Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 10.3.2008 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 9.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2007 verurteilt, die Passbeschaffungskosten des Klägers i.H.v. 202,75 EUR zu übernehmen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt den Ersatz von Kosten, die ihm für die Beschaffung eines Nationalpasses entstanden sind.
Der am 00.00.1978 in Belgrad geborene Kläger reiste im Jahre 1999 gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag (vom 7.7.1999) wurde als offensichtlich unbegründet bestandskräftig abgelehnt (Bescheid vom 14.2.2002). Seit August 2002 ist er verheiratet. Mit seiner ebenfalls aus dem ehemaligen Jugoslawien (Serbien) stammenden Ehefrau hat er vier Kinder (neben einer im Jahre 2003 geboren Tochter zwei in den Jahren 2004 und 2005 geborene Söhne und eine weitere im Jahre 2007 geborene Tochter).
Der Kläger war im Besitz einer abgelaufenen "Licna-Karta" sowie eines Nationalpasses (Gültigkeitszeitraum: 1.7.2002 bis 31.10.2005). Die Ehefrau des Klägers verfügte noch über einen bis zum 16.1.2013 gültigen Nationalpass. Die Kinder besaßen keine Pässe.
Aufenthaltsrechtlich waren der Kläger und seine Familienangehörigen im Jahre 2006 geduldet nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Leistungsrechtlich bezogen er und seine Familie zunächst bis zum Jahr 2006 Grundleistungen gemäß § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Am 3.3.2006 stellten sie bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung der höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG (sog. Analogleistungen). Dem kam die Beklagte, soweit die Familienangehörigen die 36-monatige Vorbezugszeit des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllten, nach (Bescheide vom 17.8.2006). Hieraus ergab sich für den Kläger ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von 247,05 EUR.
Am 28.9.2006 beantragte der Klägerbevollmächtigte die Übernahme von Passbeschaffungskosten für den Kläger, dessen ältere Tochter, dessen Ehefrau und die beiden Söhne. Zuvor war die Familie von der Ausländerbehörde der Beklagten darauf hingewiesen worden, dass sie zur Passbeschaffung verpflichtet seien. Zur Begründung des Antrages auf Kostenübernahme wurde ausgeführt, die Familie wolle ihre Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung gemäß § 3 i.V.m. § 48 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG erfüllen. Denn dies sei Regelvoraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ebenfalls sei die Erfüllung der Passpflicht bei bestimmten Aufenthaltstiteln im Rahmen der Ermessensausübung positiv zu berücksichtigen. Auch bei den Regelungen der § 25 Abs. 3 und § 9 AufenthG könne die Nichterfüllung der Passpflicht negative Auswirkungen haben.
Mit Bescheid vom 9.11.2006 lehnte die Beklagte die Anträge ab. Ihren Feststellungen zufolge seien sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau bereits im Besitz von Nationalpässen. Die Kinder könnten in die Pässe der Eltern eingetragen werden. Die Übernahme der Kosten für die Beschaffung von Pässen aus Mitteln der Sozialhilfe komme schon allein aufgrund des Prinzips des Nachranges der Sozialhilfe (§ 2 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches [SGB XII]) nicht in Betracht. Unabhängig davon, müsse der Antrag jedoch abgelehnt werden, weil der Kläger und seine Familie derzeit Leistungen entsprechend den Bestimmungen des SGB XII bezögen. Die Gewährung einmaliger Bedarfe sei in § 31 Abs. 1 SGB XII geregelt. Danach würden lediglich Leistungen für Erstausstattungen einer Wohnung, Erstausstattung für Bekleidung und Schwangerschaft sowie für mehrtägige Klassenfahrten gesondert erbracht. Diese Regelung sei abschließend. Weitere Leistungen für einmalige Bedarfe könnten danach nicht gewährt werden.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machten der Kläger und seine Familienangehörigen geltend, ihnen stünde die Übernahme der Kosten für die Passbeschaffung zu. Diese Auffassung vertrete nicht nur eine Kammer des Sozialgerichts (SG) Aachen, sondern auch eine Vielzahl von Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Am 20.3.2007 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, der Pass des Klägers könne sofort beim Generalkonsulat abgeholt werden, wenn die Kosten der weiteren Passbeschaffung übernommen würden. Beigefügt wurde ferner ein Schreiben an die Ausländerbehörde der Beklagten, in dem diese aufgefordert wurde, die Kläger bei der Passbeschaffung zu unterstützen. Die Passpflicht sei eine absolute gesetzliche Pflicht und hänge nicht davon ab, ob eine Ausländerbehörde die Passbeschaffung für erforderlich halte. Ferner wurde in dem Schreiben eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG beantragt. Der Kläger und seine Ehefrau suchten außerdem um eine unbefristete, unbeschränkte und arbeitsplatzunabhängige Arbeitserlaubnis gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 der Beschäftigungsverfahrensverordnung (BeschVerfV) nach.
Mit drei Widerspruchsbescheiden vom 22.5.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dabei bezog sich ein Widerspruchsbescheid auf die Ehefrau des Klägers, die dagegen nicht weiter vorging, ein weiterer Widerspruchsbescheid auf die beiden Söhne und der dritte Widerspruchsbescheid auf den Kläger und seine Tochter. Zur Begründung des dritten Widerspruchsbescheides führte die Beklagte aus, über die Vorschrift des § 2 AsylbLG fänden die Regelungen der §§ 27-40 SGB XII entsprechende Anwendung. Nach § 28 Abs. 1 SGB XII werde der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhaltes außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme der Leistungen für Unterkunft und Heizung und der Sonderbedarfe nach den §§ 30-34 SGB XII nach Regelsätzen erbracht. Notwendige Bedarfe seien nicht etwa nur teilweise, sondern abschließend im Regelsatz erfasst. Die laufenden Bedarfe der Kläger würden durch die Regelsätze in pauschalierter Weise abgegolten. Es sei zumutbar, die Kosten für die Beschaffung von Nationalpässen aus dem Regelsatz zu bestreiten. Auch eine Übernahme der Kosten in Form einer einmaligen Beihilfe gemäß § 31 SGB XII sei nicht möglich. Das sozialhilferechtliche System der Bedarfsdeckung durch laufende und einmalige Leistungen habe der Gesetzgeber zwar in der Sache nicht vollständig aufgegeben. Der Katalog der einmaligen Leistungen aus § 21 Abs. 1a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) sei in § 31 Abs. 1 SGB XII jedoch deutlich reduziert. Die geltend gemachten Aufwendungen seien nicht von dem abschließenden Katalog der einmaligen Leistungen des § 31 Abs. 1 SGB XII erfasst. Gemäß § 37 Abs. 1 SGB XII sollten im Einzelfall für einen von den Regelsätzen umfassten und nach den Umständen unabweisbar gebotenen Bedarf, der auf keine andere Weise gedeckt werden könne, auf Antrag hierfür notwendige Leistungen als Darlehen erbracht werden. Unabdingbare Voraussetzung sei jedoch, dass es sich um einen unabweisbaren Bedarf handle. Dies sei bei der Beschaffung von Nationalpässen nicht der Fall. Dem Kläger sei bekannt, dass zur Erteilung von "verfestigten" Aufenthaltstiteln ein entsprechender Pass vorgelegt werden müsse. Seit März 2006 erhalte er ebenso wie seine Tochter erhöhte Leistungen gemäß § 2 AsylbLG, wobei es ihm möglich gewesen sei, den Bedarf vorauszusehen. Insofern obliege es ihm, entsprechende finanzielle Mittel hierfür anzusparen. Es sei ihm und seiner Familie zuzumuten, sich über einen längeren Zeitraum finanziell stark einzuschränken, um den Bedarf alleine aus dem Regelsatz heraus zu decken.
Am 15.6.2007 wurde dem Kläger ein auf die Bundesrepublik Jugoslawien lautender neuer Nationalpass ausgestellt (Gültigkeitszeitraum 15.6.2007 bis 15.6.2017). Hierfür fielen Kosten in Höhe von 202,75 EUR (188,00 EUR Gebühren und 14,75 EUR Fahrtkosten) an. Die Kosten beglich er mit Geld, welches ihm hierfür darlehensweise von seinem Onkel zur Verfügung gestellt worden war. Am 29.6.2007 legte der Kläger, der sich auch schon vorher um eine Arbeitsstelle bemüht hatte, eine Einstellungszusage für eine Vollzeittätigkeit als Bauhelfer bei der Fa. B GmbH vor, die tariflich vergütet wurde. Am selben Tag erhielt er von der Ausländerbehörde der Beklagten einen Aufenthaltstitel gem. § 23 Abs. 1 AufenthG.
Am 22.6.2007 haben der Kläger und seine Tochter Klage vor dem SG Gelsenkirchen erhoben. Auch für Leistungsberechtigte nach § 2 AsylbLG seien die Passbeschaffungskosten zu übernehmen. Anspruchsgrundlage könne zum einen § 6 AsylbLG sein. Nach § 2 AsylbLG sei das SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen anwendbar. Eine allgemeine Analogie bestehe nicht. § 6 AsylbLG enthalte eine spezielle Regelung der Kostenübernahme. Dies gelte insbesondere für diejenigen, die leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG seien. Es fehle damit an einer Regelungslücke, was aber zwingende Voraussetzung für eine Analogiebildung sei. Im Übrigen könne den Vorschriften des SGB XII gerade nicht entnommen werden, dass die Passbeschaffungskosten in den Regelsätzen enthalten seien. Desweiteren enthalte § 2 AsylbLG, wonach die Analogleistungen "abweichend von den §§ 3-7 AsylbLG gewährt" würden, eine verdeckte Regelungslücke, die im Wege der Analogie zu schließen sei. Bei den Kosten der Passbeschaffung handele es sich um Kosten aus verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflichten, was eine Übernahme nach § 6 AsylbLG ermögliche. Im Rahmen der Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG sei weiter zu berücksichtigen, dass, selbst wenn Ausweisgebühren Kosten für Dienstleistungen i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 10 der Regelsatzverordnung (RSV) wären und daher als solche generell mit dem Regelsatz abgegolten würden, nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII eine abweichende Bedarfsfestlegung erforderlich sei, wenn im Einzelfall unabweisbarer Bedarf bestehe, der seiner Höhe nach erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweiche. Generell könne davon ausgegangen werden, dass im Regelsatz wenn überhaupt nur die Kosten für die Beschaffung eines Personalausweises enthalten seien, da insoweit eine vergleichbare allgemeine Situation durch die auch für Deutsche bestehende Ausweispflicht gegeben wäre. Nicht ausgehen könne man jedoch davon, dass die Kosten für die Beschaffung eines EU-Reisepasses, zu dessen Besitz keine generelle Verpflichtung bestehe, erfasst seien. Gleiches gelte für die Fahrtkosten zur Botschaft u.ä. Die Anteile der Passbeschaffungskosten, die die im Regelsatz bereits enthaltenen Anteile (Kosten für die Ausstellung eines Personalausweises) überstiegen, seien daher bei rechtzeitiger Beantragung der einzelnen Aufwendungen als erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweichend anzuerkennen. Im Übrigen habe die Ausländerbehörde der Beklagten mitgeteilt, dass Aufenthaltserlaubnisse nur erteilt werden könnten, wenn ein gültiger Nationalpass vorgelegt werde. Nur hinsichtlich der Klägerin sei diese Auffassung zwischenzeitlich revidiert worden. Zudem haben der Kläger und seine Tochter auf verschiedene Gerichtsentscheidungen verwiesen, die nach ihrer Auffassung die Rechtsauffassung stützen, dass Passkosten auch für Personen, die leistungsberechtigt nach § 2 AsylbLG sind, zu übernehmen seien. Ferner haben sie auf ein Verfahren vor dem SG Duisburg – S 16 (31) AY 12/06 Bezug genommen, in dem die Vorsitzende bereits anlässlich eines Erörterungstermins zu erkennen gegeben habe, dass eine Anwendung der Vorschrift des § 73 SGB XII in Betracht zu ziehen sei.
Parallel führten die noch im Bezug von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG stehenden Söhne des Klägers ein ebenfalls auf den Ersatz von Passbeschaffungskosten gerichtetes Verfahren gegen die Beklagte vor dem SG Gelsenkirchen – S 2 AY 27/07, welches zwischenzeitlich durch angenommenes Anerkenntnis endete.
Der Kläger und seine Tochter haben nach der Fassung ihres Begehrens durch das SG beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Passbeschaffungskosten zu übernehmen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zu den Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden hat sie die Auffassung vertreten, § 6 AsylbLG könne nicht als Anspruchsgrundlage für die Erstattung von Passbeschaffungskosten herangezogen werden, weil die Kläger zwischenzeitlich Leistungen gemäß § 2 AsylbLG erhalten hätten und hierdurch gerade von einer Leistungsgewährung nach den §§ 3-7 AsylbLG ausgeschlossen seien. Auch eine individuelle Regelsatzerhöhung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII komme nicht in Frage, da die Vorschrift nicht die einmalige Erhöhung aufgrund eines einmaligen Bedarfes regele. Selbst wenn die Anschaffungskosten für einen Pass höher seien als die für einen Personalausweis, seien die Kläger darauf zu verweisen, Einsparungen aus dem Regelsatz vorzunehmen. Die Ausführungen in den von den Klägern zitierten Urteilen seien auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, weil die dortigen Kläger lediglich Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hätten. Sie habe die Kläger bis zur Antragstellung am 28.9.2006 auch zu keiner Zeit aufgefordert, ihren Mitwirkungspflichten nachzukommen und sich Pässe zu beschaffen.
Durch Urteil ohne mündliche Verhandlung hat das SG die Klage am 10.3.2008 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, da der Kläger und seine Tochter im Leistungsbezug nach § 2 AsylbLG gestanden hätten, scheide § 6 AsylbLG als Anspruchsgrundlage aus. Im Übrigen habe im Zeitpunkt der Antragstellung keine Aufforderung der Beklagten vorgelegen, sich um einen Pass zu bemühen. Auch aus den entsprechend anwendbaren Vorschriften des SGB XII ergebe sich ein Anspruch auf Ersatz der Passbeschaffungskosten nicht. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob ein möglicher Anspruch aus § 28 Abs. 1 Satz 2, § 37 oder § 73 SGB XII herzuleiten sei. Denn in jedem Fall sei Voraussetzung für einen Leistungsanspruch das Bestehen eines sozialhilferechtlichen Bedarfs. Ein solcher habe jedoch nicht bestanden, weil weder der Kläger noch seine Tochter im Zeitpunkt der Antragstellung am 23.9.2006 Pässe benötigt hätten. Sie lebten schon seit Jahren in der Bundesrepublik, ohne einen Pass zu besitzen. Sie seien weder zur Passbeschaffung aufgefordert noch seien ihnen gegenüber Leistungen mit der Begründung abgelehnt worden, sie seien ihrer Passpflicht nach § 3 AufenthG nicht nachgekommen. Der Besitz eines Ausweisersatzes, den sie ggf. hätten beantragen können, sei als ausreichend anzusehen. Tatsächlich habe der Kläger nach mehrjährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik aus anderen Gründen in den Besitz des Nationalpasses gelangen wollen. Ihm sei es darum gegangen, eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 AufenthG zu erhalten, wofür auch der Besitz eines Passes notwendig gewesen sei. Zum damaligen Zeitpunkt habe er jedoch die weitere Voraussetzung für eine solche Aufenthaltserlaubnis, nämlich den Nachweis einer Arbeitsstelle, nicht erfüllt. Dementsprechend habe auch ein aktueller Bedarf auf Ausstellung eines Passes damals nicht bestanden. Erstmals zur Erlangung der Aufenthaltserlaubnis Ende Juni 2007 habe er eines Passes bedurft. Denn erst an diesem Tag habe er bei der Ausländerbehörde eine Bescheinigung der Fa. B GmbH vorlegen können. Zu diesem Zeitpunkt habe es jedoch der Beschaffung eines Passes schon nicht mehr bedurft. Der Bedarf sei bereits befriedigt gewesen, weil sich der Kläger den Pass am 15.6.2007 selber besorgt habe. Wenn der Bedarf bereits gedeckt sei, bestehe keine gegenwärtige Notlage mehr und damit auch kein Anspruch auf Sozialhilfe. Außerdem sei eine Klage nur zulässig, soweit der Träger der Sozialhilfe das Begehren bereits negativ entschieden habe. Die Beklagte habe aber nur für den Zeitraum bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides am 22.5.2007 über die Tragung der Passbeschaffungskosten entscheiden können. Über einen sich erstmals einen Monat später Ende Juni 2007 ergebenden, eventuellen Anspruch auf Kostenübernahme für die Beschaffung eines Passes liege noch keine mit der Klage anfechtbare Verwaltungsentscheidung vor.
Gegen das am 17.3.2008 zugestellte Urteil haben der Kläger und seine Tochter am 17.4.2008 Berufung eingelegt.
Zur Begründung beziehen sie sich ergänzend auf eine Entscheidung des Senats vom 10.3.2008 – L 20 AY 16/07. Dieses Urteil betreffe zwar Personen, die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bezogen hätten. Dennoch ergebe sich hieraus, dass die Rechtsauffassung des SG unzutreffend sei. Die Überlegungen seien übertragbar, zumal die Beklagte inzwischen selbst zugestanden habe, dass weder aus den Analogleistungen noch aus dem aktuellen geringen Verdienst des Klägers hätten Ansparungen vorgenommen werden können. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass die beiden Söhne des Klägers inzwischen entsprechende Leistungen der Beklagten erhalten hätten. Es sei letztlich nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte die einzelnen Familienmitglieder derart unterschiedlich behandle. Es fehle hierfür ein sachlicher Grund. Denn die gesamte Familie müsse mit einem Gesamteinkommen auskommen. Außerdem sei ihnen von der Ausländerbehörde der Beklagten noch mit Schreiben vom 17.12.2007 mitgeteilt worden, dass die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aufgrund der fehlenden Pässe noch nicht möglich sei. Schließlich nehmen die Kläger noch Bezug auf das zwischenzeitlich am 9.10.2008 ergangene Urteil des SG Duisburg in der Sache S 16 (31) AY 12/06, mit dem die dortige Beklagte verurteilt worden sei, die Passbeschaffungskosten für Personen zu übernehmen, die im Leistungsbezug von Analogleistungen nach dem AsylbLG gestanden hätten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Tochter des Klägers und die Beklagte den Rechtsstreit durch Teilvergleich (Unterwerfung unter den rechtskräftigen Ausgang des Verfahrens des Klägers) übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 10.3.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 9.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Passbeschaffungskosten des Klägers in Höhe von 202,75 EUR zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die Entscheidung des Senats in dem Verfahren L 20 AY 16/07 beziehe sich auf eine andere Rechtsgrundlage und damit auf einen mit dem vorliegenden Verfahren nicht vergleichbaren Fall. Außerdem enthalte das Urteil in den Entscheidungsgründen keine allgemein gültigen Grundsätze. Es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in dem dort entschiedenen Fall der Verlust der Staatsangehörigkeitsnachweise wegen Fristablaufs gedroht habe und daher neue Ausweispapiere dringend erforderlich gewesen seien. Ein solcher konkreter Bedarf für die Passbeschaffung habe bei den Klägern nicht vorgelegen und sei auch nicht vorgetragen worden. Dass in Verfahren der beiden Söhne Anerkenntnisse abgegeben worden seien, sei korrekt. Die Ungleichbehandlung innerhalb der Familie beruhe jedoch darauf, dass diese Kinder noch im Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG gestanden hätten. Erst im Rahmen des Klageverfahrens im November 2007, nachdem der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und Arbeit aufgenommen gehabt habe, sei festgestellt worden, dass weder aus dem geringen Erwerbseinkommen des Klägers noch aus den Grundleistungen der Söhne hätten Ansparungen für die Passbeschaffung vorgenommen werden können. Deswegen habe sich die Beklagte bereit erklärt, die Kosten der Söhne zu tragen. Da der Kläger bereits Leistungen nach § 2 AsylbLG bezogen und bis zum Juni 2007 kein konkreter Bedarf für einen Pass bestanden habe, liege hier ein anderer Sachverhalt vor. Die angebliche Ungleichbehandlung resultiere aus der Vorschrift des § 2 Abs. 1 AsylbLG bzw. der darin enthaltenen Vorbezugsfrist, die eben nicht alle Familienmitglieder erfüllt hätten.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Leistungs- und Ausländerakte), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
I) Die nach Zulassung der Berufung durch das SG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet.
Das Urteil des SG vom 10.3.2008 ist zu ändern. Denn der Bescheid vom 9.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2007 ist rechtswidrig und der Kläger deswegen beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten, die ihm für die Beschaffung des am 15.6.2007 ausgestellten Nationalpasses der Bundesrepublik Jugoslawien entstanden sind. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 73 Satz 1 SGB XII.
Da es um die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme von Kosten geht, die der Kläger zwischenzeitlich durch die Inanspruchnahme eines Dritten selbst aufgebracht hat, ist bei der Anspruchsprüfung in zeitlicher Hinsicht entgegen den Ausführungen des SG weder auf den Tag der Antragstellung bei der Beklagten (28.9.2006) noch den Tag des Erlasses des Widerspruchsbescheides (22.5.2007) noch den Tag der Vorlage des Arbeitsangebotes bei der Beklagten (21.6.2007), sondern auf den Tag der Begleichung der Kosten für die Ausstellung des Passes abzustellen (vgl. VG Dresden, Urteil vom 8.7.2005 – 13 K 2649/04 Rn. 13 m.w.N.). Dies war hier nach den Ausführungen des Klägers der Tag, an dem ihm der Pass beim Konsulat ausgestellt wurde (15.6.2007).
1) Der Senat hat zunächst keine Bedenken dagegen, dass § 73 SGB XII über die Regelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG generell zur Anwendung gelangt (ebenso SG Lüneburg, Urteil vom 19.2.2009 – S 26 AY 33/07 Seite 6 und SG Halle, Urteil vom 30.1.2008 – S 13 AY 76/06 Seite 6). Bei § 2 Abs. 1 handelt es sich um eine "dynamische Verweisung”, die grundsätzlich alle Vorschriften des SGB XII in Bezug nimmt (vgl. Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Auflage 2010, § 2 AsylbLG Rn. 25 m.w.N.). Anhaltspunkte, die einer Anwendung des § 73 SGB XII generell entgegenstehen könnten, sieht der Senat nicht. Den Bedenken von Hohm (in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 2 AsylbLG Rn. 22), wonach die §§ 70 bis 74 SGB XII "zumeist” von einer entsprechenden Anwendung ausgeschlossen sein sollen, weil die darin geregelten Leistungen regelmäßig auf eine soziale Integration der Leistungsberechtigten abzielten, was einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik voraussetze, kann bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen (dazu unten 2) und den Ermessenserwägungen (dazu unten 3) hinreichend Rechnung getragen werden.
2) Der Tatbestand (§ 73 Satz 1 SGB XII) erfordert eine sonstige Lebenslage, die den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigt. Dies ist der Fall, wenn es um die Regelung einer sog. unbenannten Bedarfslage geht (dazu a), die jedoch eine gewisse Vergleichbarkeit mit den ansonsten von der Sozialhilfe abgedeckten Lebenslagen aufweist – sog. atypische Bedarfslage (dazu b) (Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, K § 73 Rn. 5 und H. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, § 73 Rn. 5, beide m.w.N.; ähnlich Böttiger, in: jurisPK- SGB XII, § 73 Rn. 11 ff.).
a) Eine "unbenannte Bedarfslage” liegt vor, wenn der Lebenssachverhalt weder einer der anderen in § 8 SGB XII genannten Hilfearten unterfällt, noch in den sonstigen Bereichen des (Sozial-)Rechts eine abschließende Regelung erfährt. Dies ist hier der Fall.
aa) Von den anderen Leistungen des § 8 Nr. 1-7 SGB XII wird die beschriebene Bedarfslage nicht erfasst, wobei nach den sachlichen Anwendungsbereichen allein die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 8 Nr. 1, 27-40 SGB XII) einer näheren Prüfung zu unterziehen ist.
Die Kosten, die dem Kläger für den am 15.6.2007 ausgestellten Nationalpass entstanden sind, gehörten nicht zum notwendigen Lebensunterhalt i.S.v. §§ 27, 28 SGB XII (in der hier maßgeblichen bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung). Eine vorrangige Regelung von Passbeschaffungskosten im Dritten Kapitel des SGB XII existiert damit nicht.
Im Zeitpunkt der Ausstellung des Passes durch das Konsulat waren die Kosten (Gebühren) für die Beschaffung eines Personalausweises und damit erst recht solche für die Beschaffung eines Reisepasses nicht bei der Bemessung des Regelsatzes berücksichtigt (ebenso: VG Dresden, Urteil vom 8.7.2005 – 13 K 2649/04 [noch zur Rechtslage nach dem BSHG]; SG Berlin, Urteil vom 26.11.2008 – S 51 AY46/06 Rn. 17; SG Lüneburg, Urteil vom 19.2.2009 – S 26 AY 33/07 Seite 6/7; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 2.12.2010 – L 8 AY 47/09 B Seite 7; VG Halle, Urteil vom 30.1.2008 – S 13 AY 76/06 Seite 6/7; Schlette a.a.O. Rn. 34). Im Rahmen der Kalkulation der Regelsätze findet sich zwar insoweit ein Hinweis auf die Kosten für die Beschaffung von Personalausweisen, als diese unter Code 1270 090 der Abteilung 12 (Andere Waren und Dienstleistungen) mit dem Titel "Andere Dienstleistungen, a.n.g.” unter dem Oberbegriff Ausweisgebühren thematisch angesprochen werden (vgl. Systematisches Verzeichnis des Statistischen Bundesamtes über Einnahmen und Ausgaben der privaten Haushalte Ausgabe 1998 [SEA 98]). Aus den Materialien zu der Verordnung zur Durchführung des § 28 SGB XII RSV ergibt sich jedoch, dass derartige Gebühren nicht als regelsatzrelevant angesehen wurden, was zu einer pauschalen Kürzung der unter dem Code 1270 090 genannten Positionen um 75% führte (vgl. BR-Drs. 206/04 Seite 9; Ausschussdrucksache 16(11)286 Seite 16). Zudem ist nach einer vom Senat beigezogenen Auskunft des Bundesministeriums des Innern an den Deutschen Städtetag vom 13.7.2007 davon auszugehen, dass die Gebühren für die Ausstellung von Personalausweisen Leistungsempfängern nach dem SGB II bzw. SGB XII damals auf der Grundlage von § 3 der Gebührenverordnung zum Passgesetz (PassGebV) zu erlassen waren und damit kein entsprechender Bedarf von Leistungsempfängern, die Bundesbürger waren, bestand (SG Berlin a.a.O. Rn. 17; LSG Niedersachsen-Bremen a.a.O. unter Hinweis auf Ziff. 20.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Passgesetzes). Erhärtet wird dies durch die Begründung des mit Wirkung zum 1.1.2011 in Kraft getretenen Regelbedarfsermittlungsgesetzes (BT-Drs. 17/3404 Seite 63 f.), wonach – entgegen der bisherigen Praxis – nunmehr "die sich durch die Einführung des neuen Personalausweises ergebenden Gebühren” ausdrücklich und – bezogen auf Code 1270 900 – ausschließlich bei der Bemessung des Regelbedarfes Berücksichtigung finden.
Haben aber die Gebühren für die Beschaffung eines Personalausweises und/oder eines (Reise-)Passes jedenfalls bis zum 31.12.2010 keinen Eingang in die Bemessung des Regelsatzes gefunden, scheidet mangels Regelsatzbezug sowohl eine Erhöhung des Regelsatzes gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII als auch eine darlehensweise Übernahme der Beschaffungskosten nach § 37 Abs. 1 SGB XII, aus (ebenso SG Berlin a.a.O.).
Für die von dem Kläger ebenfalls begehrten Fahrtkosten gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend, weil sie notwendigerweise gemeinsam mit den Gebühren für die Ausstellung eines Passes anfallen und deswegen untrennbar mit ihnen verbunden sind. Sie sind daher nicht den allgemeinen Mobilitätskosten (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 RSV) zuzurechnen (ähnlich für die Kosten einer Schülermonatskarte BSG, Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 44/08 R Rn. 26).
bb) Auch in anderen Bereichen des (Sozial-)Rechts findet sich eine abschließende Regelung der beschriebenen Bedarfssituation nicht.
(1) Die Vorschrift des § 6 AsylbLG, die bei Personen, die im Leistungsbezug nach § 3 AsylbLG stehen, herangezogen werden kann (hierzu Urteil des Senats vom 10.3.2008 – L 20 AY 16/07), ist hier wegen des insoweit eindeutigen Wortlautes der Regelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG ("abweichend von den §§ 3 bis 7") nicht einschlägig (vgl. hierzu auch SG Berlin a.a.O. Rn. 16; SG Duisburg, Urteil vom 9.10.2008 – S 16 (31) AY 12/06). Entgegen den Ausführungen des Klägers liegt in diesem Zusammenhang keine verdeckte und erst recht keine planwidrige Regelungslücke vor, die im Wege der Analogie zu schließen sein könnte.
(2) Die Regelungen der PassGebV, wonach bei Bedürftigkeit von einer Gebührenerhebung abgesehen werden kann, gelten nur für inländische Pass- bzw. Ausweispapiere. Sie regeln den vorliegenden Sachverhalt daher nicht. Auch nach den nationalen Rechtsvorschriften des Herkunftslandes des Klägers konnten ihm die Passbeschaffungskosten nicht erlassen oder ersetzt werden (SG Berlin a.a.O. Rn. 14).
b) Nach der Rechtsprechung des BSG zum SGB II (vgl. Urteil vom 15.12.2010 – B 14 AS 44/09 R Rn. 18 und vom 19.8.2010 – B 14 AS 13/10 R Rn. 16 ff. – beide m.w.N.), die – jedenfalls für die hiesige Fallgestaltung – auf Fälle ohne SGB II-Bezug übertragbar ist (Böttiger a.a.O. Rn. 18), liegt eine "atypische Bedarfslage" vor, wenn die Lebenssituation eine gewisse Nähe zu den von §§ 27-74 SGB XII erfassten Sachverhalten aufweist und zugleich der Bereich der Grundrechtsausübung tangiert ist. Insgesamt muss der Einsatz der Mittel unter Berücksichtigung von Funktion und Stellung der Sozialhilfe im gesamten Sozialleistungssystem gerechtfertigt sein (Schlette, a.a.O.). Dies ist hier der Fall.
Die Situation, in der sich der Kläger im Zeitpunkt der Passbeschaffung befunden hat, ist vergleichbar mit den vorbenannten Bedarfslagen, insbesondere solchen nach dem Achten Kapitel des SGB XII. Die Besonderheit liegt zum einen darin, dass – wie bereits oben unter a) aa) dargelegt – dem Kläger, anders als bei Bundesbürgern hinsichtlich der Kosten für die Beschaffung eines Personalausweises, die Kosten für die Beschaffung des Nationalpasses nicht erlassen werden konnten. Zugleich wurde von dem Personenkreis, dem der Kläger zugehört, von Rechts wegen die Aufwendung der Passkosten erwartet. Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel von § 3 Abs. 1 AufenthG sowie § 48 Abs. 2 und 3 AufenthG. Denn nach § 3 Abs. 1 AufenthG (in der hier maßgeblichen, bis zum 27.8.2007 gültigen Fassung) konnte der Kläger seiner Passpflicht nur durch einen Nationalpass oder ein Passersatzpapier genügen. Die Möglichkeit, die Passpflicht durch einen Ausweisersatz i.S.d. § 48 Abs. 2 AufenthG zu erfüllen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in der ab dem 28.8.2007 gültigen Fassung), bestand noch nicht. Darüber hinaus konnte der Kläger auch seiner Ausweispflicht gemäß § 48 Abs. 2 AufenthG nur durch die Beschaffung eines Nationalpasses nachkommen. Ein Ausweisersatz wäre hierzu nach der genannten Vorschrift nur dann ausreichend gewesen, wenn die Beschaffung des Passes unzumutbar (gewesen) wäre. Für die Annahme einer solchen Unzumutbarkeit reicht es nicht aus, wenn es – wie hier – lediglich an den für die Passbeschaffung erforderlichen finanziellen Mitteln fehlt (Urteil des Senats vom 10.3.2008 – L 20 AY 16/07 Rn. 37; § 5 Abs. 2 der Aufenthaltsverordnung). Ferner war der Kläger nach § 48 Abs. 3 AufenthG zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung verpflichtet. An eine Verletzung der Ausweis- bzw. Passpflicht knüpft die Rechtsordnung nicht nur unwesentliche und deswegen von dem Kläger nicht ohne weiteres hinzunehmende Sanktionen. Nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hat mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe zu rechnen, wer sich entgegen § 3 Abs. 1 AufenthG oder § 48 Abs. 2 AufenthG im Bundesgebiet aufhält. Hierdurch ist aus Sicht des Senates zugleich der erforderliche Grundrechtsbezug (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes [GG]) hergestellt. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelungen kann es dabei entgegen der Auffassung des SG nicht von Bedeutung sein, ob die Passbeschaffung im Einzelfall auf einer konkreten Aufforderung der Ausländerbehörde beruhte, oder ob der Betroffene – wie hier – von sich aus seinen gesetzlichen Pflichten nachkommen wollte. Neben der Sanktionsregelung knüpft das Aufenthaltsrecht außerdem auch für die Betroffenen positive Folgen an die Erfüllung der Passpflicht. Zu nennen ist hierbei insbesondere § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, wonach Regelvoraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die Erfüllung der Passpflicht ist. Dies kann wiederum Auswirkungen auf die Beschäftigungsmöglichkeiten der Betroffenen haben (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BeschVerfV). Gerade im vorliegenden Fall ist der zeitliche Zusammenhang zwischen der Vorlage des Passes und der Erteilung einer Aufenthalts- und Beschäftigungserlaubnis für den Kläger augenfällig. Auch hieraus wird der nicht nur marginale grundrechtliche Bezug zu Art. 2 Abs. 1 GG deutlich.
Vor diesem Hintergrund teilt der Senat die Rechtsauffassung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 22.7.2010 – L 7 B 204/09 AS und vom 3.1.2011 – L 7 AS 460/10 B; Böttiger a.a.O. Rn. 41), Passbeschaffungs- oder in diesem Zusammenhang anfallende Fahrtkosten stellten keine atypische Bedarfslage i.S.d. § 73 SGB XII dar, nicht (wie hier: LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O. Seite 5-8; SG Halle, a.a.O. Seite 6; Schlette a.a.O. Rn. 37). Eine Vergleichbarkeit zu den sonstigen im SGB XII geregelten Bedarfslagen genügt. Einer Identität bedarf es demgegenüber nicht. Eine solche würde die Anwendbarkeit von § 73 SGB XII sogar ausschließen (s.o. unter a). Die hinreichende Vergleichbarkeit und der Grundrechtsbezug ergeben sich – wie dargelegt – aus den durch das Aufenthaltsrecht gestellten Anforderungen und den bei Nichterfüllung daran geknüpften Rechtsfolgen. Es wäre als widersprüchlich anzusehen, wenn die Rechtsordnung einerseits die Ausweis- bzw. Passpflicht aufstellt, andererseits den Betroffenen bei Bedürftigkeit jedoch die Mittel vorenthält, um die Verpflichtung zu erfüllen (ähnlich schon Urteil des Senats vom 10.3.2008 – L 20 AY 16/07 Rn. 45 bezogen auf die Regelung des § 104a AufenthG sowie VG Dresden, Urteil vom 8.7.2005 – 13 K 2649/04 Rn. 15 bezogen auf die Anwendung der Vorschrift des § 21a BSHG).
c) Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass der Kläger in dem maßgeblichen Zeitpunkt bedürftig i.S.d. SGB XII war. Einkünfte i.S.v. § 82 SGB XII waren (noch) nicht vorhanden. Verwertbares Vermögen (§ 90 SGB XII) gab es ebenfalls nicht. Denn der Nachzahlungsbetrag von 247,05 EUR war nicht höher als der nach § 90 Abs. 1 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 der zu der genannten Vorschrift ergangenen Verordnung geschützte Betrag. Im Übrigen wurde der Betrag zwischenzeitlich vom Kläger verbraucht. Die finanziellen Mittel für die Beschaffung des Passes wurden ihm schließlich von seinem Onkel lediglich darlehensweise zur Verfügung gestellt, so dass der Nachranggrundsatz (§ 2 Abs. 1 SGB XII) einer Kostentragung durch die Beklagte ebenfalls nicht entgegen steht.
3) Auf der Rechtsfolgenseite räumt § 73 SGB XII der Verwaltung grundsätzlich sowohl ein Auswahl- als auch eine Entschließungsermessen ein (H. Schellhorn, a.a.O, § 73 Rn. 6/9). Sowohl das Auswahl- als auch das Entschließungsermessen ist hier jedoch auf Null reduziert, so dass der Senat eine Entscheidung in der Sache treffen konnte (§ 131 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG). Hinsichtlich des Entschließungsermessens ergibt sich dies bereits aus den vorstehenden Ausführungen unter 2) b), wonach es als widersprüchlich anzusehen wäre, wenn dem Kläger von der Rechtsordnung einerseits die Ausweis- bzw. Passpflicht auferlegt wäre, diese ihm aber andererseits die Mittel vorenthielte, dieser Pflicht nachzukommen. Im Rahmen des Auswahlermessens ist hier nur darüber zu befinden, ob die Leistungen als Zuschuss oder als Darlehen zu erbringen sind (vgl. § 73 Satz 2 SGB XII). Eine Erbringung als Darlehen käme nur in Betracht, wenn erkennbar (gewesen) wäre, dass der Kläger in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln die Kosten für die Passbeschaffung hätte finanzieren können. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zum einen verfügten er und seine Familie über keine bereiten Mittel zu Finanzierung dieser – wie ausgeführt – (damals) nicht regelsatzrelevanten Kosten. Der Nachzahlungsbetrag aus dem Bescheid vom 17.8.2006 erreichte nicht eine solche Höhe, dass eine Finanzierung der Kosten hieraus als zumutbar anzusehen wäre. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Nachzahlung um Regelsatzleistungen handelte, die – wie dargestellt – die hier in Rede stehenden Aufwendungen jedoch nicht erfassten. Schließlich war nach den Umständen des Falles auch eine Finanzierung aus Ersparnissen aus den zukünftig zu erwartenden Einnahmen aus Erwerbstätigkeit nicht zumutbar, weil mit diesem Einkommen absehbarerweise schon der Regelsatzbedarf der Familie nicht gedeckt werden konnte.
Auch die Besonderheiten, die sich aus einer "nur" entsprechenden Anwendung des SGB XII im Rahmen von § 2 Abs. 1 AsylbLG ergeben könnten, führen zu keiner anderen Beurteilung des Falles. Insbesondere der Höhe nach sind die Kosten in vollem Umfang und nicht reduziert um die Kosten, die "fiktiv" für die Beschaffung eines Personalausweises angefallen sein könnten, zu übernehmen (a.A. SG Duisburg a.a.O.). Denn wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter 2) a) aa) ergibt, kann im Hinblick auf § 3 PassGebV jedenfalls bezogen auf den hier zur Beurteilung stehenden Zeitpunkt nicht davon ausgegangen werden, dass solche Kosten regelhaft anfielen.
II) Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
III) Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 25.06.2012
Zuletzt verändert am: 25.06.2012