Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 07. Dezember 2005 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Gemeinde H (H) bewilligte der Antragstellerin (Ast) mit Bescheid vom 24.03.2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für die Zeit von April bis September 2005. Die Ast, die seit Oktober 2000 mit Herrn S (S) in einer 77 m² großen Wohnung lebte, nachdem beide zuvor seit 1999 bei den Eltern von S gewohnt hatten, beantragte im Juni die Übernahme höherer Mietkosten aufgrund des zum 01.10.2005 beabsichtigten Umzugs mit S in eine größere Wohnung. Aufgrund einer daraufhin durchgeführten Wohnungsbesichtigung kam H zu dem Ergebnis, dass die Ast mit S in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe und stellte im Juli 2005 die Zahlungen an die Ast ein, half deren Widerspruch jedoch ab (Bescheid vom 15.07.2005). Aufgrund einer Arbeitsaufnahme der Ast im Juli 2005 stellte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 26.07.2005 die Leistungen zum 01.08.2005 ein.
Am 08.09.2005 beantragte die Ast erneut die Bewilligung von Leistungen. Nach einem weiteren Wohnungsbesuch forderte H die Ast auf, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von S darzulegen unter Hinweis auf die gesetzlichen Mitwirkungspflichten. Mit Bescheid vom 04.11.2005 lehnte sie den Antrag sodann ab.
Die Ast legte Widerspruch ein und hat beim Sozialgericht (SG) Detmold Antrag auf Verpflichtung von H erhoben, ihr vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.
Mit Beschluss vom 07.12.2005 hat das SG den Antrag abgelehnt. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Mit ihrer nunmehr gegen den für H zuständigen Kreis gerichteten Beschwerde verfolgt die Ast ihr Begehren weiter.
II.
Der Antrag richtet sich sich zulässigerweise gegen den Kreis Minden-Lübbecke (Ag).
Es begegnet allerdings Bedenken, ob dies aus § 8 Satz 1 der Satzung über die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II im Kreis Minden-Lübbecke – SGB II-Satzung – (Amtliches Kreisblatt 2004, Seite 265) folgt (so allerdings die bisherige Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen – LSG NRW -, grundlegend Beschluss vom 22.11.2005 – L 12 B 38/05 AS ER). Nach dieser Vorschrift obliegt die Durchführung von Rechtsbehelf- und Rechtsstreitverfahren in allen Fällen dem Kreis. Diese Regelung deckt sich zunächst mit § 6 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz SGB II, wonach der Kreis den Widerspruchsbescheid erlässt (vgl. auch § 99 SGB XII; § 96 Bundessozialhilfegesetz – BSHG -). Wenn § 8 Satz 1 der SGB II-Satzung sodann die Zuständigkeit für Rechtsstreitverfahren bestimmt, so bezieht sich dies nach der Systematik und dem Sinn und Zweck der Regelung nur auf die dem Widerspruchsverfahren, das durch die Entscheidung des Kreises abgeschlossen wird, folgenden gerichtlichen Verfahren. Zum einen wäre andernfalls die in § 5 Nr. 2 der SGB II-Satzung getroffene weitere Regelung für bestimmte Gerichtsverfahren, denen ein Widerspruchsverfahren nicht vorausgeht, überflüssig. Für die Regelung der Zuständigkeit in § 8 Satz 1 SGB II – Satzung konnte der Satzungsgeber zum anderen Anlass anders sehen, weil schon bezüglich der Rechtslage nach dem BSHG umstritten war, gegen wen sich die Klage – Ausgangs- oder Widerspruchsbehörde – zu richten hatte (vgl. einerseits Schellhorn, Kommentar zum BSHG, 16. Auflage, Rdnr. 20 zu § 96; andererseits Schoch in LPK-BSHG Rdnr. 9 zu § 96 mwN). Allerdings enthält § 78 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eine Regelung, welche Behörde insoweit richtiger Beklagter ist. Eine ent-sprechende Bestimmung fehlt aber im SGG (das übersieht das SG im angefochtenen Beschluss, ebenso wie SG Detmold Beschl. vom 09.12.2005 – S 13 AS 51/09 ER). Ob der Kreis daher befugt ist, seine Zuständigkeit für das gerichtliche Hauptsacheverfahren satzungsmäßig zu regeln, bedarf jedoch vorliegend ebenso wenig einer abschließenden Entscheidung wie der Frage des rechtlichen Charakters der "Heranziehung" der Gemeinden nach § 6 Abs. 2 S. 1 SGB II (vgl. dazu Rixen in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, Rdnr. 11 zu § 6; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, Rdnr. 5 zu § 99; Schmidt-Jortzig/Wolffgang, VerwArch Bd 75 S. 107).
Ist § 8 der SGB II – Satzung nur auf das Widerspruchs- und Klageverfahren anzuwenden (so früher im Ergebnis auch LSG NRW Beschl. vom 30.09.2005 – L 9 B 49/05 AS ER), spricht nichts dagegen, die Gemeinde, die im eigenen Namen entscheidet (§ 5 Abs. 2 AG- SGB II NRW – GV. NRW. 2004 S. 821) als richtigen Antragsgegner im Einstweiligen Rechtsschutzverfahren anzusehen, denn sie ist auch diejenige, die zunächst zur Abhilfeentscheidung über den Widerspruch, der regelmäßig mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einhergeht, nach § 85 Abs. 1 SGG berufen ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Auflage, Rdnr. 2 zu § 85).
Der erkennende Senat hat sich allerdings bisher der Rechtsprechung des 12. Senats des LSG NRW angeschlossen (Beschl. vom 21.12.2005 – L 19 B 95/05 AS; so ebenfalls unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung der 9. Senat des LSG NRW, Beschl. vom 24.11.2005 – L 9 B 87/05 AS ER) und den Kreis für alle Gerichtsverfahren als zuständig angesehen. Ob diese Rechtsprechung aufzugeben ist, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Der Kreis ist nämlich jedenfalls im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft richtiger Antragsgegner (zur passiven Prozessstandschaft vgl. BSG SozR 3-3300 § 77 Nr. 3 S. 20). Da der Kreis der Träger der Leistungen nach dem SGB II ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II), sodass seine berechtigten Interessen durch das Verfahren berührt werden, die Gemeinde seiner Verfahrensführung zugestimmt hat und schützenswerte Belange der Ast nicht entgegenstehen, sind die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft erfüllt.
Die Beschwerde ist auch ansonsten zulässig, aber unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -). Die Ag war danach vorläufig nicht zur Leistung zu verpflichten, weil die Ast jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat.
Nach § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II bestimmt, dass bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen sind. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört als Partner des erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen auch die Person, die mit ihm in eheähnlicher Gemeinschaft lebt (§ 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II). Letztere ist die Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (vgl. BverfGE 87, 234, 264; zuletzt BverfG FamRZ 2004, 1950). Nach dem bisher ermittelten Sachverhalt hat der Senat keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Gemeinschaft der Ast und S diese Voraussetzungen erfüllt. Das Zusammenleben beider über einen Zeitraum von nunmehr 5 bzw. 6 Jahren in einer gemeinsamen Wohnung bei zwischenzeitlichem gemeinsamen Umzug spricht deutlich gegen eine bloße Wohngemeinschaft. Dies belegt insbesondere die Gestaltung der Wohnverhältnisse in der bis zum Oktober 2005 gemeinsam genutzten Wohnung. Die Ast behauptet, lediglich einen Teil der Miet- sowie Betriebs- und sonstigen Kosten wie Telefon etc. getragen zu haben. Tatsächlich hätte sie nach den vorgelegten Kontoauszügen diese Kosten nahezu allein übernommen. Die Monatsmiete einschließlich Nebenkosten betrug nach der Bescheinigung des Wohnparks I vom 06.10.2004 476,23 EUR; die Ast hat aber monatlich 450,- EUR an S überwiesen. Da ihr lediglich Leistungen in Höhe von 601,11 EUR durch H bewilligt worden waren, wären ihr zur Deckung ihres Lebensunterhaltes nur noch 151,11 EUR verblieben. Da es weder glaubhaft ist, dass die Ast hieraus ihre Bedürfnisse decken konnte noch ein Anteil von 450,- EUR dem Verhältnis der Wohnungsnutzung – selbst wenn die Ast den größeren Teil im Hinblick auf ihr eigenes Zimmer nutzte – entsprach, belegt die Zahlung an S, dass beide tatsächlich aus "einem Topf gewirtschaftet" haben. Dafür spricht auch, dass beide nicht nur nach dem Mietvertrag auf den vollen Mietzins hafteten, sondern sie sich durch gemeinschaftliche Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherungen verpflichtet haben, wie es in einer reinen Wohngemeinschaft nicht üblich ist. Es erscheint auch lebensfremd, dass in einer auf lange Dauer angelegten reinen Wohngemeinschaft ein Mitmieter den gemeinsamen Wohnraum gleichzeitig als Schlafzimmer benutzt. Mit dem Umzug in die größere Wohnung hat sich zwar Letzteres geändert. Es spricht aber ansonsten nichts dafür, dass sich die Beziehung zwischen der Ast und S entscheidend verändert hat.
Bei dieser Sachlage gebietet es die im Rahmen des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG erforderliche Interessenabwägung den von der Ag vertretenen Belangen den Vorrang einzuräumen. Dafür spricht der Umstand, dass ernstliche Zweifel an dem Bestand einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Ast und S nicht bestehen. Auch wenn das anzurechnende Einkommen des S letztlich zwar nicht bekannt ist, hat aber die Ast zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, selbst bei Anrechnung desselben verbliebe noch ein Leistungsanspruch. Schließlich ergeben sich keine Hinweise darauf, die Ast könne ihre Wohnung bei Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache verlieren oder ihr vorläufiger Lebensunterhalt sei gefährdet. Daher ist es auch in Ansehung von Art. 1 Grundgesetz (GG) nicht gerechtfertigt, die Allgemeinheit mit Ausgaben für die ASt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu belasten.
Die Beschwerde war daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 27.04.2006
Zuletzt verändert am: 27.04.2006