Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 14.02.2007 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger ein Versorgungsanspruch nach dem Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingshilfegesetz – HHG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zusteht.
Der 1963 geborene Kläger befand sich vom 09.05.1985 bis 09.07.1986 aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm selbst nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam (Bescheinigung des Ausgleichsamtes C der Stadt C nach § 10 Abs. 4 HHG vom 10.09.1986).
Er stellte am 02.01.2002 beim Landesamt für Versorgung und Soziales der Stadt I, von dort weitergeleitet an das Versorgungsamt B, einen Antrag auf Gewährung von Versorgung wegen Haftschäden. Zur Begründung gab er an, wegen Republikflucht 15 Monate inhaftiert gewesen zu sein, davon 10 Monate unter beengten Umständen in Halle. Anschließend sei er von dort nach Naumburg verlegt worden, wobei die Zugfahrt 30 Stunden bei beengtem Stehen gedauert habe. Sitzen sei nicht möglich gewesen. Hierdurch habe er eine Schädigung des linken Beines erlitten.
Das Versorgungsamt B zog eine Berichte des M-Hospitals B von August 2002 und des St. G-Krankenhauses B vom 26.08.2004 sowie den Rehabilitierungsbeschluss des Landgerichts Halle vom 13.01.2004 bei und forderte Auskünfte des Amtes für Versorgung und Soziales der Stadt I und des Bundesarchivs an.
Mit Bescheid vom 13.09.2004 lehnte das Versorgungsamt den Antrag des Klägers auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab. Die Gesundheitsstörungen am linken Bein seien überwiegend anlagebedingt und nicht wahrscheinlich auf die Inhaftierung zurückzuführen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 20.09.2004, dem dieser einen Bericht der Universitätsklinik B vom 20.08.2004 beifügte, wies die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2004 zurück.
Der Kläger hat am 11.11.2004 Klage beim Sozialgericht Aachen (SG) erhoben und sein Begehren weiter verfolgt.
Das SG hat Befundberichte des Phlebologen Dr. I vom 07.11.2005 und des Allgemeinarztes Dr. X vom 24.11.2005 sowie anschließend ein Gutachten des Internisten und Phlebologen Dr. C vom 01.03.2006 und ergänzend vom 07.06.2006 eingeholt. Der Sachverständige hat einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der vom Kläger angegebenen Zugfahrt und der Schädigung des Beines angenommen und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE – heute: Grad der Schädigungsfolgen, GdS) um 50 v.H. vorgeschlagen. Anschließend hat das SG weitere Unterlagen des Bundesarchivs angefordert.
Mit Urteil vom 14.02.2007 hat das SG das Land Nordrhein-Westfalen verurteilt, dem Kläger Versorgung nach einer MdE um 50 v.H. ab Februar 2002 zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass aufgrund der medizinischen Befunde davon auszugehen sei, dass der Kläger im Jahr 1986 eine Phlebothrombose erlitten habe, die mit Wahrscheinlichkeit auf die 30stündige Zugfahrt zurückgeführt werden könne. Wenn auch Brückensymptome zwischen 1986 und 2002 fehlen würden, so schließe dies einen Ursachenzusammenhang nicht aus. Es sei davon auszugehen, dass solche Symptome in Form von Schwellungsneigung und Stauungsdermatosen vor 2002 vorgelegen hätten.
Gegen das am 20.03.2007 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 19.04.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er zunächst angeführt, dass zum einen die 30stündige Zugfahrt nicht nachgewiesen und zum anderen nicht gesichert sei, dass der Kläger seinerzeit eine tiefe Beinvenenthrombose erlitten habe. Im Übrigen fehle es an Brückensymptomen zwischen den Erkrankungen 1986 und 2002. Aufgrund der Beweiserhebung im Berufungsverfahren hat der Beklagte die vom Kläger angegebene 30stündige Bahnfahrt als schädigenden Tatbestand anerkannt. Im Hinblick auf sein weiteres Vorbringen sieht er sich durch die Beweiserhebung im Berufungsverfahren bestätigt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 14.02.2007 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidungsgründe des Urteils des Sozialgerichts für zutreffend. Soweit in der damaligen DDR bei seiner Erkrankung keine ausreichenden Befunde erhoben worden seien, könne ihm dies nicht zum Nachteil gereichen. Im damaligen Haftkrankenhaus hätten womöglich keine umfangreichen Apparaturen zur Verfügung gestanden und den Ärzten im Übrigen die Motivation zur Behandlung von Staatsfeinden gefehlt. Dass Brückensymptome nicht dokumentiert seien, schließe deren Vorhandensein nicht aus. Er habe in allen Jahren an Problemen mit dem Bein gelitten und hierzu Kompressionsstrümpfe getragen.
Der Senat hat zu dem erfolgten Zugtransport Beweis erhoben durch Einholung einer weiteren Auskunft des Bundesarchivs vom 08.11.2007 sowie der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR vom 31.01.2008. Der Kläger hat eine Erklärung der Gemeinschaft ehemaliger politischer Häftlinge und der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft vom 17.01.2008 übersandt. Anschließend hat der Senat ein gefäßchirurgisches Gutachten des Dr. I1 nach Aktenlage vom 17.10.2008 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass nach den aktenkundigen Befunden nicht sicher sei, ob 1986 eine Phlebothrombose oder lediglich eine Thrombophlebitis vorgelegen habe. Im Übrigen sprächen die fehlenden Brückensymptome gegen einen Ursachenzusammenhang, da solche Symptome innerhalb von zwei Jahren zu erwarten seien.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die von dem Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.
Richtiger Beklagter im Berufungsverfahren ist seit dem 01.01.2008 der für den Kläger örtlich zuständige Landschaftsverband Rheinland (vgl. zur Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts Urteil des erkennenden Senats vom 11.03.2008, L 6 (10) VS 29/07, bestätigt durch BSG, Urteil vom 11.12.2008, B 9 VS 1/08 R; Urteil des BSG vom 11.12.2008, B 9 V 3/07 R; Urteil des erkennenden Senats vom 11.03.2008, L 6 V 28/07 und Urteil vom 11.03.2008, L 6 VG 13/06, Rev.Az. B 9 VG 1/08 R).
Zu Unrecht hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 13.09.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.10.2004 verurteilt, dem Kläger Versorgung nach dem HHG i.V.m. dem BVG nach einer MdE um 50 v.H. zu zahlen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach dem HHG als Folge der Inhaftierung und insbesondere als Folge des 30stündigen Zugtransports.
Voraussetzung für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge nach § 4 HHG ist, dass ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG Berechtigter infolge eines Gewahrsams nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 HHG eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Dabei muss die Gesundheitsstörung nachgewiesen, d.h. ohne vernünftige Zweifel bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Für den Ursachenzusammenhang zwischen der Schädigung und dem Gesundheitsschaden genügt der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (§ 4 Abs. 5 S. 1 HHG; vgl. zum BVG BSG, Urteil vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R = BSG SozR 3-3200 § 81 Nr.16). Wahrscheinlich ist ein solcher Ursachenzusammenhang, wenn mehr für als gegen ihn spricht (BSG, Urteil vom 26.2.1992, 9a RV 4/91 = BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 3).
Der Kläger ist aufgrund der von der Stadt Braunschweig am 10.09.1986 ausgestellten Bescheinigung gemäß § 10 Abs. 4 HHG Berechtigter im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG. Es fehlt jedoch am Beweis dafür, dass das bei ihm im Jahr 2002 festgestellte Postthrombotische Syndrom mit Ulcus cruris des linken Unterschenkels wahrscheinlich ursächlich auf die Inhaftierung bzw. den 30stündigen Zugtransport 1986 zurückzuführen ist. Als Postthrombotisches Syndrom wird ein dauerhafter Schaden nach einer abgelaufenen Phlebothrombose, d.h. einer Thrombose der tiefen Venen, bezeichnet. Die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung des Klägers 1986 und der Ausbildung des Postthrombotischen Syndroms 2002 setzt daher notwendig voraus, dass bei dem Kläger im März 1986 als Erstschädigung eine Phlebothrombose vorgelegen hat. Für diese Diagnose fehlt es jedoch an dem hierfür erforderlichen Vollbeweis. Aus den aktenkundigen Befunde kann lediglich auf eine stattgehabte entzündliche Veränderung oberflächlicher Venen am linken Unterschenkel und Fuß (sog. Thrombophlebitis), nicht aber mit Sicherheit darauf geschlossen werden, dass neben dieser entzündlichen Veränderung oberflächlicher Venen – auch – eine Thrombose der tiefen Venen (sog. Phlebothrombose) vorgelegen hat. Den damaligen Behandlungseinträgen fehlt es bereits an einer klaren diesbezüglichen Diagnose. So hat der behandelnde Arzt auf der Behandlungskarte am 06.03.1986 lediglich eine "Thrombophlebitis linker Unterschenkel" als Diagnose vermerkt. Auf einer handschriftlichen Notiz vom selben Tag findet sich hingegen der Eintrag "DU: tiefe Thrombophlebitis li. Unterschenkel (mit beginn. Erysipel?)". Dies mag – als Differentialdiagnose (?) – ggf. die Überlegung des Arztes dokumentieren, es könne auch eine Phlebothrombose vorliegen. In späteren Einträgen, so auf "Untersuchungsergebnissen" vom 10.03.1986 und 20.05.1986 wird jedoch wieder lediglich die Diagnose "Thrombophlebitis" gestellt. Dies gilt auch für den Eintrag auf auf der Behandlungskarte anlässlich der Entlassung des Klägers aus dem Krankenhaus unter dem Datum des 26.03.1986. Lässt sich aus den damaligen Diagnosen kein Beweis für eine seinerzeitige Phlebothrombose herleiten, so gilt dies gleichermaßen für die dort erhobenen Befunde. Angegeben sind in der Behandlungskarte mit Datum vom 06.03.1986 lediglich eine Rötung, Schwellung und Erwärmung des linken Knöchels mit einer Umfangsvermehrung von ca. 3 cm und seit 4 Tagen angegebenen Schmerzen. Diese Befunde lassen nur die Diagnose einer Thrombophlebitis zu. Weitergehende Befunde über diejenigen einer typischen oberflächlichen Venenentzündung hinaus, etwa spezifische klinische Untersuchungsbefunde nach Payr oder Homan, die Feststellung einer Glanzhaut oder eines prall elastischen Schwellungszustandes sind nicht beschrieben. Apparative Untersuchungen, etwa eine Ultraschall-Doppler-Untersuchung sind offenbar nicht durchgeführt bzw. aufgrund des klinischen Befundes nicht für notwendig erachtet worden, obwohl eine stationäre Behandlung stattgefunden hat.
Soweit der Beweis fehlt, dass der Kläger im Anschluss an den 30stündigen Zugtransport eine Phlebothrombose als Erstschädigung erlitten hat, geht dies – nach dem für soziale Leistungsansprüche allgemein geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (s. hierzu BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R m.w.N.; Urteil vom 12.05.1992, 2 RU 26/91; Urteil des erkennenden Senats vom 13.01.2004, L 6 VG 14/02) zu Lasten des Klägers. Dieser hat als der die Leistung begehrende Antragsteller die Folgen der Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen zu tragen. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil – wie der Kläger meint – möglicherweise weitergehende diagnostische Möglichkeiten im Haftkrankenhaus der DDR nicht zur Verfügung gestanden haben bzw. es den behandelnden Ärzten an einer entsprechenden Behandlungsmotivation gefehlt habe. Unabhängig davon, dass es sich hier um unbewiesene Behauptungen des Klägers handelt, ergibt sich eine Beweiserleichterung, gar Beweisumkehr hieraus nicht. Der Grundsatz der objektiven Beweislast differenziert nicht danach, warum ein Beweis nicht erbracht werden kann bzw. danach ob es für die Beweislosigkeit verständliche oder weniger verständliche Gründe gibt. Vielmehr bleibt die Ursache der Beweislosigkeit bei der Anwendung der Beweislastregeln ohne Relevanz.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die damalige zweimal vermerkte anamnestische Angabe des Klägers vom 06.03.1986, der Schmerz bestehe seit 4 Tagen, nicht mit seiner Schilderung in Einklang zu bringen ist, die Beschwerden am linken Bein seien erstmalig bei der Zugfahrt (05.03./06.03.1986) aufgetreten.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch das Fehlen von sogenannten Brückensymptomen gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen den Erkrankungen 1986 und 2002 spricht. Der Sachverständige Dr. I1 hat unter Hinweis auf medizinisch-wissenschaftliche Literatur ausgeführt, dass der Minimalabstand von Brückensymptomen wie Beinödemen, Sekundärvarizen, Phlebitiden und typischen trophischen Störungen mit höchstens zwei Jahren zu einem schädigenden Ereignis angegeben wird. Auch Dr. C ist davon ausgegangen, dass "es Brückensymptome in Form von Schwellungsneigung und einer Stauungsdermatose gegeben haben muss", weil sich ein postthrombotisches Syndrom nicht innerhalb kürzester Zeit ausbilde. In seiner anschließenden Bewertung hat er das Vorliegen von Brückensymptomen unterstellt. Diese – vom Sozialgericht in der Urteilsbegründung übernommene – Vorgehensweise hält rechtlichen Maßgaben nicht stand. Das Vorliegen von krankhaften Zuständen kann nur dann als gegeben angesehen werden, wenn diese bewiesen sind. Ein solcher Beweis ist in aller Regel nur gegeben, wenn die krankhaften Zustände ärztlich dokumentiert sind. Dies ist hier nicht der Fall. Im Übrigen ist auch die Schilderung des Klägers nicht glaubhaft, er habe trotz gut anderthalb Jahrzehnten andauernder Beschwerden am linken Bein keinen Arzt aufgesucht, sondern sich lediglich mit – auf eigene Kosten (?) beschafften – Kompressionsstrümpfen beholfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Erstellt am: 09.04.2009
Zuletzt verändert am: 09.04.2009