Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.10.1998 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Einstellung der Rentenzahlung ab November 1997.
Der am …1928 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger, lebt seit September 1961 in Chile und wohnt auf dem Gelände der ehemaligen "Sociedad Benefactora y Educacional D." (der sogenannten Colonia D. – CD -).
Ohne Anhörung des Klägers stellte die Beklagte mit Bescheid vom 29.09.1997 die Zahlung der ab 01.11.1993 bewilligten Altersrente mit Ablauf des Monats Oktober 1997 ein: Nach §§ 2 Abs. 2 und 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I bestehe für den Rentenversicherungsträger eine Obhutspflicht, dafür zu sorgen, daß jeder Berechtigte die ihm vom Gesetz zugedachte Rente auch tatsächlich erhalte und für sich nutzen könne. Aufgrund der in der CD herrschenden Verhältnisse sei davon auszugehen, daß der Kläger aufgrund des von der Leitung der CD ausgeübten Zwanges die Rente tatsächlich nicht nutzen könne. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Rentenzahlung seine persönliche Situation noch verschlechtere, indem die Geldleistung letztlich allein der Führung der CD dabei helfe, seine Abhängigkeit aufrecht zu erhalten. Die Obhutspflicht könne nur realisiert werden, indem die Rentenzahlung vorläufig eingestellt werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.1997 wies die Beklagte den Widerspruch vom 23.10.1997 als unbegründet zurück und berief sich dabei u.a. auf zwei Urteile des Bundessozialgerichts vom 22.02.1995 (4 RA 54/93 und 4 RA 44/94, SozR 3-1200 § 66 Nr. 3). Aus dessen Ausführungen lasse sich entnehmen, daß der Sozialversicherungsträger seine Leistung dann einstellen müsse, wenn nicht gewährleistet sei, daß die Zahlung vom Berechtigten in freier Selbstbestimmung genutzt werden könnte. Denn der ungehinderte Zufluß der Zahlung sei eine der Voraussetzungen der Leistung. Hier beständen ernsthafte Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger infolge des von der Führung der CD ausgeübten Zwanges geschäftsunfähig sei. Abgesehen von der vorläufigen Zahlungseinstellung habe sie keine weitere Handhabe, um die ihr auferlegte Obhutspflicht zu realisieren.
Mit seiner Klage ist der Kläger der Rechtauffassung der Beklagten entgegengetreten. Für die Einstellung der Regelaltersrente bestehe keine Rechtsgrundlage. Im übrigen seien die Bescheide unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft.
Mit Urteil vom 06.10.1998 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 29.09.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1997 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die seit dem 01.11.1997 eingestellte Rentenzahlung wieder aufzunehmen und dem Kläger die Rente auszuzahlen. Die Klage sei zulässig und begründet. Hinsichtlich der Prozeßfähigkeit des Klägers bestünden keine Bedenken. Aus den allgemeinen Zuständen innerhalb der CD könne nicht auf den Einzelfall des Klägers geschlossen werden. Die §§ 2 Abs. 2, 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I beeinhalteten keine Ermächtigungsgrundlage für die Einstellung der Rente. Hierfür stehen dem Leistungsträger nur die §§ 60 ff. SGB I zur Verfügung. Diesen Weg habe die Beklagte ausweislich der Begründung der angefochtenen Entscheidungen nicht gewählt. Insoweit scheide auch eine Umdeutung in eine Leistungsentziehung im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I aus, zumal bei unterbliebener Mitwirkung des Leistungsempfängers die Entziehung der Leistung im Ermessen des Leistungsträgers stehe. Die Beklagte sei auch zur Zahlung der seit November 1997 einbehaltenen Regelaltersrente zu verpflichten gewesen. Das Verhalten der Beklagten zeige, daß allein mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide dem Rechtsschutzinteresse des Klägers nicht ausreichend Rechnung getragen werde.
Gegen das ihr am 16.11.1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09.12.1998 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, sie habe als Sozialleistungsträgerin eine Obhutspflicht, dafür Sorge zu tragen, daß Sozialleistungen die Leistungsberechtigten tatsächlich erreichen. Nach den bekannt gewordenen Umständen in der CD hätten sich Gründe der Versagung bzw. Entziehung herausgestellt, die vorliegend zu beachten seien. Dazu hat sich die Beklagte auf einen Bericht eines Dr. David Becker vom 14.10.1997 über die Verhältnisse in der CD berufen. Ferner habe sich bei einem Rentensprechtag in Chile am 19.10.1994 die Vermutung bestätigt, daß nach wie vor Zwang auf die Mitglieder der CD ausgeübt werde. Wenn sie ihrer Obhutsverpflichtung nachkommen wolle, müsse sie als Ultima Ratio in der speziellen Situation der CD anders als mit den Maßnahmen nach den §§ 60 ff. SGB I, der Einleitung eines Betreuungsverfahrens oder der Hinterlegung von Geld zu einer vorläufigen Zahlungseinstellung berechtigt sein.
Über den Zustand des Klägers habe sie keinerlei konkrete Informationen, insbesondere auch nicht über die Form seiner Unterbringung. Sie werde jetzt beim Amtsgericht Düsseldorf die Einrichtung einer Betreuung des Klägers einleiten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.10.1998 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das BSG habe lediglich im Rahmen der Mitwirkungspflicht bzw. im Rahmen des Ermessens entschieden, daß die §§ 2 Abs. 1 und 17 SGB I im Rahmen einer Nebenpflicht zu berücksichtigen seien. Sämtliche Instanzgerichte gingen davon aus, daß die von der Beklagten konstruierte Obhutsverpflichtung keine Eingriffs- oder Ermächtigungsgrundlage für die Einstellung bzw. Nichtauszahlung einer Rente beinhalte.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streit- und Verwaltungsakten sowie die Senatsakte L 3 B 2/99 RJ Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Auszahlung und Weiterzahlung der Rente verurteilt. Zu Unrecht hat die Beklagte die Zahlung der Rente an den Kläger eingestellt. Für eine solche Einstellung muß das auf einer entsprechenden Ermächtigung beruhende förmliche Verfahren eingehalten werden. Daran fehlt es hier.
Die Klage war zulässig. Insbesondere scheiterte die Zulässigkeit nicht an der von der Beklagten in Zweifel gezogenen Geschäftsfähigkeit des Klägers, die – auch das übersieht die Beklagte – bereits die Rechtmäßigkeit ihrer Bescheide mangels wirksamer Bekanntgabe in Frage gestellt hätte.
Der Senat sieht – in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht – keinen Anhaltspunkt für eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers. Die Beklagte selbst hat im Termin zur mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß sie über den Zustand des Klägers keinerlei konkrete Informationen habe, insbesondere auch nicht über die Form seiner Unterbringung. Aus dem Akteninhalt erschließen sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers. Die diesbezüglichen Spekulationen der Beklagten geben keine Veranlassung zu entsprechenden Ermittlungen, denn die amtliche Sachaufklärungspflicht erfordert nicht, nach Tatsachen zur forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalles keine Anhaltspunkte bieten (ständige Rechtsprechung, zuletzt BSG, Urt. v. 07.05.1998 – B 11 AL 81/97 R – m.w.N).
Mit Recht hat das Sozialgericht der Klage auch in vollem Umfang stattgegeben.
Allein die durch keinerlei konkrete Tatsachen begründete Besorgnis der Beklagten, die Rentenzahlungen könnten dem Kläger nicht zufließen, rechtfertigt eine Einstellung der Rentenzahlungen nicht. Die Vorschriften der §§ 2 Abs. 2, 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I enthalten keine das Vorgehen der Beklagten rechtfertigende Ermächtigungsgrundlage. Es fehlt offensichtlich am Eingriffstatbestand, der sich aufgrund des aus Art. 20 Abs. 3 GG und § 31 SGB I folgenden Gesetzesvorbehalts bereits eindeutig aus dem Wortlaut ergeben muß (so auch LSG Bremen, Urt. v. 16.12.1998 – L 3 V 3/98).
Allerdings hat der 4. Senat des BSG in den Urteilen vom 22.02.1995 (a.a.O.) die Auffassung vertreten, aus §§ 2 Abs. 2, 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I folge für den Leistungsträger die Obhutspflicht dafür zu sorgen, daß der Berechtigte die ihm im Gesetz zugedachten Sozialleistungen tatsächlich er halte. Dies liege sowohl im Interesse des Berechtigten wie wie der Versichertengemeinschaft bzw. der Allgemeinheit, die vor Schaden aus fehlgeleiteten Sozialleistungen bewahrt bleiben müßten. Diese Obhutspflicht berechtige den Leistungsträger zur Einleitung eines Verfahrens nach § 66 SGB I an dem der Versicherte nach § 61 SGB I mitwirken müsse.
Aus einer so verstandenen Obhutspflicht läßt sich jedoch kein den §§ 2 Abs. 2, 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I innewohnender eigenständiger Eingriffstatbestand herleiten. Wie schon das LSG NRW im bestandskräftigem Urteil vom 30.01.1996 (L 18 J 26/94) ausgeführt hat, erlauben die §§ 2 Abs. 2, 17 Abs. 2 Nr. 1 SGB I bereits nicht die Konstruktion einer Nebenpflicht in dem vom BSG gemeinten Sinn.
Durch die isolierte Hervorhebung der Begriffe "verwirklicht" (§ 2 Abs. w SGB I) und "erhält" (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I) unterstellt das BSG (a.a.O.) den Vorschriften eine Bedeutung, den diese nach ihrem – bislang unstreitig anerkannten – Normgehalt nicht haben. § 2 Abs. 2 SGB I schreibt vor, daß die sozialen Rechte der §§ 3-10 SGB I bei der Auslegung der Vorschriften und der Ausübung des Ermessens zu beachten sind; dabei soll sichergestellt werden, daß diese "sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden". Bedeutung und Gehalt der Regelung sind umstritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Sozialleistungsträger seien zur Verwirklichung der sozialen Rechte gehalten, Ansprüche möglichst zu bejahen und insbesondere da, wo Gestaltungsfreiräume in Form von Ermessens- oder Beurteilungsspielräumen bestehen, im Zweifel zu Gunsten der Bürger zu entscheiden (vgl. etwa von Maydell, NJW 1976, 161, 162, Seewald,in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, SGB I, § 2 Rdnr. 10). Andere messen § 2 Abs. 2 SGB I nur eine deklaratorische Bedeutung bei und lehnen einen Grundsatz, wonach Sozialrechtsnormen zu Gunsten des Bürgers auszulegen seien, ab (siehe etwa Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, SGB I, § 2 Anm. II 1; Verbandskommentar, § 2 SGB I Rdnr. 7; siehe auch Arndt, SGB 1979, 406, 409, der sogar zur "Mißachtung" der "verfehlten Norm" aufruft). § 2 Abs. 2 SGB I kann also allenfalls entnommen werden, daß die Vorschriften des besonderen Sozialrechts im Sinne der sozialen Rechte als "authentische Interpretationsregeln" (so Rüfner, in: Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 2 SGB I Rdnr. 8), auszulegen sind und bei jeder Entscheidung zu beachten ist, daß die Bürger die ihnen zustehenden Leistungen erhalten. Auf dieser Linie hat etwa das BSG bei der Rückforderung von Leistungen verlangt, im Rahmen der Ermessenprüfung zu berücksichtigen, daß der Bürger nunmehr eine Sozialleistung, die ihm von einem anderen Träger zugestanden hätte, nicht mehr erhalten könne (BSGE 48, 190, 193), oder in einem anderen Fall darauf hingewiesen, die Versicherungsträger müßten bei der Auslegung von Anträgen davon ausgehen, daß die Versicherten die ihnen günstigste Art der Leistungsgewährung in Anspruch nehmen wollten (BSGE 49, 71, 74).
"Verwirklichung" der sozialen Rechte bedeutet nach alledem für die Versicherungsträger nur die Verpflichtung, die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs so auszulegen und Handlungsspielräume so zu nutzen, daß Leistungen in dem Umfang eingeräumt werden, wie dies zur Behebung der spezifischen Bedarfslagen erforderlich ist. § 2 Abs. 2 SGB I zielt also allenfalls auf eine "wohlwollende", "großzügige" Leistungsgewährung und schafft keineswegs einen Eingriffstatbestand.
Noch weniger begründet § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I eine Pflicht der Sozialleistungträger dafür zu sorgen, daß es auch tatsächlich der Berechtigte ist, der die Leistung enthält. Schon die gesetzliche Überschrift "Ausführung der Sozialleistungen" zeigt, daß mit der Vorschrift der Verwaltungsablauf der Leistungsträger angesprochen wird. § 17 Abs. 1 SGB I enthält ein "Beschleunigungsgebot" (so Seewald, a.a.O., § 17 Rdnr. 2), die Leistungsträger sollen allgemein zu einer effektiven und addressatengerechten Gestaltung ihrer Verwaltungsorganisation und ihres Verwaltungsverfahrens angehalten werden, damit die Berechtigten die für sie meist existenznotwendigen Leistungen schnell und in vollem Umfang erhalten (vgl. Verbandskommentar, § 17 SGB I Rdnr. 3). Dementsprechend liegt die Betonung auf den Worten "schnell" und "umfassend". Die Sozialleistungsträger haben die Pflicht, Leistungsanträge zügig zu bescheiden und ggfs. Vorschüsse zu leisten, "schnell" bzw. "umfassend" darauf zu achten, die Ansprüche der Berechtigten sofort in vollem Umfang zu erfüllen, damit diese nicht etwa noch einen anderen Träger in Anspruch nehmen müssen (vgl. Rüfner, a.a.O., § 17 Rdnr. 4). Diese Pflicht können die Sozialleistungsträger nicht durch Nichtzahlung erfüllen (LSG Bremen, a.a.O.), umso weniger, als dadurch ihre Zielsetzung ins Gegenteil verkehrt würde. Ein Eingriffstatbestand in Form der Nichtzahlung einer bestandskräftig bewilligten Leistung läßt sich der Norm schon gar nicht entnehmen.
Sonstige Vorschriften zur Begründung einer Obhutspflicht sind nicht ersichtlich. Der Senat hält es auch für verfehlt, den Rentenversicherungsträgern eine solch weitgehende Nebenpflicht aufzuerlegen. Es wäre schon zweifelhaft, wie weit diese Pflicht reicht. So haben auch Ordensangehörigen und Geistliche ein Armutsgelübde abgelegt. Bei ihnen ebenso wie etwa bei Schwerstpflegebedürftigen ließe sich bezweifeln, ob sie Nutznießer ihrer Rente sind. Es könnte auch mit guten Gründen bezweifelt werden, daß ein Drogen- oder Alkoholabhängiger oder ein krankhafter Spieler eine Rente "erhält", wenn er das Geld in vollem Umfang zur Befriedigung seiner Sucht einsetzt. Außerdem ist nicht erkennbar, wie die Rentenversicherungsträger eine solche Nebenpflicht erfüllen sollten. Eine Obhutspflicht bestünde gegenüber allen Versicherten und dürfte nicht von zufällig erhaltenen Informationen abhängen. Zu ihrer Verwirklichung wäre ein Informations- und Überwachungssystem erforderlich, das gesetzlich nicht vorgesehen ist. Z.B. müßten dann Rentenantragsteller nach der Zugehörigkeit zu Sekten oder anderen Gruppen befragt und diese Gemeinschaften auf ihre Strukturen untersucht werden. Bei Bestandsrentnern – wie hier – müßte in regelmäßigen Abständen nach Umständen geforscht werden, die auf eine Einschränkung der freien Willensbildung schließen ließen.
Selbst wenn eine die Geschäftsfähigkeit berührende Fremdbestimmung der Leistungsberechtigten erkennbar wäre, kann ein Rentenversicherungsträger nicht von sich aus die Rente etwa an einen "Treuhänder" zahlen. Er kann in einem solchen Fall lediglich bei der zuständigen Betreuungsbehörde die Einrichtung einer Betreuung anregen. Weshalb er allerdings bis zur Entscheidung dieser Behörde notfalls die Rente zurückbehalten (um sicherzustellen, daß der Leistungsberechtigte sie tatsächlich "erhält") und dadurch dem Leistungsberechtigten die zur Bestreitung des Lebensunterhalts notwenigen Mittel entziehen können sollte, wäre nicht verständlich. Vor allem ist insoweit auch kein Schaden für die Versichertengemeinschaft oder die Allgemeinheit wegen "fehlgeleiteter" Sozialleistungen erkennbar. Das Rentenrecht ist seiner Natur nach wertneutral (so zur politischen Neutralität des Rentenrechts zu Recht BSG, Vorlagebeschluß vom 14.06.1995 – 4 RA 54/94). Es sieht nur in eng begrenzten Fällen die Versagung von Leistungen vor (§§ 103-105 SGB VI). In allen übrigen Fällen ist mithin die Versichertengemeinschaft mit Ansprüchen von Berechtigten belastet, ohne daß deren Verwendung der Leistungen für die Entscheidung über den Anspruch von Bedeutung wäre. Auch die "vernunftwidrige" Verwendung der Rente belastet somit die Versichertengemeinschaft nicht. Allenfalls wäre ein Schaden für die Allgemeinheit denkbar, wenn sie für den Leistungsberechtigten aufkommen müßte, falls ihm die Rente nicht zufließt. In diesen Fällen wäre es dann jedoch Aufgabe der zuständigen Behörde, dafür Sorge zu tragen, daß die Rente tatsächlich für den Lebensunterhalt der Leistungsberechtigten zur Verfügung steht (im Sozialhilferecht etwa hinsichtlich der Rente durch Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegenüber dem Rentenversicherungsträger (§ 104 SGB X), im übrigen durch die Überleitung von Ansprüchen, § 90 BSHG).
Bieten damit die von der Beklagten herangezogenen Normen keine Ermächtigung für die Einstellung der Rente, ist auch keine sonstige Grundlage für deren Einstellung ersichtlich (ebenso LSG NRW Urteil vom 08.03.1999 L 4 RJ 208/98, Revision eingelegt B 5 RJ 22/99, LSG Bremen, a.a.O.). Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung können entzogen werden, wenn die Voraussetzungen der §§ 44 ff. SGB X, die hier nicht in Betracht kommen, oder des § 66 SGB I erfüllt sind. Dies ist aber nach § 66 Abs. 3 SGB I nur möglich, wenn der Leistungsberechtigte nicht mitgewirkt hat, auf die Folgen der fehlenden Mitwirkung schriftlich hingewiesen worden und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist nachgekommen ist. Dieses Verfahren hat die Beklagte nicht eingeleitet und auch nicht einleiten wollen, weshalb auch eine Umdeutung der angefochtenen Bescheide in solche nach § 66 SGB I ausscheidet. Es ist auch nicht erkennbar, welche Mitwirkungspflicht der Kläger verletzt habe könnte. Unabhängig davon hat die Beklagte ihn aber auch nicht in der vorgesehenen Form zur Mitwirkung aufgefordert.
Letztlich scheidet eine Umdeutung der angefochtenen Bescheide bereits deshalb aus, weil es an der nach § 66 Abs. 1 S. 1 SGB I erforderlichen spezifischen Ermessensausübung mangelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Erstellt am: 11.08.2003
Zuletzt verändert am: 11.08.2003