I. Die Antragsgegnerin wird einstweilen verpflichtet, ab dem Tag nach Zustellung dieses Beschlusses die Kosten für einen weiteren Zyklus der Immuntherapie bei Herrn T. mit Hypertermie, autologen Immunzellen und kostimulatorischen inaktivierten onkolytischen Viren zu übernehmen, befristet bis 15.02.2008, längstens bis zur Beendigung des Hauptsacheverfahrens.
II. Die Antragsgegnerin trägt 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Ast) und gleichzeitig Klägerin im Verfahren S 12 KR 355/07 begehrt eine Verpflichtung der Antragsgegnerin (Ag) und Beklagten zur Kostenübernahme der außervertraglichen Behandlung beim Allgemeinarzt A. T., Markt B., mit Hyperthermie, autologen Immunzellen und kostimulatorischen inaktivierten onkolytischen Viren.
Die am 1956 geborene Ast ist seit 1997 an einem Mammakarzinom erkrankt, das zunächst nur linksseitig auftrat. Im Jahr 2001 wurde ein Rezidiv auf der rechten Brustseite operiert. Der Brustkrebs ist metastasiert. Es erfolgten mehrfach Chemotherapien, wobei zuletzt im Jahr 2006 gravierende Nebenwirkungen in Form einer Hautablösung an den Fußsohlen auftraten.
Am 11.07.2007 ging bei der Ag ein Antrag des Herrn T. auf Kostenerstattung einer Immuntherapie des metastasierten Mammakarzinoms mit Hyperthermie, autologen Immunzellen und kostimulatorischen inaktivierten onkolytischen Viren ein. Nach dem Verlauf der Erkrankung gäbe es schulmedizinisch keine kurative Therapiestrategie mehr. Es sei auch nicht erwiesen, ob es auch nur eine palliative gebe. Daher greife die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005, deren Voraussetzungen in allen Fassetten mehr als erfüllt seien. Zur aktiven Hyperthermie (Fiebertherapie) lägen vergleichende Untersuchungen und eine Pilotstudie vor, wobei Patienten mit weit fortgeschrittener Metastasierung eine komplette Rückbildung allein mit dieser Therapiefassette erfahren hätten. Die lokale Tiefenthermotherapie sei in Wissenschaft und Praxis längst anerkannt und werde von der Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr als vierte Säule neben Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie anerkannt. Die Fiebertherapie diene der Immunstimulierung und werde am Fiebergipfel mit der regionalen Tiefenthermotherapie kombiniert. Bezüglich der Therapie mit onkolytischen Viren liege eine multizentrische, placebokontrollierte Studie bei weit fortgeschrittenen Krebserkrankungen mit eindrucksvollem Ausgang vor. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg habe nicht weniger als acht Abteilungen auf die Erforschung dieses Therapieverfahrens angesetzt. Die Kombination von Fieber- und Virustherapie biete sich aus immunulogischen Gründen an. Auch zur grundsätzlichen Wirksamkeit der dendritischen Zelltherapie gebe es eine ganze Reihe von Studien, auch zum Mammakarzinom. Vor kurzem hätten dendritische Zell-Vaccine auch die Zulassung der FDA erhalten. Es gebe kaum eine deutsche Universität, die nicht ernsthaft an diesem Therapieansatz arbeite. Er legte ebenfalls einen ungefähren Kostenvoranschlag für die einzelnen Bestandteile der Therapie vor. Auf Nachfrage der Beklagten gingen dann weitere Unterlagen ein, u. a. ein "Informationsblatt" des Herrn T. zur "Biotherapie fortgeschrittener Krebserkrankungen mit Fieber, Viren und autologen Abwehrzellen (dendritischen Zellen und natürlichen Killerzellen)". Außerdem ging ein Befundbericht des behandelnden Gynäkologen Dr. S. vom 28.07.2007 mit zahlreichen Anlagen ein. Daraus ergibt sich die Diagnose von Lungenmetastasen, Skelettmetastasen (in der Vergangenheit mit Bestrahlung behandelt) und Lebermetastasen. Dr. S. hielt eine erneute Chemotherapie zwar für möglich, vom Nebenwirkungsspektrum her jedoch für problematisch. Er befürwortete daher den zur Zeit angedachten Versuch einer intrahepatischen experimentellen Tumortherapie. Die Ag schaltete zur Beurteilung den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern ein. Nachdem dieser bereits in einer Stellungnahme vom 24.07.2007 ausgeführt hatte, dass bisher ein wissenschaftlicher Wirksamkeitsnachweis für die von Herrn T. angewandten Methoden fehle, hielt der Gutachter Herr B. in einer Stellungnahme vom 17.08.2007 fest, dass das von Herrn T. angegebene Therapieziel einer Heilung nicht nachvollzogen werden könne. Es sei unter Beachtung der aktuellen medizinischen bzw. wissenschaftlichen Studienlage nicht davon auszugehen, dass die beantragten Methoden eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen könnten. Die Behandlung mit onkolytischen Viren befinde sich noch im Stadium der experimentellen Anwendung. Die derzeitige Studienlage erlaube es nicht, konkrete Aussagen zu einer positiven Nutzen-Risiko-Abwägung der beantragten Maßnahmen zu treffen. Eine Kostenübernahme könne durch den MDK daher nicht empfohlen werden. Auf Nachfrage der Ag wegen der Nebenwirkungen einer weiteren Chemotherapie führte Dr. E. in einer Stellungnahme vom 31.08.2007 aus, dass das Nebenwirkungsspektrum von der Art des eingesetzten Medikamentes abhänge. Bei dem weit fortgeschrittenen Krankheitsspektrum sei eine neuerliche Chemotherapie lediglich unter palliativen Aspekten zu diskutieren. Während für die zugelassenen Chemotherapeutika auf der Grundlage der medizinisch-wissenschaftlichen Datenlage von einer positiven Nutzen-Risiko-Konstellation ausgegangen werden könne, könne dies für die beantragten unkonventionellen Behandlungsmethoden bislang nicht als ausreichend belegt erachtet werden. Weitere Therapien seien im Sinne einer onkologischen Palliativmedizin möglich. Die Ag lehnte dann den Antrag mit Bescheid vom 04.09.2007 ab, gegen den der damals bevollmächtigte VdK am 10.09.2007 Widerspruch einlegte. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens ging eine Rechnung des Herrn T. vom 28.08.2007 ein über Behandlung der Ast vom 30.07. bis 17.08.2007 in Höhe von insgesamt 16.414,80 EUR. Die Ag wies den Widerspruch mit Bescheid vom 23.10.2007 zurück. Am 30.10.2007 haben die Klägerbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben mit dem Ziel einer Kostenübernahme für die Immuntherapie bei Herrn T … Im Klageverfahren liegt bereits ein Befundbericht des Dr. S. vom 02.12.2007 vor. Dr. S. gibt an, dass im August 2007 durch MRT diagnostizierte Hirnfiliae am 17.09.2007 mittels Cyber-Knife behandelt wurden. Im Bereich der Lungenmetastasen habe sich bei mehreren Kontrollen eine Komplettremission gezeigt. Im Bereich der Lebermetastasen habe sich zunächst eine Progression gezeigt, bei der letzten Untersuchung am 28.11.2007 jedoch eine No-Change-Situation. Die Ast habe nach dem 1. und 2. Zyklus der Therapie bei Herrn T. über eine subjektive Besserung ihres Allgemeinzustandes berichtet. Aus schulmedizinischer Sicht habe er ihr weder zur Fortsetzung der Therapie geraten noch davon abgeraten. Insgesamt sei zum jetzigen Zeitpunkt von einem Tumoransprechen durch die Therapie bei Herrn T. auszugehen. Aus den beigelegten Unterlagen ergibt sich, dass bei einer Kontrolle der Hirnmetastasen anläßlich eines Aufenthaltes im Bezirkskrankenhaus (BKH) G. vom 22.11. bis 26.11.2007 sich keine Hirnfiliaen mehr zeigten. Für die Skelettmetastasen wird in einer Kernspintomographie vom 05.11.2007 ein unveränderter Befund gegenüber der Voruntersuchung vom 24.04.2007 beschrieben. Für die Lungenmetastasen wird im CT vom 10.10.2007 ausdrücklich ein konstanter Befund im Bereich des Thorax (gegenüber April 2007) beschrieben. Bezüglich der Lebermetastasen ergab sich ein stetiges Wachstum auch nach der Behandlung durch Herrn T. (CT vom 10.10.2007: Drastische Größenprogredienz der bekannten Leberfiliae; eine neue Filia). Am 15.11.2007 erfolgte dann eine Therapie der Lebermetastasen mit Lipiodol, deren Wirkung (Lipiodoleinlagerung) im CT vom 28.11.2007 beschrieben ist, das gleichzeitig einen gleichbleibenden Befund hinsichtlich Zahl und Größe der Lebermetastasen gegenüber dem CT vom 10.10.2007 feststellt. Die Tumormarker, die von 225 im März 2007 auf 286 am 25.07.2007 geklettert waren, begannen nach Beginn der Behandlung bei Herrn T. rapide zu steigen (22.08.2007: 346; 12.09.2007: 558; 04.10.2007: 651; 14.11.2007: 1.001; 28.11.2007: 823).
Bereits am 17.09.2007 haben die Bevollmächtigten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt (Verfahren S 10 KR 300/07 ER). Die Ast gab damals an, nicht über ausreichend Vermögen und Einkommen zu verfügen, um die Kosten der geplanten Therapie zu tragen. Sie legte eine Aufstellung ihrer Einnahmen und derjenigen des Ehemannes sowie der monatlichen Ausgaben vor. Herr T. hat sich zum Beleg der Wirksamkeit seiner Therapie auf eine Falldarstellung eines ähnlichen Falles (Fall T.M.) berufen. Die Intention der Therapie mit dendritischen Zellen sei kurativ. Es sei nicht vertretbar, einen Patienten auf eine palliative Behandlung zu verweisen, wenn es eine kurative gebe. Auf Nachfrage des Gerichts nach der Wirkung der bisherigen Immuntherapie führte Herr T. am 24.09.2007 aus, dass vor Therapiebeginn Schmerzen am unteren Rippenbogen rechts bestanden hätten, bedingt durch drei beträchtliche Lebermetastasen, und dass diese Schmerzen nun verschwunden seien und sich der Allgemeinzustand wesentlich gebessert habe. Außerdem schilderte er allgemein den Behandlungsplan seiner Therapie, ohne dabei aber konkret eine Behandlungsplanung für die Ast darzustellen. Des Weiteren legte er eine Literaturliste zu "Dendritische Zellen bei Mammakarzinom" bei, aus denen sich der Wirksamkeitsnachweis ergebe. Mit Beschluss vom 26.09.2007 hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Augsburg die Ag verpflichtet, für die Ast vorläufig die Kosten von zwei Zyklen der beantragten Immuntherapie mit Hyperthermie, autologen Immunzellen und kostimulatorischen inaktivierten onkolytischen Viren, längstens bis 30.11.2007 zu, übernehmen.
Am 04.12.2007 hat Herr T. in einem Schreiben an die Vorsitzende der 10. Kammer gebeten, weitere vier Zyklen der Immuntherapie zu bewilligen. Das erste Erfolgsziel der "Stable Disease" habe erreicht werden können. Nächstes Ziel sei nun die Rückbildung der vorhandenen Tumorläsionen und das allerhöchste Ziel die komplette Rückbildung, was einer Wunderheilung gleichzusetzen sei. Als Beleg für das Erreichen des ersten Erfolgszieles legte er den Befund der Computertomographie vom 28.11.2007 bezüglich der Lebermetastasen bei. Am 14.12.2007 haben dann die Bevollmächtigten erneut Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt zur Kostenübernahme von vier weiteren Zyklen der Immuntherapie. Zur Begründung haben sie sich auf den von Herrn T. angegebenen bisherigen Erfolg der Therapie berufen. Schulmedizinische Behandlungsmethoden mit kurativer Zielsetzung würden immer noch nicht zur Verfügung stehen und eine weitere palliative Chemotherapie sei der Klägerin wegen der Nebenwirkungen nicht zumutbar. Die Ag hat sich am 19.12.2007 umfassend zum Antrag geäußert und ein Gutachten vom 29.12.2007 von Prof. Dr. H. und Dr. Z. vom Kompetenz Centrum Onkologie des MDK Nordrhein vorgelegt. Diese Stellungnahme basiert auf einer Literaturrecherche, wobei auch die von Herrn T. angegebenen Literaturnachweise überprüft wurden. Zusammenfassend wurde kritisiert, dass bereits detallierte Angaben zum Behandlungsprotokoll, zu Dosierungen und konkretem Ablauf der Applikation fehlen würden. Es handle sich derzeit nur um ein experimentelles Verfahren und auch unter den Vorgaben der Patientensicherheit und unter Berücksichtigung der Deklaration von Helsinki sei ein Einsatz nur im Rahmen von klinischen Prüfprotokollen zu empfehlen. Den Nutzen einer weiteren Chemotherapie haben sie im Hinblick auf die bislang aufgetretenen Nebenwirkungen verneint, aber eine eventuell weitere antihormonelle Therapie mit Fulvestan empfohlen. Am 21.12.2007 ist ein Befundbericht des Herrn T. eingegangen. Daraus ergibt sich, dass der vierte Zyklus der Therapie mit Verabreichung der dendritischen Zellen bereits am 04.12.2007 begonnen hatte. Auf Frage nach dem detaillierten Behandlungsplan für den zweiten und dritten Zyklus hat er lediglich eine "Kurve" zum Tumormarker Ca-15-3 übersandt, aus der auch erkennbar ist, an welchem Tag die Zyklen begannen und Fieber einsetzte. Genaue Angaben zur Dosierung der dendritischen Zellen und onkolytischen Viren, zur Höhe des Fiebers oder zu den Zeitpunkten und der genauen Lokalisation der lokalen Tiefenhyperthermie fehlen. Auf Nachfrage, warum zur Grundimmunisierung nicht – wie auf seiner Internet-Seite dargestellt – vier Zyklen ausreichend seien, hat er ausgeführt, dass jeder Patient einmalig sei und sich die Ast durch sieben vorangegangene Chemotherapien auszeichne und daher ein enorm schwerer Start vorliege. Durch die Embolisation mit Lipiodol sei nur eine einzige Läsion ausgeschaltet worden, nämlich jene knapp unter dem Zwerchfell, die riesengroßen Metastasen in den unteren Teilen des rechten Leberlappens seien jedoch nicht embolisiert worden. Er kämpfe im Verein mit dem Max-Plank-Institut für Immunologie, Freiburg, um das Leben der Ast. Dass dies nach vier Zyklen noch nicht gelungen sei, dürfe nicht wundern. Wunder seien selten. Vier weitere Zyklen seien beantragt worden, um etwas Handlungsspielraum zu haben.
Die Bevollmächtigten der Ast beantragen,
die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig die Kosten von vier weiteren Zyklen für die beantragte Immuntherapie mit Hyperthermie, autologen Im munzellen und kostimulatorischen inaktivierten onkolytischen Viren zu übernehmen.
Die Ag beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten S 12 KR 355/07 und S 10 KR 300/07 ER Bezug genommen.
II.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Ast vereitelt oder wensentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Das Gericht entscheidet aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage, ob ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen und welche Maßnahmen unter Abwägung der Belange der Öffentlichkeit und der Ast nötig erscheinen. Anordnungsanspruch ist der materielle Anspruch, für den die Ast vorläufigen Rechtsschutz sucht. Er ist identisch mit dem auch im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiellen Anspruch. Anordnungsgrund ist die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die Gerichte sind, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen (BVerfG Beschluss vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 – NJW 2003, 1236; bestätigend BVerfG Beschluss vom 19.03.2004 – 1 BvR 131/04). Dreht es sich um existentiell bedeutsame Leistungen wie im Bereich der Krankenversicherung, muss die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft werden. Ist im Eilverfahren diese gebotene vollständige Aufklärung jedoch nicht möglich, bilden die Erfolgsaussichten der Hauptsache keinen adäquaten Maßstab. Vielmehr ist eine Folgenabwägung vorzunehmen, bei welcher die grundrechtlichen Belange der Betroffenen mit den Belangen der Versichertengemeinschaft gegenüberzustellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.02.2007 – 1 BvR 3101/06).
Ein Anordnungsgrund liegt zur Überzeugung des Gerichts vor. Eilbedürftigkeit ist glaubhaft gemacht. Bei der Ast liegt eine lebensbedrohliche Erkrankung (Brustkrebs mit fortgeschrittener Metastasierung) vor. Soll der erstrebte Erfolg, nämlich eine fortschreitende Erkrankung zu verhindern, erreicht werden, dann kann mit der Fortsetzung der Therapie, von der sich die Ast einen Erfolg erhofft, nicht zugewartet werden. Angesichts der lebensbedrohlichen Situation und der zu erwartenden weiteren Progression der Metastasierung ist mit einem nicht mehr fernliegenden tödlichen Ausgang der Erkrankung zu rechnen. Damit besteht grundsätzlich die notwendige Eilbedürftigkeit für eine sofortige Fortsetzung der streitgegenständlichen Behandlung im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzes. Angesichts der Kosten für einen Behandlungszyklus (zwei Wochen mit anschließender dreiwöchiger Erhaltungstherapie) von ungefähr 16.000,00 EUR kann von der Ast nicht erwartet werden, die Behandlung vorläufig auf eigene Kosten zu übernehmen und im Hauptsacheverfahren auf Kostenerstattung zu klagen. Das vorhandene gemeinsame Einkommen zusammen mit dem Ehemann ist für eine derartige Behandlung nicht ausreichend.
Auch ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind derzeit nicht abgeklärt und auch nicht abklärbar, sodass angesichts der lebensbedrohlichen Erkrankung eine Güterabwägung vorzunehmen ist. Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens abschließend zu beurteilen, ist derzeit nicht möglich. Bei einer Therapie durch Herrn T. handelt es sich um eine außervertragliche Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Kompliziert wird das Ganze dadurch, dass sich die Behandlung aus Teiltherapien zusammensetzt, die für sich genommen ebenfalls eine neue Behandlungsmethode darstellt. Dabei handelt es sich laut Internetseite des Herrn T. um Hyperthermie in Form einer Fiebertherapie und einer lokoregionalen Tiefenhyperthermie, um eine Virustherapie mit onkolytischen Viren und um eine Therapie mit autologen Abwehrzellen (Kombination von dendritischen Zellen und natürlichen Killerzellen).
Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dabei dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine entsprechende positive Empfehlung abgegeben hat u.a. zum diagnostischen und therapeutischen Nutzen, der medizinischen Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der neuen Methode (§ 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Ist eine neue Methode vom G-BA noch nicht in die Liste der anerkannten Methoden aufgenommen worden, dann kann nach ständiger Rechtsprechung des BSG (SozR 3-2500 § 135 Nr. 4) ein Anspruch auf Kostenübernahme nur dann entstehen, wenn ein sog. "Systemversagen" beim Bundesausschuss vorliegen würde. Ein Systemversagen ist dann gegeben, wenn die Einleitung oder Durchführung des Verfahrens willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert würde (SozR 3.2500 § 135 Nr. 14). Auch bei einem Systemversagen muss jedoch die Wirksamkeit der neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen auf Grund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt werden. Nur ausnahmsweise, wenn ein Wirksamkeitsnachweis wegen der Art oder des Verlaufs der Erkrankung oder wegen unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, darf darauf abgestellt werden, ob sich die in Anspruch genommene Therapie in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 und 14). Ein Systemversagen ist insoweit nicht ersichtlich. Zur Hyperthermie hat der G-BA am 15.06.2005 einen Beschluss gefasst und diese Methoden sämtlich den nicht anerkannten ambulanten Behandlungsmethoden zugewiesen. Bezüglich der Therapie mit onkolytischen Viren und dendritischen Zellen/natürlichen Killerzellen, ist laut Internet-Seite des G-BA dort noch kein Prüfverfahren anhängig. Die Einleitung eines solchen Verfahrens ist derzeit aber auch nicht zu erwarten, da zuvor qualifizierte Studien vorliegen müssten, die einen Rückschluss auf die Wirksamkeit der Therapie bezogen auf einzelne Krebsarten zulassen, was laut Stellungnahme des MDK bislang nicht der Fall ist. Vielmehr handelt es sich noch um experimentelle Verfahren.
Jedoch erscheint unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) ein Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht völlig fernliegend. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung die Auffassung vertreten, dass es mit Art. 2 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar sei, den Einzelnen unter den Voraussetzungen des § 5 SGB V einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen. Dabei müsse allerdings die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder auf wenigstens eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen. Dabei ist von den Sozialgerichten nach Vorgabe des BVerfG gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe zu prüfen, ob es für die vom Arzt nach gewissenhafter fachlicher Einschätzung vorgenommene oder von ihm beabsichtigte Behandlung ernsthafte Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Erfolg der Heilung oder auch nur auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf in konkreten Einzelfall gibt. Solche Hinweise könnten sich aus dem Gesundheitszustand des Versicherten im Vergleich mit dem Zustand anderer, in gleicher Weise erkrankter, aber nicht mit der in Frage stehenden Methode behandelnden Personen ergeben sowie auch mit dem solcher Personen, die bereits auf diese Weise behandelt wurden und behandelt werden. Weitere Bedeutung komme der fachlichen Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten zu. Dass eine lebensbedrohliche Situation vorliegt und die Therapie vom behandelnden Arzt Herrn T. empfohlen wird, wurde bereits ausgeführt. Auch der behandelnde Gynäkologe Dr. S. sieht die Therapie derzeit wohl positiv und führt auch den Erfolg mit einer subjektiven Besserung des Allgemeinbefindens und einem derzeitigen Stillstand der Metastasierung darauf zurück. Ob dies letztlich zu einer positiven Entscheidung im Hauptsacheverfahren führen kann, bleibt jedoch weiteren Ermittlungen vorbehalten. Denn es bestehen auch erhebliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der Methode des Herrn T. und deren Anwendung. Unklar ist bereits, worauf der am 28.11.2007 eingetretene Stillstand der Lebermetastasierung zurückzuführen ist, nachdem unter der Therapie durch Herrn T. ab August zunächst eine drastische Progression der Tumormarker und der Lebermetastasen eingetreten ist, und ein Stillstand der Lebermetastasen und ein Rückgang der Tumormarker erst aufgetreten ist nach der ersten Embolisation mit Lipiodol am 15.11.2007. Angesichts der Kombination der Behandlungsmethode des Herrn T. mit weiteren Therapien (Cyber-Knife, Lipiodol) wird niemals eine konkrete Aussage dazu möglich sein, worauf der jetzige Zustand der "Stable Disease" zurückzuführen ist. Allerdings genügt ja nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bereits die "Aussicht auf Erfolg". Weitreichende Bedenken gegen die Behandlung durch Herrn T. beruhen darauf, dass noch nicht einmal bekannt ist, wie und von wem die autologen Immunzellen und onkolytischen Viren hergestellt werden. Des Weiteren ist die (weitere) konkrete Behandlungsplanung unbekannt. Selbst auf gezielte gerichtliche Nachfrage nach dem Behandlungsplan für die bereits abgeschlossenen zweiten und dritten Zyklen der Therapie, wurde von Herrn T. kein konkreter Behandlungsplan vorgelegt, sondern lediglich eine "Kurve" der Tumormarker, aus der sich keinerlei Informationen ablesen lassen zur Dosierung und Aktivität der Zellen, zur Höhe des Fiebers, zum Zeitpunkt und zum Behandlungsgebiet der lokalen Tiefenhyperthermie (inklusive Applikationsform). Allein schon die fehlenden Informationen über die konkrete Ausgestaltung der Therapie schließen es aus, die Ag im Hauptsacheverfahren zu einer Kostenübernahme zu verpflichten, sodass derzeit die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu verneinen sind. Jedoch müssen zu diesem Punkt weitere Ermittlungen durchgeführt werden. Ebenso auch zu der Frage, ob eine weitere antihormonelle Therapie möglich ist, und damit derzeit eine Standardtherapie der außervertraglichen Behandlung durch Herrn T. vorgehen würde.
Da im Antragsverfahren die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens nicht abschließend ermittelt werden können, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei steht das Interesse der Versichertengemeinschaft, unwirksame oder ausgeschlossene Behandlungsmethoden nicht erbringen zu müssen, zumal wenn sie relativ teuer sind, dem Interesse der Ast gegenüber, eine lebensbedrohliche Situation abzuwenden. Ein lebensbedrohlicher Zustand liegt unzweifelhaft vor. Ein möglicher Erfolg der Behandlung ist zumindest nicht auszuschließen. Eine Vorenthaltung der begehrten Behandlung hätte daher im Fall eines positiven Ausgangs des Hauptsacheverfahrens zur Folge, dass die Chance auf eine Lebensverlängerung möglicherweise zu spät käme. Da das Grundrecht der Ast nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG deutlich schwerer wiegt als die Belange der Versichertengemeinschaft, ist dem Antrag, zumindest teilweise, vorläufig zu entsprechen.
Im Rahmen des eingeräumten Ermessens sah sich das Gericht jedoch dazu veranlasst, lediglich einen weiteren (d.h. also den fünften) Zyklus der zweiwöchigen Therapie mit anschließender dreiwöchiger Erhaltungsphase zu genehmigen. Denn die von Herrn T. erhaltene Erklärung dafür, warum vier Zyklen, die nach seiner Internetseite normalerweise zur Grundimmunisierung eingesetzt werden, im Fall der Ast nicht ausreichend sind, kann nur als äußerst rudimentär bezeichnet werden. Offenbar beruht der Antrag auf weitere vier, d.h. insgesamt sieben Zyklen nur auf eigener Beobachtung, ohne Hinweis auf konkrete Erfahrungsberichte oder Studien. Auch unter Berücksichtigung der Interessen der Versichertengemeinschaft erscheint daher ein weiterer Zyklus ausreichend.
Die Ag war nicht zur Kostenübernahme für den bereits am 04.12.2007 begonnenen vierten Zyklus zu verpflichten. Die Gewährung einer vorläufigen Leistung ab einem Zeitpunkt vor der Entscheidung über die einstweilige Anordnung bzw. vor dem Eingang des Antrages auf einstweilige Anordnung bei Gericht kommt von vornherein nicht in Betracht, da der Erlass einer einstweiligen Anordnung eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung der Hauptsache zum Gegenstand hat, also eine in die Zukunft gerichtete Maßnahme ist (vgl. BayLSG, Beschluss vom 18.10.2004, L 4 B 462/04 KR ER). Die Verpflichtung der Ag zur Kostenübernahme bedeutet dabei nicht, dass diese unbesehen die Rechnung des Herrn T. zu begleichen hätte. Vielmehr hat eine Kostenerstattung unmittelbar an Herrn T. nur zu erfolgen, wenn eine den Vorgaben der GOÄ entsprechende Rechnung vorgelegt ist. Im Rahmen der Ermessensentscheidung war auch eine Befristung vorzunehmen, und zwar bezogen auf die voraussichtliche Dauer des fünften Zyklus mit anschließender Erhaltungstherapie.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 07.06.2010
Zuletzt verändert am: 07.06.2010