Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 01.02.2000 abgeändert und die Klage abgewiesen. Kosten sind unter den Beteiligten in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe der Klägerin in der Zeit vom 01.05. bis 27.10.1999 Arbeitslosengeld zustand, insbesondere wie sich ein Steuerklassenwechsel auswirkte.
Die seit 1990 verheiratete, im Jahre 1955 geborene Klägerin, die mindestens seit 1994 regelmäßig Leistungen von der Beklagten bezogen hat, meldete sich am 03.05.1999 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Zuvor war sie vom 02.05.1998 bis 03.04.1999 als Busfahrerin beschäftigt und erzielte innerhalb der letzten 52 Wochen vor der Entstehung des Anspruchs ein Bruttoentgelt von 41.927,69 DM. Zu Beginn des Jahres 1999 war auf ihrer Steuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen. Mit Wirkung zum 01.02.1999 ließ sie die Steuerklasse III eintragen. Im Februar 1999 erzielte sie ein Bruttoarbeitsentgelt von 3.066,00 DM, ihr Ehemann ein solches von 2.625,00 DM.
Mit Bescheid vom 10.06.1999 bewilligte die Beklagte der Kläger ab 01.05.1999 Arbeitslosengeld nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 810,00 DM (Leistungsgruppe D; wöchentlicher Leistungssatz 219,45 DM) vorläufig. Mit weiterem Bescheid vom 25.06.1999 setzte die Beklagte diese Bewilligung endgültig fest.
Zur Begründung ihres Widerspruchs trug die Klägerin vor, zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung sei auf ihrer Steuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen gewesen, so dass ihr Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe C gezahlt werden müsse. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.1999 wies die Beklagte den Rechtsbehelf der Klägerin zurück. Zur Begründung stützte sie sich auf § 137 Abs. 3 und 4 SGB III. Der mit Wirkung zum 01.02.1999 vorgenommene Wechsel der Lohnsteuerklasse der Klägerin von V auf III sei unzweckmäßig gewesen. Bei einer Gegenüberstellung der von ihr und ihrem Ehemann im Februar 1999 erzielten Arbeitsentgelte ergebe sich unter Berücksichtigung der Tabelle zur Steuerklassenwahl, dass die Steuerklassenkombination IV/IV für jeden der Ehepartner die günstigste gewesen sei. Ein unzweckmäßiger Steuerklassenwechsel sei leistungsrechtlich nicht zu berücksichtigen, weshalb bei der Bewilligung des Arbeitslosengeldes zu Beginn des Kalenderjahres 1999 eingetragene Lohnsteuerklasse V zurückzugreifen sei; mithin sei zu Recht Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe D bewilligt worden.
Hiergegen hat die Klägerin am 29.09.1999 vor dem Sozialgericht Duisburg Klage erhoben. Dort hat sie ihr Ziel dahingehend beschränkt, dass sie jetzt nur noch Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe A für den streitgegenständlichen Zeitraum begehrt. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Zwar sei es richtig, dass die Steuerklassenkombination III/V für sie und ihren Ehemann nicht zweckmäßig gewesen sei. Wenn die Beklagte aber schon eine Zweckmäßigkeitsprüfung anstelle und zu dem Ergebnis komme, dass die Steuerklassenkombination IV/IV zweckmäßiger sei als die ursprünglich eingetragene Kombination V/III, so sei kein Grund ersichtlich, Arbeitslosengeld nicht nach Leistungsgruppe A zu bewilligen.
Im Termin der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts Duisburg vom 01.02.2000 haben die Beteiligten einen Teilvergleich geschlossen, wonach die Entscheidung über die dem Arbeitslosengeld zugrunde zu legende Leistungsgruppe auch für den folgenden Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosenhilfe gelten solle.
Vor dem Sozialgericht hat die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 10.06. und 25.06.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.1999 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld vom 01.05. – 27.10.1999 nach einem wöchentlichen Leistungssatz von 299,47 DM zu bewilligen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten. Es entspreche dem Willen des Gesetzgebers, unzweckmäßige Steuerklassenwechsel zu Gunsten des Leistungsempfängers zu ignorieren, zu seinen Lasten jedoch zu berücksichtigen. Falls die Klägerin einen Steuerklassenwechsel auf die Kombination IV/IV vorgenommen hätte, wäre ihr auch Arbeitslosengeld nach Leistungsgruppe A bewilligt worden.
Mit Urteil vom 01.02.2000 hat das Sozialgericht Duisburg die Beklagte entsprechend dem Antrag der Klägerin verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar lägen die Voraussetzungen des § 137 Abs. 4 SGB III im Falle der Klägerin nicht vor, so dass der mit Wirkung zum 01.02.1999 vorgenommene Lohnsteuerklassenwechsel nicht berücksichtigt werden könne; denn im streitgegenständlichen Zeitraum habe die Steuerklassenkombination IV/IV für die Klägerin und ihren Ehemann zu dem geringsten Steuerabzug geführt. Nach der Auffassung des Gerichts sei jedoch die nicht eingetragene, aber zweckmäßige Lohnsteuerklasse IV bei der Zuordnung zur Leistungsgruppe zu berücksichtigen. Durch § 137 Abs. 4 SGB III solle bei einem Steuerklassenwechsel von verheirateten Arbeitslosen eine ungerechtfertigte Manipulation zu Lasten der Arbeitslosenversicherung verhindert werden. Durch die Berücksichtigung der zweckmäßigen Lohnsteuerklasse IV beim Wechsel von der Lohnsteuerklasse V zur Lohnsteuerklasse III finde eine Manipulation zu Lasten der Versichertengemeinschaft jedoch nicht statt. Die Klägerin erhalte dadurch nur das Arbeitslosengeld, dass sie nach § 137 Abs. 4 Satz 1 Ziffer 1 SGB III erhalten würde, wenn sie zur Lohnsteuerklasse IV statt zur Lohnsteuerklasse III gewechselt hätte. Der Regelung des § 137 Abs. 4 Satz 1 Ziffer 1 SGB III sei der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass die dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne der Ehegatten entsprechende Lohnsteuerklasse zu berücksichtigen sei, wenn die neu eingetragene Steuerklassenkombination nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslohne der Ehegatten entspreche. Diese Gesetzesauslegung, die für die Beklagte keinen vermehrten Verwaltungsaufwand erforderlich mache, weil die Zweckmäßigkeitsprüfung ohnehin stattfinden müsse, werde insbesondere dem Umstand gerecht, dass die Beklagte dadurch nur die Leistung zu erbringen habe, die sie ohnehin erbringen müsste, falls der Arbeitlose die zweckmäßige Steuerklassenwahl getroffen habe.
Gegen dieses ihr am 08.02.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte exakt einen Monat später Berufung eingelegt. Zu deren Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Soweit das Sozialgericht der Regelung des § 137 Abs. 4 Satz 1 SGB III den Rechtsgedanken entnehme, dass die dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne der Ehegatten entsprechende Lohnsteuerklasse zu berücksichtigen sei, wenn die neu eingetragene Steuerklassenkombination nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne der Ehegatten entspreche, so verstosse diese Auslegung gegen materielles Recht. Eine Vorschrift, nach der Leistungen nach einer zweckmäßigen, aber nicht auf der Steuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse gezahlt würden, sehe das SGB III im Unterschied zum AFG nicht vor. Der Gesetzgeber habe deshalb in der Begründung des Gesetzesentwurfes zu § 137 SGB III ausdrücklich darauf hingewiesen, dass hinsichtlich des Steuerklassenwechsels von Ehegatten eine Neuregelung erfolgt sei. Die Regelung des § 113 Abs. 2 Satz 2 AFG sei durch das SGB III erkennbar und auch bewusst so geändert worden, dass eine Wertung im Sinne des alten § 113 Abs.2 AFG nicht mehr zulässig sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 01.02.2000 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig. § 137 Abs. 4 SGB III enthalte eine Regelungslücke, weil im Falle der Klägerin keine der beiden Alternativen des § 137 Abs. 4 Nr. 1 oder 2 SGB III erfüllt seien. Die von der Beklagten vorgenommene Auslegung, dass dann auf die bisherigen Steuerklassen zum Jahresbeginn zurückgegriffen werden müsse, sei willkürlich und benachteilige die Klägerin unangemessen. Denn vornehmliches Ziel des § 137 Abs. 4 SGB III sei es, bei einem Steuerklassenwechsel verheirateter Arbeitsloser eine ungerechtfertigte Manipulation zu Lasten der Arbeitslosenversicherung zu verhindern. Dies geschehe seitens der Klägerin aber gerade nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und auch begründet. Denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten entsprechen der Sach- und Rechtslage und beschweren die Klägerin nicht. Die Klage konnte deshalb keinen Erfolg habe, so dass das Urteil des Sozialgerichts Duisburg entsprechend abzuändern war.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld hat das Sozialgericht zu Recht bejaht. Auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen insbesondere auch zur Richtigkeit des zugrunde gelegten Bemessungsentgelts wird zur Vermeidung von überflüssigen Wiederholungen Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die Höhe des der Klägerin in der Zeit vom 01.05. – 27.10.1999 zustehenden Arbeitslosengeldes richtet sich u.a. nach der im streitigen Zeitraum maßgeblichen Steuerklasse, worüber die Beteiligten hier allein streiten (§§ 136, 137 SGB III).
Nach § 137 Abs. 2 SGB III ist der Steuerklasse III die Leistungsgruppe B der Steuerklasse IV die Leistungsgruppe E und der Steuerklasse V, die Leistungsgruppe D zugeordnet. Grundsätzlich richtet sich die Zuordnung nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte der Arbeitslosen eingetragen war (§ 137 Abs. 3 S. 1 SGB III). Spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse werden mit Wirkung des Tages berücksichtigt, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlagen (§ 137 Abs. 3 S. 2 SGB III).
Falls Ehegatten – wie hier die Klägerin und ihr Ehemann – die Lohnsteuerklassen wechseln, ist zusätzlich die Sonderregelung des § 137 Abs. 4 S. 1 SGB III zu berücksichtigen. Haben Ehegatten die Lohnsteuerklassen gewechselt, so werden die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an dem sie wirksam werden, wenn
1.
die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen oder
2.
sich aufgrund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Arbeitslosengeld ergibt, das geringer ist als das Arbeitslosengeld, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe.
Unstreitig lagen im Falle der Klägerin keine dieser beiden Alternativen vor.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 21.09.1995 – 11 RAr 13/95 -) entspricht eine neu eingetragene Lohnsteuerklassenkombination dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten, wenn sie den geringsten gemeinsamen Lohnsteuerabzug verursacht. Nach der Gesamt-Abzugtabelle von Luchterhand für 1998 sind für die Klägerin und ihren Ehemann bei der Steuerklassenkombination III/V (eingetragen ab 01.02.1999) folgende Lohnsteuerbeträge angefallen:
Für die Klägerin (Steuerklasse III)
56,16 DM
Für den Ehemann (Steuerklasse V)
713,16 DM
769,32 DM
Bei der Lohnsteuerklassenkombination IV/IV hätten sich folgende Lohnsteuern ergeben:
Für die Klägerin
421,83 DM
Für den Ehemann
247,66 DM
696,49 DM
Zu Recht hat das Sozialgericht deshalb festgestellt, dass die Steuerklassenkombination IV/IV für die Klägerin und ihren Ehemann die günstigste Kombination gewesen wäre.
Das Arbeitslosengeld in der Leistungsgruppe C (entsprechend der ab 01.02.1999 bei der Klägerin eingetragenen Steuerklasse III) ist höher als in Leistungsgruppe D (entsprechend der bei ihr am 01.01.1999 eingetragenen Steuerklassen V): In der Leistungsgruppe C beträgt es 367,78 DM wöchentlich, in der Leistungsgruppe D dagegen 219,45 DM wöchentlich. Weil mithin die Voraussetzungen des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 SGB III beim Lohnsteuerklassenwechsel zum 01.02.1999 nicht vorgelegen haben, konnte dieser nicht berücksichtigt werden. Maßgeblich ist dann die zu Beginn des Jahres 1999 auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin eingetragene Lohnsteuerklasse (§ 137 Abs. 3 Satz 1 SGB III), also die Steuerklasse V entsprechend der Leistungsgruppe D.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 10.06.1999 und 13.09.1999 sind somit rechtmäßig.
Eine Gesetzeslücke, die einen Rückgriff auf die Vorgängervorschrift des bis zum 31.12.1997 geltenden § 113 Abs. 2 AFG ermöglicht, vermag der Senat nicht zu erkennen. Nach dieser Vorschrift war bei einer unzweckmäßigen Steuerklassenwahl wie sie die Klägerin und ihr Ehemann zum 01.02.1999 vorgenommen haben, die "richtige" maßgebend. Dies wäre hier bei einer Steuerklassenkombination IV/IV die Leistungsgruppe A gewesen, nach der ein höheres Arbeitslosengeld (299,74 DM wöchentlich) als nach der Leistungsgruppe D zu zahlen wäre. Die Vorschrift des § 113 Abs. 2 AFG hat im SGB III jedoch keinen Niederschlag gefunden. Bei dem ab 01.01.1998 geltenden § 137 Abs. 4 SGB III handelt es sich um eine völlig neue Vorschrift, die im bisherigen Recht kein Vorbild hatte. Nach der Überzeugung des Senats handelt es sich deshalb um eine bewusste Neuregelung, bei der finanzielle Gründe und Vereinfachungsgründe ausschlaggebend gewesen sein dürften. Für eine lückenfüllende Ergänzung durch Rückgriff auf den früheren § 113 Abs. 2 AFG ist deshalb kein Raum.
Zwar geht auch der Senat davon aus, dass durch die Vorschrift des § 137 Abs. 4 SGB III die Manipulation von Eheleuten durch einen Lohnsteuerklassenwechsel verhindert werden soll. Hier bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin und ihr Ehemann zum 01.02.1999 manipulieren wollten. Jedoch hält der Senat es nicht für zulässig, das Gesetz in Fällen der Möglichkeit eines Missbrauchs anders auszulegen als in solchen Fällen, in denen – wie hier – der Missbrauchsvorwurf nicht erhoben werden kann.
Die Auffassung des Senats wird geteilt von: – Hauck/Noftz-Valgolio, Stand: April 2001, § 137 SGB III Rndr. 46 – Wissing/Eicher-Coseriu-Jakob, Stand: Februar 2001, § 137 SGB III, Rdnr. 62 – Gagel in Gagel (Stand: März 2000), § 137 SGB III Rdnr. 55 (der jedoch unter der Rdnr. 63 genau die gegenteilige Ansicht vertritt).
Die Rechtsauffassung der Klägerin und des Sozialgerichts Duisburg hingegen wird geteilt von: – Niesel-Brand 1998, § 137 SGB III, Rdnr. 13 – Gagel in Gagel, Stand: März 2000, § 137 SGB III Rdnr. 63 – Hennig-Henke, Stand: April 2001, § 137 SGB III Rdnr. 50.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Auslegung des § 137 Abs. 4 Satz 1 SGB III grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG beigemessen hat.
Erstellt am: 25.04.2006
Zuletzt verändert am: 25.04.2006