Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2006 geändert. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Gründe:
I.
In der Hauptsache war zwischen den Beteiligten streitig, ob und für welchen Zeitraum dem Kläger Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren ist.
Am 30.06.2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Daraufhin veranlasste die Beklagte die Untersuchung und Begutachtung des Klägers durch den Arzt für Innere Medizin/Sozialmedizin T, der in seinem Gutachten folgende Diagnosen stellte: Bösartige Neubildung des linksseitigen Kehlkopfeingangsbereiches, Zustand nach Chemo- und Bestrahlungstherapie, Stadium der Heilungsbewährung; belastungsabhängiges LWS-Syndrom; chronische Nierenschwäche Stadium II; Harnsäurestoffwechselstörung; Belastungsschmerzen des rechten Sprunggelenkes nach alter Fraktur 1993. In seiner arbeitsmedizinischen Beurteilung ging der Gutachter davon aus, dass der Kläger körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich ausüben könne. Aufgrund dieser Beurteilung lehnte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 31.08.2005 den Antrag des Klägers ab. Hiergegen richtete sich der vom Kläger am 19.09.2005 erhobene Widerspruch. Während des Widerspruchsverfahrens musste dem Kläger aufgrund eines Tumorrezidivs der Kehlkopf vollständig entfernt werden. Nach der Beiziehung von Behandlungs- bzw. Befundberichten gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 31.01.2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.05.2006 bis 31.12.2006. Daraufhin teilte der Kläger der Beklagten mit, er halte seinen Widerspruch mit dem Begehren aufrecht, Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer gewährt zu bekommen. Nach Einholung eines Befundberichts von Q Q (Oberarzt der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Kliniken der Stadt L, Krankenhaus I) wies die Beklagte mit Bescheid vom 22.06.2006 den Widerspruch des Klägers zurück.
Mit der am 10.07.2006 zum Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage begehrte der Kläger weiterhin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer. Mit bei der Beklagten am 22.08.2006 eingegangenem Schriftsatz beantragte der Kläger die Weiterzahlung der Rente über den 31.12.2006 hinaus. Das Sozialgericht Düsseldorf holte Befundberichte von dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. F und dem Internisten G ein. Die Beklagte veranlasste eine erneute Untersuchung und Begutachtung des Klägers. Diese erfolgte durch Dr. I (Arzt für Innere Medizin/Sozialmedizin, Leiter der Ärztlichen Untersuchungsstelle der Beklagten in M), der in seinem Gutachten vom 15.09.2006 folgende Erkrankungen diagnostizierte: Kehlkopfkrebs, Zustand nach kombinierter Bestrahlungs- und Chemotherapie bis 11/06, Kehlkopfentfernung im 11/05 wegen Neubildung; chronische Nierenfunktionsschwäche; mäßiges Übergewicht; Unterfunktion der Schilddrüse, zur Zeit in Therapie; fraglich schädlicher Gebrauch von Alkohol. Dr. I erachtete den Kläger nur noch für in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten drei bis unter sechs Stunden verrichten zu können. Eine Besserung sei nicht unwahrscheinlich bzw. nicht von vorneherein auszuschließen. Eine Neubeurteilung werde aber erst in einem langfristigen Zeitraum und zwar kurz vor Ablauf von drei Jahren empfohlen. Auf der Grundlage der Beurteilung von Dr. I gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 20.09.2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.12.2006 hinaus auf Zeit bis zum 31.12.2009. Daraufhin erklärte der Kläger den Rechtsstreit im Hinblick auf den Weitergewährungsbescheid für erledigt und hat beantragt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die Klage habe durchaus Aussicht auf Erfolg gehabt. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte die Beklagte nicht einen Änderungsbescheid dahingehend erteilt, dass sie die Rente wegen voller Erwerbsminderung nunmehr bis zum 31.12.2009 leiste. Im Übrigen habe sich sein Zustand seit Klageeinreichung nicht verändert, so dass sich die Beklagte auf eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse nicht berufen könne.
Die Beklagte ist dem Kostenantrag des Klägers entgegen getreten und hat die Auffassung vertreten, dass eine Kostenerstattung nicht in Betracht komme, und auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg gehabt.
Mit Beschluss vom 14.11.2006 hat das Sozialgericht Düsseldorf den Antrag des Klägers auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten durch die Beklagte abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei mit seinem Klagebegehren nicht durchgedrungen. Sein Begehren sei allein darauf gerichtet gewesen, Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Dauer gewährt zu bekommen. Denn er habe sowohl im Widerspruchsverfahren als auch anlässlich der Klageerhebung deutlich gemacht, dass sein Begehren allein auf die Gewährung einer unbefristeten Rente gerichtet sei. Insoweit habe die Klage für ihn keinen Erfolg gehabt, da die Beklagte mit dem Bescheid vom 20.09.2006 (der letztendlich zur Klagerücknahme geführt habe) lediglich die Zeitrente weiter gewährt habe, und zwar bis zum 31.12.2009. Auch unter dem Gesichtspunkt der Weitergewährung habe die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben. Denn der Kläger hätte das Ziel der Weitergewährung der Zeitrente auch durch einen entsprechenden (Weitergewährungs-)Antrag bei der Beklagten erreichen können; der Durchführung eines Klageverfahrens habe es dazu nicht bedurft. Schließlich ergebe sich auch aus den vom Gericht zwischenzeitlich eingeholten Befundberichten der den Kläger behandelnden Ärzte Dr. F und Dr. G nicht, dass dieser einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer habe. Denn ein solcher Rentenanspruch auf Dauer sei nach § 102 Abs. 2, Satz 3 SGB VI nur gegeben, wenn der Rentenanspruch von der jeweiligen Arbeitsmarktlage unabhängig bestehe und wenn unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne. Für Letzteres böten die erwähnten Befundberichte keine ausreichende Grundlage.
Gegen den ihm am 17.11.2006 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 27.11.2006 Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, er könne nicht darauf verwiesen werden, er habe sein Ziel auch durch einen Weitergewährungsantrag erreichen können, so dass es der Durchführung eines Klageverfahrens nicht bedurft hätte. Dieses Ziel, nämlich Rente auf Dauer wegen voller Erwerbsminderung, habe er zwar nicht in vollem Umfang erreicht; er habe jedoch zum Teil mit seinem Klageantrag obsiegt, und zwar deshalb, weil die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits eine bis zum 31.12.2009 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt habe. Die Beklagte müsse daher mindestens die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten erstatten.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2006 zu ändern und der Beklagten seine außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zumindest zur Hälfte aufzuerlegen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss.
Das Sozialgericht Düsseldorf hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 19.12.2006).
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat der Beklagten zu Unrecht nicht die außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten durch die Beklagte.
Die Kostenentscheidung gem. § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist nach sachgemäßem Ermessen – hier durch Beschluss gem. § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG – zu treffen. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles sowie Billigkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 193, Rn. 12 ff). In erster Linie ist der Ausgang des Verfahrens maßgebend, also die Frage des Obsiegens und Unterliegens. In der Regel trifft die Kostenlast denjenigen, der unterliegt. Bei teilweiser Erfolglosigkeit kann auch eine Quotelung der Kosten angemessen sein. Darüber hinaus kann eine vom Verfahrensausgang abweichende Kostenregelung nach dem Veranlassungsgrundsatz oder durch eine Änderung der Sach- und Rechtslage während des Verfahrens gerechtfertigt sein. Eine solche Ausnahme liegt hier vor, so dass nicht maßgeblich auf den Verfahrensausgang abzustellen ist.
Ausschlaggebend ist, dass die Beklagte Veranlassung zur Klageerhebung geboten hat. Sie hat entgegen ihrer Pflicht zur Amtsermittlung gem. § 20 SGB X den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt. Sie durfte nicht über den Widerspruch des Klägers entscheiden, ohne zuvor eine Untersuchung und Begutachtung des Klägers veranlasst zu haben. Im Widerspruchsverfahren war offensichtlich eine erhebliche Verschlechterung der ohnehin schon gravierenden Krebserkrankung des Klägers eingetreten. Die daraus resultierenden Leistungseinschränkungen und ihre Dauer konnten sachgerecht nur durch ein ärztliches Gutachten festgestellt werden. So hat dann auch das auf den Weitergewährungsantrag des Klägers nur kurze Zeit nach Erlass des Widerspruchsbescheides erstellte Gutachten von Dr. I wesentlich gravierendere Befunde und Leistungseinschränkungen ergeben, als die Beklagte zunächst angenommen hatte. Dem Ergebnis der Begutachtung durch Dr. I musste die Beklagte dann auch dadurch Rechnung tragen, dass die Weitergewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einer deutlich längeren Befristungsdauer und zwar bis zum 31.12.2009 verbunden werden musste. Aus Vorstehendem ergibt sich zwangsläufig, dass der Kläger auch nicht auf den Weitergewährungsantrag anstelle der Klageerhebung verwiesen werden konnte. Er konnte ohne weiteres sein Begehren im gerichtlichen Klageverfahren weiterverfolgen, zumal die Beklagte im Widerspruchsverfahren gegen ihre Pflicht zur Amtsermittlung verstoßen und den Kläger hierdurch in das gerichtliche Verfahren gedrängt hatte.
Hinter den im Vordergrund stehenden Gesichtspunkt der Veranlassung zur Klageerhebung treten Gesichtspunkte im Hinblick auf etwaige Erfolgsaussichten der Klage zurück. Aber auch diese rechtfertigen es nicht, der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers nicht aufzuerlegen:
Das Sozialgericht Düsseldorf ist im angefochtenen Beschluss bereits zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg gehabt habe.
Bei den Überlegungen zu den Erfolgsaussichten ist von dem erhobenen Anspruch auszugehen. An die Fassung der Anträge ist das Gericht nicht gebunden (§ 123 SGG), sondern an den erhobenen Anspruch, an das Klagebegehren (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 123, Rn 3). Bei Zweifeln über das vom Kläger Gewollte wird der Kläger den Antrag stellen wollen, der ihm am besten zum Ziel verhilft, wobei er alles zugesprochen haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (Meyer-Ladewig, SGG, § 123, Rn. 3 m.w.N.) Dies bedeutet für vorliegendes Verfahren, dass der Klageantrag bei verständiger Würdigung des Klagebegehrens dahingehend auszulegen war, dass anstelle einer unbefristeten Rente auch eine befristete Rente mit einer längeren Befristungsdauer vom Kläger angestrebt wurde, wenn nur eine solche dem Ergebnis der Beweisaufnahme entsprechen würde. Der Kläger hat dies letztlich auch dadurch zu erkennen ergeben, dass er nach der mit Bescheid vom 20.09.2006 erfolgten Weitergewährung unverzüglich mit der Erledigungserklärung der neuen Prozesslage Rechnung getragen hat. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger bei einem entsprechenden Beweisergebnis eine Rente auf Zeit mit einer längeren Befristungsdauer nicht beansprucht hätte. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger mit seinem auf eine unbefristete Rente gerichteten Klageantrag der Regelung des § 123 2. Halbsatz SGG Rechnung getragen hat. Hätte der Kläger lediglich den Anspruch auf eine befristete Rente erhoben, hätte im gerichtlichen Verfahren nach § 102 Abs. 2 Satz 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) eine Rente mit einer Befristung von längstens drei Jahren gem. § 123 SGG zuerkannt werden können. Soweit der Kläger den Anspruch auf eine unbefristete Rente erhob, stellte er damit sicher, sich nicht die ausdrückliche Beschränkung des von ihm erhobenen Anspruchs gem. § 123 SGG entgegen halten lassen zu müssen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass dieses Ergebnis auf prozessrechtlich anderem Wege hätte erreicht werden können, indem entsprechend des nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI vorgesehenen Regelfalls einer befristeten Rente ein hierauf gerichteter Mindestantrag gestellt worden wäre, der dadurch nach oben offen, d. h. auch auf eine unbefristete Rente gerichtet wäre.
Ausgehend von dem so auszulegenden Klageanspruch hatte die Klage zumindest im Umfang der mit einer längeren Befristungsdauer zuerkannten Rente wegen voller Erwerbsminderung Erfolg. Hinsichtlich des darüber hinaus gehenden, auf eine unbefristete Erwerbsminderungsrente gerichteten Klagebegehrens ist der Klage eine Erfolgsaussicht nicht abzusprechen. Die derzeit vorliegenden medizinischen Unterlagen lassen jedenfalls nicht den Schluss zu, dass der Kläger bei Fortsetzung des Streitverfahrens nicht auch mit dem Begehren einer unbefristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung Erfolg hätte haben können, da sie nicht geeignet sind, die maßgeblichen Fragen hierzu abschließend zu beantworten. Es bedurfte weiterer Ermittlungen zu der Frage, ob die Behebung der Minderung der Erwerbsminderung unwahrscheinlich ist (vgl. § 102 Abs. 2 S. 4 SGB VI). Zur Auslegung des Begriffs "unwahrscheinlich" und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Sachverhaltsaufklärung wird auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.03.2006 (Az.: B 13 RJ 31/05 R) verwiesen. Da diese Sachverhaltsaufklärung noch nicht erfolgt war, wäre selbst die Fortsetzung des gerichtlichen Verfahrens durch den Kläger durch die Beklagte veranlasst worden.
Nach den obenstehenden Erwägungen zur Erfolgsaussicht der Klage ist es schon gerechtfertigt, der Beklagten den überwiegenden Teil der außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen. Dominierende Gesichtspunkte sind allerdings vorliegend die zur Veranlassung zur Klageerhebung durch die Beklagte, so dass es nicht in Betracht kam, der Beklagten die außergerichtlichen Kosten im Rahmen einer Quotelung nur teilweise aufzuerlegen. Unter Würdigung sämtlicher Gesichtspunkte hat die Beklagte daher die Kosten des Klägers dem Grunde nach voll zu erstatten.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 15.06.2007
Zuletzt verändert am: 15.06.2007