Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Geldleistung der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I.
Der 1981 geborene Kläger leidet an einem Diabetes mellitus Typ I. Wegen dieser Erkrankung muß er eine strenge, genau berechnete Diät einhalten, Blut- und Urinzuckermessungen vornehmen, sich Spritzen setzen und ein Blutzucker-Tagebuch führen.
Am 24.04.1995 beantragte der Kläger ein Pflegegeld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. In einem auf Veranlassung der Beklagten eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) kam der beratende Arzt Dr. R. zum Ergebnis, daß Pflegebedürftigkeit nicht vorliege. Ein Hilfebedarf bestehe lediglich im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung beim "Kochen", weil der Kläger siebenmal täglich eine Diabetes-Diät erhalte. Die Mutter des Klägers sei zwar mit der Aufgabe der Kontrolle und Überwachung ihres Sohnes stark überlastet aus der Sorge heraus, daß gravierende Gesundheitsstörungen in Anbetracht des schwankenden Blutzuckerspiegels auftreten könnten; sie kontrolliere sehr oft, auch nachts; all dies seien jedoch Maßnahmen, die im Rahmen der Pflegeversicherung nicht gewertet werden könnten. Ein Hilfebedarf bei den Grundverrichtungen bestehe nicht.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers durch Bescheid vom 27.09.1995 ab.
Dagegen legte der Kläger am 27.10.1995 Widerspruch ein. Er trug vor, seine Behinderung mache eine Betreuung rund um die Uhr erforderlich. Neben den erforderlichen Blutzuckermessungen vier- bis sechsmal am Tag müßten morgendliche und abendliche Spritzen gesetzt, sieben Mahlzeiten pro Tag zubereitet und zwei- bis dreimal der Urin kontrolliert werden. Wegen der starken Zuckerschwankungen seien auch nächtliche Blutzuckerüberwachungen notwendig, um eine Unterzuckerung zu vermeiden. Beim Spritzen müsse immer einer zugegen sein, da es bei Verwirrtheit durch Unterzuckerung passieren könne, daß zuviel oder zuwenig gespritzt werde. Ähnlich verhalte es sich bei den Blutzuckermessungen, den Mahlzeiten oder auch beim morgendlichen Aufstehen.
Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des MDK – Dr. G. – durch Widerspruchsbescheid vom 17.10.1996 zurück: Die allgemeine Beaufsichtigung, die über die Sicherung der im Gesetz aufgezählten Verrichtungen (auch zur Vermeidung von Eigen- und Fremdgefährdung bei diesen) hinausgehe, sei bei der Bemessung des Hilfebedarfs nicht zu berücksichtigen. Blutzuckermessungen und Urinkontrollen gehörten in den Bereich der Behandlungspflege, die bei der Feststellung von Pflegebedürftigkeit nicht berücksichtigt werden dürfe.
Dagegen hat der Kläger am 20.11.1996 Klage erhoben. Er hat als täglichen Pflegebedarf angegeben:
– für Blutzuckermessungen, Urinkontrollen, Insulinspritzen und Blutzuckertagebucheintragungen 55 Minuten
– für Abwiegen, Zubereiten, Zusammenstellen der Mahlzeiten (Broteinheiten) 70 Minuten
– für den Einkauf der speziellen Diät 20 Minuten
– insgesamt 145 Minuten.
Hinzu kämen ärztliche Besuche, Medikamentenbesorgung und monatliche Kontrolluntersuchungen in der Diabetes-Ambulanz D. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Messen und Spritzen gehöre zur Ernährung, das Zubereiten der Broteinheiten zum mundgerechten Zubereiten der Nahrung. Im übrigen hat er auf ein Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27.06.1996 – S 23 P 63/95 – verwiesen, durch das einem zuckerkranken Kind ein Pflegegeld zuerkannt worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Sie hat ausgeführt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 27.06.1996 gehe an den Realitäten des Pflegeversicherungsgesetzes vorbei. Entgegen der in dieser Entscheidung vertretenen Auffassung werde das Setzen von Insulinspritzen in § 14 Abs. 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) nicht genannt und gehöre deshalb nicht zu den bei der Festsetzung der Pflegebedürftigkeit zu berücksichtigenden Verrichtungen; vielmehr gehöre dies zur Behandlungspflege, für die die gesetzliche Krankenversicherung zuständig sei. Die Zubereitung der Diät sei als "Kochen" zu bewerten und gehöre zur hauswirtschaftlichen Versorgung.
Durch Urteil vom 27.02.1997 hat das Sozialgericht Dortmund die Klage abgewiesen: Bei großzügiger Betrachtungsweise könne allenfalls ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege für die Verrichtung "mundgerechtes Zubereiten" der Nahrung angenommen werden, soweit dem Kläger im Bereich der unmittelbaren Vorbereitung der Nahrungsaufnahme geholfen werden müsse. Hier komme das Schmieren von Broten und die portionsgerechte Vorgabe mit Abwiegen der Diätportionen in Betracht. Allerdings sei auch zu berücksichtigen, daß der Kläger mit zunehmendem Alter diese Verrichtungen selbst übernehmen könne. Die täglich notwendigen Blutzuckerkontrollen mit Führen eines Blutzuckertagebuches und die Insulinspritzen könnten nicht der Verrichtung "Aufnahme der Nahrung" zugeordnet werden. Denn es handele sich dabei nicht um eine Hilfestellung, durch die die Nahrung vom Eßgeschirr bis zum Verdauungsorgan gelange. Durch die Blutzuckermessungen und die Spritzen würden dem Kläger nicht erst die Nahrungszufuhr ermöglicht, sondern vielmehr eine Stoffwechselstörung ausgeglichen. Da der Kläger somit allenfalls bei einer Verrichtung im Bereich der Grundpflege hilfsbedürftig sei, lägen die Voraussetzungen für die Leistungen nach der Pflegestufe I nicht vor.
Gegen das ihm am 07.04.1997 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.05.1997 Berufung eingelegt. Er räumt ein, daß er bei den wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege und im Bereich der Mobilität keiner Hilfe bedarf. Er ist jedoch der Auffassung, daß ein Hilfsbedarf im Bereich der Ernährung bzw. der hauswirtschaftlichen Versorgung bestehe. Zwar könne er die Nahrungsaufnahme als solche selbst bewerkstelligen; bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung bedürfe er aber der Hilfe Dritter insoweit, als seine Eltern nicht nur ständig die Nahrungszubereitung überwachen, sondern darüber hinaus auch selbst das Zubereiten übernehmen müßten. Ohne Insulin könne bei Diabetes-Kranken keine Nahrungsaufnahme erfolgen. Aus der Abhängigkeit zwischen Insulingabe und Nahrungsaufnahme folgert der Kläger, daß es sich beim Insulinspritzen um eine Verrichtung im Bereich der Ernährung handele. Diese gelte auch für das Zusammenstellen und Zubereiten der Diät. Vorsorglich sei auch daran zu denken, daß im Bereich der Mobilität ein Hilfebedarf beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen in Betracht komme; denn auch hierbei müsse er grundsätzlich von seinen Eltern überwacht und kontrolliert werden; er habe aufgrund seiner Krankheit erhebliche Schwierigkeiten, morgens wach zu werden und seinen Kreislauf in Schwung zu bringen. Die Kontrolle des Zu-Bett-Gehens sei dadurch begründet, daß er trotz seines Alters nicht an seine Krankheit und deren Folge denke. Auch insoweit ergebe sich ein dauernder Hilfebedarf.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Sie verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die nach ihrer Ansicht zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten. Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Pflegegeld abgelehnt. Einen Anspruch auf Pflegegeld haben nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI nur Pflegebedürftige. Der Kläger ist jedoch nicht pflegebedürftig im Sinne der gesetzlichen Regelungen.
Nach § 14 Abs. 1 SGB XI sind pflegebedürftig im Sinne des SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen. Nach Abs. 3 der Vorschrift besteht die Hilfe im Sinne des Abs. 1 in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtung im Ablauf des täglichen Lebens oder in Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtung. Nach Abs. 4 sind gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Sinne des Abs. 1
im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenentleerung,
im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung,
im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung,
im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
Nach § 15 Abs. 1 SGB XI sind für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XI pflegebedürftige Personen im Sinne des § 14 einer von drei gesetzlich näher umschriebenen Pflegestufen zuzuordnen. Voraussetzung für die Zuordnung zur niedrigsten Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) ist, daß die Person bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Nach Abs. 2 der Vorschrift ist bei Kindern für die Zuordnung der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muß wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI i.d.F. des Ersten SGB XI-Änderungsgesetz vom 14.06.1996 – BGBl. I S. 830, in Kraft ab 25.06.1996; vor dieser Änderung: § 15 Abs. 3 SGB XI i.V.m. Ziffer 4.1.1 der Pflegebedürftigkeits-Richtlinien nach § 17 SGB XI.
Allerdings ist zu berücksichtigen, daß auch gesunde Kinder bis zu einem gewissen Alter nicht in der Lage sind, einen Haushalt zu führen. Dies bedeutet im Hinblick auf § 15 Abs. 2 SGB XI jedoch nicht, daß kranke und behinderte jüngere Kinder niemals einer der drei Pflegestufen nach Abs. 1 zugeordnet werden könnten, weil dort stets auch ein hauswirtschaftlicher Hilfebedarf vorausgesetzt wird. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Pflegebedarfs von Kindern im Rahmen der Zuordnung zu einer Pflegestufe ein mehrfach wöchentlicher Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung nicht zu fordern (Hauck/Wilde, Kommentar zum SGB XI, Stand: 1997, § 15 Rn. 15; Kasseler Kommentar- Gürtner, SGB XI, § 15 Rn. 11; Udsching, SGB XI, 1995, § 15 Rn. 10; a.A. die "Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches" – Begutachtungsrichtlinien – vom 21.03.1997, die den Zeitbedarf für die hauswirtschaftliche Versorgung bei Kindern bis zum vollendeten 8. Lebensjahr als erfüllt ansehen, wenn ein über dem eines gesunden gleichaltrigen Kindes liegender hauswirtschaftlicher Versorgungsbedarf z.B. beim Kochen, Spülen, Wechseln oder Waschen der Wäsche bzw. Kleidung nachgewiesen ist, und bei Kindern zwischen dem vollendeten 8. und 14. Lebensjahr einen Mindesthilfebedarf von 30 Minuten in der Pflegestufe I und von jeweils 45 Minuten in den Pflegestufen II und III unterstellen). Die Altersgrenze, ab der zumindest eine Beteiligung an der hauswirtschaftlichen Versorgung erwartet werden kann, liegt bei 14 Jahren (Hauck/Wilde, a.a.O.; Begutachtungsrichtlinien, Abschn. D 5.0/I/7., S. 45). Die von Udsching (a.a.O.) angenommene Altersgrenze von 16 Jahren hält der Senat für zu hoch angesichts der allgemein bekannten Selbständigkeit und den Fähigkeiten Jugendlicher in diesem Alter. Oberhalb der Grenze, d.h. ab Vollendung des 14. Lebensjahres ist für die Zuordnung zu einer Pflegestufe gem. § 15 Abs. 1 Nrn. 1 – 3 SGB XI ein Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich. Das Außerachtlassen eines hauswirtschaftlichen Hilfebedarfs unterhalb der Altersgrenze von 14 Jahren führt jedoch nicht dazu, daß der für die Zuordnung zu einer Pflegestufe maßgebende Zeitaufwand gem. § 15 Abs. 3 SGB XI niedriger festzusetzen ist. Ausschlaggebend ist das objektive Zeitmaß, das ist wöchentlich im Tagesdurchschnitt in Pflegestufe I mindestens 90 Minuten, in Pflegestufe II mindestens 3 Stunden, in Pflegestufe III mindestens 5 Stunden (vgl. auch Udsching, a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist die hauswirtschaftliche Versorgung mitzuberücksichtigen und daher ein anspruchsbegründender Hilfebedarf auch in diesem Bereich erforderlich, da der Kläger weniger als 6 Monate (vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI: "für mindestens sechs Monate") nach der Antragstellung das 14. Lebensjahr vollendet hat und inzwischen fast 16 Jahre alt ist.
Der vom Kläger geltend gemachte Hilfebedarf begründet keine erhebliche Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe I. Die bei ihm bestehende Erkrankung – Diabetes mellitus Typ I – bedingt zwar, daß er eine strenge Diät einzuhalten hat. Die Mahlzeiten müssen nach sog. Broteinheiten berechnet und abgewogen werden. Diese Verrichtungen sind jedoch nicht dem Bereich der Ernährung gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI, sondern dem der hauswirtschaftlichen Versorgung gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI zuzuordnen; sie gehören nicht zum mundgerechten Zubereiten der Nahrung, sondern zum Kochen.
Bei dem Vorgang der Nahrungszubereitung macht das Kochen den größten Anteil aus. Es umfaßt die gesamte Zubereitung der Nahrung im weiteren Sinne einschließlich der Bedienung der technischen Geräte sowie die Aufstellung eines dem Alter und Gesundheitszustand entsprechenden Speiseplans. Auch die entsprechenden Reinigungs- und Wegräumtätigkeiten sind dieser Verrichtung zuzuordnen (Hauck/Wilde, a.a.O., § 14 Rn. 34d unter Hinweis auf die Pflegebedürftigkeits-Richtlinien nach § 17 SGB XI und die Begutachtungsrichtlinien der Pflegekassen). Zum Kochen gehören daher auch alle Verrichtungen, die dem eigentlichen Kochvorgang bzw. der Fertigstellung einer verträglichen Mahlzeit erst vorausgehen, wie das Kartoffelschälen, das Waschen und Zerkleinern des Gemüses, das Portionieren der Speisemengen entsprechend dem individuellen Eßbedarf, das Mischen, Anrühren, Würzen, Abschmecken der Speisen, das Garen und Braten. Von diesem umfassenden Vorgang der Nahrungszubereitung im Sinne des "Kochen", der zur hauswirtschaftlichen Versorgung gehört, ist im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten der Nahrung zu unterscheiden, das zur Grundpflege zählt. Da auch das Kochen Nahrungszubereitung ist, liegt das maßgebliche Abgrenzungsmerkmal im Begriff "mundgerecht". Dazu zählen die Tätigkeiten, die der unmittelbaren Vorbereitung der Aufnahme fester und flüssiger Nahrung dienen, z.B. das Bestreichen und Belegen von Broten, das Zerkleinern von Nahrungsmitteln in bissgerechte Portionen, das Kau- bzw. Schluckfertigmachen dieser Portionen usw. (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs zum SGB XI, BT-Drucks. 12/5262, S. 96, 97; Hauck/Wilde, a.a.O., § 14 Rn. 34b). Diese Gegenüberstellung macht deutlich, daß die Tätigkeiten des Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen der Speisen zur Herstellung der für den Kläger erforderlichen Diät einschließlich der Anleitung hierzu zur Nahrungszubereitung im weiteren Sinne gehört und damit dem "Kochen" im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen ist.
Allerdings hat das Sozialgericht Hamburg durch Urteil vom 27.06.1996 – 23 P 63/95 (Breithaupt 1997, S. 134) entschieden, daß bei einem an juvenilen Diabetes leidenden Kind das Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen der Mahlzeiten zum "mundgerechten Zubereiten der Nahrung" gehört. Zur Begründung hat es ausgeführt, "mundgerecht" sei angesichts der Behinderung eines Diabetikers nicht schon ein nur auf den Teller nebst Besteck gelegtes Essen, sondern erst ein in die jeweils passenden Broteinheitportionen aufgeteiltes Essen; ohne die umfangreichen Vorbereitungen der Mahlzeiten würden diese dem Diabetiker nicht "munden", sondern ihn im Gegenteil in Lebensgefahr bringen. Dieser Auslegung folgt der Senat nicht. Denn es geht bei der Verrichtung des "mundgerechten Zubereitens" nicht darum, daß die Nahrung schmeckt ("mundet"), sondern daß die fertige Mahlzeit in einen Zustand versetzt wird, daß sie in den Mund aufgenommen werden kann. Dieser Tätigkeit geht das "Kochen" im Sinne des oben beschriebenen allgemeinen Zubereitens einer verträglichen Mahlzeit voraus. Solange eine Mahlzeit des Klägers berechnet, zusammengestellt und abgewogen wird, steht noch keine "Diät"-Nahrung auf dem Tisch, die dann ggfls. noch "mundgerecht" zuzubereiten wäre. Solange aber noch keine Mahlzeit fertiggestellt ist, die nur noch mundgerecht zuzubereiten wäre, ist die Verrichtung des "Kochen" noch nicht abgeschlossen. Weder den Gutachten des MDK, noch ärztlichen Bescheinigungen behandelnder Ärzte, noch dem Vortrag des Klägers ist zu entnehmen, daß er nicht in der Lage wäre, sich selbst seine Diät-Mahlzeiten, wenn diese nach dem Vorgang der allgemeinen Zubereitung ("Kochen") auf den Tisch gelangen, mundgerecht zu bereiten, d.h. die mengenmäßig berechneten Brote mit dem mengenmäßig berechneten Aufstrich zu versehen oder die Speisen zu zerkleinern. Und er ist auch in der Lage, die Diät-Mahlzeiten selbständig und ohne Hilfe Dritter aufzunehmen. Weder die Ärzte noch der Kläger selbst haben gegenteiliges erklärt.
Das Spritzen des Insulin gehört nicht zur Nahrungsaufnahme. Der Kläger und auch das Sozialgericht Hamburg in der o.g. Entscheidung begründen ihre gegenteilige Ansicht damit, daß sich die Insulingabe nicht vom Essen trennen ließe; denn ohne die jeweils genau berechnete Insulinmenge hätte die Nahrungsaufnahme nicht die von § 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI erfaßte lebenserhaltene Funktion, sondern wäre stattdessen lebensbedrohlich. Diese Auffassung steht jedoch nicht im Einklang mit dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes. § 14 Abs. 1 SGB XI knüpft an "gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens" an, die wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht ohne Hilfe bewältigt werden können. Welche Verrichtungen berücksichtigungsfähig sind, ist in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt; genannt ist ein Katalog von gewöhnlichen Handlungen im Alltagsleben eines Jeden (also auch des Gesunden), zu denen auch die Nahrungsaufnahme zählt. Angesichts dessen würde der Wortsinn unzulässig überdehnt, zählt man zur Aufnahme der Nahrung anderes als das Essen und Trinken selbst. Darüber hinausgehende, nicht für jedermann alltägliche Maßnahmen zählen nicht dazu, selbst wenn sie – wie das Insulinspritzen bei Diabetikern – medizinisch notwendig sind, damit der Körper die aufgenommene Nahrung im Stoffwechsel verarbeiten kann. Es handelt sich bei diesen Maßnahmen vielmehr um im Gesetz nicht genannte andere Verrichtungen, die erst die körperliche Verarbeitung der hiervon zu unterscheidenden Nahrungsaufnahme unterstützen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.04.1996 (3 RK 28/95 = SozR 3- 2500 § 53 Nr. 10). Darin hatte das BSG für das bis zum 31.03.1995 geltende Recht gemäß §§ 53 ff SGB V entschieden, daß Maßnahmen der Behandlungspflege, die in den Leistungsbereich der Krankenversicherung fallen (§ 37 Abs. 2 SGB V), auch bei der Prüfung der Schwerpflegebedürftigkeit als Hilfebedarf berücksichtigt werden können. § 55 SGB V a.F. sei daher dahin auszulegen, daß "die Grundpflege auch solche im zeitlichen Zusammenhang mit den Katalogtätigkeiten erforderlichen Hilfeleistungen umfaßt, die die Verrichtung ermöglichen und die nicht die Fachkunde eines Gesundheitsberufs erfordern, also regelmäßig von Familienmitgliedern erbracht werden". Anders als die Pflegemaßnahmen in dem vom BSG entschiedenen Fall eines an Mucoviscidose leidenden Versicherten steht das Insulinspritzen eines Diabetikers nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer der in § 14 Abs. 4 SGB XI abschließend aufgezählten regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens in dem Sinne, daß sie diese Verrichtungen erst ermöglichen. Das Spritzen des Insulin ist für den Diabetiker ebenso lebensnotwendig wie die Einnahme gerinnungsfördernder Medikamente für Bluter oder gerinnungshemmender Präparate für Personen mit starker Thromboseneigung ("Marcumar-Patienten"). All diese Therapiemaßnahmen ermöglichen erst die Aktivitäten des täglichen Lebens, sind Voraussetzung für das Weiterleben der Betroffenen, ohne daß sie einer der im Gesetz genannten Verrichtungen konkret zugeordnet werden könnten. Der Kläger hat selbst anschaulich dargelegt, daß das Insulin ein Regulativ des Zuckerspiegels darstellt, der jedoch nicht nur durch die Nahrungsaufnahme, sondern auch durch die Verdauung, das Ausmaß der sportlichen Betätigung, das Aufstehen und Zu-Bett-Gehen beeinflußt wird. Die Insulingabe ist daher eine krankheitsspezifische Maßnahme, die allein in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung fällt. Entsprechendes gilt für die Blutzuckermessungen und die Urinkontrollen.
Auch die vom Kläger geltendgemachte Notwendigkeit ständiger Betreuung und Beaufsichtigung, um etwa im Falle einer Unterzuckerung sofort helfen zu können, kann nicht als anspruchsbegründender Pflegebedarf gewertet werden. Denn die berücksichtigungsfähige Anleitung und Beaufsichtigung im Sinne von § 14 Abs. 3 SGB XI zielt allein auf die in Abs. 4 der Vorschrift genannten Verrichtungen. Eine darüber hinausgehende Betreuung und allgemeine Beaufsichtigung gehört nicht zu den maßgeblichen Hilfeleistungen (BT-Drucks. 12/5262, S. 96).
Die vom Kläger "vorsorglich" zur Diskussion gestellte Hilfeleistung im Bereich der Mobilität beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen begründet ebenfalls keine Pflegebedürftigkeit. Wenn er Schwierigkeiten hat, morgens wach zu werden und abends zu gegebener Zeit ins Bett zu gehen, sind dies kaum krankheits-, sondern eher altersbedingte Probleme, die er mit vielen seiner gesunden Altersgenosse teilt. Abgesehen davon ist offensichtlich, daß die Überwachung/Kontrolle dieser Verrichtungen den vom Gesetz geforderten zeitlichen Umfang von 45 Minuten pro Tag nicht erreicht.
Da nach alledem zwar ein Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung besteht, nicht jedoch bei mindestens zwei Verrichtungen im Bereich der Grundpflege in zudem zeitlich relevantem Umfang, sind die Voraussetzungen für die Gewährung des beantragten Pflegegeldes nach der Pflegestufe I seit April 1995 nicht erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 17.08.2003
Zuletzt verändert am: 17.08.2003