Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.09.2012 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin nach Ablauf eines Haushaltsjahres noch berechtigt war, eine der Höhe nach nicht streitige Nachforderung für eine stationäre Behandlung zu erheben.
Die Klägerin ist die Trägerin des St. K-Hospitals H. Dort wurde der Versicherte X der Beklagten vom 10.11.2010 bis 19.11.2010 stationär behandelt. Für diese Behandlung wurden der Beklagten mit Schlussrechnung vom 19.11.2010 2168,85 EUR berechnet, die von der Beklagten bezahlt wurden. Unter dem 31.8.2011 stellte die Klägerin der Beklagten für dieselbe Behandlung des Versicherten 2988,18 EUR in Rechnung und schrieb ihr den auf die Rechnung vom 19.11.2010 geleisteten Betrag gut. Die Nachberechnung beruhte auf der Ersetzung der DRG F67B (Hypertonie mit schweren CC; 1.951,23 EUR) durch die DRG F67A (Hypertonie mit äußerst schweren CC; 2.729,22 EUR). Die Beklagte lehnte vorprozessual die Zahlung weiterer 819,33 EUR ab. Sie bestritt nicht die Richtigkeit der Nachberechnung meinte aber, nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 08.09.2009 sowie vom 17.12.2009 sei eine Korrektur der Schlussrechnung nur innerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkassen möglich.
Am 30.05.2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Nachforderung sei nach Treu und Glauben zulässig. Der geforderte Betrag liege oberhalb der Bagatellgrenze und die Nachforderung sei auch zeitnah erfolgt. In dem Urteil vom 08.09.2009 habe das BSG lediglich ausgeführt, dass eine Rechnungskorrektur nach mehr als 2 Jahren nach Erteilung der Schlussrechnung auch unter Berücksichtigung des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkassen nicht gerechtfertigt sei. Der Rechtsprechung des BSG könne nicht entnommen werden, dass das Kriterium für eine Rechnungslegung das abgelaufene Haushaltsjahr sein solle. Im Urteil vom 07.12.2009 habe das BSG das Haushaltsjahr als Kriterium nicht mehr herangezogen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass eine Nachforderung nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich lediglich nur innerhalb des Haushaltsjahres möglich und deshalb hier ausgeschlossen sei.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 06.09.2012 antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 819,33 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.9.2011 zu zahlen. Zur Begründung hat es i.W. ausgeführt: Die Klägerin sei nach Maßgabe der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG (Urteil v. 17.12.2009 – B 3 KR 12/08 R – SozR 4-2500 § 109 Nr. 20) nach dem Grundsatz von Treu und Glauben mit ihrer der Höhe nach zwischen Beteiligten unstreitigen Nachforderung vom 31.08.2011 nicht ausgeschlossen. Die Höhe der Nachforderungen liege oberhalb der "Bagatellgrenze" i.H.v. 300 EUR und erreiche zudem mindestens einen Wert von 5 % des Ausgangsrechnungswerts. Sie sei auch zeitnah – hier insbesondere innerhalb eines Kalenderjahres – erfolgt. Diese Beurteilung stehe entgegen der Auffassung der Beklagten in Einklang mit der Rechtsprechung des BSG vom 08.09.2009 (B 1 KR 11/09 R – SozR 4-2500 § 109 Nr. 19). Dem genannten Urteil sei nicht zu entnehmen, dass wesentliches bzw. alleiniges Kriterium für die Zulässigkeit einer nachträglichen Rechnungskorrektur die Abrechnung im laufenden Haushaltsjahr sei. Das Urteil enthalte keinerlei Begründung für einen solchen Maßstab. Das Wirtschaftsjahr als Maßstab könne auch nicht nachvollzogen werden, da ein solcher zu nicht hinnehmbaren Unterschieden in der Beurteilung von Schlussrechnungen führen würde. Er hätte etwa zur Folge, dass eine zu Beginn des Haushaltsjahres der Krankenkassen gestellte Schlussrechnung für einen Zeitraum von ca. 12 Monaten korrigiert werden könne, eine 3 Wochen vor dem Ende des Haushaltsjahres gestellte Rechnung jedoch gar nicht bzw. lediglich 6 Wochen (Hinweis auf Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 10.11.2011 – L 5 KR 89/10).
Gegen das ihr am 19.09.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 24.09.2012 Berufung eingelegt. Sie hat sich zur Begründung zunächst auf die Entscheidungen des BSG vom 08.09.2009 und 17.12.2009 bezogen; Nachforderungen über die 6-Wochen-Grenze hinaus seien danach grundsätzlich innerhalb des Haushaltsjahres zu stellen. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des 1. Senats des BSG vom 13.11.2012 (B 1 KR 6/12 R) und des 3. Senats des BSG vom 22.11.2012 (B 3 KR 1/12 R) führt sie aus: Der 1. Senat des BSG habe im Urteil vom 13.11.2012 festgestellt, dass die Nachforderung ausgeschlossen gewesen sei, weil sie "nicht mehr zeitnah, insbesondere nicht innerhalb des laufenden Haushaltsjahres" der Krankenkasse erfolgt sei. Der 3. Senat setze sich über diese eindeutige Regelung in dem Urteil des 1. Senats in seinem Urteil vom 22.11.2012 hinweg und begrenze die Nachforderung auf das erste der Abrechnung folgenden Kalenderjahrs. Dies könne jedoch nicht überzeugen. Für die haushaltsrechtliche Vorhersehbarkeit komme es für die Krankenkasse entscheidend darauf an, dass die Forderungen in dem Haushaltsjahr auch abgerechnet werden, in dem sie entstanden sind. Insofern sei der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu folgen. Es sei nicht erkennbar, dass der 1. Senat in seinem Urteil vom 13.11.2012 seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben bzw. geändert habe. Der 1. Senat habe in der genannten Entscheidung zwar unter Rn. 14 darauf hingewiesen, dass er Nachforderungen, die zwei Jahre nach Schlussrechnung geltend gemacht wurden, ausgeschlossen habe und dies auch für Nachberechnungen gelte, die länger als ein Rechnungsjahr nach Schlussrechnung erfolgt sind. Entscheidend sei aber, dass unter der Rn. 21 der 1. Senat die Zeitnähe nur innerhalb des laufenden Haushaltsjahres anerkenne. Wenn der 3. Senat in seiner Entscheidung vom 22.11.2012 behaupte, der 1. Senat habe "die Korrekturfrist offensichtlich erweitert", sei dies für die Beklagte nicht nachvollziehbar. Erklärbar scheine dies nur dadurch, dass die beiden Entscheidungen so kurzfristig hintereinander ergangen seien und die Entscheidung des 1. Senats mit vollständiger Begründung dem 3. Senat bei seiner Entscheidung noch nicht vorgelegen haben möge.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.09.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung, die sie namentlich durch das Urteil des BSG vom 22.11.2012 bestätigt sieht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin 819,33 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.9.2011 zu zahlen.
Der Klägerin standen für die stationäre Behandlung des Versicherten X der Beklagten vom 10.11.2010 bis 19.11.2010 bei zutreffender und zwischen den Beteiligten nicht streitiger Kodierung mit der DRG F67A statt der zunächst mit Rechnung vom Entlassungstag berechneten 2168,85 EUR die mit der Rechnung vom 31.08.2011 geforderten 2988,18 EUR zu (§ 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 KHEntgG, § 17b KHG und der Fallpauschalenvereinbarung 2010 und dem Landesvertrag gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land NRW).
Die Klägerin war entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht wegen ihrer vorherigen Schlussrechnung vom 19.11.2010 an der Nachberechnung und Nachforderung gehindert. Durch den ersichtlich pauschalen Zusatz der Klägerin (auf beiden Rechnungen) "Die Nachberechnung von Leistungen sowie die Berichtigung bleiben vorbehalten" ist zwar kein spezifischer Vorbehalt wirksam erklärt worden, gleichwohl ist hier die Nachberechnung weder vertraglich noch nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
Der Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung (NRW) enthält weder eine Regelung, die die Nachberechnung ausschließt, noch eine solche, die eine zeitliche Grenze dafür setzt. Soweit § 15 Abs. 3 des Sicherstellungsvertrages Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art auch nach Bezahlung der Rechnung ausdrücklich zulässt ist daraus nicht zu folgern, dass nach Stellung und Bezahlung einer Schlussrechnung nur von der Krankenkasse beanstandet, nicht aber vom Krankenhaus nachberechnet werden dürfe. Vielmehr ist ein Krankenhaus auch nach Rechnungsstellung grundsätzlich noch zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt (vgl. BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 19; BSG, Urteil v. 22.11.2012 – B 3 KR 1/12 R).
Auch wenn es zur Überzeugung des Senats grundsätzlich Angelegenheit der Vertragspartner wäre, im Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V eine zeitliche Grenze und/oder Wertgrenze oder andere Bedingungen für den Ausschluss einer Nachberechnung innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist zu vereinbaren, steht gleichwohl nach der Rechtsprechung des BSG die Nachforderung eines restlichen Vergütungsanspruchs unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben, der über § 69 SGB V gemäß dem Rechtsgedanken des § 242 BGB auf die Rechtsbeziehungen der Vertragspartner einwirkt (vgl. zuletzt Urteile v. 13.11.2012 – B 1 KR 6/12 R und v. 22.11.2012 – B 3 KR 1/12 R).
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG ist die Klägerin hier nach Treu und Glauben nicht mit der streitigen Nachberechnung ausgeschlossen. Wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat, überschreitet der Differenzbetrag die in der BSG-Rechtsprechung festgelegten Bagatellgrenzen, besteht für eine systematische Rechnungsoptimierung kein Anhalt und ist die Nachberechnung auch zeitnah erfolgt.
Diese Beurteilung des Sozialgerichts wird, wie die Beklagte nicht verkennt, durch das Urteil des BSG vom 22.11.2012 (B 3 KR 1/12 R) eindeutig bestätigt. Das BSG führt dort aus, dass der zeitliche Rahmen für zulässige Nachberechnungen für bereits abgerechnete Behandlungsfälle nicht anhand des laufenden Haushaltsjahres zu bestimmen sei, sondern dass generell das Ende des auf die unrichtige erste Abrechnung folgenden vollen Kalenderjahres als äußerster Zeitpunkt für Korrekturmöglichkeiten festzulegen sei. Eine frühere generelle Grenze für Nachberechnungen sieht der erkennende Senat jedenfalls nicht.
Ein offener Widerspruch zu den Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 08.09.2009 (B 1 KR 11/09 R) und vom 13.11.2012 (B 1 KR 6/12 R) liegt darin nicht. Die beiden Krankenversicherungssenate des BSG hatten sich zu den Grenzen der nachträglichen Rechnungskorrektur durch ein Krankenhaus zunächst in den erstinstanzlich diskutierten Urteilen vom 08.09.2009 und 17.12.2009 vom Boden sehr unterschiedlicher Ausgangssachverhalte geäußert. In ihren Entscheidungen vom 13.11.2012 und 22.11.2012 betonen beide Senate, dass die genannten Entscheidungen aus dem Jahre 2009 auch hinsichtlich der zeitlichen Grenzen einer Nachberechnung nicht zueinander in Widerspruch stünden. Die Interpretation der Entscheidung des 1. Senats vom 13.11.2012 (bzw. des Terminberichts) durch den 3. Senat mag man ggfs. hinsichtlich der Frage für zweifelhaft halten, ob der 1. Senat damit seine Rechtsprechung vom 08.09.2009 in dem im Urteil vom 22.11.2012 angenommenen Sinne weiterentwickeln wollte, oder ob dieser sich insoweit noch nicht endgültig festlegen wollte, wozu der Sachverhalt der Entscheidung vom 13.11.2012 auch nicht zwang.
Auswirkungen auf diesen Rechtstreit hat diese Frage indes nicht. Denn auch vom Boden der Ausführungen des 1. Senats im Urteil vom 13.11.2012 wäre hier die Klägerin nicht mit ihrer Nachforderung ausgeschlossen. Die Formulierung (Rz. 21) "Die korrigierende Nachforderung des Klägers erfolgte schließlich nicht mehr zeitnah, insbesondere nicht innerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Beklagten, sondern mehr als 4 Jahre nach Übersendung und Bezahlung der 1. Rechnung" zwingt nämlich nicht zu dem Schluss, dass nach der Auffassung des BSG die Nachberechnung nur dann zeitnah ist, wenn sie innerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse erfolgt ist. Im Urteil heißt es nämlich weiter: "Lässt sich ein Krankenhaus länger als ein ganzes Rechnungsjahr Zeit, um eine ohne rechtsbedeutsamen Vorbehalt erteilte Schlussrechnung im Wege der Nachforderung mit Blick auf Grundlagen zu korrigieren, die dem eigenen Verantwortungsbereich entstammen, ist es in der Regel nach Treu und Glauben mit seiner Nachforderungen ausgeschlossen." Die Klägerin hat ihre Nachberechnung aber innerhalb eines Rechnungsjahres bzw. Geschäftsjahres vorgenommen.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 15 Abs. 1 Satz 4 des Landesvertrages iVm §§ 284, 285, 288 Abs. 1 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 VwGO.
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 SGG).
Erstellt am: 07.08.2013
Zuletzt verändert am: 07.08.2013