Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 21.08.2008 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig für die Zeit ab 10.07.2008 bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens verpflichtet, bei dem Antragsteller eine Pflichtversicherung durchzuführen und Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsteller versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ist.
Der 1961 geborene Antragsteller lebt aktuell in einer Einrichtung für behinderte Menschen. Er war bis zum 30.06.2003 in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt und bei der Antragsgegnerin gegen das Risiko Krankheit versichert. Seit Beendigung der Beschäftigung bezog er laufende Leistungen und Hilfen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. – seit dem 01.01.2005 – nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Nach Beendigung der Beschäftigung versäumte es die ehemalige Betreuerin des Antragstellers, seine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anzuzeigen. Auf eine im Oktober 2005 erstattete Anzeige lehnte die Antragsgegnerin die Durchführung einer freiwilligen Versicherung ab. Im Rahmen eines sich anschließenden Zivilrechtsstreits wurde die ehemalige Betreuerin vom Oberlandesgericht Hamm (OLG) verurteilt, an die Beigeladene 26.824,25 Euro nebst Zinsen zu zahlen (OLG Hamm, Urteil vom 08.08.2007, 13 U 75/07). Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sie aus übergegangenem Recht alle weitere Schäden ab 01.05.2005 zu ersetzen hat, die aus der unterlassenen Anmeldung zur gesetzlichen Pflegeversicherung entstanden sind und noch entstehen werden. Am 31.03.2008 schlossen die ehemalige Betreuerin, deren Vermögenshaftpflichtversicherung, der Beigeladene und der Antragsteller einen Abfindungsvergleich, der durch das Amtsgericht (AG) genehmigt wurde (Beschluss vom 11.04.2008). Aufgrund des dem Antragsteller aus diesem Vergleich zugeflossenen Betrags von 30.000,00 Euro lehnte der Beigeladene die Gewährung weiterer Leistungen und Hilfen nach dem SGB XII für die Zeit ab 01.04.2008 bestandskräftig ab (Bescheid vom 10.04.2008).
Die Antragsgegnerin lehnte auf eine Anzeige des Antragstellers vom 15.04.2008 sowohl die Durchführung einer freiwilligen Versicherung (Bescheid vom 18.04.2008) als auch die Durchführung einer Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ab (Bescheid vom 19.05.2008). Sie vertrat die Auffassung, dass der Antragsteller nicht "zuletzt gesetzlich krankenversichert" gewesen sei, da er bis zum 31.03.2008 Leistungsansprüche gegen den Beigeladenen gehabt habe. Mit dem Widerspruch machte der Antragsteller geltend, dass er keine andere Absicherung im Krankheitsfall habe und auch "zuletzt" gesetzlich krankenversichert gewesen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass er in der Zeit vom 01.07.2003 bis 31.03.2008 Leistungen von dem Beigeladenen erhalten habe, da er jedenfalls bis zum 30.06.2003 Mitglied der Antragsgegnerin gewesen sei.
Auf einen am 10.07.2008 bei dem Sozialgericht (SG) Dortmund gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragsteller rückwirkend ab dem 01.04.2008 vorläufig bis zum Abschluss der Hauptsacheverfahrens als Pflichtmitglied zu versichern. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Ablehnung von Leistungen und Hilfen nach dem SGB XII durch den Beigeladenen nicht deshalb erfolgt sei, weil dieser von einer vorrangigen Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausgehe, sondern deshalb, weil der Antragsteller nicht bedürftig sei. Das Merkmal "zuletzt gesetzlich krankenversichert" betreffe lediglich die Abgrenzung zur privaten Krankenversicherung.
Mit der am 09.09.2008 erhobenen Beschwerde hält die Antragsgegnerin daran fest, dass der Antragsteller nicht zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sei, da er Ansprüche gegen den Beigeladenen nach dem SGB XII gehabt habe. Zu Unrecht habe das SG den Eintritt der Versicherungspflicht bereits für die Zeit ab 01.04.2008 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens angeordnet und damit die Hauptsache vorweggenommen.
Einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung des angefochtenen Beschlusses gemäß § 199 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat abgelehnt (Beschluss vom 16.10.2008).
II.
Die zulässige Beschwerde ist nur im Hinblick darauf begründet, dass die Antragsgegnerin erst für die Zeit ab Eingang des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem SG (10.07.2008) vorläufig zur Durchführung einer Pflichtversicherung zu verpflichten war. Im Übrigen ist die Beschwerde jedoch unbegründet, weil das SG sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend von der Versicherungspflicht des Antragstellers nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausgegangen ist.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn der Antragsteller das Bestehen eines Rechtsverhältnisses glaubhaft macht, aus dem er eigene Ansprüche ableitet. Maßgeblich sind mithin grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Hauptsache (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 86b, Rn. 27 ff.). Ein Anordnungsgrund ist nur dann gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zuzumuten ist.
Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Die Voraussetzungen der Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sind im Hinblick auf den Antragsteller erfüllt. Danach sind Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und (a) zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder (b) bisher nicht gesetzlich krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in § 5 Abs. 5 SGB V oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten, in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Gemäß § 5 Abs. 8a Satz 1 und 2 SGB V ist indes nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versicherungspflichtig, wer nach Abs. 1 Nr. 1 bis 12 versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach § 10 familienversichert ist (Satz 1) oder wer Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII oder Empfänger laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) ist.
Der Beigeladene hat die (Weiter-) Gewährung von Leistungen der Grundsicherung (§§ 41 ff. SGB XII), laufenden Hilfen für den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen (§ 35 SGB XII), laufender Hilfe zur Pflege in Einrichtungen (§§ 61 ff. SGB XII) und Krankenhilfe (§ 48 SGB XII) für die Zeit ab 01.04.2008 mit Bescheid vom 10.04.2008 bestandskräftig abgelehnt, weil der Antragsteller nach dortiger Auffassung nicht bedürftig war. Der Antragsteller hatte damit unter Berücksichtigung des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes – auch vor dem Hintergrund, dass die Voraussetzungen einer freiwilligen Mitgliedschaft gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V und nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 SGB V (vgl. § 3 Satz 2 der Satzung der Antragsgegnerin) nicht erfüllt werden – keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Angesichts dessen besteht auch kein Nachrang gemäß § 5 Abs. 8a SGB V.
Wie das SG zutreffend herausgestellt hat, war der Antragsteller auch "zuletzt gesetzlich krankenversichert" i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 13a) SGB V. Gegen den Eintritt von Versicherungspflicht spricht nicht, dass der Antragsteller in der Zeit vom 01.07.2003 bis zum 31.03.2008 laufende Leistungen und Hilfen von dem Beigeladenen erhalten hat. Das Merkmal ist nämlich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht dahin auszulegen, dass der Zeit ohne Absicherung im Krankheitsfall einer Versicherung in der GKV unmittelbar vorausgegangen sein muss (so aber Baier in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung – Pflegeversicherung, § 5 SGB V, Rn. 80; SG Aachen, Beschluss vom 31.03.2008, S 20 SO 25/08 ER, Juris; vgl. auch Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 20.03.2007: Krankenversicherung und Pflegeversicherung der bisher Nichtversicherten nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zum 01.04.2007). Das Merkmal dient vielmehr der Abgrenzung zwischen GKV und Privater Krankenversicherung (PKV), so dass es nicht darauf ankommt, ob vor der Zeit der Nichtabsicherung eine Absicherung nach Maßgabe sozialhilferechtlicher Regelungen bestanden hat (vgl. Peters in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 5 SGB V, Rn. 166). Abgesehen davon ergäbe sich bei einer anderen Betrachtungsweise ein Wertungswiderspruch im Vergleich zu denjenigen Versicherten, die nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit.b SGB V versicherungspflichtig sind. Bei diesen Versicherten, die zu keiner Zeit gesetzlich oder privat krankenversichert waren, wird darauf abgestellt, ob sie ihrem Status nach der GKV oder der PKV zuzuordnen sind (vgl. Peters, a.a.O., Rn. 167 u. 169; Ulmer in: BeckOK SGB V, § 5, Rn. 68l; BT-Drs. 16/3100 S. 94 zu § 5). Im Ergebnis liefe die von der Antragsgegnerin bzw. von den Spitzenverbänden vertretene Auffassung darauf hinaus, dass diejenigen, die – wenn auch mit Unterbrechungen – in der Vergangenheit in der GKV versichert waren und ggf. mit ihren Beiträgen zur Finanzierung des Systems beigetragen haben, keine Mitgliedschaft begründen könnten, wohingegen bei Personen, die zu keinem Zeitpunkt einen tatsächlichen Bezug zur GKV hatten, allein aufgrund ihres (abstrakten) Status Versicherungspflicht eintritt.
Der Antragsteller hat ferner einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Wie das SG zutreffend dargelegt hat, kann er jederzeit erkranken oder einen Unfall erleiden. Auch wenn dem Antragsteller gegenwärtig noch eigene Mittel zur Verfügung stehen (Stand am 30.09.2008: ca. 10.800,- Euro bei saldierten monatlichen Verbindlichkeiten von ca. 3.000,- Euro), besteht insbesondere bei einem gravierenden Unfallereignis die Gefahr einer unvermittelt einsetzenden finanziellen Überforderung, so dass die Sicherstellung eines angemessenen Schutzes im Krankheitsfall notwendig ist. Abgesehen davon stellt sich der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung vor dem Hintergrund des Regelungszwecks des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V – Schutz im Krankheitsfall für sämtliche Einwohner – wie auch angesichts des Umstandes, dass Versicherungspflicht ersichtlich eingetreten ist, als erforderlich dar. Ein Verweis auf Krankenhilfe nach § 48 SGB XII scheidet bereits deshalb aus, weil im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG ein Verweis auf Sozialhilfe grundsätzlich nicht statthaft ist, zumal der Antragsteller gegenwärtig keine solchen Leistungen tatsächlich bezieht (vgl. nur Keller, a.a.O., Rn. 29 f., m.w.N.). Zudem ist fraglich, ob überhaupt ein Nachrang der Krankenhilfe gegenüber der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 07.02.2008, L 8 KR 218/07 ER, sozialgerichtsbarkeit.de).
Allerdings hat der Senat die Verpflichtung der Antragsgegnerin auf die Zeit ab Eingang des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem SG (10.07.2008) beschränkt und den angefochtenen Beschluss insoweit geändert. Es ist, wie die Antragsgegnerin zutreffend ausgeführt hat, in der vorliegenden Konstellation nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Anordnung bereits mit Wirkung für die Vergangenheit – mithin ab 01.04.2008 – erforderlich ist.
Aus der vom SG tenorierten Verpflichtung, den Antragsteller zu versichern, folgt ohne Weiteres, dass entsprechende Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren sind. Dies hat der Senat im Tenor klargestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Allein aufgrund des Umstandes, dass der Senat den zeitlichen Umfang der Anordnung begrenzt hat, erschien eine kostenmäßige Beteiligung des Antragstellers nicht geboten.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 21.10.2008
Zuletzt verändert am: 21.10.2008