Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19. September 2008 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1943 geborene Kläger begehrt die Entfernung einer ärztlichen Äußerung aus der über ihn geführten Verwaltungsakte der Beklagten.
Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 24.05.1993 wegen einer geringfügigen, asbestbedingten Rippenfellveränderung eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4103 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV – im Folgenden: BK 4103 -) ohne Anspruch auf Verletztenrente an. Nach weiteren Untersuchungen gewährte sie Verletztenrente ab dem 22.09.2000. Wegen der Höhe der Verletztenrente strengte der Kläger verschiedene Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen bzw. dem Landessozialgericht NRW an. Zuletzt hatte er am 22.03.2007 Klage erhoben (Az. S 13 U 43/07) und gegen das klageabweisende Urteil des SG vom 23.07.2008 Berufung eingelegt (L 17 U 175/08). Diese Berufung hat der Senat mit Urteil vom gleichen Tage, auf das wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt Bezug genommen wird, zurückgewiesen.
In diesem letzten Klageverfahren bat die Beklagte am 08.10.07 den Internisten, Pneumologen und Allergologen Dr. T aus L um eine "beratende Stellungnahme zur Unterstützung und Beratung bei der Aufklärung des medizinischen Sachverhalts" zu Ausführungen des Klägerbevollmächtigten hinsichtlich der MdE-Festsetzung bei paarigen Organen und übersandte dem Arzt die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten. Am 25.10.07 widersprach der Kläger der beabsichtigten Weitergabe seiner Sozialdaten. Im Oktober 2007 gab Dr. T eine Stellungnahme ab, die auch in das Gerichtsverfahren S 13 U 43/07 eingeführt wurde. Auf dem Anschreiben der Beklagten teilte er folgendes mit: "Die Lunge zählt als Einheit, und nicht als paariges Organ (wie z.B. Augen, Ohren, Nieren), so dass diesbezüglich weitere Überlegungen entfallen. Es ist hinsichtlich der MdE-Bewertung der objektiv messbare Gesamtschaden zu berücksichtigen, wofür mit den ausführlichen Lungenfunktionsanalysen valide Instrumente zur Verfügung stehen. " Die Tätigkeit des Dr. T als beratender Arzt für die Beklagte beruht auf einer schriftlichen Bestätigung vom 03.12.1997, in der wegen der Einzelheiten auf mündliche Absprachen Bezug genommen wird. Eine schriftliche Konkretisierung dieser Vereinbarung erfolgte durch einen Beratungsvertrag vom 15.08.2008, auf den verwiesen wird.
Mit Scheiben vom 06.11.2007 führte die Beklagte gegenüber dem Kläger aus, dass sie zur Einholung der Stellungnahme eines Beratungsarztes berechtigt sei. Dagegen legte der Kläger am 26.11.07 Widerspruch ein mit dem Antrag, die Stellungnahme gem. § 84 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) aus den Akten zu entfernen. Diesen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.07 als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 17.01.2008 vor dem SG Gelsenkirchen Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er meint, auch ein Kurzgutachten sei ein Gutachten und Dr. T sei von der Beklagten sogar "als Haupt- bzw. Obergutachter auserkoren." Die Beklage hätte vor Einholung dieses Gutachtens von Dr. T ein Gutachterauswahlrecht nach § 200 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) anbieten müssen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2007 zu verurteilen, die Stellungnahme von Dr. T vom 05.11.2007 aus den Akten zu entfernen.
Durch Urteil vom 19.09.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Das Urteil ist dem Kläger am 30.09.2008 zugestellt worden. Am 29.10.2008 hat er dagegen Berufung eingelegt. Er ist weiter der Meinung, Dr. T habe ein Kurzgutachten erstellt und es liege eine Verletzung von § 200 Abs. 2 S. 1 Halbsatz 1 SGB VII vor. Im Übrigen legt der Kläger ein Schreiben des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit vom 04.11.2008 vor, in dem dieser Stellung nimmt zur Frage des Gutachterauswahlrechts.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19.09.2008 zu ändern und nach seinem erstinstanzlich gestellten Antrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils und führt ergänzend aus, dass selbst vor dem Hintergrund der Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 05.02.2008 weder ein Verstoß gegen das Gutachterauswahl- noch gegen das Widerspruchsrecht des Klägers aus § 200 Abs. 2 SGB VII erkennbar sei. Nach Auffassung des BSG sei auf das inhaltliche Gepräge der ärztlichen Äußerung abzustellen. Danach stelle die Äußerung des Dr. T unzweifelhaft kein "Gutachten" dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsakten der Beklagten und Akte des Parallelverfahrens S 13 U 43/07 bzw. L 17 U 175/08. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 06.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2007 nicht beschwert i.S.d § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn dieser Bescheid ist nicht rechtswidrig. Es besteht kein Anspruch auf Entfernung der Äußerung von Dr. T, die dieser auf Anfrage der Beklagten vom 08.10.2007 abgegeben hat, aus den Akten der Beklagten.
Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 84 Abs. 2 S. 1 SGB X, wonach Sozialdaten zu löschen sind, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Eine unzulässige Speicherung liegt hier nicht vor, denn entgegen der Auffassung des Klägers ist § 200 Abs. 2 SGB VII nicht von der Beklagten verletzt worden. Bei der Äußerung von Dr. T handelt es sich nämlich nicht um ein Gutachten.
Nach § 200 Abs. 2 SGB VII soll der Unfallversicherungsträger vor Erteilung eines Gutachtenauftrages dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen; der Betroffene ist außerdem auf sein Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 SGB X hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren. Gemeint sind damit nur Gutachten im klassischen Wortsinne. Denn es wäre mit einer geordneten und funktionsfähigen Verwaltungspraxis schwerlich zu vereinbaren, wenn die Berufsgenossenschaften bei jeder Einschaltung eines externen Arztes, etwa zur Klärung einer Detailfrage, zur Beratung über das weitere Vorgehen oder zur Bewertung der Schlüssigkeit eines anderweit eingeholten Gutachtens, den Versicherten beteiligen und ihm eine Auswahl unter mehreren hierfür geeigneten Ärzten ermöglichen müssten. Der Begriff des Gutachtens in § 200 Abs 2 SGB VII ist daher eng auszulegen ist. Ein Gutachten liegt vor, wenn ein solches angefordert oder ausweislich seiner Selbstbezeichnung erstellt und übersandt oder abgerechnet wurde. Unabhängig von dieser rein äußerlichen Bezeichnung ist zur weiteren Unterscheidung vom Bezugspunkt der schriftlichen Äußerung des Sachverständigen auszugehen: Enthält sie vornehmlich eine eigenständige Bewertung der verfahrensentscheidenden Tatsachenfragen, ist es ein Gutachten. Wird hingegen nur die Schlüssigkeit, Überzeugunskraft oder Beurteilungsgrundlage anderer Beurteilungen überprüft, liegt lediglich eine beratende Stellungnahme vor (so BSG, Urteile vom 08.02.2008 – B 2 U 10/07 R und B 2 U 0/07 R).
Vorliegend ist von der Beklagten mit Schreiben vom 08.10.2007 weder ein Gutachten von Dr. T angefordert worden, noch bezeichnet dieser selbst seine Äußerung als Gutachten. Gegenstand seiner Äußerung ist auch mitnichten die eigenständige Bewertung einer verfahrensentscheidenden Tatsachenfrage. Vielmehr hat er sich kurz mit der von den Klägerbevollmächtigten – aus medizinischer Laiensicht – aufgeworfenen abstrakten medizinischen Frage auseinandergesetzt, ob die Lunge als paariges Organ anzusehen sei. Mithin ging es nicht einmal um die Bewertung eines von anderer Seite erstellten Gutachtens oder die konkrete Beurteilung des vorliegenden medizinischen Sachverhalts, sondern allein um die Prüfung der Schlüssigkeit des klägerischen Vorbringens durch die Beantwortung einer abstrakten Frage.
Ein Verstoß gegen das Widerspruchsrecht nach §§ 200 Abs. 2 Halbsatz 2 SGB VII, 76 Abs. 2 SGB X kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil keine Übermittlung von Sozialdaten im Sinne des § 67 Abs. 6 Nr. 3 SGB X vorliegt. Denn Dr. T ist als vertraglich gebundener Beratungsarzt der Beklagten nicht Dritter im Sinne dieser Vorschrift (§ 67 Abs. 10 SGB X). Ein Vertrag wie der hier vorliegende reicht im Übrigen aus. Nicht erforderlich ist dass der Beratungsarzt in einem Beschäftigungsverhältnis zur Beklagten steht (vgl. BSG aaO.).
Vor diesem Hintergrund ist die Relevanz der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit vom 04.11.2008 für den zu beurteilenden Sachverhalt nicht erkennbar. Denn der Bundesbeauftragte bestreitet nicht, dass § 200 Abs. 2 SGB II nur anwendbar ist, wenn ein Gutachten eingeholt werden soll, was – wie ausgeführt – hier nicht der Fall ist. Soweit von ihm erwogen wird, die Vorschrift erweiternd auch anzuwenden, wenn ohne Übermittlung von Sozialdaten ein Gutachten eingeholt werden soll, ist dies eine rechtspolitische übelegung, auf die hier einzugehen kein Anlass beseht.
Die Berufung musste daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG erfolglos bleiben.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist von einem bei dem Bundessozialgericht zugelassenen Prozessbevollmächtigten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim
Bundessozialgericht, Postfach 41 02 20, 34114 Kassel, oder Bundessozialgericht, Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel,
einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss bis zum Ablauf der Monatsfrist bei dem Bundessozialgericht eingegangen sein.
Als Prozessbevollmächtigte sind nur zugelassen
– jeder Rechtsanwalt,
– Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinn des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt,
– selbständige Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder,
– berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
– Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
– Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder,
– juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der vorgenannten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Die vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften und juristischen Personen müssen durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie private Pflegeversicherungsunternehmen können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Ein Beteiligter, der zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten. Handelt es sich dabei um eine der vorgenannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen, muss diese durch Personen mit Befähigung zum Richteramt handeln.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils von einem zugelassenen Bevollmächtigten schriftlich zu begründen.
In der Begründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der das Urteil abweicht, oder ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bezeichnet werden. Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz nicht und eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann ein Beteiligter, der nicht schon durch die oben genannten Vereinigungen, Gewerkschaften oder juristischen Personen vertreten ist, Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen.
Der Beteiligte kann die Prozesskostenhilfe selbst beantragen. Der Antrag ist beim Bundessozialgericht entweder schriftlich einzureichen oder mündlich vor dessen Geschäftsstelle zu Protokoll zu erklären.
Dem Antrag sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierzu ist der für die Abgabe der Erklärung vorgeschriebene Vordruck zu benutzen. Der Vordruck kann von allen Gerichten oder durch den Schreibwarenhandel bezogen werden.
Wird Prozesskostenhilfe bereits für die Einlegung der Beschwerde begehrt, so müssen der Antrag und die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse – gegebenenfalls nebst entsprechenden Belegen – bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (ein Monat nach Zustellung des Urteils) beim Bundessozialgericht eingegangen sein.
Mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe kann ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt benannt werden.
Ist dem Beteiligten Prozesskostenhilfe bewilligt worden und macht er von seinem Recht, einen Anwalt zu wählen, keinen Gebrauch, wird auf seinen Antrag der beizuordnende Rechtsanwalt vom Bundessozialgericht ausgewählt.
Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden. Das Bundessozialgericht bittet darüber hinaus um je zwei weitere Abschriften. Grewe Becker Söhngen
Erstellt am: 15.06.2009
Zuletzt verändert am: 15.06.2009