Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.09.2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung der Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) wegen einer Beschäftigung im Ghetto Schaulen (Litauen) von Oktober 1941 bis Dezember 1943.
Die im Jahre 1926 geborene Klägerin ist jüdischen Glaubens und lebt in Israel. Sie ist als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes anerkannt. Im Entschädigungsverfahren führte sie zu ihrem Verfolgungsschicksal in Schaulen im Jahr 1955 u.a. aus, sie sei gleich nach der Besetzung Schaulens zur Zwangsarbeit herangezogen worden und habe täglich bei verschiedenen Wehrmachtseinheiten arbeiten müssen. Nach der Absperrung des Ghettos Ende Juli 1941 sei sie täglich zu verschiedenen Arbeiten gegangen. Ab Oktober 1941 bis Ende Februar 1942 habe sie bei der Flachsfabrik "M" gearbeitet und täglich schwere Arbeiten verrichten müssen. Ab Februar 1942 bis Ende Juli 1944 habe sie beim H.V.M. (Heeresverpflegungsmagazin) gearbeitet.
Der Zeuge J bestätigte mit schriftlicher Erklärung vom 12.06.1955 von Februar 1942 bis Ende Juli 1944 mit der Klägerin bei "H.V.M." gearbeitet zu haben.
Die Zeugin L bestätigte mit Erklärung vom selben Datum, sie habe Oktober 1941 bis Februar 1942 zusammen mit der Klägerin in der Flachsfabrik "M" gearbeitet, wo sie schwere Arbeiten verrichten mussten.
Im Verfahren über die Gewährung einer Rente wegen Gesundheitsschadens erklärte die Kläger am 02.12.1963, sie habe während der Verfolgung ungeachtet ihres jugendlichen Alters schwere, weit über ihre Kräfte hinausgehende Zwangsarbeiten ausführen müssen, bei Kälte, Nässe, Hunger, Quälereien und Misshandlungen. Sie sei zur Zwangsarbeit in der Flachsfabrik befohlen gewesen, wo sie dauernd in Nässe, Feuchtigkeit und Durchzug habe arbeiten müssen.
Am 24.01.2003 beantragte sie die Gewährung einer Rente unter Berücksichtigung von Arbeitszeiten als Näherin in der Lederwerkstätte des Ghettos Schaulen von 1941 bis etwa 1943.
Im Fragebogen der Beklagten gab sie an, von Ende 1941 bis 1943 außerhalb des Ghettos Schaulen in der Lederwerkstätte bzw. Lederfabrik Näharbeiten von früh bis spät durchgeführt zu haben. Der Arbeitseinsatz sei freiwillig durch eigene Bemühungen zustandegekommen. Sie sei mit Naturalien, Sachbezügen und Lebensmittelcoupons entlohnt worden.
Mit Bescheid vom 07.11.2003 lehnte die Beklagte den Antrag auf Bewilligung einer Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG ab. Die Tätigkeit im Ghetto Schaulen sei nicht glaubhaft gemacht, da die früher gemachten Angaben im Widerspruch zum jetzigen Sachvortrag stünden.
Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein und führte aus, sowohl die Angaben im früheren Entschädigungsverfahren als auch im ZRBG-Verfahren seien bezüglich ihrer Beschäftigung im Ghetto nicht vollständig. Die entstandenen Abweichungen zeugten nur davon, dass sie im Ghetto als produktive Arbeitskraft in allen drei Orten tätig sein konnte. Heutzutage erinnere sich die hochbetagte Klägerin nur noch an ihre Beschäftigung in der Lederfabrik. Unabhängig vom genauen Arbeitsort im Ghetto sei die Klägerin an einem sicheren Arbeitsort gewesen, an dem sie nur als produktive Arbeitskraft habe aufgenommen werden können. Sie habe einen gelben Schein besessen, der vor den möglichen Deportationen aus dem Ghetto geschützt habe. Sie habe für ihre Arbeit Lebensmittelcoupons beziehungsweise Sonderrationen erhalten und sei zweifellos höchst interessiert daran gewesen zu arbeiten. Nur dadurch habe sie die schwersten Zeiten überleben können. Zu Zwangsarbeitern sei sie herangezogen worden, bevor sie an den genannten Orten gearbeitet habe.
Den dagegen rechtzeitig erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2004 zurück, zu dessen Begründung sie sich auf den Ausgangsbescheid bezog.
Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat nunmehr vorgetragen, sie habe nach der Verrichtung verschiedener Zwangsarbeiten in ihrer Geburtsstadt Telsiai ab Oktober 1941 bis Februar 1942 zuerst in der Flachsfabrik, von Februar 1942 bis Dezember 1943 in der Lederfabrik und ab Dezember 1943 im Heeresverpflegungsmagazin gearbeitet. Die unterschiedlichen Angaben im Entschädigungs- und Rentenverfahren seien als unabsichtliche Oberflächlichkeit zu qualifizieren und auf ihren seelischen Zustand und ihr schwaches Gedächtnis zurückzuführen.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 30.09.2004 hat das Sozialgericht Düsseldorf die auf die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten für den Zeitraum von Oktober 1941 bis Juli 1944 gerichtete Klage abgewiesen.
Die Klägerin habe im Rahmen des Entschädigungs- und Rentenverfahrens unterschiedliche Angaben bezüglich Ort und Zeit ihrer Tätigkeiten gemacht. Zudem habe sie die Tätigkeiten im Entschädigungsverfahren durchgängig als kräfteübersteigende Zwangsarbeit beschrieben. Die im Entschädigungsverfahren herangezogenen Zeugen Israeli und L hätten den Vortrag der Klägerin aus den Entschädigungsverfahren bestätigt. Dies stehe im Widerspruch zu ihrem jetzigen Vortrag. Die Kammer messe den zeitnäheren Angaben im Entschädigungsverfahren, die darüber hinaus durch Zeugen bestätigt worden seien, entscheidende Bedeutung zu.
Mit ihrer rechtzeitig eingelegten Berufung hat Klägerin geltend gemacht, die unterschiedlichen Aussagen in mehreren Erklärungen stellten nur unabsichtliche, unbedeutende Abweichungen dar. Es sei verständlich, dass im Abstand von 60 Jahren einige Missverständnisse bezüglich Ort und Zeit ihrer Tätigkeiten im Ghetto entstanden seien, die man aber mühelos aufklären können. Von Oktober 1941 an habe sie auf Vermittlung des Judenrates in der Flachsfabrik M arbeiten können. Anfang 1942 habe sie beim Arbeitsamt (Judenrat) ein Gesuch eingereicht, in die Lederwarenfabrik überführt zu werden. In dieser Fabrik hätten bessere Arbeitsbedingungen geherrscht und die Beschäftigung sei ein wenig höher entlohnt gewesen. In die Lederwarenfabrik sei die Klägerin im Februar 1942 überführt worden. Im Juli /August 1943 seien viele Ghettoarbeiter zu verschiedenen schweren Zwangsarbeiten herangezogen worden. Der Klägerin sei es wiederum mit Hilfe des Judenrates gelungen, eine Beschäftigung als Magazinerin beim Heeresverpflegungsamt zu bekommen. Dort sei sie bis zu ihrer Flucht im Juli 1944 tätig gewesen.
Mit Schriftsatz vom 22.02.2005 hat die Klägerin ergänzend vortragen lassen, im Ghetto habe eine Arbeitsstelle immerhin eine Zusatzrationen garantiert, ein gelber Schein habe als eine Art Lebensgarantie gegolten. Der Arbeitslohn sei tatsächlich geringwertig gewesen. Für jeden Arbeiter hätten die Arbeitgeber einen Teil des Geldes dem Arbeitsamt gezahlt. 50 % seien in der Kasse des Gebietskommissariats geblieben. Nur eine sehr kleine Summe sei dem Arbeiter seitens der Ghettoverwaltung ausgezahlt worden. Mit diesem Geld habe man in den Ghettoläden wenig Lebensmittel kaufen können. Daneben hätten die Beschäftigten vom Judenrat noch Sachbezüge erhalten. Die Klägerin habe Bargeld ("Ostmarken") während ihres Aufenthaltes im Ghetto vom Judenrat nur zwei oder drei Mal bekommen, wohl aber regelmäßig Gutscheine. Diese Gutscheine hätte sie in den Gettogeschäften gegen Lebensmittel und auch gegen Kleidung und Seife eintauschen können. Außerdem habe sie zur Zeit ihrer Beschäftigung in der Flachsfabrik und in der Lederwarenfabrik jede Woche eine Essenskarte, bei dem Heeresverpflegungsamt eine Milchkarte und Scheine für Brot erhalten. Die Klägerin erinnere sich, dass sie im Vergleich zu nicht beschäftigten Ghettoinsassen ungefähr das Dreifache erhalten habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Düsseldorf vom 30. September 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 7. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2004 Regelaltersrente ab dem 1. Juli 1997 unter Berücksichtigung von Beitragszeiten für eine Beschäftigung im Ghetto von Oktober 1941 bis Dezember 1943 sowie von Ersatzzeiten vom Januar 1944 bis Dezember 1949 zu gewähren;
hilfsweise die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur Erfüllung der Wartezeit zuzulassen.
Die Vertreterin der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen der angefochtenen Bescheide und des erstinstanzlichen Urteils.
Der Senat hat Beweis erhoben durch eine Auskunft des Staatsarchivs Litauen. Danach ist die Klägerin nicht in die am 27.05.1942 erstellten Einwohnerlisten des Judengettos Schaulen eingetragen. Der Senat hat außerdem ein Gutachten des Historikers Dr. Tauber eingeholt (vgl. im Einzelnen Bl. 199 ff. GA). Der Sachverständige hat zusammenfassend festgestellt, seine historischen Erkenntnisse und Rekonstruktionen stünden mit den Angaben der Klägerin zu ihren Arbeitsorten im Einklang. Die Entlohnung sei in Schaulen ähnlich wie in den anderen Ghettos in Litauen so erfolgt, dass der Judenrat die von den Arbeitgebern gezahlten Löhne teilweise an die Ghettoinsassen weitergegeben habe, zumeist in Form zusätzlicher Nahrungsmittel (Bl. 203 GA). Dadurch sei eine Ernährung über den unmittelbaren eigenen Bedarf hinaus sichergestellt gewesen. Die fehlende Erwähnung der Klägerin in den Einwohnerlisten des Ghettos sei angesichts der Entstehungsbedingungen dieser Liste nicht relevant.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Senat den Sachverständigen zu den Arbeitsbedingungen im so genannten Reichskommissariat Ostland angehört (Bl. 228 ff. GA). Der Sachverständige hat ausgeführt, die in seinen vorangegangenen Gutachten genannten Vorschriften – die Verordnung des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete vom 16.08.1941, die Vorläufigen Richtlinien des Reichskommissars Ostland vom 02.08.1941, der Erlass des Reichskommissariats Ostlands, Abteilung Finanzen vom 27.08.1942 – hätten den Rahmen für die jüdische Arbeitsleistung in Litauen gebildet. Die jüdische Arbeitsleistung sei grundsätzlich für alle Arbeitgeber kostenpflichtig gewesen. Die Hälfte des jüdischen Tageslohnes sei an die deutsche Verwaltung, die andere Hälfte an den Judenrat überwiesen worden, der ihn wiederum als Bargeld oder als erhöhte Nahrungsration an die Ghettoinsassen weitergegeben habe. Bei der Erfüllung deutscher Anforderungen für Arbeitskräfte habe es eindeutig Spielräume innerhalb der Arbeitsvermittlung des Judenrates gegeben und die einzelnen jüdischen Arbeiter hätten offensichtlich Möglichkeiten gehabt, Einfluss auf ihrer Arbeitsstelle zu nehmen (Bl. 229 GA). Nach der Quellenlage sei deshalb der von der Klägerin beschriebene Wechsel des Arbeitgebers durchaus möglich gewesen.
Auf deutsche Anforderungen von Arbeitskräften hin sei eine Abstimmung zwischen den deutschen Behörden und dem Judenrat erfolgt, die nicht immer zur Erfüllung der deutschen Forderungen geführt habe. Es habe eine Art Vermietung, von "Outsourcing" jüdischer Arbeitskräfte stattgefunden. Bei einer Weigerung eines Ghettoinsassen, einer Zuweisung zu folgen, hätte zunächst das Arbeitsamt versucht, die Zuweisung zu ändern. Vorsätzliches Fernbleiben von der Arbeit sei aber disziplinarisch geahndet worden. Insgesamt seien die vom Judenrat verhängten und vollstreckten Strafen für Arbeitsverweigerung aber milder gewesen als früher angenommen.
Zur Frage nach Absprachen zwischen den jüdischen Arbeitskräften und den "Arbeitgebern" über Arbeitsbedingungen und Löhne hat der Gutachter ausgeführt, es gebe Beispiele, wo der "Brigadier" eine Verlängerung der Pause erwirkt habe. Auch hätten jüdische Arbeitskräfte in die Bezahlung mit Lebensmitteln anstatt des ursprünglich vorgesehenen Bargelds erreicht. Die von den Arbeitenden empfangenen Lebensmittelrationen hätten in etwa dem Satz für die nicht arbeitende einheimische Bevölkerung entsprochen. Eine Differenzierung nach Arbeitsleistung, Geschlecht oder Alter beim Lebensmittelbezug sei ihm nicht bekannt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Verwaltungsakten und Unterlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Regelaltersrente, weil sie keine nach § 35 S. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten zurückgelegt hat. Insbesondere die Anerkennung fiktiver Pflichtbeitragszeiten nach §§ 1,2 ZRBG kann die Klägerin nicht verlangen. Der Senat hält es weiterhin nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass sie im Ghetto Schaulen aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt beschäftigt gewesen ist, § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a und b ZRBG.
1. Noch nicht entscheidend gegen eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt spricht die Entwicklung des Vortrags der Klägerin. Zwar hat sie im Entschädigungsverfahren in den fünfziger Jahren nur von ihrer Arbeit in der Flachsfabrik und beim Heeresverpflegungsmagazin berichtet, während sie im Rentenverfahren zunächst nur die Arbeit in der Lederfabrik G angegeben hat. Andererseits spricht die Erwähnung von zwei der auch heute geltend gemachten Tätigkeiten bereits im Entschädigungsverfahren nach Ansicht des Senates überwiegend dafür, dass die Klägerin diese Tätigkeiten tatsächlich ausgeübt hat. Dass ihr im Rentenverfahren nicht sogleich eine trennscharfe Zuordnung nach Zeiträumen und Tätigkeiten geglückt ist und sie erstmals eine ganz neue Arbeit erwähnt hat, schwächt die Überzeugungskraft ihrer Angaben nicht entscheidend. Der Senat berücksichtigt insoweit, dass es im Rahmen des Entschädigungsverfahrens wegen Freiheits- und Gesundheitsschadens auf eine lückenlose und vollständige Schilderung der verrichteten Arbeitstätigkeiten nicht ankam, sondern lediglich auf eine kursorische Benennung von Tatsachen, die den Tatbestand einer Freiheitsentziehung und einer Gesundheitsschädigung ausfüllten. Zudem hat der Sachverständige ausgeführt, die Angaben der Klägerin zu den Orten ihrer Beschäftigungen stünden mit den historischen Erkenntnissen und Rekonstruktionen in Einklang. Dass die Klägerin nicht auf den Einwohnerlisten des Ghettos Schaulen verzeichnet ist, hat nach seiner Einschätzung keine maßgebliche Bedeutung, weil es offensichtlich bei der Erstellung durch den Judenrat zu Manipulationen gekommen ist.
2. Auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. Tauber hegt der Senat allerdings ernsthafte Zweifel daran, ob es im Reichskommissariat Ostland und speziell im Ghetto Schaulen außerhalb des Ghettos überhaupt Tätigkeiten aus eigenem Willensentschluss gegeben hat, oder ob nicht insoweit in der Regel von Zwangsarbeit auszugehen ist.
Zwangsarbeit ist von dem in §§ 1 bis 3 ZRBG beschriebenen Typus des freiwilligen und entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses, das sich auf einen vereinbarungsgemäßen Austausch wirtschaftlicher Werte (Arbeit gegen Lohn) richtet, in wertender Betrachtung nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BVerfG, Beschluss v. 20.05.1996 – 1 BvR 21/96 SozR 3 – 2400 § 7 Nr. 11 Rn. 11) abzugrenzen. Eine Arbeit ist umso eher Zwangsarbeit, als sie von hoheitlichen Eingriffen geprägt wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann, wie etwa Bewachung während der Arbeit zur Fluchtverhinderung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit am Ort der Arbeitsstätte, einseitige Zuweisung an bestimmte Arbeitgeber, Vorenthaltung von Entgelt (vgl. BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 71/98 R m.w.Nw), Misshandlungen oder Missachtung elementarer Arbeitsstandards zum Schutz von Leben und Gesundheit.
Schon die Verordnungslage im Reichskommissariat Ostland, in dessen Gebiet Schaulen lag, spricht auf den ersten Blick generell eher gegen die Möglichkeit von Beschäftigungsverhältnissen aus eigenem Willensentschluss. Alle Juden zwischen dem 14. und 60. Lebensjahr unterlagen nach der "Verordnung über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung" des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete vom 16.08.1941 dem Arbeitszwang, der mit Zuchthaus und ggf. sogar der Todesstrafe durchgesetzt werden konnte. Nach den "Vorläufigen Richtlinien für die Behandlung der Juden im Reichskommissariat Ostland" vom 02. 08.1941 waren die arbeitsfähigen Juden nach Bedarf zur "Zwangsarbeit" heranzuziehen. Ihre Vergütung hatte nicht der Arbeitsleistung zu entsprechen, sondern nur dazu zu dienen, den notdürftigen Lebensunterhalt der Zwangsarbeiter und ihrer nicht arbeitsfähigen Familienmitglieder zu sichern. Die privaten Einrichtungen und Personen, zu deren Gunsten die Zwangsarbeit erfolgte, hatten ein "angemessenes Entgelt" an die Kasse des Gebietskommissars zu zahlen, der wiederum die Vergütung an die Zwangsarbeiter auszahlen sollte. Der Erlass des Reichskommissars Ostland, Abteilung Finanzen, vom 27.08.1942 zur Verwaltung der jüdischen Ghettos behandelt die Ausnutzung der "Arbeitskraft der Juden" als "Vermögensverwaltung" und beschreibt die Nutzung der jüdischen Arbeitskraft als "Vermietung" durch das örtlich zuständige Arbeitsamt und spricht von der "Zuweisung" der "angeforderten" Juden an den Arbeitgeber. Für die "Miete" von Facharbeitern war der "übliche Lohn" zu zahlen. Dieser "Lohn" wurde aber ersichtlich nicht als (individuelle) Gegenleistung für die verrichtete Arbeit angesehen, vielmehr sollte mit der Zahlungspflicht vermieden werden, "dass der Unternehmer aus der Beschäftigung von Juden zusätzliche Vorteile zieht". Der Erlös sollte laut Erlass in den Haushalt des Reichskommissars fließen.
Auf der Grundlage dieser rechtlichen Konstruktion der "Vermietung" von Arbeitskräften auf der Grundlage behördlicher Zuweisung, die eine Beschäftigung in freien Arbeitsverhältnissen wie im so genannten Generalgouvernement an sich nicht ausdrücklich vorsah, drängt sich auf, dass jedenfalls Beschäftigungsverhältnisse von Ghettoinsassen mit Arbeitgebern außerhalb des Ghettos derart durch hoheitliche Eingriffe begründet und geprägt gewesen sind, dass sie keine ausreichende Ähnlichkeit mit dem Typus des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses mehr aufweisen konnten (in diesem Sinne ausführlich LSG NRW, Urteil vom 12.5.2006 – L4 RJ 123/04 Juris "öffentlich-rechtlich organisierte Dienstverschaffung"; zuletzt vergleichbar LSG NRW, Urt. v. 16.02.2009 – L 3 R 214/08). Dafür lässt sich auch der grundsätzlich bestehende Arbeitszwang für jüdische Ghettobewohner anführen. Die vom Sachverständigen in seinem Gutachten vom 22.11.2005 für das Ghetto Schaulen geschilderte Aufforderung der deutschen Ghettoverwaltung an den Judenrat, aus einer "inaktiven" Reservekolonne von 1000 Personen weitere 500 Personen für Arbeitseinsätze zur Verfügung zu stellen, zeigt, dass dieser Arbeitszwang bei Bedarf auch durchgesetzt wurde.
Auf der der anderen Seite ist allerdings auch nicht zu verkennen, dass die genannten Vorschriften nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Tauber in der mündlichen Verhandlung zwar den Rahmen für die jüdische Arbeitsleistung bildeten, jedoch – insbesondere was die Lohnzahlung anbelangt – unterschiedlich gehandhabt wurden und auch Umsetzungsspielräume ließen. Einerseits musste der Judenrat als Scharnier zwischen den rechtlosen Ghettoinsassen und der allmächtigen deutschen Verwaltung Anforderungen von Arbeitskräften durch das deutsche Arbeitsamt unbedingt erfüllen. Für die Ghettobewohner bestand Arbeitspflicht, die – wenn auch mit vergleichsweise milden Sanktionen – vom Judenrat durchgesetzt wurde. Andererseits verfügte der Judenrat bei der Zuordnung einzelner Ghettobewohner zu den zu besetzenden Arbeitsstellen über einen gewissen Handlungsfreiraum, etwa bei der Zuteilung von Bewerbern je nach Qualifikation zu bestimmten Arbeitsplätzen. Dem entsprachen Wahlmöglichkeiten der Arbeiter, die ihre Arbeitsstelle in gewissen Umfang auswählen und wieder wechseln konnten, wenn sie sich auch der endgültigen Zuweisung an einen Arbeitsplatz nicht einseitig entziehen konnten. Ferner gab es "arbeitslose" Ghettobewohner. Der Gutachter hat dem Senat auch historische Beispiele für die Möglichkeit der Arbeitenden genannt, zumindest in Randbereichen auf die Arbeitsbedingungen wie Dauer von Arbeitspausen und die Form der Entlohnung (Lebensmittel statt Bargeld) Einfluss zu nehmen (wenn diese Einflussmöglichkeit ersichtlich auch von den individuellen Beziehungen zwischen dem jeweiligen Brigadier und dem "Arbeitgeber" abhängig war). Möglicherweise näherten sich Beschäftigungsverhältnisse von Ghettobewohnern auf diese Weise – zumindest in Ausnahmefällen – sogar der in der Kriegswirtschaft weit verbreiteten Rechtsform "diktierter" Verträge an. Solche Verträge entstanden zwar durch Hoheitsakt, der als Rechtsgrund die nach der allgemeinen Vertragslehre erforderlichen übereinstimmenden Willenserklärungen ersetzte, trugen aber in der Abwicklung Züge eines Vertragsverhältnisses (vgl. dazu allgemein Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920, S. 135 ff.; Palandt/Heinrichs, 8. Aufl., vor § 145 Rn. 8; für ein aktuelles Beispiel vgl. Röhl, Die Regulierung der Zusammenschaltung, S. 229 ff. m.w.Nw.). Ob allerdings tatsächlich die beschriebenen Einflussmöglichkeiten auf Arbeitsplatz, Art und Ausgestaltung der Arbeit bzw. der Entlohnung jeweils für sich genommen oder in ihrer Summierung ausreichen, um den Typus eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zu erfüllen, oder ob sie nicht nur als "Wahl" zwischen verschiedenen Formen von Zwangsarbeit zu qualifizieren sind, erscheint zweifelhaft. Auch wenn das Bild einer ausschließlich einseitigen Zuweisung jüdischer Arbeitskräfte in maßgeblich von hoheitlichen Eingriffen geprägte Arbeitsverhältnisse, auf die der Einzelne keinerlei Einfluss hatte, differenzierter gezeichnet werden muss, liefert jedenfalls die Verordnungslage zumindest für Arbeiten außerhalb der Werkstätten des Judenrats zumeist ein Indiz gegen eine Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss.
Im Fall der Klägerin spricht zusätzlich die Erwähnung von Zwangsarbeit im Entschädigungsverfahren sowie die dortigen Schilderung von "Quälereien und Misshandlungen" in der Flachsfabrik M eher gegen eine Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss. Dafür lässt sich aber anführen, dass die Klägerin nach ihren Angaben, die der Sachverständige für möglich gehalten hat, die Arbeitsstelle von sich aus wechseln konnte. Weitere aufschlussreiche Details zu den Umständen der Aufnahme und Ausübung ihrer Tätigkeiten, die eine verlässliche Einschätzung der Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit erlauben würden, die der Klägerin eventuell bei ihrem Arbeitseinsatz verblieben sind, hat die Klägerin nicht geschildert.
3. Letztlich kann die Frage, ob sie bei einer oder allen drei der von ihr angegebenen Arbeiten noch aus eigenem Willensentschluss tätig geworden ist, aber dahinstehen. Denn es fehlt jedenfalls an einer Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b ZRBG.
Mit dem Kriterium der Entgeltlichkeit wollte der ZRBG-Gesetzgeber an der grundsätzlichen Abgrenzung von Beschäftigungsverhältnissen im Sinne der deutschen Sozialversicherung von nicht versicherter Zwangsarbeit festhalten, wie sie die Ghetto-Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vorgezeichnet hat (Bundestagsdrucksachen – BT-Drs. – 14/8583, 1, 5 und 14/8602, 1, 5; im Einzelnen LSG NRW, Urteil vom 04.07.2007 – L 8 R 74/05, Juris Rz. 44). Unverzichtbares Indiz für den Typus einer solchen vom ZRBG erfassten Beschäftigung bildet ein Entgelt, das mittelbar oder unmittelbar als Gegenleistung für die geleistete Arbeit gezahlt wird. Eine Beschäftigung in diesem Sinne muss – auch vor dem Hintergrund der historischen Verhältnisse in den Ghettos – noch maßgeblich vom abredegemäßen Austausch wirtschaftlicher Werte in einer Gegenseitigkeitsbeziehung geprägt sein (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.1997 – 5 RJ 66/95 zum Ghetto Lodz, Juris Rz. 17; Urteil vom 07.10.2004 – B 13 RJ 59/03 R, Juris Rz. 51; Senat, Urteil vom 15.09.2006 – L 13 R 69/06). Die Gegenleistung (Lohn) braucht nicht gleichwertig mit der erbrachten Arbeitsleistung sein, darf dazu aber andererseits auch nicht völlig außer Verhältnis stehen (Senat, Urteil vom 01.09.2006 – L 13 R 27/06). Es genügt nicht, wenn sie ersichtlich keinem Austausch wirtschaftlicher Werte, sondern nur noch der notdürftigen Ernährung des Arbeitenden zur Erhaltung seiner Arbeitskraft dient (Senat, Urteil vom 05.09.2006, L 13 R 69/06; vgl. bereits BSG, Urteil vom 10.04.1979 – 1 RA 95/78, Sozialrecht 5070 § 14 Nr. 9, S. 26 zum Ghetto Tarnow), selbst wenn die Arbeitenden zum Ausgleich ihres Kalorienmehrbedarfs aufgrund körperlicher Betätigung mehr erhalten als andere Ghettobewohner (Senat, Urteil vom 08.12.2006 – L 13 R 144/06). Denn eine solche Ernährung allein zum Erhalt der Arbeitskraft ist typisch für Zwangsarbeit – schon aus dem reinen Eigeninteresse desjenigen, der die Arbeitskraft der Zwangsarbeiter für sich ausbeutet (LSG NRW, Urteil vom 04.07.2007 – L 8 R 74/05 Rz. 49; Senat, Urteil vom 14.12.2007 – L 13 R 84/07); sie lässt sich nicht mehr unter den Typus einer "entlohnten" Beschäftigung fassen, wie ihn der Gesetzgeber des ZRBG vor Augen hatte (vgl. BT-Plenarprotokoll 14/233, S. 23279, 23280).
Entgelt im Sinne des ZRBG liegt zudem nur vor, wenn die Gegenleistung den Umfang freien Unterhalts im Sinne des § 1227 RVO a.F. übersteigt. Freier Unterhalt ist das Maß an Wirtschaftsgütern, das der Arbeitnehmer unmittelbar braucht, um seine notwendigen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Bei Gewährung von Lebensmitteln ist daher zu prüfen, ob sie nach Umfang und Art des Bedarfs unmittelbar zum Gebrauch oder Verbrauch oder vorbestimmt zur beliebigen Verfügung gegeben werden (Senat, Urteil vom 01.09.2006 – L 13 R 27/06 m.w.Nw. der Rechtsprechung des BSG).
Danach spricht vor dem Hintergrund der historischen Verhältnisse in Litauen im Falle der Klägerin mehr dafür, dass die von ihr für ihre Arbeit regelmäßig bezogenen Nahrungsmittel – Geld hat die Klägerin nach eigenem Bekunden wenn überhaupt nur zwei oder drei Mal erhalten – kein Entgelt im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b ZRBG darstellten. Den von der Klägerin behaupteten dreifachen Verpflegungssatz im Vergleich zu nicht arbeitenden Ghettobewohnern hält der Senat mit dem Gutachter angesichts der herrschenden Knappheit und der generellen Festsetzung der Nahrungsrationen nicht für plausibel. Selbst wenn der Judenrat im Ghetto Schaulen aus "Schwarzbeständen" gelegentlich besondere Zuteilungen an Arbeitende vergeben konnte, lag darin keine Gegenleistung des "Arbeitgebers" gerade für die geleistete Arbeit. Die daher auch von der Klägerin wahrscheinlich bezogenen Nahrungsmittelrationen für arbeitende Ghettobewohner waren zwar doppelt so hoch wie für nicht arbeitende und verbesserten damit die Lebenssituation der Empfänger erheblich. Die Ration für Arbeitende entsprach andererseits nur der normalen Ration der Bevölkerung außerhalb des Ghettos. Das zum Verfahren beigezogene Gutachten der historischen Sachverständigen Frau Hansen (vom 16. 09.2008 für das SG Hamburg) nennt als Satz für Arbeiter in den Ghettos in Littauen pro Woche 1700 g Brot, 175 g Fleisch 50 g Grütze/Nahrungsmittel 10 g Salz und 5 g Kaffeezusatz. Der Senat geht davon aus, dass diese Menge allenfalls zum Überleben reichte und keinesfalls über den Umfang freien Unterhalts hinausging. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Dr. Tauber in seinem Gutachten vom 03.09.2007 die Wochenration in Vilnius für die nichtjüdische Bevölkerung mit 1800 g Brot, 200 g Fleisch, 100 g Butter, 50 g Zucker, 400 g Mehl, 150 g Graupen und 50g Salz angegeben hat. Diese Ration lag, vor allem was den Fettanteil anbelangt, also noch deutlich über der Ration für arbeitende Ghettobewohner. Gegen den Entgeltcharakter der empfangenen Nahrungsmittel spricht weiter, dass ihre Menge nach Aussage des Gutachters – anders als im Fall der Zahlung von Barlohn, den die Klägerin indes nicht substantiiert behauptet hat – nicht nach Alter, Geschlecht oder Arbeitsleistung differenziert wurde. Ein Austauschverhältnis zwischen Arbeit und Gegenleistung lässt sich insoweit nicht feststellen. In diese Richtung deutet auch die Verordnungslage, die ausdrücklich festlegte, dass der Lohn der Arbeiter nicht der Arbeitsleistung entsprechen, sondern nur ihrem notdürftigen Lebensunterhalt dienen sollte. Dem entspricht es, dass die Hälfte der von den Arbeitgebern abzuführenden Löhne in die Kasse des Gebietskommissars floss. In einer solchen teilweisen Vorenthaltung des Entgelts liegt ein weiteres Indiz, das Zweifel am Typus eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nährt.
Auch der Hilfsantrag ist unbegründet, weil die Klägerin mangels Versicherteneigenschaft zur Entrichtung von freiwilligen Beiträgen nicht berechtigt ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Revision hat der Senat mit Blick auf den von der Rechtsprechung des BSG nach wie vor ungeklärten Entgeltbegriff nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Erstellt am: 23.04.2009
Zuletzt verändert am: 23.04.2009