I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.425,34 EUR zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Berufung wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 3.425,34 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist Kostenerstattung für eine Rehabilitationsmaßnahme des Versicherten A. (R.), deren Kosten die Klägerin getragen hat.
Der am 1966 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte R. ließ bei Coxarthrose links am 21.09.2005 eine Operation zur Implantation einer Hüfttotalendoprothese (Hüft-TEP) durchführen. Er beantragte am 11.10.2005 bei der Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund eine Anschlussheilbehandlung (AHB). Er gab an, als freier Handelsvertreter tätig zu sein. Wegen Unzuständigkeit leitete die DRV Bund den Antrag am 13.10.2005 an die Klägerin weiter, wo der Antrag am 18.10.2005 einging. Die Klägerin bewilligte mit Bescheid vom 19.10.2005 eine stationäre AHB-Maßnahme. Der Bescheid enthält den Zusatz, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistung zur Teilhabe nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht erfüllt seien und die Leistung übernommen werde in der Eigenschaft als Reha-Trägerin, an die der Antrag weitergeleitet wurde. Die AHB-Maßnahme wurde vom 05.10.2005 bis 02.11.2005 im Rehabilitationskrankenhaus (RKU) Ulm durchgeführt. Die behandelnden Ärzte im RKU Ulm empfahlen am 31.10.2005 die Durchführung einer Intensivierten Rehabilitationsnachsorge (IRENA). Auch diese Kosten übernahm die Klägerin. Die IRENA-Maßnahme wurde vom 03.11.2005 bis 22.12.2005 durchgeführt. Der Versicherte bezog Krankengeld bis 22.12.2005.
Die Klägerin meldete am 19.12.2005 einen Erstattungsanspruch bei der Beklagten an. Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, dass zwischen zwei Rentenversicherungsträgern keine Weiterleitung im Sinne des § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) stattfinden könne. Die Klägerin bezifferte mit Schreiben vom 29.06.2006 ihre Kosten für die AHB-Maßnahme einschließlich der IRENA-Maßnahme mit 3.425,34 EUR. Die Beklagte teilte am 06.07.2006 mit, dass ein Erstattungsanspruch nicht anerkannt werde. Es bestehe jedoch Bereitschaft, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten im Hinblick auf bereits anhängige Verfahren bei Sozialgerichten.
Die Klägerin hat am 14.09.2006 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Zur Begründung hat sie sich darauf berufen, dass ihre Zuständigkeit nicht gegeben gewesen sei. Der Versicherte habe die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Reha-Maßnahme auf Kosten der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllt. Die Leistung sei als zweitangegangene Trägerin erbracht worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten könne zweitangegangener Träger auch sein, wer demselben Reha-Bereich angehöre wie der zunächst angegangene Träger. Die Notwendigkeit einer Reha-Maßnahme stehe nicht im Streit. Die Beklagte vertritt dagegen die Auffassung, dass die Klägerin erstangegangene Trägerin gewesen sei und zudem die IRENA-Maßnahme ausschließlich eine Leistung der Rentenversicherung darstelle, für die eine Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht gegeben sei. Auf Nachfrage des Gerichts, ob weitere Einwendungen nicht erhoben werden, hat die Beklagte sich darauf berufen, dass im Zeitpunkt der Antragstellung zur Rehabilitation eine verminderte Erwerbsfähigkeit bestanden habe mit einer Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden für die Tätigkeit als Einzelhandelskaufmann und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Es sei davon auszugehen, dass die geminderte Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation habe wieder hergestellt werden können. Beigefügt war eine gutachtliche Stellungnahme des Dr. H. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Bayern vom 23.10.2007. Dieser führt aus, dass bei überwiegend sitzender Tätigkeit des Versicherten davon ausgegangen werden könne, dass nach drei bis fünf Monaten wieder eine vollschichtige Rückkehr in den Beruf habe erfolgen können. Eine geminderte Erwerbsfähigkeit habe durch Leistungen zur Rehabilitation wieder hergestellt werden können. Zuständig sei daher der Rentenversicherungsträger. Auf Hinweis des Gerichts, dass verminderte Erwerbsfähigkeit für mehr als sechs Monate vorliegen müsse, hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme des Dr. H. vom 14.05.2008 vorgelegt. Dr. H. vertritt die Auffassung, dass bei Antragstellung zur Reha die Indikation für eine stationäre Rehabilitation vorgelegen habe. Bei der Versorgung eines jungen Patienten mit einer Hüft-TEP handle es sich in der Regel um ein schwerwiegendes Krankheitsbild, und beim Versicherten habe ein überdurchschnittlich schwerer Krankheitsverlauf aufgrund einer schweren Anämie und erheblicher Entzündungszeichen bestanden. Ohne Versorgung mit Hüft-TEP sei die Erwerbsfähigkeit gemindert gewesen und für die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit stationäre Rehabilitation unerlässlich gewesen. Postoperative Versorgung ausschließlich mit Heilmittelanwendungen sei nicht ausreichend gewesen. Die Klägerin ist dagegen der Auffassung, dass weder verminderte Erwerbsfähigkeit vorlag noch deren Eintritt innerhalb der nächsten drei Jahre drohte. Erfahrungsgemäß bestehe nach Hüft-TEP eine Rehabilitationszeit von 12 bis 20 Wochen, nicht aber eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens für mehr als 26 Wochen. Damit habe keine rentenrelevante Herabsetzung der Erwerbsfähigkeit stattgefunden. Beigefügt war eine Stellungnahme des Herrn B. vom Sozialmedizinischen Dienst der Klägerin. Daraufhin schaltete die Beklagte nochmals den MDK ein. Dr. H. hielt in einer gutachtlichen Stellungnahme vom 18.11.2008 fest, dass bei Stellung des AHB-Antrages aufgrund des Alters des Versicherten eine volle Rückbildung der Beschwerden nach Hüft-TEP zu erwarten gewesen sei. Jedoch sei eine Reha-Maßnahme nicht notwendig gewesen, die Anwendung von Heilmitteln habe vollkommen ausgereicht. Insofern habe im Zeitpunkt der Antragstellung keine verminderte Erwerbsfähigkeit vorgelegen und sei auch nicht in absehbarer Zeit zu erwarten gewesen. Nach Hinweis auf die teilweise gegensätzlichen Stellungnahmen des MDK hat die Beklagte mit Schreiben vom 29.07.2009 angeboten, die Hälfte der mit der Klage geltend gemachten Kosten zu übernehmen. Die Klägerin hat dieses Angebot nicht angenommen. Die Beklagte hat danach mitgeteilt, dass für eine vergleichbare ambulante muskuloskelettale Rehabilitation unter Trägerschaft der Beklagten pro Tag 86 EUR anfallen würden. Bei durchschnittlicher Dauer von 10 bis 15 Tagen wären Kosten zwischen 890 EUR bis 1.290 EUR entstanden. Die Kosten für eine Behandlungseinheit Krankengymnastik (15 bis 25 Minuten) während des Zeitraums der IRENA-Maßnahme betrügen 13,50 EUR.
Die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.425,34 EUR zu erstatten.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Klägerin und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 57 Abs. 1, 51 Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die formgerecht erhobene Leistungsklage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat wie beantragt Anspruch auf Erstattung von 3.425,34 EUR für die von ihr getragenen Kosten der AHB-Maßnahme und der IRENA-Maßnahme.
Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX. Dieser lautet: "Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs. 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften."
Die Klägerin war zweitangegangene Rehabilitationsträgerin in diesem Sinne. Der Reha-Antrag des Versicherten ging zunächst bei der DRV Bund ein und wurde von dieser an die Klägerin weitergeleitet. Eine Weiterleitung im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch innerhalb von Rehabilitationsträgern eines Sozialversicherungszweiges (hier der Rentenversicherung) möglich (siehe Bundessozialgericht – BSG – Urteil v. 08.09.2009 – B 1 KR 9/09 R).
Die Klägerin war unzuständige Leistungsträgerin. Da der Versicherte als freier Handelsvertreter tätig ist und Pflichtbeiträge für ihn zuletzt im September 1995 entrichtet wurden, hätte er die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation zu Lasten der Rentenversicherung nur dann erfüllen können, wenn er entweder bereits vermindert erwerbsfähig gewesen wäre oder wenn dies in absehbarer Zeit zu erwarten war (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI). Der Versicherte war nicht vermindert erwerbsfähig, da er bis zur Hüft-TEP gearbeitet hatte. Auch in absehbarer Zeit war keine verminderte Erwerbsfähigkeit zu erwarten. Zwar war durch die Operation sein Leistungsvermögen kurzfristig abgesunken, jedoch erhielt er Krankengeld nur bis 22.12.2005 und war danach wieder in seinem Beruf tätig. Ein mehr als sechs Monate dauerndes Absinken der Leistungsfähigkeit auf unter sechs Stunden täglich war anlässlich der Operation, die ja zu einer Besserung des vorher bestehenden Zustandes führen sollte und auch tatsächlich geführt hat, nicht zu erwarten. Zweifel an der Unzuständigkeit der Klägerin sind auch deshalb nicht angebracht, weil der von der Beklagten eingeschaltete Dr. H. in seiner Stellungnahme vom 18.11.2008 ausdrücklich festgehalten hat, dass bei Stellung des Reha-Antrages eine verminderte Erwerbsfähigkeit nicht zu erwarten war.
Tatsächlich zuständig für Maßnahmen der Rehabilitation war damit die Beklagte als Krankenversicherungsträger.
Zur Überzeugung des Gerichts war eine stationäre AHB-Maßnahme medizinisch erforderlich. Das Gericht stützt sich dabei auf die Stellungnahme des MDK-Gutachters Dr. H. vom 14.05.2008. Hierin ist ausdrücklich festgehalten, dass die Indikation für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vorlag, da es sich beim Versicherten um ein schwerwiegendes Krankheitsbild handelte mit überdurchschnittlich schwerem Krankheitsverlauf aufgrund schwerer Anämie und erheblicher Entzündungszeichen. Dr. H. hat ausdrücklich festgehalten, dass eine postoperative Versorgung ausschließlich mit Heilmittelanwendungen nicht ausreichend gewesen wäre. Angesichts des schweren Krankheitsverlaufes sieht das Gericht auch keinen Anlass zu Zweifeln an der mehr als 3-wöchigen Dauer der AHB-Maßnahme.
Die Beklagte ist daher verpflichtet, die Kosten der Rehabilitation zu tragen, und zwar nach denjenigen Vorschriften, die für die Klägerin gelten. Es ist also nicht entscheidend, welche Aufwendungen die Beklagte erbracht hätte, wenn die Rehabilitationsmaßnahme von ihr selbst erbracht worden wäre.
Dabei hat die Beklagte auch die Kosten der IRENA-Maßnahme zu übernehmen. Zwar war der Reha-Antrag ausdrücklich auf eine Maßnahme der AHB gerichtet, da ein entsprechendes Formblatt verwendet wurde. Sinngemäß ist der Antrag jedoch so auszulegen, dass er auf alle notwendigen Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation im Anschluss an die Hüft-TEP gerichtet ist. Damit ist auch eine IRENA-Maßnahme eingeschlossen. Auch hinsichtlich der Notwendigkeit der IRENA-Maßnahme sieht das Gericht keinen Anlass zu zweifeln. Diese wurde durch die in der AHB-Maßnahme behandelnden Ärzte bestätigt. Substantiierte Einwendungen hiergegen hat die Beklagte nicht vorgebracht.
Gegen eine Kostentragung durch die Beklagte spricht auch nicht, dass es sich bei der IRENA-Maßnahme um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation handelt, die speziell nur durch die Rentenversicherungsträger erbracht wird, nicht jedoch durch die Krankenversicherung. Denn da Rechtsgrundlage der Erstattung § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ist, ist nicht entscheidend in welchem Umfang die Beklagte Maßnahmen hätte erbringen können. Vielmehr richtet sich die Erstattung nach dem Leistungsumfang bei der Klägerin (soweit er sich in deren gesetzlichem Rahmen bewegt). Die Beklagte hat sich auch durch die IRENA-Maßnahme eigene Leistungen der ambulanten Krankenbehandlung (Krankengymnastik/Physiotherapie) erspart.
Die Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Kosten an sich, d.h. die Abrechnung ist nicht streitig.
Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 161 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Berufung ist nicht zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 10.000,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Die Berufung war auch nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Gericht auch nicht von einer obergerichtlichen Entscheidung abgewichen ist (§ 144 Abs. 2 SGG).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG).
Erstellt am: 30.08.2016
Zuletzt verändert am: 30.08.2016