Die Kostenentscheidung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom 01.02.2010 wird aufgehoben, soweit der Klägerin Verschuldenskosten auferlegt worden sind.
Gründe:
Die Klägerin begehrte in der Hauptsache mit ihrer am 31.08.2009 erhobenen "Untätigkeitsklage" die Bescheidung ihres Widerspruchs vom 01.10.2008 gegen den Bescheid vom 26.09.2008. Nach Durchführung weiterer Ermittlungen teilte die Beklagte im November 2009 mit, dass sie den Bescheid vom 26.09.2008 aufgehoben und der Klägerin mit Bescheid vom 04.11.2009 Leistungen für den Zeitraum vom 01.11.2007 bis zum 17.04.2008 bewilligt hat.
Das Sozialgericht (SG) Aachen hat bei der Klägerin sodann mehrfach angefragt, ob die Klage zurückgenommen wird bzw. um Erläuterung gebeten, mit welcher Begründung die Erteilung eines Widerspruchsbescheides weiter begehrt werde. Anfang Januar 2010 hat das SG der Klägerin nochmals unter Fristsetzung bis zum 25.01.2010 die Rechtslage erläutert, zur Stellungnahme aufgefordert und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Fortführung des Rechtsstreits missbräuchlich sei und bei Aufrechterhaltung der Klage Verschuldenskosten nicht unter 150,- EUR verhängt werden könnten. Eine Reaktion der Klägerin ist in der Akte nicht zu verzeichnen.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 01.02.2010 die Klage abgewiesen und der Klägerin Verschuldenskosten in Höhe von 150,- EUR auferlegt. Der Klägerin ist der Gerichtsbescheid am 03.02.2010 zugestellt worden.
Mit Fax vom 03.02.2010 hat die Klägerin dem SG mitgeteilt, dass sie das Schreiben des SG vom 09.11.2009 am 14.11.2009 beantwortet habe. Sie habe damals mitgeteilt: "Ich erkläre mich mit der Entscheidung des Gerichts einverstanden. Die Angelegenheit wurde durch Bescheiderteilung und Zahlung erledigt". Daher verstehe sie nicht, warum trotzdem ein Ordnungsgeld verhängt worden sei, zumal sie weiter Grundsicherung beziehe, die Summe nicht aufbringen könne und bat daher um nochmalige Überprüfung. Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin am 19.04.2010 eidesstattlich erklärt, dass sie auf das Schreiben des SG am 14.11.2009 beantwortet und dieses auf dem normalen Postweg an das SG Aachen geschickt habe". Ergänzend erläuterte die Klägerin, "dass sie auf weitere Anschreiben des SG nicht geantwortet habe, da sie der irrigen Ansicht gewesen sei, ihr Brief sei lediglich länger im Umlauf gewesen, bevor er die zuständige Stelle erreicht habe.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Beschwerde ist statthaft. Das Schreiben der Klägerin vom 03.02.2010, in denen die Klägerin darauf hingewiesen hat, dass sie bereits im November 2009 die Erledigung im Anschluss an die Bescheiderteilung und Zahlung mitgeteilt habe, ist als Klagerücknahme zu qualifizieren. Durch diese Klagerücknahme hat sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 S. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Wegen Fehlens eines Zugangs des Schreibens der Klägerin vom 14.11.2009 beim SG Aachen erfolgte die Rücknahme der Klage nicht bereits im November 2009.
Gegen die Wirksamkeit der prozessualen Erklärung der Klägerin bestehen keine Bedenken, weil der Gerichtsbescheid des SG vom 01.02.2010 wegen des von ihr eingelegten Rechtsmittels noch keine Rechtskraft erlangt hatte. Zwar wäre eine Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid vom 01.02.2010 nach § 144 Abs. 4 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil die Klägerin nicht die Sachentscheidung, sondern ausschließlich eine Abänderung der Kostenentscheidung begehrt. Jedoch tritt der Suspensiveffekt unabhängig von der Zulässigkeit des Rechtsmittels ein (Entscheidung des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 24.10.1983 – GmS – OGB 1/83 in BVerwGE 68, 379 ff.; LSG Berlin, Beschluss vom 10.06.2004 – L 3 U 15/04 Rn. 13 juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. zum SGG, 9. Auflage 2008, § 141 Rn. 2a). Wenn gegen die Entscheidung an sich ein Rechtsmittel statthaft ist, wird der Eintritt der Rechtskraft durch die rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels gehemmt (§ 202 SGG i.V.m. § 705 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Nach § 192 Abs. 3 S. 1 SGG wird die Entscheidung über die Verhängung von Verschuldenskosten nicht von der Rücknahme der Klage berührt. Da die Klägerin jedoch die Überprüfung dieser Entscheidung beantragt hat, kann der Senat nach § 192 Abs. 3 S. 2 SGG durch eine zu begründende Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren die Entscheidung des SG über die Verhängung der Verschuldenskosten aufheben (LSG Thüringen, Beschluss vom 28.11.2008 – L 6 R 165/06 Rn. 9 m.w.N. juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 192 Rn. 20).
Die Beschwerde ist begründet.
Nach § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht im Urteil einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG, d.h. für das Klageverfahren 150,- EUR. Rechtsmissbräuchlichkeit setzt eine Weiterverfolgung trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit voraus (BT-Drs 14/6335 S 35 zu Art 1 Nr 65), wobei zur Aussichtslosigkeit noch besondere Umstände hinzu kommen müssen (Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 20.08.2009 – 39/08, VfGBbg 39/09 Rn 12 juris). Zusätzlich muss auf die jeweilige Einsichtsfähigkeit des Beteiligten abgestellt werden. Denn der mit der Folge der individuellen Verpflichtung zum Schadenersatz verbundene Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens setzt nach rechtsstaatlichen Grundsätzen die Feststellung subjektiven Verschuldens voraus (Leitherer, a.a.O., Rn. 9a).
Diese Voraussetzungen sind unter Berücksichtigung des Vortrages der Klägerin nicht nachgewiesen. Denn nach der eidesstattlichen Erklärung vom 19.04.2010 hat die Klägerin gegenüber dem SG bereits im November 2009 erklärt, dass sie das Verfahren nicht weiter betreiben wolle. Von einer mutwilligen Fortführung des Rechtsstreites ist daher aufgrund der Stellungnahme der Klägerin und der eidesstattlichen Erklärung nicht auszugehen. Ihre Ansicht, dass das Schreiben vom 14.11.2009 lediglich länger im Umlauf sei und sie daher die erneuten Anfragen des Gerichts ignorieren könne, beruhten auf einem Irrtum der Klägerin, der für sich keine Missbräuchlichkeit rechtfertigt.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 06.05.2010
Zuletzt verändert am: 06.05.2010