Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13. Dezember 2002 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch Waisenrente auch für den mehr als vier Jahre zurückliegenden Zeitraum vom 23.12.1990 bis 31.12.1995 zusteht. Der am 00.00.1982 geborene Kläger lebte seit August 1989 mit seiner leiblichen Mutter und dem Versicherten in einem gemeinsamen Haushalt. Der mit der Mutter des Klägers seit dem 02.11.1990 verheiratete Versicherte verstarb am 23.12.1990. Am 15.01.1991 sprach die Mutter des Klägers bei dem vom Sozialgericht als Zeugen gehörten Versicherungsältesten der Beklagten vor, mit dem zusammen sie einen schriftlichen Antrag auf Bewilligung einer Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des Ehemannes aufnahm. Die Frage danach, ob Witwe, Witwer, der frühere Ehegatte Kinder haben, die im Verhältnis zu ihm/ihr waisenrentenberechtigt wären, ist im Antragsformular mit "Nein" angekreuzt. Ein Zusatzfragebogen zum Rentenantrag vom 15.01.1991 enthält auf die Frage nach dem seit dem Monat des Todes bezogenem Erwerbsersatzeinkommen die einzige Eintragung "Übergangsgeldleistungen bei Maßnahmen gegen Berufskrankheiten" sowie weiter "vom 02.11.1989 bis laufend Übergangsgeld, Arbeitsamt Düsseldorf, 900 075 s. Anlagen!". Im Zusammenhang mit dem Antrag abgeheftet sind verschiedene Bescheinigungen, nicht jedoch solche bezüglich des Übergangsgeldes. Mit Bescheid vom 13.06.1991 bewilligte die Beklagte der Mutter des Klägers Witwenrente nach dem Versicherten ab dem 23.12.1990. Im Mai 2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von Halbwaisenrente mit der Angabe, er sei der nichteheliche Sohn des Versicherten. Seine Mutter habe nach dem Tod des Versicherten Witwenrente erhalten und hätte darauf hingewiesen werden müssen, dass ihm Halbwaisenrente zustehe. Er beantrage daher, die Halbwaisenrente rückwirkend zu bewilligen. Die Beklagte ermittelte zum Aufenthalt des Klägers in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Versicherten ab August 1989 sowie zu seiner aktuellen Ausbildungssituation und bewilligte dann mit Bescheid vom 04.12.2000 Waisenrente für die Zeit vom 01.05.1999 bis 31.01.2001. Rente könne nach § 99 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) nur für 12 Monate vor dem Monat der Antragstellung geleistet werden. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger erneut einen Beratungsfehler der Beklagten bei der Antragstellung für die Witwenrente seiner Mutter geltend. Sie hätte seine Mutter darauf hinweisen müssen, dass ein Antrag auf Halbwaisenrente für ihn zu stellen sei. Mit Bescheid vom 23.01.2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger Halbwaisenrente für den Zeitraum vom 01.01.1996 bis 30.09.1999. Leistungen für den davor liegenden Zeitraum seien wegen der Begrenzung auf vier zurückliegende Jahre nach § 44 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ausgeschlossen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger erneut Widerspruch mit dem Ziel eines Zahlungsbeginnes ab Dezember 1990. Mit weiteren Bescheiden vom 09.05.2001 und 25.09.2001 bewilligte die beklagte dem Kläger Halbwaisenrente bis zum 31.07.2001 und berechnete diese aufgrund veränderter Entgeltpunkte neu. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Nachzahlungsanspruch sei nach § 44 Abs. 4 SGB X auf den bis zu vier Jahren zurückliegenden Zeitraum beschränkt.
Mit der Klage zum Sozialgericht hat der Kläger seine Argumentation aus dem Widerspruchsverfahren fortgeführt. Die Beklagte hat weiter die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zwar dem Grunde nach als gegeben, dem Umfang nach jedoch auf vier zurückliegende Jahre entsprechend § 44 Abs. 4 SGB X begrenzt angesehen.
Das Sozialgericht hat den seinerzeit tätigen Versichertensältesten F Q und die Klägerin in einer nichtöffentlichen Sitzung am 26.04.2002 angehört. Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.12.2001 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Es hat die Beklagte unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, dem Kläger Waisenrente auch für die Zeit vom 23.12.1990 bis zum 31.12.1995 zu bewilligen. Der Anspruch des Klägers auf Nachzahlung seiner Halbwaisenrente ergebe sich aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der unterlassene Hinweis auf die Möglichkeit, für den Kläger Halbwaisenrente zu beantragen, einen Beratungsfehler des als Zeugen gehörten Versichertensältesten darstelle. Der Nachzahlungsanspruch sei auch nicht entsprechend § 44 Abs. 4 SGB X auf längstens vier zurückliegende Jahre beschränkt oder verjährt. Dieser von Rechtsprechung und Literatur im Rahmen sozialrechtlicher Herstellungsansprüche vertretene Ansatz sei auf das hier zu prüfende Erstfeststellungsverfahren nicht übertragbar. Die Kammer folge insoweit der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG (Urteil vom 02.08.2000 – B 4 RA 54/99 R -). Hiergegen stehe auch nicht das in der Rechtsprechung (BSG Urteil vom 14.02.2001 – B 9 V 9/00 R) verwendete Argument, die Verletzung einer Nebenpflicht könne nicht weiterreichende Folgen als die Verletzung einer Hauptpflicht haben. Eine Begrenzung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches durch den Einwand der Verjährung nach § 54 SGB I sei zwar denkbar, scheide jedoch hier aus, weil die Beklagte die zu treffende Ermessensentscheidung unterlassen habe.
Gegen das ihr am 23.01.2003 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 13.02.2003, mit der sie eine Begrenzung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches durch analoge Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes verficht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.12.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für richtig.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Prozessakten unter Einschluss der beigezogenen Verwaltungsakten des Klägers und seiner Mutter bzw. des Versicherten bei der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Sozialgericht die Beklagte zu Recht unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, dem Kläger Halbwaisenrente auch für die Zeit vom 23.12.1990 bis zum 31.12.1995 zu bewilligen.
Der Kläger hat (auch) für den strittigen Zeitraum einen Anspruch auf Halbwaisenrente aus § 1267 Abs. 1 i.V.m. Abs. 1a der Reichsversicherungsordnung als Rechtsfolge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches, dessen Erstreckung auf den streitigen Zeitraum eine entsprechende Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X nicht entgegensteht. Der Kläger hatte bei Versterben seines Stiefvaters einen Halbwaisenrentenanspruch nach § 1267 Abs. 1, 1a RVO (Reichsversicherungsordnung in der seinerzeit anwendbaren Fassung der letzten Änderung durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 09.07.1990, BGBl. I, 1354). Hiernach erhielten Waisenrente nach dem Tode des Versicherten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres und längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (§ 1267 Abs. 1 Sätze 1,2 RVO). Als Kinder galten dabei auch die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommenen Stiefkinder … (§ 1267 Abs. 1a RVO). Der Kläger war beim Versterben seines Stiefvaters waisenrentenberechtigt, da er als Kind des Versicherten, den seine Mutter am 02.11.1990 geheiratet hatte, ab August 1989 mit beiden in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hatte. Nach § 1290 Abs. 1 Satz 3 RVO in der angegebenen Fassung war Hinterbliebenenrente vom Zeitpunkt des Todes des Versicherten an zu gewähren, wenn für den Versicherten im Sterbemonat keine Rente zu zahlen war. Der Anspruch wurde jedoch vom Kläger bzw. seitens seiner ihn damals noch vertretenden Mutter seinerzeit nicht geltend gemacht. Als der Anspruch auf Halbwaisenrente dann am 31.05.2000 geltend gemacht wurde, galten §§ 1267, 1290 RVO nicht mehr, waren vielmehr durch das SGB VI abgelöst worden. Ansprüche auf Halbwaisenrente richteten sich zum Zeitpunkt des Antrags nach § 48 Abs. 1 SGB VI. Hinsichtlich der nachträglichen Geltendmachung durch einen verspätet gestellten Antrag bestimmte nunmehr § 99 Abs. 2 SGB VI, eine Hinterbliebenenrente werde von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Sie werde bereits vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten eine Rente im Sterbemonat nicht zu leisten ist sowie, dass eine Hinterbliebenenrente nicht für mehr als 12 Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet wird (§ 99 Abs. 2 Satz 3 SGB VI).
Der Kläger ist allerdings – als Rechtsfolge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches – so zu stellen, als sei der Antrag auf Halbwaisenrente zeitnah zum Tode des Versicherten und noch unter der Geltung der RVO gestellt worden. Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches liegen vor, weil der Verlust der wegen fehlenden Antrags nicht bezogenen Halbwaisenrente einen Schaden darstellt, der auf eine der Beklagten zurechenbare Nebenpflichtverletzung im Rahmen eines Sozialrechtsverhältnisses zurückzuführen ist (zu den Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches stellvertretend für die umfangreiche Judikatur: BSG Urteil vom 22.10.1996 – 13 RJ 69/95 – und für Literatur und Kommentierung: Erlenkämper/Fichte, Sozialrecht, 5. Auflage 2002, Seiten 113 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen). Hierbei ist eine der Beklagten zurechenbare Nebenpflichtverletzung entstanden, als sich die seinerzeit den Kläger vertretende Mutter an den Versichertenälteste Q gewandt hat und dieser im Rahmen des konkreten Beratungsbegehrens nicht darauf hingewiesen hat, dass für den Kläger Halbwaisenrente beantragt werden konnte.
Das Verhalten des Versichertensältesten ist der Beklagten zuzurechnen. Die Zurechnung des Verhaltens anderer Behörden, sofern diese in den Aufgabenkreis der haftenden Behörde eingebunden ist, ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt (BSG a.a.O. m.w.N.). Erst recht gilt dies für das Verhältnis zwischen der Beklagten und dem für sie tätigen Versichertensältesten Q. Denn dieser nahm bei der Beratung der Mutter und damaligen gesetzlichen Vertreterin des Klägers eine durch § 39 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) gesetzlich zugewiesene Aufgabe wahr. Hiernach haben die Versichertensältesten die Aufgabe, eine ortsnahe Verbindung des Versicherungsträgers mit den Versicherten und den Leistungsberechtigten herzustellen und diese zu beraten und zu betreuen. Im Rahmen dieser Aufgabenwahrnehmung ist dem Zeugen Q ein Fehler unterlaufen. Denn er hat die Mutter des Klägers nicht auf die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme des Sozialgerichts naheliegende Möglichkeit, für den Kläger einen Halbwaisenantrag zu stellen, hingewiesen. Entgegen der Antwort im Fragebogen vom 15.01.1999, es sei kein waisenrentenberechtigtes Kind vorhanden, hatte er eine Möglichkeit zu erkennen, dass ein anspruchsberechtigtes minderjähriges Kind vorhanden war. Dies ergibt sich auch aus einem, vom Sozialgericht nicht erörterten Umstand: Nach den im Tatbestand wiedergegebenen Aufzeichnungen im Antragsformular vom 15.01.1991 hat die Mutter des Klägers bei der Antragstellung Bescheinigungen des Arbeitsamtes über seinerzeit bezogene Lohnersatzleistungen vorgelegt. Aus dem Zusatz "siehe Anlagen" und der "00075" ist zu schließen, dass der Bescheid der Arbeitsverwaltung, mit dem seinerzeit Unterhaltsgeld bewilligt worden war, vorgelegen hat.
Die Höhe des Unterhaltsgeldes richtete sich seinerzeit u.a. danach, ob mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs.1, 4, 5 des Einkommenssteuergesetzes beim Arbeitslosen oder seinem Ehegatten vorhanden war. Die dementsprechend zustehende Leistungsgruppe wurde mit A-G in den Bewilligungsbescheiden angegeben (§§ 59 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 111 Abs. 1 Nr. 1 AFG – Arbeitsförderungsgesetz vom 25.06.1969 in der für das Jahr 1989 anwendbaren Fassung der letzten Änderung durch das Gesetz zur Strukturform im Gesundheitswesen vom 20.12.1988, BGBl. I, Seite 2477 – in Verbindung mit der jährlich erneuerten AFG-Leistungsverordnung). Eine Unterhaltsgeld-Bescheinigung der Arbeitsverwaltung war somit der Hinweis auf die Existenz eines steuerlich relevanten Kindes zu entnehmen. Diesen Hinweis musste der Zeuge Q sehen und dementsprechend der Mutter des Klägers zu einer Antragstellung auf Halbwaisenrente raten. Da die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches somit vorliegen, ist der Kläger so zu stellen, als habe er bzw. seine Mutter seinerzeit, d.h. am 15.01.1991 Halbwaisenrente beantragt. Für diese "Erstfeststellung" gilt daher insbesondere noch das anzuwendende RVO-Recht, nicht die erst mit dem SGB VI eingeführte Begrenzung der Rückwirkung der nachträglichen Anträge auf Hinterbliebenenrente in § 99 Abs. 2 Satz 3 SGB VI. Denn das Recht der RVO kannte eine derartige Begrenzung nicht; nach § 1290 Abs. 1 Satz 2 RVO stand Hinterbliebenenrente vielmehr grundsätzlich unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung ab dem Zeitpunkt des Todes des Versicherten zu, sofern der Versicherte nicht selbst im Sterbemonat Rente bezogen hatte, um nunmehr entfallenden Unterhalt nahtlos zu ersetzen (BSG, Urteil vom 25.09.1975 – 12 RJ 124/74, SozR 2200 § 1290 RVO Nr. 5 zum Rentenanspruch der nachgeborenen Waise).
Der Anspruch auf Leistungen für die Zeit vor dem 01.01.1996 ist nicht wegen Ablaufs der 4-jährigen Frist aus § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verjährt. Denn die Beklagte hat diese Einrede nicht geltend gemacht (§§ 45 Abs. 2 SGB I, 222 Abs. 1 BGB; einer Umdeutung ihres Prozessverhaltens in eine Einrede steht entgegen, dass die Beklagte keine Ermessensbetätigung hat erkennen lassen, weil sie sich durch § 44 Abs. 4 SGB X gebunden glaubt, vgl. § 43 Abs. 3 SGB X).
Dem Halbwaisenrentenanspruch des Klägers für den jetzt noch streitigen Zeitraum aus § 1267 RVO steht auch nicht eine zeitliche Begrenzung in der Rechtsfolge des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs analog § 44 Abs. 4 SGB X entgegen. Hiernach werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist.
§ 44 SGB X gilt nicht in direkter Anwendung, da die Beklagte bis zum Erlass der angefochtenen Bescheide noch nicht über den Anspruch des Klägers entschieden hatte. Einer analogen Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X steht entgegen, dass es sich hier um eine "Erstfeststellung" handelt.
Der Senat schließt sich damit der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG in dessen Urteil vom 06.03.2003 ( -B 4 RA 38/02 R- -BSGE 91, 1 -SozR 4- 2600 § 115 Nr. 1 – NZS 2004, 149 ff.) an. Dort gibt das BSG dem LSG im Rahmen der Zurückverweisung auf, ( …) "zu Grunde zu legen …, dass der einzelanspruchsvernichtende ("Vier-Jahres-")Einwand aus § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X in allen Erstfeststellungsverfahren nicht gilt, zu denen auch Erstfeststellungen gehören, die auf Grund eines rentenversicherungsrechtlichen Herstellungsrechts getroffen werden müssen" ( …). Dem entnimmt der erkennende Senat, dass § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X auch bei der hier streitigen Halbwaisenrente nicht (entsprechend) gilt.
Nach der derzeit wohl herrschenden Meinung – allerdings regelmäßig ohne Differenzierung nach Fällen mit und ohne Erstfeststellungscharakter – enthält § 44 Abs. 4 SGB X zwar keinen allgemeinen Rechtsgedanken (zur Nichtanwendung auf die Verjährung nach § 29 Abs. 3 RVO bzw. 45 Abs. 1 SGB I: BSG vom 22.10.1996 – 13 RJ 17/96 – BSGE 79, 177 – SozR 3-1200 § 45 Nr. 6; zur Nichtanwendung für die Nachzahlung von Kindergeld, nachdem dessen Zahlung ohne Verwaltungsakt eingestellt worden war: BSG Urteil vom 22.06.1994 – 10 RKg 32/93 – BSGE 74, 267 – SozR 3- 1200 § 45 Nr. 4; zur Nichtanwendung hinsichtlich der Überprüfung länger als vier Jahre zurückliegender Rückforderungsbescheide: BSG Urteil vom 12.12.1996 – 11 RAr 31/96 – SozR 3- 1300 § 44 Nr.19; zur Nichtanwendung, wenn sich der Grund der Besserstellung aus § 119 SGB X ergibt: BSG Urteil vom 31.1.2002 – B 13 RJ 23/01 R – BSGE 89, 151 – SozR 3- 1300 § 44 Nr. 34). Rechtsprechung, Kommentierung und Literatur halten die in § 44 Abs. 4 SGB X vorgesehene zeitliche Begrenzung jedoch überwiegend für auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch übertragbar; ein Anspruch des Klägers für den hier noch offenen Zeitraum wäre danach ausgeschlossen (für die Rechtsprechung: BSG Urteil vom 14.02.2001 – B 9 V 9/00 R – BSGE 87, 280 – SozR 3-1200 § 14 Nr. 31 mit Nachweisen der "ständigen Rechtsprechung" des BSG; BSGE Beschluss vom 28.01.1999 – B 14 EG 6/98 B – SozR 3-1300 § 44 Nr. 25; BSG Urteil vom 09.09.1986 – 11a RA 28/85 – BSGE 60, 245 – SozR 1300 § 44 Nr. 24, aufgegeben durch Urteil vom 02.08.2000 – B 4 RA 54/99 R – SozR 3-2600 § 99 Nr. 5; Hessisches LSG Urteil vom 30. Juni 1998 – L 4 V 1306/97 -, nachfolgend Beschluss BSG vom 06.11.1998 – B 9 V 90/98 B -; Urteil des LSG NRW vom 15.02.2002 – L 13 RJ 102/01 -, nachfolgend Beschluss BSG vom 21.01.2003 – B 5 RJ 88/02 B – Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos; für die Kommentierung: Kasseler Kommentar zum Sozialgesetzbuch – Steinwedel, Stand September 2003, § 44 SGB X Rdnr. 47; Schroeder-Printzen- Wiesner, SGB X, 4. Auflage 2001, § 44 Rdnr. 20; für die Literatur: Ladage, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, Seite 118; Schmidt-De Caluwe, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, Band 111 der Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht, Seiten 524 ff.; Eisenreich, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, Die Sozialversicherung 1995, 1 ff.; Diener, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch in der Rentenversicherung, Teil II, Mitteilung der LVA Oberfranken und Mittelfranken 1999, Seite 338 ff., 345 ff.; Erlenkämper/Fichte, a.a.O., Seite 119 ff.). Zur Begründung für die analoge Anwendung des § 44 Abs. 4 SGB X aufden herstellungsanspruch ist auf die Gesetzgebungsmaterialien zu § 44 Abs. 4 SGB X hingewiesen worden, aus denen sich ergebe, dass der Gesetzgeber eine über die Wirkung der Verjährung nach § 45 SGB I hinausgehende Rechtswirkung im Sinne einer Ausschlussfrist angestrebt habe (insbesondere: Ladage, a.a.O., BSG, Urteil vom 09.09.1986 – 11a RA 28/85 -, a.a.O. unter Hinweis auf die Materialien in Bundestags-Drucksache 8/2034, Seite 34). Zudem wird diese Auffassung damit begründet, dass die Rechtsfolgenverletzung einer Nebenpflicht (beim Herstellungsanspruch) keine weiterreichenden Folgen haben dürften als die Verletzung einer Hauptpflicht (zur Erteilung rechtmäßiger Bescheide bei § 44 Abs. 4 SGB X).
Hiergegen wendet das Sozialgericht (ebenso Urteil des LSG Baden- Württemberg vom 23.05.2002 – L 10 RA 3507/01 nachfolgend BSG B 4 RA 38/02 R – Zurückverweisung -) gerade deshalb, weil wegen fehlender Beratung ein Antrag nicht gestellt worden sei und auch keine rechtswidrige Ablehnung eines begründeten Rentenanspruches erfolgt sei, habe keine Möglichkeit bestanden, sich gegen eine Ablehnung zur Wehr zu setzen. Insofern sei der Adressat eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches wegen der bei ihm unterbliebenen Beratung in einer ungünstigeren Ausgangssituation gewesen als ein Versicherter, der zwar einen Antrag gestellt hatte, dem dieser Antrag aber rechtswidrig abgelehnt worden sei. Dieser habe nämlich die Möglichkeit gehabt, sich gegen diese Ablehnung zur Wehr zu setzen. Dies rechtfertige auch, seine Leistungsansprüche zu beschränken, wenn er erst nach mehr als 5 Jahren eine Überprüfung der früheren Entscheidung begehrt.
Zudem ist für eine entsprechende Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X ist angeführt worden, bei noch weiter als 4 Jahre zurückreichenden nachträglichen Leistungen werde die typischerweise existenzsichernde Zielsetzung von Sozialleistungen verfehlt (BTDrs. 2034 S. 34 zu § 44 SGB X; von Wulfen-Wiesner, a.a.O., § 44 RdNr. 20; Schmidt-De Caluwe, a.a.O., S. 524 m.w.N.). Hierfür könnte insbesondere bei der hier streitigen Halbwaisenrente sprechen, dass der Gesetzgeber des § 99 Abs. 1 Satz 3 SGB VI bei verspäteter Antragsstellung die Nachleistung einer Hinterbliebenenrente für mehr als 12 Kalendermonate – ohne Rücksicht auf die Gründe der verspäteten Antragstellung und daher zum Beispiel auch in Fällen, in denen überhaupt keine Kenntnis vom Tode des Versicherten bestand – ausgeschlossen hat, während im Gesetzgebungsverfahren sogar eine nur dreimonatige Verfallsfrist beabsichtigt war (Gesamtkommentar zum SGB VI/RVO, Band 3b, Stand April 2003, § 99,(8); Hauck/Haines, SGB VI, 2. Band, Stand März 2004, § 99, Randnr. 8 m.w.N.).
Gegen eine Heranziehung des Rechtsgedanken aus § 44 Abs. 4 SGB X ist bislang eingewandt worden, die Begrenzung im Rahmen von § 44 SGB X ergebe sich aus der formalisierten Ordnungsfunktion des Verfahrens, verfahrensrechtlich aus der Bestandskraft des Verwaltungsaktes. Sie sei deshalb auf den sehr viel weitergehenden, weder auf ein normales Verwaltungsverfahren noch auf die Beseitigung von Verwaltungsakten bezogenen Herstellungsanspruch nicht anzuwenden (Bieback, Grundlagen und Fragen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches, Die Sozialgerichtsbarkeit 1990 unter Anschluss an das – auf § 44 SGB X gegründete – Urteil des BSG vom 26.05.1987 – 4a RJ 49/86 = BSGE 62,10; Adolph, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1991, Band 19 der Schriftenreihe "Arbeits- und Sozialrecht" S. 224 mit der Begründung, § 44 SGB X und damit auch sein Abs. 4 betreffe das Leistungsverhältnis, der Herstellungsanspruch die Anwartschaft).
Andere versuchen dem erkannten Bedürfnis für eine Rückwirkungsbegrenzung auch beim Herstellungsanspruch durch (ausschließliche) Anwendung der Verjährungsregelung in § 45 SGB I Rechnung zu tragen (Gagel, Der Herstellungsanspruch, SGb 2000, 517 ff., 522 ff.; Ladage, a.a.O., S. 118; Kreßel, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, Tagungsbeitrag zur 6. Sozialrechtslehrertagung 1994, Band 39 der Schriftenreihe des deutschen Sozialrechtsverbandes, S. 31 ff.). Den Weg über die (ausschließliche) Anwendung der Verjährungsvorschrift hat auch die jüngere (Renten-)Rechtsprechung eingeschlagen (BSG, Urteile vom 22.10.1996, – 13 RJ 17/96, a.a.O., vom 30.07.1997, – 5 RJ 64/95 – , jeweils a.a.O.). Die entschiedenen Sachverhalte betrafen jeweils Fälle, in denen der bislang unerfüllte Rentenanspruch noch im zeitlichen Anwendungsbereich der RVO / des AVG – Angestelltenversichertengesetz – und damit auch vor Einführung von § 99 SGB VI – geltend gemacht wurde. Gleichwohl ist den Urteilen eine nicht auf das Recht der RVO / des AVG beschränkte Aussage entnommen worden (LSG NRW Urteil vom 23.07.1999 – L 14 RA 58/98 -, nachfolgend BSG Urteil vom 02.08.2000 – B 4 RA 54/99 R – SozR 3-2600 § 99 Nr. 5). Der erkennende Senat hält dies für richtig und durch die jüngere Rechtsprechung des 4. BSG-Senats gestützt. Dieser hat in der Entscheidung vom 02.08.2000 zunächst im Rahmen eines Obiter dictums und dann soweit ersichtlich, erstmals im Urteil vom 06.03.2003 – B 4 RA 38/02 R – (a.a.O.) im Rahmen der tragenden Begründung (weil im dort entschiedenen Sachverhalt bereits § 99 SGB VI galt) festgestellt, dass § 44 Abs. 4 SGB X in allen sogenannten Erstfeststellungsverfahren nicht gilt.
Vorliegend besteht im Gegensatz zu den vom 4. Senat des BSG entschiedenen Konstellationen – die besonderheit, dass kein eigentumsrechtlich geschütztes Rentenrecht im Streit steht. Denn die hier streitige Halbwaisenrente ist, wie die übrigen Hinterbliebenenrenten, vom Eigentumsschutz aus Artikel 14 des Grundgesetzes, den das BSG, insbesondere im Urteil vom 06.03.2003, zur Begründung sowohl der verletzten Beratungspflicht als auch des Verbotes einer Rückwirkungsbegrenzung analog § 44 Abs. 4 SGB X herangezogen hat, nicht erfasst. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 97, 271, 283 ff. zum Anspruch des Versicherten auf Versorgung seiner Hinterbliebenen; BSGE 87, 88/94 zum Anspruch einer Wiwe des Versicherten; Jarras/Pieroth, Grundgesetz, 7. Auflage 2004, Artikel 14 Randnummer 12; von Münch/ Kunig/Bryde, Grundgesetz, Band 1, 5. Auflage 2000, Artikel 14, Randnummer 66, Seiten 926 mit Nachweis auch der kritischen Stimmen) besteht bei Hinterbliebenenrenten kein Eigentumsschutz, weil sie nicht auf eigener Leistung beruhen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Denn es ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden, ob eine analoge Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X auch ausgeschlossen ist bei dem Herstellungsanspruch bezüglich nicht eigentumsrechtlich geschützter Rentenansprüche.
Erstellt am: 23.03.2005
Zuletzt verändert am: 23.03.2005