I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2005 verurteilt, die Kosten des Funktionstrainings (Wassergymnastik und Trockengymnastik jeweils 1 x pro Woche) für die Zeit vom 1. September 2005 bis 31. August 2007 zu übernehmen.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Kostenübernahme für weiteres Funktionstraining.
Der am 1933 geborene Kläger ist an Morbus Bechterew erkrankt. Ein Grad der Behinderung von 70 sowie das Merkzeichen G sind festgestellt. Er nimmt seit einigen Jahren und laufend am Funktionstraining teil, das von der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew e.V., Gruppe Augsburg angeboten wird. Bis März 2005 übernahm die Beklagte die Kosten hierfür nach entsprechender ärztlicher Verordnung. Für die Zeit ab 01.04.2005 legte der Kläger eine weitere Verordnung von Funktionstraining vom 14.03.2005 vor, ausgestellt durch die Praxis Dres. B./K … Die Beklagte lehnte am 15.03.2005 eine weitere Kostenübernahme ab und wies den dagegen eingelegten Widerspruch mit Bescheid vom 28.07.2005 zurück.
Am 26.08.2005 ging bei der Beklagten eine erneute Verordnung für Funktionstraining ein, ausgestellt am 26.08.2005 von Dres. B./K … Verordnet wurde Funktionstraining für 24 Monate, zweimal wöchentlich in Form von Trockengymnastik und Wassergymnastik. In einer zusätzlichen Bescheinigung zur ärztlichen Folgeverordnung für Funktionstraining kreuzten die Ärzte an, dass eine langfristige Durchführung des Übungsprogramms in Eigenverantwortung aufgrund krankheits- bzw. behinderungsbedingt fehlender Motivation nicht gegeben sei und diese Prognoseeinschätzung dauerhaft bestehe. Außerdem legte der Kläger ein Attest des Orthopäden Dr. H. vom 11.08.2005 vor. Danach sind regelmäßige Krankengymnastik und Atmungstraining für den Kläger lebenswichtig, was schon aus Motivationsgründen nach Möglichkeit in einer Gruppe durchgeführt werden solle. Aus medizinischen Gründen sei die Verordnung des Funktionstrainings unerlässlich. Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern ein. Dr. D. führte in einer Stellungnahme vom 30.08.2005 aus, dass nach der neuen Richtlinie die Voraussetzungen für einen medizinisch begründeten Ausnahmefall nicht vorliegen würden. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 15.09.2005 erneut die weitere Kostenübernahme für Funktionstraining ab.
Hiergegen legte der Kläger am 26.09.2005 Widerspruch ein. Er führte an, dass Funktionstraining unter Anleitung und Aufsicht einer ausgebildeten Therapeutin zwingend erforderlich sei. Außerdem verwies er auf andere Patienten in der Morbus-Bechterew-Gruppe Augsburg, denen die Weiterzahlung der Kosten von der Beklagten und anderen Kassen genehmigt worden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 10.11.2005 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 22.11.2005 zur Niederschrift beim Sozialgericht Augsburg Klage erhoben. Er hat sich auf die Bescheinigung seiner Ärzte zur Notwendigkeit des Funktionstrainings berufen. Das Gericht hat zur Beweiserhebung Befundberichte von Dr. H. und Dr. K. eingeholt und den Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie Dr. S. mit der Untersuchung und Begutachtung des Klägers beauftragt. In seinem Gutachten vom 03.03.2006 ist Dr. S. zu der Auffassung gelangt, dass Funktionstraining weiterhin für 24 Monate wie verordnet erforderlich sei. Nur durch regelmäßige Übungsanleitung könnten die Schmerzen gelindert, die Beweglichkeit erhalten und Kontrakturen verhindert werden. Aufgrund der fortgeschrittenen Veränderungen und der völligen Einsteifung der Wirbelsäule seien Selbsthilfe oder Krankengymnastik bzw. Bewegungsbäder in Eigenregie nur unzureichend. Würde das Funktionstraining unterbrochen, sei damit zu rechnen, dass innerhalb von Wochen, spätestens Monaten die Beweglichkeit insbesondere der Schultergelenke so hochgradig eingeschränkt sei, dass regelmäßige Krankengymnastik zu Lasten der Krankenkasse durchgeführt werden müsse sowie alternativ dazu regelmäßige Reha-Maßnahmen. Gegebenenfalls wären auch Injektionen, unter Umständen sogar Operationen notwendig. Wegen des fortgeschrittenen Krankheitsbildes seien eine Übungstherapie oder Bewegungsbäder in Eigenregie zwar eingeschränkt möglich, aber nicht so effektiv. Ohne laufende Überwachungen der Übungen bestehe auch die Gefahr von Gelenkverletzungen und Sehnenverletzungen. Die Beklagte hat sich demgegenüber unter Vorlage einer gutachtlichen Stellungnahme des Dr. D. vom 22.03.2006 darauf berufen, dass eine Motivationsstörung zur langfristigen Durchführung des Übungsprogramms in Eigenregie krankheits- oder behinderungsbedingt nicht gegeben sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2005 zu ver- urteilen, für den Zeitraum vom 01.09.2005 bis 31.08.2007 die Kosten für das von Dr. B. am 26.08.2005 verordnete Funktionstraining (Trockengymnastik und Wassergymnastik) je- weils einmal pro Woche) zu übernehmen.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 57 Abs. 1, 51 Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und auch begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Kostenübernahme für Funktionstraining für weitere 24 Monate wie vom Hausarzt verordnet. Der Bescheid der Beklagten vom 15.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2005 war daher aufzuheben und die Beklagte zu einer Kostenübernahme zu verurteilen.
Rechtsgrundlage für Funktionstraining ist § 43 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 44 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Danach werden die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ergänzt durch ärztlich verordnetes Funktionstraining in Gruppen unter fachkundiger Anleitung und Überwachung. Es handelt sich – anders als vor Inkrafttreten des SGB IX – um eine Rechtsanspruchsleistung. Eine Ermessensentscheidung des Rehabilitationsträgers erfolgt nicht. Konkretisiert wird der Leistungsanspruch auf Funktionstraining durch die "Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining vom 01.10.2003" (RaV), deren Ziel es ist, Reha-Sport und Funktionstraining im Rahmen der für die einzelnen Reha-Träger geltenden Vorschriften nach einheitlichen Grundsätzen zu erbringen bzw. zu fördern. Nach seiner Stellung in § 44 SGB IX, der mit "ergänzende Leistungen" überschrieben ist, handelt es sich beim Funktionstraining der Gesetzessystematik nach nicht um eine eigenständige Maßnahme der medizinischen Rehabilitation. Andererseits aber wird Funktionstraining nicht in direktem Zusammenhang mit einer anderen Rehabilitationsmaßnahme erbracht, sodass es sich trotz der systematischen Stellung um eine eigenständige Leistung der medizinischen Rehabilitation handelt. Daher ist auch § 26 Abs. 1 SGB IX zu beachten, wonach an Behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen die erforderlichen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erbracht werden, um Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten oder Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern. Ziffer 3 der RaV definiert Ziel, Zweck und Inhalt des Funktionstrainings. Er lautet:
"3.1 Funktionstraining kommt für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen in Betracht, um sie unter Beachtung der spezifischen Aufgaben des jeweiligen Rehabilitationsträgers möglichst auf Dauer in die Gesellschaft und das Arbeitsleben einzugliedern. Insbesondere kann Funktionstraining bei Erkrankungen oder Funktionseinschränkungen der Stütz- und Bewegungsorgane angezeigt sein. Ziffer 15.1 ist zu beachten.
3.2 Funktionstraining wirkt besonders mit den Mitteln der Krankengymnastik und/oder der Ergotherapie gezielt auf spezielle körperliche Strukturen (Muskeln, Gelenke usw.) der behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen, die über die notwendige Mobilität sowie physische und psychische Belastbarkeit für bewegungstherapeutische Übungen in der Gruppe verfügen, ein. Funktionstraining ist organorientiert.
3.3 Ziel des Funktionstrainings ist der Erhalt und die Verbesserung von Funktionen sowie das Hinauszögern von Funktionsverlusten einzelner Organsysteme/Körperteile, die Schmerzlinderung, die Beweglichkeitsverbesserung und die Hilfe zur Selbsthilfe. Hilfe zur Selbsthilfe hat zum Ziel, die eigene Verantwortlichkeit des behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen für seine Gesundheit zu stärken und ihn zum langfristigen, selbstständigen und eigenverantwortlichen Bewegungstraining im Sinne eines angemessenen Übungsprogramms auf eigene Kosten, z. B. durch die weitere Teilnahme an Bewegungsangeboten, zu motivieren.
3.4 Funktionstraining umfasst bewegungstherapeutische Übungen, die in der Gruppe unter fachkundiger Leitung vor allem durch Physiotherapeuten/-innen / Krankengymnasten/-innen im Rahmen regelmäßig abgehaltener Übungsveranstaltungen durchgeführt werden. Daneben können Gelenkschutzmaßnahmen und die Einübung im Gebrauch technischer Hilfen und von Gebrauchsgegenständen des täglichen lebens Bestandteil des Funktionstrainings sein."
Ziffer 4.4 der RaV bestimmt für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Leistungsdauer von Rehabilitationssport und Funktionstraining. Nach Ziffer 4.4.4 beträgt der Leistungsumfang des Funktionstrainings 12 Monate. Bei schwerer Beeinträchtigung der Beweglichkeit/Mobilität durch chronisch bzw. chronisch progredient verlaufende entzündlich rheumatische Erkrankungen (rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew, Psoriasisarthritis), schwere Polyarthrosen, Kollagenosen, Fibromyalgiesyndrom und Osteoporose beträgt der Leistungsumfang 24 Monate. Ansonsten ist nach Ziffer 4.4.1 eine längere Leistungsdauer nur möglich, wenn die Motivation zur langfristigen Durchführung des Übungsprogramms in Eigenverantwortung krankheits-/behinderungsbedingt nicht oder noch nicht gegeben ist.
Der Kläger hat bereits bis März 2005 mehr als 24 Monate Funktionstraining hinter sich. Auch ein Motivationsmangel liegt nicht vor, was schon alleine daraus ersichtlich ist, dass er seit 01.04.2005 ohne Kostenübernahme durch die Beklagte weiterhin an der Funktionstherapie in der Gruppe teilnimmt. Nach der RaV sind damit die Voraussetzungen für eine weitere Kostenübernahme von Funktionstraining nicht erfüllt, da die vorgesehene Leistungsdauer von 24 Monaten bereits ausgeschöpft ist.
Funktionstraining ist jedoch zur Überzeugung des Gerichts im Falle des Klägers weiterhin erforderlich und trotz der gegenteiligen Bestimmung einer Höchstleistungsdauer von 24 Monaten in der RaV weiterzugewähren, und zwar entsprechend der hausärztlichen Verordnung für nochmals 24 Monate.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist eine medizinische Rehabilitation in Form von Funktionstraining medizinisch erforderlich. Dabei stützt sich das Gericht auf das Gutachten des Dr. S … Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule des Klägers sind bereits vollkommen versteift, weshalb ein Erhalt der Beweglichkeit der oberen und unteren Extremitäten unbedingt erforderlich ist. Es besteht zudem eine hochgradige Bewegungseinschränkung der rechten und der linken Schulter, geringer beider Ellbogengelenke, der Handgelenke und der Fingergelenke. Zudem ist die Beweglichkeit der Hüftgelenke und der Kniegelenke über das altersübliche Maß hinaus eingeschränkt. Die Notwendigkeit laufender Übungen zum Erhalt der Beweglichkeit, zur Verhinderung von Fehlhaltungen und damit auch Minimierung von Schmerzen, ist daher zwanglos nach- vollziehbar. Wie Dr. S. auch ausführt, ist wegen des fortgeschrittenen Stadiums der Behinderung bei völliger Einsteifung der Wirbelsäule auch Selbsthilfe oder Krankengymnastik bzw. Bewegungsbäder in Eigenregie unzureichend. Fachkundige Überwachung und Anleitung zu den Übungen ist notwendig, da die Übungsbehandlung wegen des fortschreitenden Krankheitsbildes einem ständigen Wandel unterliegt. Zudem ist laut Dr. S. auch ohne laufende Überwachung der Übungen die Gefahr von Gelenkverletzungen oder Sehnenverletzungen nicht von der Hand zu weisen. Die Voraussetzungen für ein Funktionstraining, dessen Ziel der Erhalt und die Verbesserung von Funktionen sowie das Hinauszögern von Funktionsverlusten einzelner Organsysteme/Körperteile, die Schmerzlinderung, die Beweglichkeitsverbesserung und die Hilfe zur Selbsthilfe sind, sind damit erfüllt. Die Funktionstherapie dient auch im Sinne des § 26 Abs. 1 SGB IX dazu, eine Verschlimmerung der Behinderung zu verhüten und Pflegebedürftigkeit solange wie möglich zu vermeiden.
Der Anspruch auf Funktionstraining scheitert auch nicht an der zeitlichen Begrenzung auf 24 Monate nach Ziffer 4.4.4 der RaV. Denn diese Einschränkung ist zur Überzeugung des Gerichts nicht zu beachten. Maßgeblich bleibt die gesetzliche Grundlage des § 44 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX, wonach Funktionstraining eine Pflichtleistung ist. Der Gesetzestext kennt auch keine zeitliche Einschränkung für den Anspruch auf diese Pflichtleistung, wenn Funktionstraining dem Grunde nach erforderlich ist. Diese gesetzliche Regelung kann zur Überzeugung des Gerichts nicht durch eine Rahmenvereinbarung "unterlaufen" werden, für die in diesem Sinne auch keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage vorliegt. Rechtsgrundlage für die Erstellung von Rahmenvereinbarungen ist § 13 SGB IX, hier insbesondere Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 6 und 7. Die Rehabilitationsträger vereinbaren danach zur Sicherung der Zusammenarbeit gemeinsame Empfehlungen (Abs. 1) und darüber hinaus Empfehlungen, welche Maßnahmen nach § 3 geeignet sind, um den Eintritt einer Behinderung zu vermeiden sowie über die statistische Erfassung der Anzahl, des Umfangs und der Wirkung dieser Maßnahmen (Abs. 2 Nr. 1) sowie Empfehlungen, in welchen Fällen und in welcher Weise rehabilitationsbedürftigen Menschen notwendige Leistungen zur Teilhabe angeboten werden, insbesondere um eine durch eine Chronifizierung von Erkrankungen bedingte Behinderung zu verhindern (Abs. 2 Nr. 2). Dabei werden Verbände behinderter Menschen beteiligt (§ 13 Abs. 6 SGB IX). Aus den allenfalls einschlägigen § 13 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB IX lässt sich zur Überzeugung des Gerichts keine Ermächtigungsgrundlage für eine zeitliche Einschränkung des Anspruches auf Funktionstraining, einer laut Gesetzestext grundsätzlich unbefristeten Pflichtleistung, entnehmen, soweit Funktionstraining medizinisch erforderlich ist. Die strikte zeitliche Einschränkung auf 12 bzw. 24 Monate lässt sich auch nicht mit einer Fortführung der Gesamtvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining vom 01.01.1994 (RehaSpGVb) begründen, an die der Gesetzgeber laut seiner Gesetzesbegründung anknüpfen wollte (vgl. BT-Drucks. 14/5074, Art. 1 zu § 44). Zwar spricht der Gesetzgeber dort nur über eine Anknüpfung bezüglich des Reha-Sportes. Nichts anderes kann jedoch für das Funktionstraining gelten, das erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zusätzlich in § 44 SGB IX aufgenommen wurde. Die frühere RehaSpGVb kannte keine explizite zeitliche Begrenzung für Reha-Sport oder Funktionstraining. Die Maßnahmen waren aber auch nicht zeitlich uneingeschränkt zugänglich. Eine zeitliche Begrenzung ergab sich aus der Definition der Notwendigkeit für die Durchführung von Funktionstraining, die nach § 3 Abs. 2 nur solange vorlag, wie der Behinderte während des Funktionstrainings der Anleitung durch den Therapeuten bedurfte, also noch nicht über Fertigkeiten in den Bewegungsabläufen verfügte, die ihn in die Lage versetzten, das Funktionstraining selbstständig durchzuführen. Diese Selbstständigkeit konnte laut RehSpGVb bei bestimmten chronischen Krankheiten auch dauerhaft fehlen.
Da eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die zeitliche Beschränkung des Funktionstrainings auf 12 bzw. 24 Monate fehlt, ist Funktionstraining grundsätzlich auch über 24 Monate hinaus bei entsprechender ärztlicher Verordnung zu gewähren, wenn damit die Ziele des § 26 SGB IX und das in der Rahmenvereinbarung niedergelegte Ziel des Funktionstrainings erreicht werden, was hier der Fall ist. Ebenso wie in der alten RehaSpGVb ergibt sich immanent aus dem Ziel des Funktionstrainings eine zeitliche Beschränkung insofern, als die dem Funktionstraining immanente Hilfe zur Selbsthilfe zum Ziel hat, die eigene Verantwortlichkeit des behinderten Menschen für seine Gesundheit zu stärken und ihn zum langfristigen, selbstständigen und eigenverantwortlichen Bewegungstraining im Sinne eines angemessenen Übungsprogramms auf eigene Kosten zu motivieren. Ebenso wie bei der alten RehaSpGVb ist daraus zu schließen, dass Funktionstraining dann nicht erforderlich ist, wenn Übungen in Eigenregie ausreichen und eine laufende fachkundige Anleitung zur Durchführung der Übungen durch Physiotherapeuten und die Überwachung der Übungen nicht erforderlich ist. Vorliegend ist der Kläger jedoch nicht in der Lage, auf Dauer die Übungen nur in Eigenregie durchzuführen, vielmehr benötigt er wegen des fortgeschrittenen Krankheitsbildes laufende Überwachung und fachkundige Anleitung.
Zwar kann die Anleitung zur Durchführung von Übungen und deren Überwachung zur Vermeidung von fehlerhaften Übungen auch durch Serien von Krankengymnastik/Physiotherapie oder im Fall des Klägers zusätzlich Atemgymnastik erreicht werden. Ein Vorrang der ambulanten Krankenbehandlung in Form von Krankengymnastik vor Funktionstraining lässt sich jedoch § 43 SGB V und § 44 SGB IX nicht entnehmen. Eine Regelung wie in § 40 Abs. 1 SGB V, wonach vor Inanspruchnahme einer Leistung der medizinischen Rehabilitation zunächst die Maßnahmen der ambulanten Krankenbehandlung auszuschöpfen sind, existiert nicht. Auch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V ist durch die Weitergewährung von Funktionstraining nicht verletzt. Denn wenn der Kläger neben seinen täglichen Übungen in Eigenregie nicht mehr zweimal wöchentlich das Funktionstraining wahrnimmt, werden, wie Dr. S. überzeugend ausführt, in kurzer Zeit regelmäßig Krankengymnastikserien erforderlich für eine Anleitung zu den Übungen und Überwachung derselben. Angesichts der laufenden Kosten von 4,20 EUR je Übungsveranstaltung bei Trockengymnastik und 5,70 EUR bei Wassergymnastik, also 9,90 EUR wöchentlich würde sich bei laufender Notwendigkeit von Krankengymnastik ein- bis zweimal wöchentlich sicherlich im Verlauf der Verordnung von 24 Monaten ein erheblicher Kostenvorteil gegenüber laufender Krankengymnastik ergeben.
Die Beklagte war daher wie beantragt zu verurteilen, die Kosten des Funktionstrainings für den Zeitraum vom 01.09.2005 bis 31.08.2007 (d. h. 24 Monate nach der Verordnung von August 2005) zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 07.06.2010
Zuletzt verändert am: 07.06.2010