Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 13.04.2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Leistung für einen Mehrbedarf wegen alleiniger Erziehung und Pflege eines Kindes (im folgenden: Mehrbedarf für Alleinerziehende) gemäß § 21 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.
1.
Die Klägerin ist am 00.00.1977 geboren. Ihre Tochter E wurde am 00.00.2002 geboren; sie ist aus der Ehe der Klägerin mit Herrn S P hervorgegangen. Die Ehe ist mittlerweile geschieden. Die Klägerin und ihr geschiedener Ehemann leben seit dem Jahr 2005 in getrennten Wohnungen.
2.
Seit Januar 2005 bezieht die Klägerin laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 05.01.2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin und ihrer Tochter als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.02.2006 bis 31.07.2006. Die Beklagte gewährte – neben den Kosten für Unterkunft und Heizung – für diesen Zeitraum für die Klägerin die Regelleistung (345 EUR monatlich) und für die Tochter Sozialgeld (207 EUR monatlich). Der Klägerin bewilligte die Beklagte ferner einen Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 SGB II in Höhe von 124,00 Euro monatlich.
Mit Schreiben vom 14.03.2006 nahm der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seinen gegen den Bescheid vom 05.01.2006 erhobenen Widerspruch zurück.
3.
Mit Ummeldebestätigung vom 22.03.2006 bestätigte die Meldebehörde den Umzug der Tochter der Klägerin in die Wohnung ihres Vaters zum 21.03.2006. Mit Bescheid vom 22.03.2006 nahm die Beklagte daraufhin eine "Änderung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes" nach dem SGB II vor. Für den Zeitraum vom 01.04.2006 bis 31.07.2006 hob die Beklagte die Bewilligung des Mehrbedarfs für Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 SGB II) auf. Die Beklagte hob für diesen Zeitraum ferner die Bewilligung des Sozialgeldes in Höhe von 207 EUR monatlich auf. Wegen der weiteren Einzelheiten der Leistungsfestsetzung und -berechnung wird auf den Bescheid vom 22.03.2006 nebst Anlagen verwiesen. Der Bescheid vom 22.03.2006 enthält den Hinweis: "Folgende Änderungen sind eingetreten: Zum 01.04.2006 wurde der Tatbestand des Auszuges ihrer Tochter E zum leiblichen Vater berücksichtigt."
4.
Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Zur Begründung legte sie eine "vorläufige Elternvereinbarung" vom 20.06.2006 vor. Nach dieser "Vorläufigen Elternvereinbarung" erziehe sie ihre Tochter in der Zeit, in der sie bei ihr wohne, nach wie vor allein, so dass die Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 SGB II nach wie vor gegeben seien.
Die "Vorläufige Elternvereinbarung" vom 20.06.2006 hatte die Klägerin mit ihrem (geschiedenen) Ehemann im Zusammenwirken mit dem Jugendamt getroffen. In dieser "Vorläufigen Elternvereinbarung" heißt es (Auszug):
"1) Die Kindeseltern teilen sich die Betreuung ihrer Tochter jeweils zur Hälfte. Die Übergabe der Tochter erfolgt jeweils im wöchentlichen Wechsel am Montag um 16.00 Uhr. 2) Die Kindeseltern tauschen sich regelmäßig bei der Übergabe über die Belange ihrer Tochter aus. 3) Bezgl. der finanziellen Angelegenheiten wurden folgende Vereinbarungen getroffen. Hauptwohnsitz der gemeinsamen Tochter ist bei Herrn P. Nebenwohnsitz ist bei Frau P. Kindergeld und die anteiligen ALG II-Leistungen (Regelsatz derzeit 207 EUR) werden an Herrn P gezahlt. Pro Elternteil stehen 103,50 EUR für E zur Verfügung. Das Essensgeld des Kindergartens in Höhe von voraussichtlich 47 EUR wird von Herrn P beglichen und von dem Elternteil an Frau P hälftig abgezogen, so dass ein Betrag von 80 EUR an Frau P von Herrn P weitergegeben wird. 4) … 5) Bezgl. Bekleidung und sonstigem Bedarf kauft jeder Elternteil die für ihre Tochter in ihrem Haushalt benötigten Dinge eigenverantwortlich ein. ( …)"
Nach einem Aktenvermerk vom 30.05.2006 wies die Beklagte den Prozessbevollmächtigten der Klägerin telefonisch darauf hin, dass der Bescheid vom 22.03.2006 erlassen worden sei, weil die Tochter der Klägerin nicht mehr mit ihr zusammenlebe. Die Regelleistung für die Tochter sowie der Mehrbedarf für Alleinerziehung seien damit entfallen.
5.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2006 zurück. Die Tochter der Klägerin sei zum 01.04.2006 in den Haushalt ihres Vaters gewechselt. Sie habe fortan mit diesem eine Bedarfsgemeinschaft gebildet. Die Tochter der Klägerin sei damit ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin zu berücksichtigen. Auch der Mehrbedarf für Alleinerziehung gemäß § 21 Abs. 3 SGB II sei mit dem Tag, an dem die Tochter der Klägerin in den Haushalt des Kindesvaters wechselte, entfallen. Aus der Elternvereinbarung vom 20.06.2006 ergebe sich nichts anderes. Denn Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs für Alleinerziehung nach § 21 Abs. 3 SGB II sei, dass der Hilfebedürftige allein für die Pflege und Erziehung des Kindes sorgt und kein anderer dabei mitwirkt. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Denn der Kindesvater sorge im gleichen Umfang wie die Klägerin für die Erziehung und Pflege des Kindes. Es sei ausdrücklich vereinbart worden, dass sich die Eltern die Betreuung und Versorgung des Kindes teilen. Leben Eltern getrennt und wechseln sie sich bei der Pflege und Erziehung des gemeinsamen Kindes ab, seien beide Elternteile nicht "alleinerziehend". Insofern sei für keinen Elternteil ein Mehrbedarf für Alleinerziehung zu gewähren. Demzufolge sei für die Klägerin lediglich die Regelleistung sowie die angemessenen Unterkunftskosten zu übernehmen gewesen. Da die Tochter der Klägerin nicht mehr bei ihr wohne, seien ab dem 01.04.2006 das Kindergeld sowie der seitens der Stadt E1 geleistete Unterhaltsvorschuss von 127 EUR monatlich als Einkünfte nicht mehr zu berücksichtigen.
Mit Bescheid vom 27.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2007 lehnte die Beklagte einen Mehrbedarf für Alleinerziehende auch für den folgenden Zeitraum vom 01.08.2006 bis 31.01.2007 ab.
6.
Gegen den Bescheid vom 22.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2006 hat die Klägerin am 31.07.2006 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Detmold erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass nach der Elternvereinbarung vom 20.06.2006 beide Elternteile im wöchentlichen Wechsel alleine das Kind pflegen und erziehen. Während dieser Zeit wirke an der Pflege und Erziehung der andere Elternteil nicht mit, der in dieser Woche das Recht und die Pflicht hierzu auch nicht habe. In der jeweiligen Woche sei derjenige, der die Pflege und Erziehung leistet, alleinerziehend. Der Mehrbedarfzuschlag für Alleinerziehende sei nur in eng begrenzten Ausnahmefällen nicht zu zahlen. Ein Alleinerziehender sorge nur dann nicht allein für die Pflege und Erziehung des Kindes, wenn ihn in der Zeit der Pflege und Erziehung der andere Ehepartner unterstütze. Dies sei hier nicht der Fall. Im Zweifel sei zugunsten der mehrbedarfberechtigten Person zu entscheiden, weil ihr in dieser Zeit die erzieherische Verantwortung obliege, und die Vermutung dafür spreche, dass die erziehende Person diese Verantwortung auch tatsächlich allein ausübe. Sie habe jedoch nur Anspruch auf den hälftigen Mehrbedarf für Alleinerziehende ab dem 01.07.2006, weil sie sich die Erziehung und Pflege seit Abschluss der Elternvereinbarung vom 20.06.2006 mit ihrem geschiedenen Ehemann teile.
7.
Mit Urteil vom 13.04.2007 hat das SG die Klage ohne mündliche Verhandlung abgewiesen, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt hatten.
Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Schon nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 SGB II könne die Klägerin den begehrten Mehrbedarfzuschlag für Alleinerziehende nicht mit Erfolg beanspruchen, weil sie nicht allein für die Pflege und Erziehung ihrer Tochter sorge. Alleinerziehung liege nicht vor, wenn sich eine andere Person an der Pflege und Erziehung des Kindes so beteiligt, wie es der andere Elternteil zu tun pflegt. Ohne Einfluss auf den Anspruch auf Gewährung des Alleinerziehenden-Mehrbedarfs sei die Mitwirkung eines Dritten an der Pflege und Erziehung des Kindes nur dann, wenn sie so geringfügig sei, dass sie unwesentlich und damit unbeachtlich für die Gewährung des Mehrbedarfszuschlags sei. Im Fall der Klägerin teilten sich die Eltern die Pflege und Erziehung ihres Kindes jeweils zur Hälfte. Jeder Elternteil werde durch die Pflege und Erziehung seitens des anderen Elternteils und damit zu 50 Prozent entlastet. Demzufolge werde die Erziehung der Tochter von der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann gemeinsam – wenn auch zeitlich versetzt – wahrgenommen.
Die Gewährung eines hälftigen Mehrbedarfszuschlags für Alleinerziehende an die Klägerin stünde auch nicht im Einklang mit dem Sinn und Zweck dieser Leistung. Die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 2 SGB II trage dem Umstand Rechnung, dass Alleinerziehende zusätzliche Aufwendungen für Kontaktpflege, gelegentliche Dienstleistungen Dritter (zum Beispiel Babysitter), einen erhöhten Bedarf an Spielzeug und Unterhaltung für ihre Kinder und einen verteuerten Einkauf wegen ihrer verringerten Beweglichkeit haben. Diese Situation sei bei der Klägerin nicht gegeben, weil sie jeweils in der Woche, in der sich ihre Tochter bei ihrem geschiedenen Ehemann aufhalte, die Möglichkeit habe, preisbewusst einzukaufen und Kontaktpflege zu betreiben, so dass es zu zusätzlichen Aufwendungen insoweit nicht kommen müsse. Die bei einem Alleinerziehenden dauernd bestehenden und zum Teil Mehrkosten verursachenden Einschränkungen in der Lebensführung, die durch die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlages ausgeglichen werden sollen, bestünden nicht, wenn sich die Eltern die Erziehung des Kindes teilen. Die Klägerin und ihr geschiedener Ehemann teilten sich die komplette Pflege und Erziehung ihrer Tochter jeweils zur Hälfte. Es könne damit auch nicht ein wesentlicher Schwerpunkt der Betreuung bei der Klägerin oder ihrem geschiedenen Ehemann ausgemacht werden. Demzufolge könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der geschiedene Ehemann der Klägerin lediglich Versorgungslücken schließe. Vielmehr halte sich die Tochter der Klägerin jeweils wöchentlich bei der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann auf und werde in dieser Zeit von dem jeweiligen Elternteil gepflegt, verköstigt und auch sonst betreut.
Das SG hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassen.
8.
Gegen dieses am 08.05.2007 zugestellte Urteil des SG hat die Klägerin am 06.06.2007 Berufung erhoben. Ergänzend hat sie vorgetragen, dass sowohl sie als auch ihr geschiedener Ehemann im Interesse des Kindeswohls die Alleinerziehung ihrer Tochter beansprucht hatten. Das Jugendamt habe deshalb den Abschluss der Elternvereinbarung vom 20.06.2006 mit dem Inhalt angeregt, dass jeder Elternteil jeweils allein und ausschließlich hauptverantwortlich die Erziehung und Pflege des Kindes zu verantworten hat, und zwar im wöchentlichen Wechsel unter Ausschluss des jeweils anderen. Jeder Elternteil bewirke in der Woche, in der ihm die Pflege und Erziehung des Kindes obliege, dies jeweils unter Ausschluss des anderen. In dieser Zeit erfahre der jeweilige Elternteil auch keine wie immer geartete Entlastung durch den jeweils anderen Elternteil. Der jeweilige Elternteil sei dann in dieser Zeit Alleinerziehender im Sinne des § 21 Abs. 3 SGB II. In dieser Zeit finde keine Mitwirkung und keine Unterstützung des anderen Elternteils statt. Deshalb bestünden in dieser Zeit auch Einschränkungen in der Lebensführung. Es stehe ihr damit auch der (hälftige) Mehrbedarfszuschlag ab dem Monat nach Abschluss der Elternvereinbarung vom 20.06.2006 zu.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 13.04.2007 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 22.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2006 insoweit aufzuheben, als die Beklagte die mit Bescheid vom 05.01.2006 für den Monat Juli 2006 gewährte Leistung für Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 SGB II über den hälftigen Anteil hinaus aufhob.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist nach wie vor der Auffassung, dass die Klägerin nicht alleinerziehend sei, weil sie sich die Betreuung ihres Kindes mit dem Kindesvater teile. Ein gegenteiliges Ergebnis werde zudem auch dem Sinn und Zweck des § 21 Abs. 3 SGB II nicht gerecht. Eltern, die sich die Betreuung ihres Kindes jeweils hälftig teilen, wären zudem andernfalls durch den Erhalt des Mehrbedarfs gegenüber zusammenlebenden Eltern bevorzugt. Für eine solche Ungleichbehandlung sei kein sachlicher Grund zu erkennen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die beigezogen worden ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
1.
Streitgegenstand des Rechtsstreits ist allein, ob die Klägerin von der Beklagten für den Monat Juli 2006 die hälftige Leistung für Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 SGB II mit Erfolg beanspruchen kann.
Denn der Streitgegenstand wird durch den prozessualen Anspruch bestimmt, durch das von der Klägerin aufgrund eines konkreten Sachverhalts an das Gericht gerichtete und im Klageantrag zum Ausdruck kommende Begehren sowie den Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23.11.2006, B 11 b 9/06 R, Juris, unter Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 237 Nr. 2). Die Klägerin begehrt ausschließlich die Leistung "Mehrbedarf für Alleinerziehende" (für den Monat Juli 2006). Es kann hinstehen, ob die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 20 SGB II gegenüber den Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II einen eigenständigen Streitgegenstand darstellt (dies bejahend BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 1; BSG, dies offen lassend BSG, Urteil vom 23.11.2006, B 11 b AS 9/06 R, Juris). Zweifel könnten insoweit allein deshalb bestehen, weil § 19 S. 1 SGB II diese beiden Leistungen zu der Leistung des Arbeitslosengeldes II zusammenfasst.
Derartige Zweifel bestehen aber im vorliegenden Zusammenhang nicht. Denn die Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt gemäß § 21 SGB II werden in § 19 S. 1 SGB II nicht unter dem "Dach" der Leistungen des Arbeitslosengeldes II erwähnt bzw. zusammengefasst. Der Senat geht daher davon aus, dass bei einem Streit über Leistungen für Mehrbedarf beim Lebensunterhalt gemäß § 21 SGB II ein eigenständiger Streitgegenstand vorliegt. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 20 SGB II sowie die Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II stehen zwischen den Beteiligten zudem nicht im Streit; in der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2007 haben sie ausdrücklich zu Protokoll erklärt, dass sie nur über den Mehrbedarf für Alleinerziehende (für den Monat Juli 2006) streiten.
2.
Prozessual bestand nicht die Notwendigkeit, die Tochter der Klägerin als weitere Klägerin in das Rubrum aufzunehmen. Denn Anspruchsinhaber(in) des Mehrbedarfs für Alleinerziehende ist nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 SGB II die Person, die für die Erziehung und Pflege des Kindes sorgt, also nicht das jeweilige Kind selbst; das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II begründet Individualansprüche, keine Ansprüche von Personenmehrheiten (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 1). Ein Vorgehen aller Bedarfsgemeinschaftsmitglieder – die Klägerin und ihre Tochter dürften eine "zeitweise Bedarfsgemeinschaft" (hierzu BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7 b AS 14/06 R, SozR 4-4200 § 20 Nr. 1) bilden – ist in einer solchen Konstellation nicht erforderlich, um die "für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt höchstmögliche Leistung" zu erlangen (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 1). Denn hier kann nicht die unerwünschte Konsequenz eintreten, dass einem einzelnen Mitglied der Bedarfsgemeinschaft möglicherweise kein oder nur ein geringfügig höherer Anspruch zuzugestehen wäre, obwohl der Bedarfsgemeinschaft in der Sache insgesamt höhere Leistungen zustehen (vgl. BSG a.a.O.).
3.
Das SG hat die Klage der Klägerin zu Recht abgewiesen.
Dem Rechtsschutzbegehren der Klägerin (§ 123 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) entspricht die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 Fall 1 SGG als statthafte Rechtsschutzform. Denn mit dem Bescheid vom 22.03.2006 – soweit er angefochten ist – hob die Beklagte die der Klägerin mit Bescheid vom 05.01.2006 gewährte Leistung für Mehrbedarf für Alleinerziehung (§ 21 Abs. 3 SGB II) auf.
Die Anfechtungsklage der Klägerin ist unbegründet. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 22.03.2006 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2006) zu Recht den Bescheid vom 05.01.2006 aufgehoben, soweit sie der Klägerin mit diesem Leistungen für Mehrbedarf für Alleinerziehung gemäß § 21 Abs. 3 SGB II für den Monat Juli 2006 gewährt hatte.
Rechtsgrundlage für diese Teilaufhebung ist § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II.
a)
Der Bescheid vom 05.01.2006 verlautbart einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung i.S.d. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Denn die Beklagte bewilligte der Klägerin die – hier allein streitige – Leistung für Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 SGB II für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 31.07.2006.
b)
Die Beklagte hat der Klägerin vor Erlass des Bescheides vom 22.03.2006 nicht die Gelegenheit gegeben, sich zu dem für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies wäre jedoch gemäß § 24 Abs. 1 SGB X (i. V. m. § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II) erforderlich gewesen, weil der Bescheid vom 22.03.2006 einen Verwaltungsakt darstellt, der in die Rechte der Klägerin – aus dem Bescheid vom 05.01.2006 – eingreift.
Dieser Verfahrensfehler ist jedoch gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X unbeachtlich, weil die Beklagte die erforderliche Anhörung der Klägerin nachgeholt hat; diese Nachholung ist gemäß § 41 Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens zulässig. Denn der mit der Klage angefochtene Bescheid vom 22.03.2006 enthielt bereits alle wesentlichen Tatsachen, auf die die Beklagte ihre Entscheidung gestützt hat (vgl. hierzu Wiesner in: von Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, § 41 Rn. 8 m.w.N.). Diese Tatsachen hat die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zudem während des Widerspruchsverfahrens telefonisch mitgeteilt (Aktenvermerk vom 30.05.2006).
c)
In den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vom 05.01.2006 vorgelegen haben, ist nachträglich eine wesentliche Änderung eingetreten, so dass die Beklagte berechtigt war, diesen Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.
Diese wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen besteht darin, dass die Klägerin und ihr geschiedener Ehemann am 20.06.2006 eine "Vorläufige Elternvereinbarung" schlossen und die Betreuung und Erziehung ihres Kindes seit diesem Zeitpunkt auch tatsächlich entsprechend dieser Vereinbarung ausübten, indem sie diese Betreuung und Erziehung ihrer Tochter jeweils wöchentlich im Wechsel übernahmen. Ob die Beklagte auch berechtigt war, allein aufgrund der Meldebestätigung vom 22.03.2006 eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen bereits zum 01.04.2006 anzunehmen, bedurfte keiner Entscheidung. Denn die Klägerin hat den Bescheid vom 05.01.2006 insoweit nicht angefochten, so dass der Bescheid insoweit bestandskräftig ist; die Klägerin hat allein die Aufhebung der Leistung für Mehrbedarf wegen Alleinerziehung ab dem 01.07.2006 angegriffen.
Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin nicht mehr allein für die Pflege und Erziehung ihrer Tochter sorgte, nachdem sie mit ihrem Ehemann am 20.06.2006 die Elternvereinbarung traf und die Klägerin und ihr Ehemann die Betreuung ihres Kindes entsprechend dieser Vereinbarung auch tatsächlich im wöchentlichen Wechsel ausübten.
Gemäß § 21 Abs. 3 SGB II ist ein Mehrbedarf beim Lebensunterhalt für Personen anzuerkennen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen.
Die Klägerin sorgte (jedenfalls) ab dem 01.07.2006 nicht mehr allein für die Pflege und Erziehung ihrer Tochter. Entsprechend der "Vorläufigen Elternvereinbarung" vom 20.06.2006 sorgt vielmehr jeder Elternteil – wie die Klägerin dies selbst auch vorgetragen hat – jeweils allein und ausschließlich für die Erziehung und Pflege ihres Kindes, und zwar im wöchentlichen Wechsel unter Ausschluss des jeweils anderen Elternteils. Die Pflege und Erziehung ihrer Tochter ruht damit in gleichem Maße sowohl auf den Schultern der Klägerin als auch ihres geschiedenen Ehemannes. In der Zeit ihrer jeweiligen Zuständigkeit leisten sie die Pflege und Erziehung ihrer Tochter zwar jeweils allein. Insgesamt betrachtet sorgen sie jedoch gemeinsam für deren Pflege und Erziehung.
Bei einem derartigen Sachverhalt liegen nach Überzeugung des Senats die Tatbestandsvoraussetzungen des § 21 Abs. 3 SGB II nicht vor.
aa)
Der Wortlaut des § 21 Abs. 3 SGB II ist insoweit offen. Ein eindeutiges Ergebnis ergibt sich aus ihm für sich genommen damit nicht. Denn die Klägerin sorgt in den Wochen, in denen sie für ihre Tochter entsprechend der "Vorläufigen Elternvereinbarung" vom 20.06.2006 zuständig ist, allein für die Pflege und Erziehung ihrer Tochter. Nimmt man dagegen nicht die einzelne Woche, sondern einen größeren Zeitabschnitt, etwa einen Monat, in den Blick, sorgt die Klägerin in diesem (längeren) Zweitabschnitt nicht allein, sondern gemeinsam mit ihrem geschiedenen Ehemann für ihre Tochter.
bb)
Entscheidend ist deshalb, auf welchen Zeitabschnitt bei der Anwendung des § 21 Abs. 3 SGB II abzustellen ist. Hier ist eine systematische Auslegung angezeigt.
Bei der Auslegung des § 21 Abs. 3 SGB II ist zu berücksichtigen, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach der Regelung des § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II bis jeweils für sechs Monate bewilligt werden sollen. Diese gesetzliche Vorgabe für die zeitliche Leistungsbewilligung zeigt, dass bei der Klärung der Frage, welcher Elternteil für die Pflege und die Erziehung des Kindes sorgt i.S.d. § 21 Abs. 3 SGB II, eine enge, auf die jeweilige Betreuungswoche abstellende Betrachtung nicht sachgerecht ist. Bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 21 Abs. 3 SGB II ist vielmehr ein längerer Zeitraum in den Blick zu nehmen. Danach hat die Klägerin nicht allein für die Pflege und Erziehung ihrer Tochter gesorgt, sondern nur neben ihrem geschiedenen Ehemann.
Ob es sachgerecht ist, bei der Prüfung der Voraussetzungen des Mehrbedarfs für Alleinerziehende ggf. eine monatsweise Betrachtung vorzunehmen, musste der Senat nicht entscheiden. Denn die Klägerin ist auch bei einer monatsweisen Betrachtung nicht alleinerziehend im Sinne des § 21 Abs. 3 SGB II.
cc)
Das zuvor gewonnene Auslegungsergebnis wird sowohl durch die Entstehungsgeschichte als auch durch den Sinn und Zweck des § 21 Abs. 3 SGB II bestätigt.
Die Regelung des § 21 Abs. 3 SGB II "entspricht der Mehrbedarfsregelung der Sozialhilfe für alleinerziehende Personen, die mit einem oder mehreren jungen Kindern zusammenleben" (BT-Drucksache 15/1516 S. 57).
Diese Mehrbedarfsregelung der Sozialhilfe war in § 23 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) geregelt. Diese Regelung hatte folgenden Wortlaut: "Für Personen, die mit einem Kind unter sieben Jahren oder die mit zwei oder drei Kindern unter sechzehn Jahren zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf von 40 v.H. des maßgebenden Regelsatzes anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht; ( …)". In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (BT-Drucksache 10/3079 S. 5): "Die Rechtfertigung dieses Mehrbedarfzuschlags ergibt sich vor allem dadurch, dass Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder weniger Zeit haben, preisbewusst einzukaufen und zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssen. Ähnlich ist die Situation bei Alleinerziehenden mit nur einem Kind, solange es noch nicht schulpflichtig ist. Auch sie sind weniger mobil, haben keine ausreichende Zeit zum Preisvergleich, müssen die nächstgelegene Einkaufsmöglichkeit nutzen und haben ein höheres Informations- und Kontaktbedürfnis."
Die Gesetzgebung stellt damit auch bei § 21 Abs. 3 SGB II erkennbar darauf ab, dass bei einem Alleinerziehenden Einschränkungen in der Lebensführung bestehen, die dauernd bestehen und zum Teil mehr Kosten verursachen (vgl. Oberverwaltungsgericht [OVG] Niedersachsen, Beschluss vom 08.07.1997, 4 L 3222/97, FEVS 48, 24). Die Gesetzgebung hat bei Alleinerziehenden deshalb typisierend vermutet, dass bei ihnen derartige Mehrkosten entstehen, die über die Leistung für den Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 3 SGB II ausgeglichen werden sollen.
Teilen sich – wie hier – die Elternteile die Pflege und Erziehung ihres Kindes, liegt ein anderer Lebenssachverhalt vor, der von demjenigen, den der Gesetzgeber bei Erlass des § 21 Abs. 3 SGB II vor Augen hatte und typisierend geregelt hat, deutlich abweicht. Denn leisten zwei Elternteile die Pflege und Erziehung ihres Kindes im wöchentlichen Wechsel (und in dieser Zeit jeweils allein), bestehen zwar auch Einschränkungen in der Lebensführung während der Zeit, in der der jeweilige Elternteil das Kind allein betreut. In der Zeit jedoch, in der der andere Elternteil die Betreuung übernimmt, bestehen solche Einschränkungen in der Lebensführung nicht mehr. Dem Elternteil ist damit möglich, seine während der Betreuungszeit bestehende Einschränkung in der Lebensführung in der betreuungsfreien Zeit zu "kompensieren". Er kann – worauf das SG zu Recht hingewiesen hat – in dieser Zeit insbesondere Einkäufe in größerem Umfang vornehmen, Behördengänge durchführen oder sich der Kontaktpflege (wieder intensiver) widmen. Diese Elternteile sind durch die Pflege und Erziehung ihres Kindes insgesamt deutlich weniger belastet als ein alleinerziehender Elternteil. Nur dieser muss die elementaren Lebensbedürfnisse nach Pflege, Verköstigung, Bekleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablauf und ständiger abrufbereiter emotionaler Zuwendung (vgl. OVG Niedersachen, Urteil vom 28.03.1979, IV a 172/77, FEVS 29, 113) ständig befriedigen und sichern, ohne dass ihm die Möglichkeit offensteht, die daraus resultierenden Einschränkungen in der Lebensführung anderweitig auszugleichen und nachzuholen. Im Falle der Klägerin ist keine derartige dauerhafte Belastung gegeben, sondern ein Wechsel von Be- und Entlastung.
Die Klägerin und ihr geschiedener Ehemann haben sich in ihrer Elternvereinbarung am 20.06.2006 nicht darauf beschränkt, dem geschiedenen Ehemann ein Umgangsrecht (gemäß § 1684 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) einzuräumen, sondern beide haben vereinbart, Pflege und Erziehung ihres gemeinsamen Kindes gemeinsam zu tragen. In einem derartigen Fall liegen die Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 SGB II aus den dargestellten Gründen nicht vor (ebenso Landessozialgericht [LSG] Hamburg, Beschluss vom 06.09.2005, L 5 B 196/05 ER AS, Juris; N. Behrend in: jurisPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 21 Rn. 25; Kahlhorn in: Hauck/Noftz, SGB II, K § 21 Rn. 14 [Stand: III/05]; Lang in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 20 Rn. 94).
Der Ehemann der Klägerin schließt auch nicht lediglich "Versorgungslücken" (hierzu Münder in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 21 Rn. 10). Beide Elternteile teilen sich die Pflege und Erziehung ihres Kindes vielmehr hälftig. Die von § 21 Abs. 3 SGB II geforderte Alleinerziehung lässt sich demzufolge bei der Klägerin nicht feststellen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
4.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Denn die Frage ist höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob ein Hilfebedürftiger auch dann Anspruch auf Leistung für Mehrbedarf für Alleinerziehung gemäß § 21 Abs. 3 SGB II hat, wenn beide Elternteile im wöchentlichen Wechsel jeweils eigenständig für die Pflege und Erziehung des Kindes sorgen.
Erstellt am: 04.10.2007
Zuletzt verändert am: 04.10.2007