Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.05.2005 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine Regelaltersrente. Streitig ist dabei insbesondere, ob Arbeitszeiten der Klägerin im Ghetto Nowogrodek (ehemaliges Reichskommissariat Ostland) von September 1941 bis Juni 1942 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen sind.
Die am 00.00.1929 in D (Polen) geborene Klägerin ist jüdischer Abstammung. Im Jahre 1969 wanderte sie nach Israel aus und erwarb die israelische Staatsangehörigkeit.
Im Oktober 1999 beantragte sie bei der Claims Conference Entschädigungsleistungen aus dem Fonds für jüdische Zwangsarbeiter. In dem Antragsformular vom 18.10.1999 gab sie an, nach der Besetzung der Stadt Nowogrodek trotz ihres jugendlichen Alters zu verschiedenen Reinigungsarbeiten gezwungen worden zu sein. Im September 1941 sei sie mit ihren Eltern in das Ghetto Nowogrodek eingewiesen worden. Dort habe sie bis zu ihrer Überführung in das Zwangsarbeitslager Nowogrodek im Juni 1942 weiter Zwangsarbeit leisten müssen. Auch im Zwangsarbeitslager habe sie weiterhin unentgeltlich Zwangsarbeit verrichtet. Sie hätten fast nichts zu essen bekommen, hätten bei Kälte und Nässe in unzureichender Kleidung gearbeitet und seien mißhandelt worden.
Am 05.02.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente unter Anerkennung einer Beitragszeit nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). In dem Antragsformular vom 14.04.2003 gab die Klägerin an, von September 1941 bis Juni 1942 im Ghetto Nowogrodek verschiedene Arbeiten in einem Umfang von 60 Stunden wöchentlich verrichtet zu haben. Die Frage nach dem Arbeitsverdienst – gefragt war nach der Höhe des wöchentlichen/monatlichen Entgelts, ggf. Art und Umfang der Sachbezüge (z.B. Kost, Logie, Deputat)) – beantwortete sie nicht. In dem Fragebogen zum ZRBG vom 14.04.2003 führte die Klägerin ergänzend aus, sie habe im Ghetto Nowogrodek in der Küche täglich 10 Stunden Reinigungsarbeiten verrichtet. Sie habe diese Beschäftigung freiwillig durch eigene Bemühungen erhalten und sei durch größere Lebensmittelrationen sowie Essen am Arbeitsplatz entlohnt worden.
Nach Beiziehung der Entschädigungsakten von der Claims Conference lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 27.05.2004 mit der Begründung ab, dass die Klägerin nicht glaubhaft gemacht habe, im Ghetto Nowogrodek einer versicherungspflichtigen, entgeltlichen Beschäftigung nachgegangen zu sein. Abgesehen davon, dass die Klägerin gegenüber der Claims Conference von unentgeltlicher Zwangsarbeit gesprochen habe, stelle der behauptete Bezug von Lebensmitteln kein Entgelt im Sinne des ZRBG dar.
Zur Begründung ihres gegen diesen Bescheid am 03.06.2004 eingelegten Widerspruchs führte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten aus, sie habe zwar im Zwangsarbeitslager Nowogrodek, nicht aber zuvor im Ghetto unentgeltlich gearbeitet. Ihre diesbezüglichen Angaben gegenüber der Claims Conference seien mißverständlich. Korrekterweise habe sie dort angeben müssen, im Zwangsarbeitslager Nowogrodek weiterhin Zwangsarbeit, nunmehr unentgeltlich, verrichtet zu haben. Sie sei nicht bereit, zu der schrecklichen Zeit der Verfolgung beschönigende Angaben über die gute Beschäftigung im Ghetto und eine über das notwendige Maß hinausgehende Verpflegung zu machen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 09.11.2004, abgesandt am 10.11.2004, wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Mit ihrer am 13.12.2004 beim Sozialgericht Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und durch ihren Prozessbevollmächtigten vorgetragen, für die geltend gemachte Beschäftigung im Ghetto Nowogrodek größere Lebensmittelrationen und Essen am Arbeitsplatz erhalten zu haben.
Mit Urteil vom 17.05.2005 hat das Sozialgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin nicht glaubhaft gemacht habe, im Ghetto Nowogrodek von September 1941 bis Juni 1942 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen zu sein. Einer aus eigenem Willensentschluß zustande gekommenen Beschäftigung ständen bereits ihre Angaben gegenüber der Claims Conference, im Ghetto Nowogrodek zu Zwangsarbeiten herangezogen worden zu sein, entgegen. Darüber hinaus reiche der Erhalt von Essen am Arbeitsplatz und größeren Lebensmittelrationen nicht aus, um ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis im Sinne des ZRBG anzunehmen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 04.07.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.07.2005 Berufung eingelegt. Sie meint, die Verwendung des Begriffs Zwangsarbeit im Entschädigungsverfahren stehe der Annahme eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht entgegen. Die überwiegende Anzahl der verfolgten Juden habe jegliche Arbeit unter deutscher Besetzung als zwanghaft empfinden müssen und folglich als Zwangsarbeit bezeichnet oder entsprechend beschrieben. Im Hinblick auf die Entgeltlichkeit ihrer Beschäftigung – so der Prozessbevollmächtigte – seien der Klägerin nach 64 Jahren zwar lediglich größere Lebensmittelrationen und Essen am Arbeitsplatz in Erinnerung geblieben. Jüdische Beschäftigte im Generalbezirk Weißruthenien, in dem das Ghetto Nowogrodek gelegen haben, hätten aber damals Barentlohnungen nach Tarif erhalten. Dies ergebe sich aus der Verordnung des Stadtkommissars der Stadt Minsk über den Arbeitseinsatz, Verpflegung und Entlohnung der Juden vom 25.08.1942, nach der auch die Klägerin für ihre Arbeiten habe entlohnt werden müssen. Da die seinerzeit noch jugendliche Klägerin mit ihren Eltern zusammen im Ghetto gelebt und gearbeitet habe, bestehe im Übrigen die gute Möglichkeit, dass der ihr zustehende Barlohn ohne ihr Wissen an ihre Eltern ausgezahlt worden sei. Auf Anfrage des Senats hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ergänzend mitgeteilt, Arbeitgeber der Klägerin sei das Ghetto Nowogrodek selbst gewesen. Die Klägerin habe sich freiwillig beim Judenrat gemeldet und dieser habe ihr die Arbeit vermittelt. Sie habe in der Ghettoküche Küchengeräte, den Kochbezirk und den Boden gereinigt. Darüber hinaus habe sie verlassene jiddische Wohnungen gereinigt. Für die Reinigungsarbeiten in der Küche habe sie Wassersuppe mit Kartoffeln erhalten. Als zusätzliche Lebensmittelrationen habe sie von dem Tagesverantwortlichen eine Tagesration der Reste erhalten, die an dem jeweiligen Tag gekocht worden seien. Es gebe Zeugen, die ihre Angaben bestätigen könnten.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.05.2005 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 27.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2004 zu verurteilen, ihr unter Anerkennung einer Ghettobeitragszeit von September 1941 bis Juni 1942 ab dem 01.07.1997 Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit gemäß § 124 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich zuvor mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt habe.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klage ist zwar zulässig. Insbesondere wurde die am 13.12.2004 beim Sozialgericht eingegangene Klage gemäß § 87 Abs.1 und 2 SGG fristgerecht erhoben; denn der am 10.11.2004 abgesandte Widerspruchsbescheid galt nach § 37 Abs.2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als am dritten Tag nach Aufgabe zur Post (hier:13.11.2004) als zugestellt, so dass die am 14.11.2004 beginnende Klagefrist erst am 13.12.2004 ablief (vgl. § 64 Abs.1 und 2 SGG).
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2004 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht gemäß § 54 Abs.2 SGG in ihren Rechten. Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Regelaltersrente hat.
Nach § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat ein Versicherter Anspruch auf Altersrente, wenn er das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hat. Zwar hat die Klägerin das 65. Lebensjahr bereits im Dezember 1994 vollendet. Sie kann jedoch die erforderliche Wartezeit nicht vorweisen. Als anrechnungsfähige Versicherungszeiten kommen insoweit Beitrags- und Ersatzzeiten im Sinne der §§ 50 Abs.1 Nr.1, 51 Abs.1 und Abs.4 SGB VI in Betracht. Dabei finden nach § 250 Abs.1 SGB VI Ersatzzeiten als rentenrechtliche Zeiten allerdings nur dann Berücksichtigung, wenn vor Beginn der Rente zumindest ein Beitrag wirksam entrichtet worden ist oder als wirksam entrichtet gilt; denn Ersatzzeiten sollen nach dem Gesetz nur Versicherten, d.h. Personen zugute kommen, die bereits Beitragsleistungen erbracht haben (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, § 250 SGB VI RdNr. 10; Schmidt in Kreikebohm, SGB VI, 2. Aufl., § 250 RdNr. 6; BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).
Die Klägerin hat jedoch keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt. Gemäß §§ 55 Abs.1, 247 Abs.3 S.1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Nach § 2 Abs.1 ZRBG gelten für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto Beiträge als gezahlt und werden als sog. "Ghetto-Beitragszeiten" bei der Anrechnung auf die Wartezeit als Beitragszeiten berücksichtigt. Bei der von der Klägerin behaupteten Beschäftigung im Ghetto Nowogrodek von September 1941 bis Juni 1942 handelt es sich jedoch nicht um eine "Ghetto-Beitragszeit" in diesem Sinne, weil die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 S.1 ZRBG nicht erfüllt sind. Danach erhalten Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) Leistungen nach dem ZRBG, die (1.) sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, welches sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, und (2.) dort eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt haben. Insoweit mag dahin stehen, ob diese Beschäftigung nachgewiesen oder – in entsprechender Anwendung des § 4 Fremdrentengesetz (FRG) bzw. § 3 des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) – lediglich glaubhaft gemacht sein muss; denn die Klägerin hat schon nicht glaubhaft gemacht, in der streitgegenständlichen Zeit eine aus eigenem Willensentschluss zustandegekommene, entgeltliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs.1 ZRBG ausgeübt zu haben.
Glaubhaft gemacht ist eine Tatsache, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. § 4 Abs.1 FRG, § 3 Abs.1 WGSVG). Glaubhaftmachung bedeutet danach mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es genügt die "gute Möglichkeit", dass der entscheidungserhebliche Vorgang sich so zugetragen hat, wie behauptet wird. Es muss also mehr für als gegen den behaupteten Sachverhalt sprechen. Dabei sind gewisse noch verbleibende Zweifel unschädlich (vgl. BSG SozR 3-3900 § 15 Nr.4).
Nach der insoweit erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände mag es unter Berücksichtigung der im wesentlichen einheitlichen Angaben der Klägerin gegenüber der Claims Conference und in ihrem Rentenverfahren zwar überwiegend wahrscheinlich sein, dass sie sich von September 1941 bis Juni 1942 im Ghetto Nowogrodek aufgehalten und dort Reinigungsarbeiten verrichtet hat. Es ist jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass es sich dabei um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handelte.
Auch bei Arbeiten, die unter den allgemeinen Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verrichtet wurden, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine von den Merkmalen der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit bestimmte Beschäftigung, die grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliegt, von nichtversicherungspflichtiger Zwangsarbeit abzugrenzen (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr. 2,3; BSG SozR 3-2200 § 1248 Nr.15, 16, 17). Dabei ist das Vorliegen eines – freien – Beschäftigungsverhältnisses danach zu beurteilen, ob die Beschäftigung im Sinne des Arbeitsrechts aufgrund einer zweiseitigen Vereinbarung aufgenommen wurde und den Austausch wirtschaftlicher Werte (Arbeit gegen Lohn) zum Inhalt hatte. Die Ausübung einer Beschäftigung im Sinne von "Zwangsarbeit” genügt dazu nicht (BSG SozR 3-5070 § 14 Nr.2 S.6 ff und Nr.3 S.18 ff). Zwangsarbeit ist in Abgrenzung zur versicherungspflichtigen Beschäftigung die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang, wie z.B. bei Strafgefangenen und Kriegsgefangenen oder in Zwangsarbeitslagern (vgl. z.B. BSGE 80, 250, 253 = SozR 3-2200 § 1248 Nr.15). Typisch ist dabei insbesondere die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeiten, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Weiter ist charakteristisch für Zwangsarbeit, dass ein Entgelt für die individuell geleistete Arbeit nicht oder nur in geringem Maße an die Arbeiter ausgezahlt wird (vgl. hierzu BSGE 38, 245 = SozR 5070 § 14 Nr.12; BSG, Urteil vom 20.02.1975 – 4 RJ 15/74 -; BSG SozR 5070 § 14 Nr.9). Entsprechendes gilt für die Bewachung der Arbeiter während der Arbeit, um zu verhindern, dass diese sich aus dem obrigkeitlichen Gewahrsam entfernen können (zur Abgrenzung vgl. BSGE 12, 71 = SozR Nr. 18 zu § 537 RVO). Diese Kriterien zeigen, dass eine verrichtete Arbeit sich um so mehr von dem Typus des Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnisses entfernt und dem Typus der Zwangsarbeit annähert, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 71/99 R). Diese Grundsätze gelten auch für Rentenansprüche, die – wie hier – auf das ZRBG gestützt werden. Mit § 1 Abs.1 ZRBG, der die Zahlbarmachung einer Rente nur für aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene, gegen Entgelt ausgeübte Beschäftigungen in einem Ghetto vorsieht, knüpft der Gesetzgeber erkennbar an die von der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Kriterien der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit für eine versicherungspflichtige Beschäftigung in einem Ghetto an. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 1 Abs.1 S.1 ZRBG als auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/8583, S.1, 5; 14/8602, S.1,5). Danach ist das ZRBG ausdrücklich in Reaktion (und Akzeptanz) der Rechtsprechung des BSG verabschiedet worden, um – entgegen § 272 SGB VI – in vielen Fällen die daraus resultierenden Rentenansprüche in das Ausland erst zahlbar zu machen. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises über den von der "Ghetto-Rechtsprechung" begünstigten hinaus ist hingegen ersichtlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen (BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).
Unter Berücksichtigung der Kriterien des BSG zur Abgrenzung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu nichtversicherter Zwangsarbeit ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin im Ghetto Nowogrodek einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen, entgeltlichen Beschäftigung nachgegangen ist.
Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass den von ihr dort ausgeübten Arbeiten der freie Willensentschluss der Klägerin zugrunde lag. Zwar hat die Klägerin im Rentenverfahren angegeben, die geltend gemachten Reinigungsarbeiten in der Küche des Ghettos durch eigene Bemühungen und Vermittlung des Judenrates freiwillig aufgenommen zu haben. Abgesehen davon, dass eine etwaige Zuweisung oder Vermittlung der Arbeit durch den Judenrat allein kaum ausreicht, um die Freiwilligkeit der verrrichteten Arbeiten zu bejahen (vgl. BSG, Urteil vom 07.10.2004, B 13 RJ 59/03 R), ist es unter Berücksichtigung ihres – zeitnäheren – Vorbringens gegenüber der Claims Conference jedenfalls ebenso gut möglich, dass es sich dabei um Arbeiten handelte, die dem Typus der Zwangsarbeit entsprachen, weil sie durch derart hoheitliche Eingriffe überlagert waren, dass sich die Klägerin ihnen nicht entziehen konnte. Gegenüber der Claims Conference gab sie im Oktober 1999 selbst an, im Ghetto Nowogrodek habe sie Zwangsarbeit leisten müssen. Es mag zwar sein, dass der Klägerin anlässlich ihrer damaligen Erklärung nicht die rechtliche Ausprägung des Begriffs der Zwangsarbeit bekannt und bewusst war. Das Wort Zwang hat jedoch – neben seiner inhaltlichen Bedeutung in dem Rechtsbegriff der "Zwangsarbeit" – auch und insbesondere einen allgemein gültigen Sinngehalt dahingehend, dass es gemeinhin als Gegenbegriff zur freien Willensentscheidung verstanden wird und das Merkmal der Freiwilligkeit ausschließt. Gerade weil der Klägerin der (genaue) rechtliche Gehalt des Begriffs der Zwangsarbeit nicht bekannt war, spricht vieles dafür, dass durch die Verwendung dieses Begriffs entsprechend seinem üblichen Verständnis zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass sie sich dem Arbeitseinsatz gerade nicht entziehen konnte und gegen ihren Willen arbeiten musste. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus ihren sonstigen Formulierungen gegenüber der Claims Conference, sie sei im Ghetto Nowogrodek zu Reinigungsarbeiten "gezwungen worden" und habe Zwangsarbeit leisten "müssen".
Abgesehen von den eigenen Angaben der Klägerin gegenüber der Claims Conference spricht auch die in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum von September 1941 bis Juni 1942 im Reichskommissariat Ostland geltende Verordnungslage gegen das Bestehen eines freien Arbeitsverhältnisses der Klägerin im Ghetto Nowogrodek. Wie bereits erwähnt, liegt ein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis in Abgrenzung zur Zwangsarbeit nur dann vor, wenn der Arbeiter im Sinne des Arbeitsrechts aufgrund einer zweiseitigen Vereinbarung tätig ist. Dies setzt voraus, dass der Arbeiter neben einem gewissen Maß an Entscheidungsfreiheit zur Beschäftigungsaufnahme die – wenn auch nur begrenzte – Möglichkeit hat, auf die Organisation und Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses Einfluss zu nehmen (LSG NRW, Urteil vom 03.06.2005, L 4 R 3/05), und insbesondere dominierende Eingriffsmöglichkeiten des Staates in das Arbeitsverhältnis auch während der Beschäftigung fehlen (vgl. BSG, Urteil vom 17.03.1993, 8 RKnU 1/91, SozR 3-5050 § 5 Nr.1). Das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Ghetto Nowogrodek zu ihrem "Arbeitgeber" war aber derartig "fremdbestimmt", dass ihr eine solche Einflussnahmemöglichkeit nicht zustand; denn zwischen den jüdischen Bewohnern des Reichskommissariats Ostland und den deutschen Besatzungsbehörden bestand bereits ab August 1941 ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis, das u.a. durch Einschränkung der Freizügigkeit und wirtschaftlichen Betätigung, Kennzeichnungspflicht, Ortsgebundenheit, Arbeitszwang und Isolierung gekennzeichnet war. Durch die Verordnung des Reichsministers für die besetzten Gebiete vom 16.08.1941 über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung (abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, Einsatz im Reichskommissariat Ostland, Berlin 1998, S. 36 ff) ordnete dieser an, dass die in den neu besetzten Ostgebieten ansässigen Juden vom vollendeten 14. bis zum 60. Lebensjahr dem Arbeitszwang unterliegen und zu diesem Zweck in Zwangsarbeitsabteilungen zusammengefasst werden sollten (vgl. § 1 der Verordnung). Die Entziehung des Arbeitszwangs war strafbewehrt. Diese Verordnung wurde von dem damaligen Reichskommissar Lohse durch Vorläufige Richtlinien für die Behandlung der Juden vom 18.08.1941 (abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus, a.a.O., S. 38 ff) für die Generalkommissariate umgesetzt. Diese Richtlinien sahen nach Übernahme der Zivilverwaltung u.a. die Konzentration der Juden in Ghettos und deren Heranziehung zur Zwangsarbeit vor (vgl. Ziffer 5 d und e der Richtlinien). Ferner wurde angeordnet, dass die Vergütung nicht der Arbeitsleistung zu entsprechen, sondern nur der Bestreitung des notdürftigen Lebensunterhalts für die Zwangsarbeiter und ihre nicht arbeitsfähigen Famlienmitglieder unter Berücksichtigung ihrer anderen Barmittel zu dienen habe (vgl. Ziffer 5 e der Richtlinien). Der Senat verkennt insoweit nicht, dass die Klägerin in dem hier streitigen Zeitraum das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht hatte und daher nicht ausdrücklich von dem in der Verordnung des Reichsministers vom 16.08.1941 und in den Vorläufigen Richtlinien des Reichskommissars vom 18.08.1941 genannten Personenkreis erfasst war. Es ist aber mangels gegenteiliger Anhaltspunkte und unter Berücksichtigung der eigenen Angaben der Klägerin gegenüber der Claims Conference (s.o.) jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Tätigkeit der Klägerin im Ghetto Nowogrodek nicht dieser – die damals im Reichskommissariat Ostland bestehenden Arbeitsverhältnisse prägenden – Verordnungslage entsprach.
Unabhängig von den aufgezeigten Zweifeln des Senats an der Freiwilligkeit des Beschäftigungsverhältnisses ist es auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin die behaupteten Arbeiten im Ghetto Nowogrodek gegen Entgelt ausgeübt hat. Wie bereits erwähnt, erfordert das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ein Austauschverhältnis zwischen geleisteter Arbeit und gezahltem Entgelt. Zwar ist die Höhe des Entgelts grundsätzlich kein wesentliches Merkmal für das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses und kann auch in Form von Sachbezügen gewährt werden. Art und Umfang der gewährten Leistungen können aber Anhaltspunkte dafür geben, ob das Entgelt als Bezahlung im Sinne einer Entlohnung der geleisteten Arbeit oder zu anderen Zwecken, wie z.B. nur als "Mittel zur Erhaltung der Arbeitskraft” des zur Arbeit gezwungenen Beschäftigten, gedacht ist. Allzu geringfügige Leistungen außerhalb eines jeden Verhältnisses zur erbrachten Leistung haben keine Entgeltcharakter mehr (BSG; Urteil vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R -). Die bloße Gewährung freien Unterhalts genügt insoweit ebenfalls nicht, als solche Versicherungspflicht begründen zu können, weil sie zur Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes führt (BSG, Urteil vom 07.10.2004, a.a.O.).
Der Bezug von Barlohn ist schon nach den eigenen Angaben der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigen nicht glaubhaft gemacht. Die Klägerin selbst hat weder gegenüber der Claims Conference noch in ihrem Rentenverfahren behauptet, für ihre Arbeit im Ghetto Nowogrodek in Form von Barlohn bezahlt worden zu sein. Vielmehr hat sie in ihrem Entschädigungsverfahren im Oktober 1999 ausdrücklich erklärt, im Zwangsarbeitslager Nowogrodek, in dem sie sich nach ihrem Aufenthalt im Ghetto Nowogrodek befand, "weiterhin" unentgeltlich Zwangsarbeit verrichtet zu haben und damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, auch für ihre Arbeiten im Ghetto Nowogrodek nicht entlohnt worden zu sein. Der Vortrag ihres Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren, die damaligen Angaben der Klägerin seien unzutreffend, sie habe vielmehr gegenüber der Claims Conference korrekter Weise angeben müssen, im Zwangsarbeitslager weiterhin Zwangsarbeit, nunmehr unentgeltlich, geleistet zu haben, lässt sich weder auf entsprechende Angaben der Klägerin in ihrem Entschädigungsverfahren stützen, noch lassen sich ihrem Vortrag im Rentenverfahren Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Klägerin für die von ihr geltend gemachten Reinigungsarbeiten im Ghetto Nowogrodek in Form von Bargeld entlohnt wurde. Die entsprechende Frage in dem Rentenantragsformular vom 14.04.2003 hat sie nicht beantwortet und auch in dem Fragebogen zum ZRBG vom gleichen Tag lediglich geltend gemacht, für ihre Arbeit Essen bzw. Sachbezüge erhalten zu haben.
Der Vortrag ihres Prozessbevollmächtigten, der damals von der Klägerin erzielte Barlohn sei möglicherweise an ihre Eltern ausgezahlt worden, ist ebenfalls nicht geeignet, eine Entlohnung in Form von Bargeld glaubhaft zu machen; diese – weder durch entsprechende Angaben der Klägerin noch durch sonstige Mittel zur Glaubhaftmachung gestützte – bloße Vermutung vermag jedenfalls keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für ihre Richtigkeit zu begründen. Ebenso wenig lässt sich die gute Möglichkeit einer Entlohnung durch Bargeld aus der von der Klägerin im Streitverfahren vorgelegten Verordnung des Stadtkommissars der Stadt Minsk über den Arbeitseinsatz, Verpflegung und Entlohnung der Juden im Bereich der Stadt Minsk vom 25.08.1942 ableiten. Zwar wird darin die Höhe der Löhne der jüdischen Arbeitskräfte festgelegt. Diese Verordnung trat aber erst mit ihrem Erlass am 25.08.1942 in Kraft und beanspruchte daher für die hier streitgegenständlichen Arbeiten der Klägerin von September 1941 bis Juni 1942 schon aus diesem Grunde keine Geltung. Im Übrigen richtet sich die Beurteilung der Versicherungspflicht stets nur nach den Umständen des Einzelfalls. Diese stehen im Fall der Klägerin einer Entlohnung in Form von Bargeld jedoch – wie bereits ausgeführt – schon nach ihren eigenen Angaben entgegen.
Die von der Klägerin im Renten- und Berufungsverfahren für ihre Arbeit im Ghetto Nowogrodek als Entlohnung behauptete Verpflegung in Form von Essen am Arbeitsplatz und größeren Lebensmittelrationen stellt ebenfalls kein Entgelt im Sinne des § 1 Abs.1 S.1 ZRBG dar. Der erkennende Senat sieht es zwar als glaubhaft gemacht an, dass die Klägerin im Zusammenhang mit den von ihr geleisteten Arbeiten Verpflegung erhielt. Dem Sachvortrag der Klägerin ist jedoch nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, dass der Umfang der gewährten Mahlzeiten über allzu geringfügige Leistungen bzw. die bloße Gewährung freien Unterhalts hinausging. Zur Gewährung freien Unterhalts gehören Sachbezüge in geringerem Umfang zur Befriedigung kleinerer Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten (vgl. hierzu Etmer, RVO Bd. I, Stand März 1966, § 1228 Anm.4). Gewährte Lebensmittel fallen unter den freien Unterhalt, wenn sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Verbrauch oder Gebrauch, nicht hingegen nach vorbestimmten Maße zur beliebigen Verfügung gegeben werden (vgl. RVO mit Anmerkungen, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsversicherungsamtes, Bd. IV- Invalidenversicherung – 2. Auflage, Berlin 1930, § 1227 Anm.2).
Aus den Angaben der Klägerin im Renten-, Klage- und (zunächst) auch im Berufungsverfahren, für ihre Arbeit Essen am Arbeitsplatz und größere Lebensmittelrationen erhalten zu haben, lassen sich jedoch keine hinreichend sicheren Schlussfolgerungen zum konkreten Umfang, Wert und der Menge der Gegenleistungen für die erbrachten Arbeiten ziehen. Im Übrigen hat die Klägerin auf konkrete Anfrage des Senats zu der Art und dem Umfang der erhaltenen zusätzlichen Lebensmittelrationen im Verlauf des Berufungsverfahrens eingeräumt, für ihre Reinigungsarbeiten – über den Erhalt von Wassersuppe mit Kartoffeln am Arbeitsplatz hinaus – (lediglich) eine Tagesration der Reste erhalten zu haben, die an dem jeweiligen Tag gekocht worden seien. Die bloße Verpflegung am Arbeitsplatz und der Erhalt einer zusätzlichen Tagesration dient aber lediglich dem unmittelbaren Verbrauch und geht daher nicht über die Gewährung freien Unterhalts hinaus. Im Übrigen stehen der Erhalt von Essen am Arbeitsplatz und einer zusätzlichen Tagesration auch nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem – nach eigenen Angaben des Klägerin – täglichen Arbeitseinsatz von 10 Stunden.
Anlass, den Sachverhalt durch Vernehmung von Zeugen weiter aufzuklären, bestand nicht. Abgesehen davon, dass die Klägerin keine Zeugen benannt hat und solche auch nicht ersichtlich sind, bedarf es einer Zeugenvernehmung schon deshalb nicht, weil es bereits unter Zugrundelegung des eigenen Vortrags der Klägerin an einem versicherungspflichtigen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 1 Abs.1 ZRBG fehlt (s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 SGG nicht erfüllt sind.
Erstellt am: 24.08.2006
Zuletzt verändert am: 24.08.2006