Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.04.2015 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Den Antragstellerinnen wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K, X, bewilligt.
Gründe:
I.
Streitgegenstand ist die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners, den Antragstellerinnen Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarf) zu gewähren.
Die im Juli 1993 geborene Antragstellerin zu 1) sowie ihre im Juni 2012 geborene Tochter, die Antragstellerin zu 2), sind polnische Staatsangehörige.
Am 11.07.2011 reiste die Antragstellerin zu 1) in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Zeitraum vom 23.07. bis zum 31.08.2014 übte sie eine geringfügige Beschäftigung bei der I GbR aus. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch betriebsbedingte Kündigung.
Zuletzt wurden den Antragstellerinnen mit Bescheid vom 05.01.2015 Leistungen bis zum 28.02.2015 bewilligt. Eine darüber hinausgehende Bewilligung wurde abgelehnt, da das Freizügigkeitsrecht der Antragstellerin zu 1) am 01.03.2015 endete. Seitdem befinde sich die Antragstellerin zu 1) lediglich zur Arbeitsuche in Deutschland und sei daher von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Die Antragstellerinnen legten gegen den Bescheid vom 05.01.2015 Widerspruch ein, über den bisher noch nicht entschieden wurde.
Am 03.03.2015 haben die Antragstellerinnen beim Sozialgericht Düsseldorf im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB II beantragt. Sie haben vorgetragen, dass ihre einzigen Einnahmen aus dem Kindergeld sowie Unterhaltsvorschussleistungen bestünden. Diese seien nicht ausreichend, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Mit Beschluss vom 23.04.2015 hat das Sozialgericht den Antragsgegner verpflichtet, vorläufig ab dem 03.03.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs bis zum 03.09.2015, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, zu gewähren. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund seien von den Antragstellerinnen glaubhaft gemacht worden. Zweifel an dem Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen seien im Rahmen der im Eilrechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung nicht ersichtlich. Auch nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 – C-333/13 – in Sachen Dano sei diese Rechtsfrage noch von entscheidungserheblicher Bedeutung, weil sich das Urteil Dano auf eine andere Fallgestaltung beziehe und die Vereinbarkeit eines Leistungsausschlusses mit europäischem Gemeinschaftsrecht Gegenstand des Vorlagebeschlusses des BSG vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R sei.
Gegen den am 23.04.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 29.04.2015. Die Antragsstellerinnen seien gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dieser Ausschlussgrund sei mit europäischem Gemeinschaftsrecht, wie der EuGH durch die Entscheidung vom 11.11.2014 bestätigt habe, vereinbar.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antragsgegner zu Leistungen an die Antragstellerinnen verpflichtet.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht (vgl. Beschlüsse des Senats vom 22.01.2015 – L 7 AS 2162/14 B ER und vom 10.09.2014 – L 7 AS 1385/14 B ER). Ist eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, in die insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange des Antragstellers einzustellen sind (BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 und 06.02.2013 – 1 BvR 2366/12; Beschluss des Senats vom 11.07.2014 – L 7 AS 1035/14 B ER).
Ob ein Anordnungsanspruch im Sinne eines im Hauptsacheverfahren voraussichtlich durchsetzbaren Anspruchs auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II glaubhaft gemacht war, muss offen bleiben. Zwar erfüllt die Antragstellerin zu 1) die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig, hat ihre Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht und den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die Antragstellerin zu 2) ist als minderjähriges, nicht erwerbsfähiges Kind Teil der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin zu 1). Sie hat ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU.
Umstritten ist zwischen den Beteiligten allein, ob die Antragstellerin zu 1) als Arbeitsuchende und die Antragstellerin zu 2) als deren Familienangehörige gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wirksam von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen ist.
Im Gegensatz zur Auffassung des Antragsgegners hat der EuGH die Frage der Wirksamkeit und Reichweite des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Urteil vom 11.11.2014 – Rechtssache "Dano" (C-333/13) – nicht abschließend geklärt. Diese Entscheidung des EuGH beruht ausdrücklich auf der Feststellung, dass Frau Dano sich nicht um Arbeit bemüht habe und es sich damit um eine Unionsbürgerin handele, die mit dem Ziel eingewandert sei, in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen (Rn. 78 der Entscheidung). Diese Fallgestaltung ist auf die Person der Antragstellerin zu 1), die bereits in Deutschland in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und wie sie glaubhaft versichert, jedenfalls nach Erhalt eines Kindergartenplatzes mit guten Erfolgsaussichten arbeitsuchend ist, nicht übertragbar. Zweifel hieran werden auch vom Antragsgegner nicht geäußert.
Lediglich die Frage, ob das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 gilt, hat der EuGH über die Fallgestaltung "Dano" hinausgehend bejahend beantwortet.
Eine Entscheidung des EuGH für Personen, wie der Antragstellerin zu 1), steht noch aus (BSG EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R; Az. beim EuGH C-67/14, Rechtssache B). In seinem Schlussantrag vom 26.03.2015 zu diesem Verfahren empfiehlt der Generalanwalt X drei Fallgruppen zu unterscheiden (Rn. 87 des Schlussantrags):
1. Den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt und sich dort weniger als drei Monate oder seit mehr als drei Monaten aufhält, ohne jedoch den Zweck der Arbeitsuche zu verfolgen (erste Fallgestaltung),
2. den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich zur Arbeitsuche in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt (zweite Fallgestaltung),
3. den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich seit mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält und dort eine Beschäftigung ausgeübt hat (dritte Fallgestaltung).
Die Antragstellerin unterfällt der dritten Fallgestaltung. Für diese empfiehlt der Generalanwalt dem EuGH (Rn. 126 des Schlussantrags), die Vorlagefrage des BSG dahingehend zu beantworten, dass Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die eine Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat suchen, nachdem sie in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten waren, von bestimmten "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung 883/2004 automatisch und ohne individuelle Prüfung ausschließt, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten.
Nach diesen Ausführungen, die zwar für den EuGH nicht bindend sind, mindestens aber die Komplexität der Rechtslage verdeutlichen, ist eine Unwirksamkeit des Leistungsausschlusses gegenüber der Antragstellerin zu 1) offen. Die Beschwerde des Antragsgegners kann aus diesen Gründen keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Die Antragsstellerinnen sind nicht in der Lage, die Kosten der Rechtsverfolgung zu tragen. Prozesskostenhilfe war daher zu bewilligen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 22.06.2015
Zuletzt verändert am: 22.06.2015