Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.02.1996 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Altersruhegeld unter Anerkennung von Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG). Streitig ist insbesondere die frühere Zugehörigkeit des Klägers zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK).
Der am …1919 in …/ … geborene Kläger ist jüdischer Abstammung. Er ist anerkannter Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) und hat für die Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung von Dezember 1939 bis Januar 1945 eine Entschädigung wegen Freiheitsschaden erhalten. Wegen eines ausgeprägten Persönlichkeitswandels mit hirnorganischer Komponente und Zustand nach Magenoperation bezieht der Kläger eine Entschädigungsrente nach einer verfolgungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 – 100 %. Nach der Befreiung hielt sich der Kläger im DP-Lager Stuttgart auf und heiratete im Mai 1946 in S … eine ebenfalls in … geborene jüdische Frau. Anfang 1949 wanderte er nach Israel aus, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Im Mai 1990 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersruhegeld und die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen. Er gab an, er habe von Dezember 1935 bis Juli 1936 die Fachschule für Fahrradmechanik besucht und sei von Oktober 1936 bis September 1939 als Fahrradmechaniker bei der Fa. B … in T … beschäftigt gewesen. Ferner erklärte er, seine Muttersprache sei Deutsch; in seinem persönlichen Bereich, insbesondere im Elternhaus sei über wiegend Deutsch gesprochen worden, im Beruf Deutsch und Polnisch. Die Unterrichtssprache in der Schule sei Polnisch gewesen. Der Kläger reichte eidesstattliche Versicherungen des J … F … vom 30.04.1992 und des S … N … vom 30.11.1992 ein. Beide bestätigten die Beschäftigung des Klägers von 1936 bis 1939 und erklärten, dass im Elternhaus des Klägers Deutsch als Umgangssprache gesprochen worden sei.
Die Beklagte zog die Entschädigungsakten des Klägers bei, die keine Angaben zum früheren Sprachgebrauch enthalten. Sodann veranlasste die Beklagte eine Sprachprüfung beim israelischen Finanzministerium, die am 22.11.1991 durchgeführt wurde. Laut Sprachprüfungsprotokoll vom 05.02.1992 gab der Kläger an, die Umgangssprache innerhalb seiner Familie, mit Verwandten und Freunden sei überwiegend Deutsch gewesen. Seine Eltern hätten Deutsch in Wort und Schrift beherrscht und nur wenig Polnisch gesprochen. Er habe die Volksschule mit polnischer Unterrichtssprache und Deutsch als Lehrfach besucht. Der Sprachprüfer führte aus, der Kläger spreche Deutsch fließend und lese Deutsch fließend mit vollem Verständnis, spreche jedoch sehr langsam und verhalten. Er sei nervlich gestört und habe einen Teil der Fragen nicht beantworten können, habe aber seine Aussagen in einem guten, gewählten Deutsch gemacht. Abschließend gelangte der Sprachprüfer zu der Beurteilung, er sei sicher, dass der Kläger zur Zeit seiner Auswanderung dem dSK angehört habe. Die Beklagte wandte sich erneut an das israelische Finanzministerium mit der Bitte um Übersendung einer Schriftprobe des Klägers. Von dort wurde geantwortet, der Kläger habe mitgeteilt, dass er nicht Deutsch schreiben könne.
Mit Bescheid vom 12.07.1993, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 08.12.1994, lehnte die Beklagte eine Rentengewährung ab, weil keine auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten vorhanden seien. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung der geltend gemachten Beschäftigungszeiten seien nicht erfüllt, weil nicht glaubhaft gemacht sei, dass der Kläger dem dSK angehört habe. Einen wesentlichen Bestandteil hierfür stelle die Sprachprüfung dar, wobei die Schriftprobe von entscheidender Bedeutung sei. Der Kläger sei jedoch nicht in der Lage, Deutsch zu schreiben. Das Beherrschen des Deutschen wie eine Muttersprache umfasse aber nicht nur das Sprechen, sondern auch das Lesen und Schreiben. Wegen der bestehenden Zweifel an der Zugehörigkeit zum dSK seien weder die Voraussetzungen des § 20 WGSVG noch des § 17a FRG erfüllt. Über den Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge ergehe noch weitere Mitteilung.
Am 09.01.1995 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben und an seinem Rentenbegehren festgehalten. Hinsichtlich der Zugehörigkeit zum dSK hat er sich auf die Beurteilung des Sprachprüfers berufen.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.07.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.12.1994 zu verurteilen, ihm eine Rentenleistung unter Anrechnung nach § 17a FRG anerkannter Versicherungszeiten zu gewähren.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Mit Schriftsatz vom 21.04.1995 hat sie mitgeteilt, dass – vorbehaltlich einer Zugehörigkeit des Klägers zum dSK – folgende Versicherungszeiten im Rahmen des § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) festgestellt werden könnten: 01.10.1936 bis 30.09.1939 Beitragszeit nach § 15 FRG im Umfang zu 5/6, 01.10.1939 bis 16.01.1945 Ersatzzeit gemäß § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO, 01.01.1945 bis 31.12.1946 und am 31.01.1949 Ersatzzeit gemäß § 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO.
Der Kläger hat sich hiermit mit Schreiben vom 06.06.1995 einverstanden erklärt, gleichzeitig jedoch darauf hingewiesen, dass eine Anerkennung nach § 17a FRG begehrt werde.
Das Sozialgericht hat eine Auskunft des Internationalen Suchdienstes in Arolsen eingeholt, der u.a. mitgeteilt hat, auf der DP-2- Karte des Klägers vom 14.11.1945 seien Sprachkenntnisse in folgender Reihenfolge vermerkt: Polnisch, Jüdisch, Deutsch. Das Standesamt Stuttgart hat auf Anfrage des Sozialgerichts ausgeführt, aus den Aufgebotsakten und dem Heiratseintrag sei ersichtlich, dass der Kläger aufgrund seiner deutschen Sprachkenntnisse in der Lage gewesen sei, der Aufgebotsverhandlung und der Eheschließung (1946) ohne Hilfe eines Dolmetschers zu folgen. Die Heimatauskunftstelle … II hat die Bevölkerungsstruktur und das angegebene Sprachverhalten der Einwohner von T … bei den Volkszählungen in den Jahren 1921 und 1931 mitgeteilt und darauf hingewiesen, dass es in dieser Stadt und Umgebung zu keiner Zeit deutsche Schulen bzw. Schulen mit deutscher Unterrichtssprache gegeben habe; Deutsch sei höchstens als Fach unterrichtet worden. Das israelische Finanzministerium hat auf Anfrage des Sozialgerichts mitgeteilt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem Gesetz über Invaliden der NS-Verfolgung geltend gemacht habe.
Mit Urteil vom 08.02.1996 (ohne mündliche Verhandlung) hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.07.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.1994 verurteilt, für die Zeit ab 01.01.1986 Altersruhegeld nach Maßgabe der Gesetze zu bewilligen. Das Sozialgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Wartezeit gemäß § 1248 Abs. 7 Satz 2 RVO sei beim Kläger, der am 20.12.1984 das 65. Lebensjahr vollendet habe, mit den geltend gemachten Beitrags- und Ersatzzeiten, über deren Umfang Einigkeit bestehe, erfüllt. Die Beitragszeiten seien nach § 15 FRG i.V.m. § 20 WGSVG anzurechnen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei hinreichend glaubhaft gemacht, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner Auswanderung aus P … im Jahre 1945 dem dSK angehört habe, d.h. dass Deutsch seine Muttersprache und die im persönlichen Bereich überwiegend gesprochene Sprache gewesen sei. Dies ergebe sich zur Überzeugung des Gerichts nach Auswertung des Sprachprüfungsprotokolls vom 05.02.1992. Danach sei der Kläger in der Lage gewesen, fließend Deutsch zu sprechen und Deutsch fließend mit Verständnis zu lesen. Der Sprachprüfer habe auch betont, dass der Kläger seine Aussage in einem guten und gewählten Deutsch gemacht habe. Diesen Feststellungen sei das maßgebliche Gewicht beizulegen. Insbesondere unter Berücksichtigung des intellektuell eingeschränkten Gesundheitszustandes des Klägers sei den guten mündlichen Sprachfähigkeiten stärkere Bedeutung zuzumessen. Aus dem im Entschädigungsverfahren erstellten Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. M … vom 01.09.1994 ergebe sich, dass die Konzentrationsfähigkeit des Klägers stark herabgesetzt sei und schwere Störungen des Gedächt nisses in allen Bereichen bestünden. Dagegen sei auf die fehlende Schriftprobe kein starkes Gewicht zu legen, da ein alleiniges Abstellen auf eine Schriftprobe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) rechtsfehlerhaft sei. Darüber hinaus habe der Kläger seine deutschen Sprachkenntnisse auch im DP-Lager angegeben. Zudem sei der überwiegend deutsche Sprachgebrauch im Elternhaus des Klägers von den Zeugen … und … bestätigt worden. Der Auskunft der Heimatauskunftstelle zur Bevölkerungs- und Sprachstruktur in … komme demgegen über keine maßgebliche Bedeutung zu, weil diese Erkenntnisse über wiegend statistischen Beweiswert hätten und nicht geeignet seien, Erkenntnisse im Einzelfall zu widerlegen.
Der Rentenbeginn am 01.01.1986 ergebe sich bei dem am 20.12.1984 eingetretenen Versicherungsfall (Vollendung des 65. Lebensjahres) und der durch die Antragstellung am 28.05.1990 unterbrochene Verjährung (§ 45 Abs. 1 und 3 SGB I). Das nach den §§ 1318 ff. RVO nicht ohne Weiteres ins Ausland zahlbare Altersruhegeld sei erst durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge zahlbar zu machen.
Gegen das ihr am 07.03.1996 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.03.1996 Berufung eingelegt, und zur Begründung vorgetragen, die Zugehörigkeit des Klägers zum dSK und damit zum Personenkreis des § 20 WGSVG oder des § 17a FRG sei nicht überwiegend wahrscheinlich und damit nicht glaubhaft gemacht. Dem stehe vor allem entgegen, dass der Kläger nicht Deutsch schreiben könne. Das Sozialgericht habe die Rechtsprechung des BSG und verschiedener Landessozialgerichte nicht genügend gewürdigt und die Unfähigkeit des Klägers zur Abgabe einer Schriftprobe gesundheitsbedingten Gründen zugeschrieben. Das im Urteil dafür herangezogene nervenärztliche Gutachten vom 01.09.1994 könne jedoch den Gesundheitszustand des Klägers bei der zuvor – nämlich 1992 – durchgeführten Sprachprüfung nicht wiederspiegeln. Der Sprachprüfer habe zwar auf eine nervliche Störung hingewiesen, habe diesen Umstand aber in der abschließenden Stellungnahme nicht mit der fehlenden Schriftprobe in Zusammenhang gebracht. Auch habe das israelische Finanzministerium nach der Aufforderung, vom Kläger die unerlässliche Schriftprobe abzunehmen, nur geantwortet, dieser habe mitgeteilt, dass er nicht Deutsch schreiben könne. Ein Hinweis auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die ihm das Schreiben unmöglich mache, finde sich auch darin nicht. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger nur deshalb keine Schriftprobe abgelegt habe, weil er der deutschen Schrift nicht mächtig gewesen sei.
Außerdem sprächen gegen eine Zugehörigkeit des Klägers zum dSK auch weitere Indizien. So habe er in einem Vordruck Anfang 1991 angegeben, er habe aus Verfolgungsgründen nach dem Krieg nicht mehr Deutsch gesprochen, woraus zu schließen sei, dass er sich nach dem Krieg bewusst vom dSK abgewendet habe. Die Auskunft der Heimatauskunftstelle spreche ebenfalls dagegen, dass der Kläger in seinem persönlichen Lebensbereich überwiegend die deutsche Sprache verwandt habe. Danach hätten bei der Volkszählung im Jahre 1931 von den 117.179 Einwohnern in Tschenstochau nur 82 Deutsch als ihre Muttersprache angegeben, hingegen 24.218 Einwohner Jiddisch bzw. Hebräisch. Schließlich seien auf der DP-2-Karte des Klägers vom 14.11.1945 Sprachkenntnisse in der Reihenfolge Polnisch, Jüdisch, Deutsch vermerkt. Dass Deutsch an letzter Stelle angegeben sei, bestätige, dass Deutsch nicht die beherrschende Sprache gewesen sei.
Der Kläger hat vorgetragen, er habe früher Deutsch auch schreiben können. Er leide aber an einer Gehirnathropie und könne sich aus gesundheitlichen Gründen seit langem in keiner Sprache mehr schriftlich ausdrücken. Er sei nur noch in der Lage, seine Unterschrift zu leisten.
Der Senat hat beim israelischen Finanzministerium nachgefragt, ob sich der Prüfer, Herr K … noch erinnern könne, weshalb bei der Sprachprüfung keine Schriftprobe angefertigt worden sei. Von dort wurde im Februar 1997 mitgeteilt, der damalige Prüfer Herr K … sei seit Jahren nicht mehr dort tätig. Aus dem Originalfragebogen sei zu ersehen, dass der Kläger diesen nicht eigenhändig ausgefüllt habe. Auf der beigefügten Kopie des Fragebogens, der in mehreren Handschriften ausgefüllt ist, befindet sich in einer anderen Handschrift als derjenigen der Unterschrift des Klägers wörtlich folgende Angabe:
"Ich erkläre, dass ich keine deutsche Schule besucht habe und Deutsch nicht schreiben kann. Wegen der Verfolgungen habe ich nach dem Krieg nicht mehr Deutsch gesprochen." In der Auskunft ist weiter ausgeführt, Herr K … habe als Prüfer wie üblich, den Fragebogen während der Prüfung ergänzt und in die Rubrik "Schulbesuch" zunächst Deutsch als Sprachfach eingetragen. Da der Kläger, wie in dem Sprachprüfungsbericht stehe, nervlich gestört gewesen sei, habe er sich hierzu vermutlich mehrfach widersprochen, so dass der Prüfer "Sprachfach Deutsch" wieder gestrichen habe. Diese Streichung sei offensichtlich beim Tippen des Berichts übersehen worden. Aus einem Aktenvermerk gehe hervor, dass sich der Kläger bei seinem Erscheinen zur Sprachprüfung in einem gesundheitlich höchst problematischen Zustand befunden habe.
Im Hinblick auf eine beim BSG anhängige Revision hat der Senat mit Beschluss vom 01.12.1998 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Das BSG hat mit Urteilen vom 10.03.1999 – B 13 RJ 87/97 R und B 13 RJ 83/98 R – entschieden, dass ein vertriebener Verfolgter, der in seinem Herkunftsgebiet zwar eine andere, aber nicht die deutsche Sprache schriftlich beherrscht habe, dem dSK angehört haben konnte, wenn er keine zumutbare Möglichkeit gehabt habe, die deutsche Schriftsprache zu erlernen. Die Beteiligten haben daraufhin die Fortsetzung des Verfahrens beantragt.
Die Beklagte hält auch unter Berücksichtigung dieser BSG-Rechtsprechung an ihrer Auffassung fest, dass der Käger zu keinem Zeitpunkt dem dSK angehört habe. Da die Eltern des Klägers angeblich Deutsch in Wort und Schrift beherrscht hätten, hätte der Kläger auch die Möglichkeit gehabt, die deutsche Schriftsprache zu erlernen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte erklärt, der Kläger habe im erstinstanzlichen Verfahren die Anrechnung von Zeiten gemäß § 17a FRG beantragt. Selbst wenn eine Zugehörigkeit zum dSK zum Beginn der Verfolgung anzunehmen wäre, käme eine Rentengewährung erst ab Inkrafttreten des § 17a FRG ab 01.07.1990 in Betracht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.02.1996 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger, für den im Termin zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Er wiederholt, dass er früher auch Deutsch habe schreiben können und dass ihm dies wegen des seit vielen Jahren und auch zur Zeit der Sprachprüfung bestehenden schlechten Gesundheitszustandes nicht mehr möglich sei. Im Übrigen sei das Beherrschen der deutschen Schriftsprache kein Mindestkriterium für eine Zugehörigkeit zum dSK.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten sowie die beigezogenen Entschädigungsakten des Klägers des Landesamts für Besoldung und Versorgung …, Wiedergutmachungsstelle – ES 31884 – und die Akten des Landgerichts Stuttgart – EGR 18031 – ES 7278 (O) – Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden. Auf diese sich aus § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebende Möglichkeit ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Terminsmitteilung, die ihm am 21.11.2001 zugestellt worden ist, hingewiesen worden.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht begründet.
Das Landessozialgericht kann gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesent lichen Mangel leidet. Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift. Wesentlich ist der Verstoß, wenn das Urteil des Sozialgerichts auf ihm beruhen kann (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 159 Rdnrn. 3 und 3a). Das erstinstanzliche Urteil leidet an einem derartigen Verfahrens mangel, der die Zurückverweisung rechtfertigt.
Das Sozialgericht hat mit seiner Entscheidung § 62 SGG verletzt. Danach ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren, wobei die Anhörung schriftlich geschehen kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör besteht jedenfalls zu den erheblichen Tatsachen, kann aber auch Rechtsfragen betreffen, insbesondere um eine unzulässige Überraschungsentscheidung zu vermeiden. Das Gericht muss z. B. dann auf Rechtsfragen hinweisen, wenn der Hinweis notwendig ist, um auf sachdienliche Anträge hinzuwirken oder wenn das Gericht die Entscheidung auf Rechtsgrundlagen stützen will, die bisher noch nicht erörtert worden sind (vgl. Meyer-Ladewig aaO § 62 Rdnrn. 8 und 8b m.w.N.)
Im vorliegenden Fall wäre das Sozialgericht vor seiner Entscheidung zu einem rechtlichen Hinweis verpflichtet gewesen. Das Sozialgericht hat die Zugehörigkeit des Klägers zum dSK allein auf der Grundlage des § 20 WGSVG geprüft und die Glaubhaftmachung bejaht. Demgegenüber hat der Kläger bereits in dem in der Klageschrift vom 04.01.1995 enthaltenen Antrag eine Anrechnung der Versicherungszeiten ausdrücklich nach § 17a FRG und nicht über § 20 WGSVG begehrt und hat dies im Schreiben vom 06.06.1995 nochmals betont. Zwar entscheidet das Gericht über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG). Es darf sich jedoch, wenn – wie hier – ein klarer Antrag formuliert worden ist, nicht ohne weiteres darüber hinwegsetzen, zumal die Konsequenzen bei einer Berücksichtigung von Fremdbeitragszeiten nach § 20 WGSVG oder nach § 17a FRG wesentlich verschieden sind. Bei Anwendung des § 17a FRG käme eine Rentengewährung erst ab Inkrafttreten dieser Vorschrift am 01.07.1990 in Betracht (Art. 15 Abschnitt A Nr. 4, Art. 85 Abs. 6 RRG 1992 vom 18.12.1989 – BGBl I, 2261 – ). Dagegen könnte die Rente bei Anwendung des § 20 WGSVG hier wesentlich früher – wie vom Sozialgericht zutreffend angenommen – bereits am 01.01.1986 beginnen.
Zudem bestehen grundlegende Unterschiede bei den Nachentrichtungsrechten, durch die eine Zahlbarmachung der Rente in das Ausland erst zu erreichen ist. Bei einer erstmaligen Berücksichtigung von Fremdbeitragszeiten nach § 20 Abs. 2 WGSVG in der ab 01.01.1990 geltenden Fassung könnte sich im vorliegenden Fall eine Nachentrichtungsmöglichkeit nach § 21, 22 WGSVG ergeben. Dagegen würde sich das Nachentrichtungsrecht bei Anwendung des § 17a FRG nach Nr. 11 des Schlussprotokolls zum Deutsch-Israelischen Sozialversicherungsabkommen richten (eingefügt durch Art. 1 des Zusatz abkommens vom 12.02.1995 – BGBl 1996 II, 299 -, in Kraft getreten am 01.06.1996 – BGBl 1996 II, 1033 – ). Diese Nachentrichtungsrechte sind inhaltlich völlig unterschiedlich ausgestaltet (vgl. hierzu und zur Konkurrenz von § 20 WGSVG und § 17a FRG BSG Urteile vom 22.03.2001 – B 12 RA 5/00 R und B 12 RA 7/00 R -; Abendroth, Die Zusatzabkommen mit Israel und den USA, DAngVers 1996, 342 ff.).
Im Hinblick auf die unterschiedlichen Auswirkungen ist es für den Kläger von wesentlicher Bedeutung, ob eine Berücksichtigung der Fremdrentenzeiten auf der Grundlage des § 20 WGSVG oder des § 17a FRG erfolgt. Wenn das Sozialgericht – entgegen dem ausdrücklichen Begehren auf Anerkennung nach § 17a FRG – eine Anwendung des § 20 WGSVG beabsichtigte, hätte es dem Kläger vor einer Entscheidung durch einen Hinweis Gelegenheit geben müssen, sich hierzu zu äußern. Der Kläger hätte sich dann unter Abwägung der Vor- und Nachteile – evtl. nach Beratung durch die Beklagte – entscheiden und klarstellen können, ob er an einer Berücksichtigung der Fremdrentenzeiten auf der Grundlage des § 17a FRG festhält.
Dabei wird der Kläger nach den Ausführungen in den o.g. Urteilen des BSG vom 22.03.2001 in Betracht ziehen müssen, dass die bis herige (großzügige) Praxis der Rentenversicherungsträger, dem Berechtigten, der sowohl die Voraussetzungen nach § 20 WGSVG als auch nach § 17a FRG erfüllt, ein Wahlrecht zwischen den jeweiligen Nachentrichtungsalternativen einzuräumen, wenn FRG-Zeiten noch nicht oder erst ab 12.02.1995 (Vereinbarung des Zusatzabkommens) vorgemerkt worden sind, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zweifel gezogen worden ist. Das BSG konnte dabei in den angeführten Entscheidungen offen lassen, ob ein Nachentrichtungsrecht nach § 17a FRG bereits dann ausgeschlossen ist, wenn die Anerkennung von Fremdrentenzeiten – wie hier – bereits nach § 20 WGSVG möglich war.
Das Sozialgericht hat allerdings zu Recht die Zugehörigkeit des Klägers zum dSK im Zeitpunkt des Verlassens des Vetreibungsgebietes (§ 20 i.V.m. § 19 Abs. 2 Buchst. a 2. Halbsatz WGSVG) für glaubhaft gemacht angesehen. Der Senat verweist insoweit zunächst auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Daneben hält der Senat auch die Voraussetzungen des § 17a FRG für erfüllt. Insbesondere ist die Zugehörigkeit zum dSK auch für den Zeitpunkt, in dem sich der nationalsozialistische Einflussbereich auf das Heimatgebiet erstreckt hat – in Polen im September 1939 – glaubhaft gemacht.
Ebenso wie das Sozialgericht misst der Senat dem Ergebnis der Sprachprüfung eine maßgebende Bedeutung zu. Die mündliche Sprachprüfung im Dezember 1991 ist für den Kläger ausgesprochen positiv ausgefallen. Der Kläger konnte Deutsch fließend sprechen sowie fließend und mit Verständnis lesen. Der Sprachprüfer hat ihm sogar ein gutes und gewähltes Deutsch bescheinigt. Eine so eindeutige Beurteilung des Prüfers, er sei "sicher", dass der Kläger dem dSK angehört habe, ist nach den Erfahrungen des Senats recht selten.
Der Senat hält die Behauptung des Klägers, er habe früher Deutsch auch schreiben können und sei seit langem aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, in irgend einer Sprache zu schreiben, für glaubhaft. Dies erscheint unter Berücksichtigung der medizinischen Unterlagen in den Entschädigungsakten und in den Akten des Landgerichts Stuttgart durchaus nachvollziehbar.
Da bereits in den nervenärztlichen Gutachten des Dr. L …, J …, vom 16.02.1970 (Bl. 24 ff. LG-Akte) heißt es, beim Kläger bestünden deutliche Erinnerungsstörungen mit hilflos-apathischen Äußerungen. Der Gutachter hat schon seinerzeit eine schwere geistige und emotionelle Läsion festgestellt und ausgeführt, die verfolgungsbedingte MdE sei sehr hoch und nicht unter 50 % zu schätzen. In einem daraufhin von Ärzten der Universitäts-Nervenklinik … erstatteten Aktengutachten vom 08.03.1971 (Bl. 45 ff LG-Akte) wurde ein depressiv-asthenisches Syndrom und ein erlebnisreaktiver Persönlichkeitswandel nach extremen Belastungssituationen diagnostiziert. Die Gesundheitsschäden seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen entstanden. Die dadurch hervorgerufene MdE betrage 40 % und bestehe in diesem Umfang seit dem Ende der Verfolgung. Die Beteiligten des damaligen Rechtsstreit einigten sich daraufhin vergleichsweise auf Entschädigungsleistungen nach einer MdE von 25 %.
Auf einen 1994 gestellten Verschlimmerungsantrag erstattete Dr. M …, T …, das vom Sozialgericht erwähnte psychiatrische Gutachten vom 01.09.1994 (Bl. 188 – 195 E-Akte). Darin wurden schwerste psychische Störungen festgestellt und die verfolgungsbedingte seelische MdE mit mindestens 60 % bewertet. Zu einer ähnlichen Beurteilung ist Dr. Z …, Z …, in dem nervenärztlichen Gutachten vom 25.01.1995 (Bl. 199 – 208 E-Akte) gekommen. Er bewertete die verfolgungsbedingte Gesamt-MdE unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Magenleidens mit über 80%. In diesem Gutachten wurden aufgrund des psychischen Verfolgungsleidens auch eine Pflegebedürftigkeit des Klägers angenommen.
Angesichts dieser medizinischen Beurteilungen sind die Zweifel der Beklagten daran, dass der Kläger bei der Sprachprüfung aus gesundheitlichen Gründen an der Abgabe einer Schriftprobe gehindert gewesen ist, nicht berechtigt.
Obwohl der Senat somit die frühere Zugehörigkeit des Klägers zum dSK sowohl im Rahmen des § 20 WGSVG als auch des § 17a FRG für glaubhaft gemacht ansieht, konnte der Senat im Termin nicht abschließend entscheiden, ohne seinerseits den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör zu verletzen. Dass der Kläger in erster Instanz die Anrechnung der Fremdrentenzeiten allein auf der Grundlage des § 17a FRG beantragt hat, ist erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung auf den Hinweis der Beklagten erörtert worden.
Im Hinblick auf die Ausführungen des BSG in den o.g. Urteilen vom 22.03.2001 wird der Kläger auch das Risiko zu bedenken haben, das ein auf die Nachentrichtung nach dem Zusatzabkommen beschränkter Antrag nach sich ziehen könnte. Eine dahingehende Auslegung seines Klagebegehrens durch den Senat hätte möglicherweise im Hinblick auf das Konkurrenzverhältnis der Nachentrichtungsalternativen im Ergebnis die Versagung eines Nachentrichtungsrechts zur Folge haben können.
Da für den Kläger niemand erschienen ist, hatte er keine Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Der Senat hat daher von der Möglichkeit der Zurückverweisung nach § 159 SGG Gebrauch gemacht.
Das Sozialgericht wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Erstellt am: 14.08.2003
Zuletzt verändert am: 14.08.2003