I. Die Klage gegen die Bescheide vom 22. April 2009 in Ge-
stalt des Widerspruchsbescheides vom 7.September 2009
wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Weitergewährung einer Altersrente und einer Hinterbliebenenrente für die formell als Klägerin geführte Vermisste.
Die am 1925 geborene Klägerin ist bei der Polizei als vermisst gemeldet (Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft D-Stadt: ) und wird durch ihren Sohn vertreten, der über eine Betreuungsvollmacht verfügt. Sie wohnte zuletzt in einem Pflegeheim mit der in der Klageschrift angegebenen Anschrift. Die an Demenz erkrankte Klägerin entfernte sich am 10.08.2008 zwischen 7:00 Uhr und 8:00 Uhr aus dem Pflegeheim und wurde seit dieser Zeit auch nach umfangreichen Such- und Fahndungsmaßnahmen nicht wieder aufgefunden.
Sie bezog im Zeitpunkt ihres Verschwindens eine Altersrente aus eigener Versicherung (Aktenzeichen …) sowie eine Witwenrente (Aktenzeichen …). Der Sohn verständigte die Beklagte telefonisch am 19.09.2008 vom Verschwinden seiner Mutter und bat um Einstellung der Rentenzahlung. Dieses erfolgte dann durch die Beklagte am 26.09.2008.
Die Prozessbevollmächtigten wandten sich dann mit Schriftsatz vom 22.01.2009 an die Beklagte und forderten Wiederaufnahme der Rentenzahlung unter Bezug auf ein Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 24.05.2007 (Aktenzeichen S 26 278/06). Die Beklagte nahm daraufhin die Zahlung der Altersrente und der Witwenrente wieder auf. Gleichzeitig forderte sie die Klägerin über Schreiben an den Prozessbevollmächtigten vom 25.02.2009 dazu auf, eine Lebensbescheinigung der Wohnsitzgemeinde vorzulegen beziehungsweise beim örtlich zuständigen Versicherungsamt bis 16.04.2009 vorzusprechen. Die Beklagte verwies auf die Mitwirkungspflichten nach § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sowie auf die Möglichkeit der Versagung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Mit Bescheid vom 22.04.2009 entzog die Beklagte die Hinterbliebenenrente und die Altersrente für die Zeit ab 01.06.2009 (damalige Höhe 63,52 EUR beziehungsweise 914,68 EUR monatlich) wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I.
Dagegen legten die vom Sohn beauftragten Prozessbevollmächtigten am 04.05.2009 Widerspruch ein. Zur Begründung trugen sie vor, dass ein wirksamer Zugang des Bescheides mangels Bestellung eines Abwesenheitspflegers bestritten werde. Es obliege der Beklagten nicht, praktisch einseitig eine Todeserklärung vorzunehmen. Dies könne auch nicht über den Umweg der Verletzung von Mitwirkungspflichten kreiert werden. Die gesetzliche Regelung, nach der sich die Beklagte von ihren Zahlungspflichten befreien könne, finde sich alleine im Verschollenheitsgesetz (VerschG). Eine Ermessensausübung sei gar nicht möglich, da der gesetzliche Weg über das VerschG Vorrang habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 07.09.2009 zurück.
Dagegen haben die Bevollmächtigten am 09.10.2009 zum Sozialgericht Augsburg Klage erhoben. Ziel ist die Weiterzahlung der Altersrente und der Witwenrente. Zur Begründung haben sich die Bevollmächtigten darauf berufen, dass eine indirekte Todeserklärung unter Umgehung der Vorschriften des VerschG nicht dadurch erfolgen könne, dass man der verschollenen Person Mitwirkungspflichten auferlege, die sie aufgrund des Umstandes ihres nicht bekannten Aufenthalts nicht zu erfüllen in der Lage sei. Das Vorgehen der Beklagten sei insofern rechtswidrig. Da die Klägerin seit 10.08.2008 verschollen sei, könne sie auch nicht zu einer Mitwirkung verpflichtet werden, zumal sie nach § 10 VerschG als weiter lebend gelte. Aufgrund der Verschollenheit habe ihr nicht zugemutet werden können, eine Lebensbescheinigung vorzulegen, eine Mitwirkungspflicht habe tatsächlich nicht bestanden. Die Mitwirkung sei objektiv unmöglich gewesen. Zudem fehle es an einem wirksamen vorherigen Hinweis über die Versagung der Leistungen, da die Klägerin aufgrund ihrer Verschollenheit postalisch nicht erreichbar gewesen sei. Der Hinweis an die Prozessbevollmächtigten sei nicht ausreichend. Auch eine analoge Anwendung von § 49 SGB VI scheide aus.
In der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2010 hat der anwesende betreuungsbevollmächtigte Sohn erklärt, das Zimmer seiner Mutter im Pflegeheim bereits im Oktober 2008 geräumt zu haben. Laufende Ausgaben gebe es nicht. Das Girokonto sei aufgelöst. Die dort eingegangenen Zahlungen habe er auf ein Sparbuch auf seinen Namen überwiesen. Einem vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich hat der Klägerbevollmächtigte zugestimmt. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 30.03.2010 erklärt, dem Vergleichsvorschlag nicht zuzustimmen. Die Klägerin sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben. Vor diesem Hintergrund könne der Versichertengemeinschaft eine Wideraufnahme der Rentenzahlungen nicht zugemutet werden. Solle sich – wider jegliche Lebenserwartung – herausstellen, dass sie (nachweislich) noch lebe, würden die Renten selbstverständlich rückwirkend wieder angewiesen.
Die Bevollmächtigten der Klägerin beantragen:
Der Bescheid der Beklagten vom 22.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2009 wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung erfolgt gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren, da die Beteiligten damit ihr Einverständnis erklärt haben.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist nicht zulässig.
Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 51 Abs. 1, 8 SGG zur Entscheidung des Rechtsstreits sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich nicht unmittelbar aus dem SGG. § 57 SGG ist nicht anwendbar, da es sich bei der in der Klageschrift angegebenen Wohnanschrift nicht um den aktuellen Wohnsitz beziehungsweise gewöhnlichen Aufenthaltsort der Klägerin handelt. Angegeben wurde die Anschrift des Pflegeheimes, wo der Sohn jedoch bereits im Oktober 2008 das Zimmer aufgelöst hat, so dass dort tatsächlich kein Wohnsitz mehr besteht, auch wenn die Klägerin dort noch gemeldet sein sollte. Das SGG selbst kennt keine Regelung zur Zuständigkeit, wenn der Wohnsitz unbekannt ist. Über § 202 SGG i.V.m. § 16 Zivilprozessordnung (ZPO) ist jedoch auf den letzten Wohnsitz als allgemeinen Gerichtsstand abzustellen (Bundessozialgericht – BSG – v. 02.04.2009 – B 12 SF 8/08 S).
Für die Klage fehlt es jedoch an einem Rechtsschutzbedürfnis der als Klägerin geführten Vermissten. Grund dafür ist, dass der Bescheid vom 22.04.2009 keine endgültige Regelung enthält, sondern nach § 67 SGB I bei Nachholung der Mitwirkung die Leistung vollständig wieder erbracht werden kann. Die Beklagte hat auch entsprechend erklärt, dass bei Weiterleben der Versicherten die Leistungen wieder angewiesen werden. Zudem hat die Klägerin selbst auch keinerlei Ausgaben, zu deren aktueller Bestreitung die Renten herangezogen werden müssten. Überdies existiert noch nicht einmal ein Girokonto der Klägerin, auf das die Rente überwiesen werden könnte, die der vermissten Klägerin selbst und nicht ihrem Sohn zusteht, auch wenn in der mündlichen Verhandlung der Eindruck entstanden ist, dass er selbst sich als eigentlichen Kläger und Rentenempfänger sieht. Entscheidend ist jedoch nicht das Rechtsschutzinteresse des betreuungsbevollmächtigten Sohnes und alleinigen gesetzlichen Erben, sondern dasjenige der Rentenbezieherin, die nicht gleichzustellen sind.
Die Klage war daher als unzulässig abzuweisen.
Überdies ist die Klage auch unbegründet.
Eine Entziehung wegen fehlender Mitwirkung nach § 66 Abs. 1 SGB I war zur Überzeugung des Gerichts möglich.
Formal wurde die Versicherte gemäß § 66 Abs. 3 SGB I auf die Folgen der fehlenden Mitwirkung hingewiesen. Dies geschah mit Schreiben vom 25.02.2009 an die Prozessbevollmächtigten, die wiederum im Auftrag des betreuungsbevollmächtigten Sohnes die Klägerin vollumfänglich vertreten haben. Anders als bei einem Abwesenheitspfleger nach § 1911 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der nur im Hinblick auf das Vermögen eines Verschollenen zur Vertretung bestellt wird, und der deshalb die Aufforderung zur Beibringung einer Lebensbescheinigung nicht wirksam entgegennehmen kann, besteht hier vollumfängliche Vertretung durch einen Betreuungsbevollmächtigten. Wirksame Zustellungen an eine Person unbekannten Aufenthalts sind im Wege öffentlicher Zustellung (§ 10 Verwaltungszustellungsgesetz) möglich, wobei die öffentliche Zustellung dann nicht stattfindet, wenn – so wie hier – ein Vertreter bestellt ist.
Renten werden grundsätzlich nur an lebende Personen geleistet. Dies ergibt sich aus § 102 Abs. 5 SGB VI, wonach die Rente nur bis zum Ende des Kalendermonats geleistet wird, in dem der Berechtigte gestorben ist. Aus dieser Grundvoraussetzung, dass Renten nur an lebende Personen geleistet werden, ergibt sich auch die Berechtigung des Rentenversicherungsträgers, eine "Lebensbescheinigung" beziehungsweise die persönliche Vorsprache bei Zweifeln am Leben des Rentenbeziehers zu verlangen. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem VerschG. Zwar wird nach § 10 VerschG vermutet, solange ein Verschollener nicht für tot erklärt ist, dass er bis zu dem in § 9 Abs. 3, 4 genannten Zeitpunkt weiterlebt oder gelebt hat. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine Fiktion, mit der eine zu frühe Todeserklärung verhindert werden soll, und nicht um den positiven Nachweis des Weiterlebens, der für eine Rentenzahlung erforderlich wäre.
Ermessen wurde von der Beklagten ausgeübt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 23.04.2013
Zuletzt verändert am: 23.04.2013