Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Gründe:
I.
Am 31.12.2007 hat der Kläger gegen die Beklagte Untätigkeitsklage mit dem Ziel erhoben, eine Entscheidung der Beklagten über einen von ihm geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von Krankengeld über den 07.03.2004 hinaus zu erlangen. Der Rechtsstreit endete im August 2010 durch Teilanerkenntnis der Beklagten, dessen Annahme durch den Kläger und dessen Erklärung, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt. In der Sache haben sich die Beteiligten darauf verständigt, dass die Beklagte über den Widerspruch des Klägers gegen die Bescheide der Beklagten vom 03.03.2004 und 30.03.2004 entscheidet.
Der Kläger stellt Kostenantrag.
II.
Nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist, wenn das Verfahren "anders", d.h. nicht durch Urteil oder Beschluss, beendet wurde, die Kostenentscheidung gem. § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach sachgerechtem Ermessen zu treffen. Zu berücksichtigen sind dabei alle Umstände des Einzelfalls. Wesentlich sind grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Klage und die Frage, wer Anlass für die Klageerhebung gegeben hat (u.a. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 17.01.2003 – L 10 B 20/02 KA -, vom 26.10.2005 – L 10 B 10/05 SB -, vom 22.03. 2006 – L 10 B 17/05 SB -, vom 18.08.2006 – L 10 B 5/06 SB -). Hierzu rechnet die falsche Sachbehandlung, eine fehlende oder fehlerhafte Begründung des Bescheides, unrichtige Beratung oder unzutreffende Rechtsmittelbelehrung (LSG NRW vom 18.01.1999 – L 10 B 9/98 – und vom 28.05.1999 – L 10 B 6/99 P -). Gleichermaßen ist das Verhalten des Klägers zu würdigen (z.B. verspätete Vorlage einer Vollmacht oder unzureichender Sachvortrag). Abweichend vom Zivil- und vom Verwaltungsgerichtsprozess sind die Gründe für die Klageerhebung und für die Erledigung des Rechtsstreits auch dann im Rahmen der Kostengrundentscheidung zu berücksichtigen, wenn der Kläger letztlich mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist (Zeihe, SGG, § 193 Rdn. 7h; LSG NRW vom 13.09.1999 – L 10 B 15/99 P – und vom 14.03.2000 – L 10 B 1/00 SB -). Für die Kostenentscheidung wesentlich ist im Übrigen, ob sich die Sach- und Rechtslage nach Erlass des Bescheides geändert hat; trägt ein Beteiligter dem sofort Rechnung, hat er ggf. keine Kosten zu tragen (vgl. Strassfeld in Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 3. Auflage, § 193 Rn. 10; Zeihe, SGG, § 193 Rdn. 7h; LSG Rheinland-Pfalz vom 04.12.1998 – L 7 B 78/98 – sowie LSG Schleswig-Holstein in NZS 1997, 392; LSG NRW vom 16.08.1999 – L 10 B 11/99 P -, 13.09.1999 L 10 B 15/99 P -, 30.03.2001 – L 10 B 2/01 SB – und vom 09.08.2004 – L 10 B 11/04 SB -).
Davon ausgehend ist es im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits sachgerecht, der Beklagten die in beiden Rechtszügen entstandenen, erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen; denn im Ergebnis hätte die Untätigkeitsklage des Klägers Erfolg gehabt.
Der Auffassung des Sozialgerichts (SG) Dortmund in seinem Urteil vom 20.10.2009, einer Untätigkeitsklage stehe schon entgegen, dass die Beklagte mit Schreiben vom 03.03.2004 und 30.03.2004 verbindlich festgestellt habe, dass dem Kläger – aufgrund erneuter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 13.02.2004 bis 05.4.2004 – kein über den 07.03.2004 hinausgehender Anspruch auf Krankengeld zustehe, ist nicht zu folgen. Dieser Auffassung steht der Wortlaut der Schreiben entgegen:
Im Schreiben vom 30.03.2004 heißt es abschließend:
"Da uns leider keine aktuellen ärztliche Befunde, Beschwerde- oder Verlaufsbeschreibungen eingereicht wurden, haben wir die Unterlagen dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung nicht noch einmal vorgelegt, da die Stellungnahme von dort bereits erfolgte.
Es verbleibt bei unserem Bescheid vom 03.03.2004."
Das in Bezug genommene Schreiben vom 03.03.2004 endet mit:
"Wir erkennen daher Ihre weitere Arbeitsunfähigkeit vorerst bis 07.03.2004 an.
Bitte reichen Sie uns umgehend weitere ärztliche Unterlagen (aktuelle Befunde, Beschwerde- und Verlaufsbeschreibungen) ein, damit wir erneut prüfen können, ob wir die weitere Arbeitsunfähigkeit anerkennen können."
Diesen Formulierungen ist allein zu entnehmen, dass die Beklagte für die Zeit über den 07.03.2004 keine abschließende Entscheidung hat treffen, sondern das Antragsverfahren noch weiter ("vorerst") hat offenhalten wollen, bis weitere ärztliche Unterlagen eingereicht werden. Ansonsten wäre die Bezugnahme im Schreiben vom 30.03.2004 auf das Schreiben vom 03.03.2004 nicht nachvollziehbar. Dieses Verständnis, dass noch keine endgültige Regelung beabsichtigt war, wird dadurch weiter belegt, dass die Beklagte ihre Schreiben vom 03.03.2004 und 30.03.2004 nicht mit einer Rechtsbefehlsbelehrung versehen hat. Die nach § 36 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch erforderliche Rechtsbehelfsbelehrung soll den Adressaten des Verwaltungsakts nämlich grundsätzlich in die Lage versetzen, ohne Hinzuziehung weiterer Hilfsmittel Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung einlegen zu können; sie ist damit auch offenkundiges Warnzeichen, dass nunmehr eine Entscheidung ergangen ist, die der Adressat hinzunehmen hat, sofern er keinen Rechtsbehelf einlegt.
Etwas anderes ergibt sich aber auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des SG nicht. Denn selbst wenn den Schreiben der Beklagten vom 03.03.2004 und 30.03.2004 die Qualität eines Verwaltungsaktes mit dem Inhalt zugemessen wird, dass über einen Anspruch des Klägers auf über den 07.03.2004 hinausgehendes Krankengeld entschieden wurde, so hat der Kläger zumindest mit Schreiben vom 19.05.2004 nicht von der Beklagten beschiedenen Widerspruch eingelegt.
Der Widerspruch war dann in Ermangelung einer Rechtsbehelfsbelehrung innerhalb eines Jahres zulässig (§ 66 Abs. 2 SGG). Dass ein Widerspruch eingelegt wurde, ergibt sich in diesem Fall im Wege der Auslegung, für die die Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch gilt (BSG, Urteil vom 10.03.1994 – 7 RAr 38/93 -). Danach ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Insbesondere ist – ebenso wie die Beklagte ihre Schreiben nicht als Bescheid überschreibt – die Bezeichnung als Widerspruch nicht erforderlich. Im Zweifel ist jedes Schriftstück, mit dem sich ein Betroffener gegen eine Verwaltungsentscheidung wendet, als Widerspruch anzusehen (Düring in Jansen, Sozialgerichtsgesetz, 3. Auflage, § 83 Rdn. 1). Ergibt sich aus dem Schriftstück, dass ein Betroffener sich durch den Verwaltungsakt beeinträchtigt fühlt und nochmalige Überprüfung anstrebt, reicht das aus (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, § 83 Rdn. 2), wobei bei der Ermittlung des wirklichen Willens davon auszugehen ist, dass der Betroffene denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der nach Lage der Sache angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (BFH, Urteil vom 11.09.1986 – IV R 11/83 -). Davon ausgehend kann es keinen vernünftigen Zweifeln unterliegen, dass der Kläger sich gegen die Schreiben der Beklagten vom 03.03.2004 und 30.03.2004 gewandt und gegen diese, sofern sie als Verwaltungsakt i.o.a.S. zu qualifizieren sind, Widerspruch eingelegt hat, wenn er z.B. schreibt:
"Dem zur Folge wurde weitergehende Arbeitsunfähigkeit bis zum 05.04.2004 attestiert, seitens ihrer Krankenkasse jedoch nur anerkannt bis einschließlich 07.03.2004.
Für meinen Mandanten ist angesichts der fortlaufenden Behandlungsmaßnahmen und der fortlaufenden Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht nachzuvollziehen, dass die Diagnosen der behandelnden Ärzte in Frage gestellt werden."
Auch die weiteren Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage, nämlich keine Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund innerhalb von sechs Monaten seit Antrag bzw. keine Widerspruchsentscheidung innerhalb von drei Monaten nach Widerspruch (vgl. § 88 SGG), sind erfüllt. Für die Untätigkeit der Beklagten besteht keine Rechtfertigung. Es bedarf vorliegend keiner Erörterung, ob die Beklagte, der die Verpflichtung zur Amtsermittlung obliegt, einen Betroffenen auf Beibringung von ihr für entscheidungserheblich gehaltener Unterlagen verweisen oder ob sie sich zu Recht gehindert sehen kann, ein von dem Kläger vorgelegtes Gutachten wegen fehlender Unterschrift des Gutachters zu verwerten; denn selbst wenn sie einer solchen Auffassung sein sollte, stellt dies keinen einer Entscheidung entgegenstehenden Hinderungsgrund dar.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 16.01.2014
Zuletzt verändert am: 16.01.2014