieser Befreiungstatbestand von dem Bezug regelmäßigen Arbeitsentgelts, nicht aber dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses abhängt. Dies war dem Kläger im Übrigen auch ohne Kenntnis des Gesetzes ohne weiteres erkennbar. Denn in dem Bescheid vom 29.09.1995 hatte die Beklagte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Befreiung Gültigkeit behält, solange der Kläger regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen bezieht, das ein Siebtel der Bezugsgröße überschreitet.
Dennoch ist die Aufhebung des Befreiungsbescheides vom 29.09.1995 rechtsfehlerhaft erfolgt; denn die Beklagte hat bei Erlass der hier angefochtenen Bescheide § 35 SGB X nicht beachtet. Nach § 35 Abs.1 S.1 SGB X ist ein schriftlicher Verwaltungsakt schriftlich zu begründen. Nach § 35 Abs.1 S.3 SGB X muss die Begründung eines schriftlichen Verwaltungsaktes, der eine Ermessensentscheidung zum Inhalt hat, "auch" die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
Zwar mögen die angefochtenen Bescheide der Begründungspflicht im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 S.1 und 2 SGB X noch genügen, obwohl die Rechtsgrundlage weder in dem Bescheid vom 08.08.2001 noch in dem Widerspruchsbescheid vom 28.08.2001 erwähnt ist. Die Bescheide sind aber jedenfalls wegen fehlender Ermessensausübung nicht hinreichend begründet.
Vorliegend bedurfte es einer Ermessensentscheidung seitens der Beklagten. Nach § 48 Abs.1 S.2 SGB X "soll" der Verwaltungsakt u.a. in den – hier gegebenen – Fällen der Nr.2 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG vgl. u.a. BSG SozR 1300 § 48 Nr.30) bedeutet "soll", dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben muss, ihm in atypischen Fällen aber ein Ermessensspielraum zusteht und er von der rückwirkenden Aufhebung absehen darf.
Ein solcher – eine Ermessensausübung erfordernder – atypischer Fall liegt hier nach Auffassung des Senats vor, weil die Folgen des Verstoßes gegen die dem Kläger obliegende Mitteilungspflicht in keinem angemessenen Verhältnis zu dem tatsächlichen Umfang der Unterbrechung des Befreiungstatbestandes stehen und die Beklagte insoweit ein Mitverschulden trifft.
Die Aufhebung des Befreiungsbescheides mit Wirkung ab Februar 1997 führt vorliegend dazu, dass der Kläger für die Zeit vom 01.02.1997 bis zum 21.05.2001 der Versicherungspflicht unterliegt und Beiträge in Höhe von insgesamt 17.425,00 DM nachzahlen muss. Die Beklagte ist nämlich zu Recht davon ausgegangen, dass eine erneute Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht erst ab dem 22.05.2001 erfolgen konnte. Während des Schulbesuchs vom 10.02. bis 29.07.1997 fehlt es schon an den materiellen Voraussetzungen einer Befreiung nach § 3 Abs.1 ALG, weil regelmäßiges Arbeitsentgelt während dieser Zeit nicht bezogen wurde (s.o.). In der Zeit nach Wiederaufnahme der Arbeitstätigkeit bis zum 21.05.2001 (= Tag vor erneuter Befreiung von der Versicherungspflicht) hat der Kläger zwar wieder regelmäßiges Arbeitsentgelt erzielt, das unstreitig 1/7 der Bezugsgröße (§ 18 Abs.1 SGB IV) überschritt, und damit die materiellen Voraussetzungen des § 3 Abs.1 ALG erfüllt. Dem Befreiungsanspruch steht insoweit jedoch die Ausschlussfrist des § 3 Abs.2 ALG entgegen. Denn der Kläger hat seinen entsprechenden Befreiungsantrag bei der Beklagten nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten nach erneutem Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen gestellt. Die Voraussetzungen für eine erneute Befreiung von der Versicherungspflicht waren bereits ab dem 30.07.1997 (= Tag nach Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit) erfüllt. Ein – konkludenter – Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht lag jedoch erst mit Eingang der Versicherungsnachweise für die Zeit ab dem 30.07.1997, also am 22.05.2001, vor. Der erstmalige Befreiungsantrag aus April 1995 war mit Besuch der Fachschule im Februar 1997 und dem damit verbundenen Wiedereintritt der Versicherungspflicht verbraucht. Eine Willenserklärung, Beiträge auch nach vorübergehendem Wiedereintritt der Versicherungspflicht per se nicht zahlen zu wollen, lässt sich dem Erstantrag auf Befreiung nicht entnehmen.
Entgegen der Auffassung des Klägers begann die Antragsfrist von drei Monaten vorliegend auch nicht in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 34 Abs.2 S.3 ALG erst mit Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides vom 08.08.2001 über die rückwirkende Feststellung seiner Versicherungspflicht. Es handelt sich bei dieser Vorschrift um eine Regelung über den Beitragszuschuss. Nach § 34 Abs.2 S.1 und 2 ALG wird diese Leistung von Anfang an gezahlt, wenn der Antrag binnen dreier Monate nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen gestellt wird, bei späterer Antragstellung jedoch erst ab dem Antragsmonat. Nach S.3 der Vorschrift gelten die Sätze 1 und 2 bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht allerdings mit der Maßgabe, dass die Frist mit Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung der Versicherungspflicht beginnt.
Das BSG hat bislang offen gelassen, ob der Rechtsgedanke des § 34 Abs.2 S.3 im Rahmen des § 3 Abs.2 ALG anwendbar ist (BSG, Urteil vom 17.08.2000 – B 10 LW 22/99 R -; verneinend LSG NRW, Urteil vom 22.09.1999 – L 8 LW 6/99 -). Diese Frage bedarf auch vorliegend keiner abschließenden Klärung. Selbst wenn die für eine derartige Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke bei rückwirkender Feststellung der Versicherungspflicht trotz der anderslautenden Regelung in § 3 Abs.2 ALG anzunehmen wäre, würde konsequenterweise auch der Rechtsgedanke des S.4 dieser Vorschrift Anwendung finden müssen. S.4 schränkt § 34 Abs.2 S.3 ALG aber für den Fall ein, dass die Versicherungspflicht als Folge der Beendigung einer Befreiung nach § 3 Abs.1 ALG rückwirkend festgestellt wird. Dann setzt die Anwendung des Satzes 3 voraus, dass die Frist nach S.1 aus Gründen versäumt wurde, die der Berechtigte nicht zu vertreten hat.
Vorliegend hat der Kläger die Fristversäumnis jedoch zu vertreten. Hätte er nämlich den Besuch der Fachschule rechtzeitig angezeigt, dann wäre es ihm – ggf. nach entsprechender Beratung durch die Beklagte – möglich gewesen, den Befreiungsantrag rechtzeitig mit Beendigung des Schulbesuchs zu stellen.
Der Kläger war aufgrund der entsprechenden Hinweise in den 1995 ergangenen Bescheiden auch ausreichend über seine Anzeigepflicht und den Wiedereintritt der Versicherungspflicht nach Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen informiert worden (s.o.).
Dass die damaligen Bescheide – anders als der hier angefochtene Bescheid vom 08.08.2001 – keinen zusätzlichen Hinweis auf die Notwendigkeit eines erneuten Befreiungsantrags bei Wiedereintritt der Versicherungspflicht enthielten, ist insoweit unerheblich. Dabei mag offen bleiben, ob der Kläger nicht schon dem in dem Bescheid vom 15.05.1995 enthaltenen Hinweis, nach Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen trete kraft Gesetzes sofort wieder Versicherungspflicht ein, entnehmen konnte, dass ggf. ein erneuter Befreiungsantrag erforderlich werden würde. Jedenfalls bestand seitens der Beklagten vor Mai 2001 keinerlei Veranlassung, den Kläger auf die Notwendigkeit eines erneuten Befreiungsantrags bei Wiedereintritt der Versicherungspflicht hinzuweisen. Denn erst zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger sie über den – erneute Versicherungspflicht begründenden – Schulbesuch von Februar bis Juli 1997 informiert. Erst mit Wiedereintritt der Versicherungspflicht wird ein Hinweis über die Notwendigkeit eines erneuten Befreiungsantrags aber aktuell.
Eine erneute Befreiung von der Versicherungspflicht vor dem 22.05.2001 lässt sich im Übrigen auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 SGB X) begründen. Unabhängig davon, dass ein entsprechender Antrag von dem Kläger bislang nicht gestellt und seitens der Beklagten auch nicht beschieden wurde, fehlt es – bei unterstellter Anwendbarkeit des § 27 SGB X auf die materiell-rechtliche Ausschlussfrist des § 3 Abs.2 ALG – jedenfalls an dessen Voraussetzungen. Nach § 27 Abs.1 SGB X ist einem Versicherten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, es sei denn, dies war vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich (§ 27 Abs.3 SGB X). Der Kläger war jedoch nicht ohne Verschulden verhindert, die Befreiungsfrist des § 3 Abs.2 ALG einzuhalten, weil er – wie bereits ausgeführt – den Besuch der Fachschule sofort nach dessen Aufnahme hätte anzeigen müssen und so ggf. auch den erneuten Befreiungsantrag hätte rechtzeitig stellen können. Darüber hinaus hat der Kläger den Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb eines Jahres nach Ablauf der Antragsfrist gestellt, ohne dass ihn höhere Gewalt daran gehindert hätte.
Schließlich kann der Kläger die Versäumung der Frist des § 3 Abs.2 ALG auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs überwinden.
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses den Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (st. Rspr.; vgl. z.B. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr.12 m.w.N.; SozR 3-3200 § 86a Nr.2).
Zweifelhaft ist bereits, ob ein solcher Anspruch in Fallkonstellationen wie der vorliegenden überhaupt anwendbar ist. Für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bleibt nämlich von vornherein kein Raum, wenn die Folgen der Pflichtverletzung eines Leistungsträgers bereits durch Wiedereinsetzungsregeln konzeptionell mitbedacht sind (BSG, Urteil vom 31.08.2000 – B 4 RA 28/00 R -). Jedenfalls aber liegen die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht vor.
Die Beklagte hat die ihr gegenüber dem Kläger obliegenden Aufklärungs- oder Beratungspflichten nicht dadurch verletzt, dass sie ihn erst mit Bescheid vom 08.08.2001 ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines erneuten Befreiungsantrags nach Beendigung des Schulbesuchs hingewiesen hat. Eine solche Beratung war – wie bereits ausgeführt – erst denkbar, nachdem der Kläger sie von dem erneute Versicherungspflicht begründenden Schulbesuch in Kenntnis gesetzt hatte.
Allerdings liegt im Zusammenhang mit der Überprüfung des Fortbestandes der Befreiungsvoraussetzungen im Juni 1997 eine Pflichtverletzung der Beklagten vor.
Insoweit mag dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt verpflichtet ist, den Fortbestand der Befreiungsvoraussetzungen in regelmäßigen Abständen ohne konkreten Anlass zu überprüfen, und ob ggf. im Hinblick auf eine drohende Verjährung etwaiger Beitragsansprüche eine Überprüfung in Abständen von vier Jahren genügt. Jedenfalls muss die Beklagte, wenn sie den Fortbestand der Befreiungsvoraussetzungen von sich aus prüft, ihrem Anliegen sorgfältig und umfassend nachgehen. Spätestens in dem Zeitpunkt, in dem sie sich – wenn auch im eigenen Interesse – an den Kläger wendet, liegt die Mitteilung der erforderlichen Angaben nicht mehr allein in dessen Verantwortungsbereich, sondern auch in dem der Beklagten.
Dieser Verpflichtung ist die Beklagte jedoch nicht hinreichend nach gekommen. Obwohl sie den Kläger mit Schreiben vom 20.06.1997 gebeten hatte, den Fortbestand der Befreiungsvoraussetzungen für die Zeit ab Januar 1995 nachzuweisen, hat sie sich mit den von dem Kläger daraufhin vorgelegten Versicherungsnachweisen für den Zeitraum von Januar 1995 bis Dezember 1996 begnügt, ohne ihn ergänzend um Übersendung etwaiger Belege für den Zeitraum von Januar bis Juni 1997 zu bitten. Auf die bloße Angabe des Klägers in der dem Schreiben vom 20.06.1997 beigefügten "Erklärung zum Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen", es bestehe auch zur Zeit ein Beschäftigungsverhältnis, durfte sie sich nicht verlassen. Insoweit ist ihr zwar zuzugestehen, dass ein Nachweis der Befreiungsvoraussetzungen für das 1. Halbjahr des Jahres 1997 im Juni 1997 nicht mittels einer Jahresentgeltmeldung der gesetzlichen Rentenversicherung möglich war, weil diese erst am Ende des jeweiligen Kalenderjahres erstellt wird. Die Beklagte hat in der dem Schreiben vom 20.06.1997 beigefügten "Erklärung zum Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen" aber zu Recht selbst darauf hingewiesen, dass als Nachweis u.a. auch eine Bescheinigung des Arbeitgebers über den Beginn und die Fortdauer des Beschäftigungsverhältnisses sowie die Höhe des monatlichen Entgelts genügt. Eine solche Bescheinigung kann aber nicht nur zum Jahreswechsel, sondern auch während des laufenden Kalenderjahres von dem Arbeitgeber erbeten werden.
Bei dieser Pflichtverletzung handelt es sich zwar nicht unmittelbar um eine Beratungs- oder Auskunftspflichtverletzung; sie führt aber mittelbar zu einer solchen. Bei Anforderung auch der Nachweise für die Zeit von Januar bis Juni 1997 hätte die Beklagte nämlich gegebenenfalls bereits im Juni 1997 von dem Besuch der Fachschule und damit dem Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen Kenntnis erlangt – mit der Folge, dass sie den Kläger rechtzeitig vor Wiederaufnahme seiner Erwerbstätigkeit über das Erfordernis eines erneuten Befreiungsantrags hätte informieren können. Ob eine solche – mittelbare – Beratungspflichtverletzung überhaupt einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zu begründen vermag, ist zweifelhaft, bedarf aber vorliegend keiner abschließenden Klärung. Denn jedenfalls kann sie unter den hier vorliegenden Umständen keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auslösen. Letzterer setzt nämlich ferner voraus, dass die Pflichtverletzung des Versicherungsträgers zwar nicht die alleinige, aber die (allein) "wesentliche" Ursache für die aus gleichsbedürftige Situation ist (BSGE 41, 126 ff (128) = SozR 7610 § 242 Nr.5; BSGE 59, 60 ff (67) = SozR 3100 § 44 Nr.11). Daran fehlt es jedoch dann, wenn der Leistungsberechtigte die Verwaltung durch eigenes Verhalten zu fehlerhaftem Tun veranlasst und das Verhalten des Leistungsberechtigten "nach der Auffassung des praktischen Lebens" (BSGE 1, 72 ff (76)) oder des "täglichen Lebens" (BSGE 12, 242 ff (246)) als die qualitativ vorwiegende, maßgebliche Ursache anzusehen ist. So aber liegt es hier; denn der Kläger hat es grob fahrlässig unterlassen, die Beklagte über den Schulbesuch und vorübergehenden Wegfall des Bezugs regelmäßigen Arbeitsentgelts zu informieren (s.o.). Diese Pflichtverletzung ist hier die qualitativ vorwiegende Ursache dafür, dass eine erneute Befreiung von der Versicherungspflicht erst ab dem 22.05.2001 möglich war. Hätte der Kläger die Beklagte nämlich – wozu er verpflichtet war – bereits im Februar 1997 mit Beginn des Schulbesuchs entsprechend informiert, hätte für die Beklagte im Juni 1997 keinerlei Veranlassung mehr bestanden, den Fortbestand der Befreiungsvoraussetzungen auch für das 1. Halbjahr im Juni 1997 zu überprüfen – mit der Folge, dass es nicht zu einer Pflichtverletzung ihrerseits gekommen wäre.
War eine erneute Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht somit gemäß § 3 Abs.2 ALG aber erst ab dem 22.05.2001 (= Eingang des konkludenten Befreiungsantrags) möglich, so steht die daraus resultierende Versicherungs- und Beitragspflicht für den Zeitraum vom 30.07.1997 (= Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit) bis Mai 2001, also einen Zeitraum von annähernd vier Jahren, nach Auffassung des Senats in keinem vernünftigen Verhältnis dazu, dass die Befreiungsmöglichkeit materiell-rechtlich lediglich während des fünfmonatigen Besuchs der Fachschule entfallen war. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass die Höhe der damit verbundenen Beitragsnachforderung (= 17.425,00 DM) allein grundsätzlich keinen atypischen Fall zu begründen vermag. Besondere Umstände, die eine Ermessensausübung notwendig machten, liegen hier vielmehr darin, dass die Verletzung einer Mitteilungspflicht seitens des Klägers für einen Zeitraum "sanktioniert" wird, der nicht nur über den eigentlichen Unterbrechungstatbestand von Februar 1997 bis Juli 1997 hinausgeht, sondern diesen um ein Vielfaches übersteigt.
Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot gebieten jedoch, dass das gewählte Mittel und der gewollte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen (z.B. BVerfGE 38, 281 ff (302); vgl. ferner zur Ausübung von Ermessen wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beim Ruhen von Beitragszuschüssen BSG, Urteil vom 17.08.2000 – B 10 LW 8/00 R -).
Dabei ist vorliegend von besonderer Bedeutung, dass das für den Kläger unverhältnismäßige Ergebnis auch auf die Verwaltungspraxis der Beklagten zurückzuführen ist. Der – an den Verjährungsfristen orientierte – nur vierjährige Turnus, die Befreiungstatbestände zu überprüfen, sichert zwar das Interesse der Beklagten an der Vermeidung von Beitragsausfüllen und mag auch rechtlich nicht zu beanstanden sein (s.o.). Er stellt aber – wie dieser Rechtsstreit zeigt – für Versicherte, deren Befreiungsvoraussetzungen nur für einen kurzen Zeitraum entfallen sind, ein unangemessenes Beitragsrisiko dar, das eine Ermessensausübung notwendig macht. Je länger nämlich die Untätigkeit des Versicherungsträgers dauert, desto mehr gewinnt sie für den Umstand, dass ein Versicherter erst nach langer Zeit, im ungünstigsten Fall nach vier Jahren, die erneute Beitragsbefreiung geltend machen kann, die Bedeutung einer wesentlichen Mitursache.
Unabhängig von diesem Ursachenbeitrag liegt ein atypischer, eine Ermessensausübung erfordernder Fall vorliegend im Übrigen jedenfalls deshalb vor, weil die Beklagte sogar ein Mitverschulden daran trifft, dass der Kläger von Februar 1997 bis zum 21.05.2001 der Versicherungs- und Beitragspflicht unterlag, obwohl die Befreiungsvoraussetzungen bereits mit Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit am 30.07.1997 erneut erfüllt waren.
Wie bereits aufgezeigt war sie verpflichtet, im Rahmen der Überprüfung des Fortbestandes der Befreiungsvoraussetzungen im Juni 1997 ergänzend auch die Versicherungsnachweise für das 1. Kalenderjahr 1997 von dem Kläger anzufordern. Wäre sie dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte sie bereits zu diesem Zeitpunkt von dem Besuch der Fachschule Kenntnis erlangt und den Kläger rechtzeitig vor Wiederaufnahme seiner Erwerbstätigkeit über das Erfordernis eines erneuten Befreiungsantrags informieren können.
Die Beklagte hat von dem ihr unter den genannten Gesichtspunkten im Rahmen des § 48 Abs.1 S.2 SGB X somit obliegenden Ermessen jedoch keinen Gebrauch gemacht. Die Begründung des Bescheides vom 28.08.2001 und des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2001 enthält keinerlei Hinweise darauf, dass die Beklagte Ermessen ausgeübt bzw. überhaupt erkannt hat, dass sie bei ihrer Entscheidung Ermessen aus zuüben hatte. Es wird auch nicht erwähnt, dass die Aufhebung des Befreiungsbescheides vom 29.09.1995 in ihrem Ermessen stand. Die von der Beklagten gewählten Formulierungen deuten vielmehr allein auf eine gebundene Entscheidung hin, indem der Befreiungsbescheid als vermeintlich zwingende Rechtsfolge aufgehoben wird.
Die Beklagte hat die notwendigen Ermessenserwägungen auch nicht im Verlauf des Streitverfahrens nachgeholt. Zwar können diese nach § 41 Abs.2 SGB X in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung bis zur letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden (vgl. Art. 68 Abs.1 des Gesetzes vom 21.12.2000, BGBl. I 1983), sofern das Vorverfahren – wie hier – am 31.12.2000 noch nicht abgeschlossen war (vgl. Steinwedel, in: Kasseler-Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 41 SGB X Rdnr. 28). Die Beklagte hat entsprechende Erwägungen jedoch auch im Verlauf des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens nicht angestellt, sondern weiterhin die Ausübung von Ermessen nicht für notwendig erachtet.
Da die Beklagte den Befreiungsbescheid vom 29.09.1995 nach § 48 SGB X aufgehoben hat, ohne von dem ihr obliegenden Ermessen Gebrauch gemacht zu haben, war der angefochtene Bescheid vom 08.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2001 insgesamt aufzuheben. Zwar ist die darüber hinaus in den genannten Bescheiden enthaltene Regelung über eine erneute Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht ab dem 22.05.2001 rechtlich nicht zu beanstanden (s.o.). Diese Regelung wird jedoch dadurch gegenstandslos, dass der Kläger mit Aufhebung der § 48er-Regelung bereits ab Januar 1995 durchgängig von der Versicherungspflicht befreit ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG zugelassen, weil er insbesondere der Frage, ob die vorliegenden Umstände einen atypischen, eine Ermessensausübung erfordernden Fall begründen, grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Erstellt am: 14.08.2003
Zuletzt verändert am: 14.08.2003