Der Antrag der Antragstellerin, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 10.02.2015 einstweilen auszusetzen, wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu 1).
Gründe:
Nach § 199 Abs. 2 SGG kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Aussetzungsantrag ist zulässig.
Der von der Antragstellerin mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts vom 10.02.2015 ist ein vollstreckbarer Titel (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Mit ihm wurde sie im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsgegner zu 1) für die Zeit vom 28.11.2014 bis zum 28.03.2015 vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des jeweils gültigen Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 monatlich einschließlich erforderlicher Hilfen der Krankheit gemäß § 48 SGB XII zu gewähren. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung (s § 175 Satz 1 und 2 SGG).
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Die Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG ist eine Ermessensentscheidung (s BSG SozR 4-1500 § 154 Nr. 1; LSG BW Beschluss vom 26.01.2006 – L 8 AS 403/06 ER; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG 11. Aufl. § 199 Rdnr 8 mwN; aA BSG SozR 3-1500 § 199 Nr. 1). Sie erfordert regelmäßig die Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten (s Leitherer aaO mwN). Bei der Bewertung der Umstände des Einzelfalls können auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels von Bedeutung sein (s BSG SozR 4 aaO). Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es aber regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände, die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel als solcher regelmäßig verbunden sind. Dies folgt aus der Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsmittel Berufung und Beschwerde schon grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben (§ 154 Abs. 1 iVm § 86 a; § 154 Abs. 2 SGG (Berufung); § 175 Satz 1 und 2 SGG (Beschwerde)) (vgl. hierzu auch BSG Beschluss vom 05.09.2001 – B 3 KR 47/01 R) und – bezogen auf die hier eingelegte Beschwerde – keiner der in § 175 Satz 1 und 2 SGG aufgeführten Tatbestände gegeben ist, der ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung nach sich zieht.
In einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mit dem Aussetzungsantrag ebenfalls eine nur vorläufige Regelung über die Aussetzung der Vollstreckung bis zur Beendigung des Instanzenzuges erstrebt. Ist aber schon das in der Hauptsache geführte Eilverfahren im Sinne eines nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 4 SGG effizienten Rechtsschutzes darauf gerichtet, durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen abzuwenden, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (s etwa BVerfG Beschluss vom 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03; BVerfG aaO), so bedarf es für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG im Eilverfahren der Glaubhaftmachung weiterer schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als in dem schmalen Zeitfenster bis zur Entscheidung über die Beschwerde (zur Glaubhaftmachung s Bay LSG Beschluss vom 08.02.2006 – L 10 AS 17/06 ER; LSG BW Beschluss vom 24.06.2008 – L 7 AS 2955/08 ER). Damit ist der Anwendungsbereich des § 199 Abs. 2 SGG auch und gerade in Eilverfahren von vorneherein auf nur wenige Fallgestaltungen beschränkt.
In Anwendung dieser Maßstäbe hat der Antrag keinen Erfolg. In dem eher kurz bemessenen Zeitraum bis zur endgültigen Entscheidung im Eilverfahren sind keine zusätzlichen Nachteile erkennbar, die über die Gefahr des Ausfalls der Rückforderung hinausgehen und durch die Aussetzung nach § 199 Abs. 2 SGG abgewendet werden könnten. Die Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners, nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten, ergibt hier einen offenkundigen Vorrang der Interessen des Antragsgegners zu 1).
Als Nachteil auf Seiten der Antragstellerin ist lediglich zu berücksichtigen, dass sie – würde die Zwangsvollstreckung nicht einstweilen ausgesetzt – eine etwaige Rückforderung ggfs. nicht realisieren kann, wenn auf die Beschwerde hin der angefochtene Beschluss ganz oder teilweise geändert wird. Das Interesse des Antragsgegners zu 1) hingegen ist auf die Zahlung vorläufig zuerkannter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB XII und der Übernahme erforderlicher Hilfen bei Krankheit gerichtet. Dabei handelt es sich um existenzsichernde, ggfs akut lebensnotwendige Leistungen. Ihre Gewährung entspricht einer verfassungsrechtlichen, dem Schutz der Menschenwürde dienenden Pflicht des Staates (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). In dieser Konstellation sind Interessen der Antragstellerin nicht vorgetragen, kaum denkbar und auch nicht ersichtlich, die gegenüber der existenzsichernden Funktion der zuerkannten Leistungen überhaupt und zudem deutlich überwiegen.
Es liegt auch kein Fall vor, der ausnahmsweise eine andere Gewichtung gebieten könnte. Insbesondere handelt es sich bei dem angefochtenen Beschluss nicht um eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen offensichtlich gesetzeswidrige Entscheidung, an der der Antragsteller nicht zumutbar festgehalten werden dürfte (zur Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels bei Entscheidungen nach § 199 Abs. 2 SGG vgl. BSG Beschluss vom 09.05.2001 – B 3 KR 47/01 R; Leitherer in Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller aaO).
Das Sozialgericht hat in seiner ausführlich und sorgfältig begründeten Entscheidung den Anordnungsanspruch des Antragsgegners zu 1) nach dem SGB II unter Hinweis auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verneint und ihm Leistungen nach dem SGB XII zuerkannt.
Ob die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegeben sind und ob der Ausschluss in dieser umfassenden Form nicht europarechtskonform ist mit der Folge, dass ein Leistungsanspruch unmittelbar aus Art. 4 VO 883/2004 besteht (LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 103/13), kann im Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG und wohl auch im Beschwerdeverfahren offen bleiben.
Wenn man die Voraussetzungen des Ausschlusses als erfüllt ansieht, wäre der Antragsgegner zu 2) jenseits der europarechtlichen Problemstellungen auch nach Maßgabe des § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III verpflichtet, die Regelleistung – und daneben auch die KdU – in voller Höhe (vorläufig) zu zahlen (LSG NRW Beschluss vom 29.01.2015 – L 6 AS 2085/14 B ER; vgl auch Düe in Brand SGB III 6. Aufl. 2012 § 328 Rdnr 18 mwN). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt, da die Vorlagefragen in dem Beschluss des BSG vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R auch nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 – C 333/13 (Dano) weiterhin von entscheidungserheblicher Bedeutung bleiben. Lediglich die Vorlagefrage zu I.1. ("Gilt das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 – mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 – auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 ?") hat das BSG durch Beschluss vom 11.02.2015 – B 4 AS 9/13 R für erledigt erklärt, nachdem der EuGH (nur) diese Vorlagefrage des BSG durch das o.a. Urteil vom 11.11.2014 (bejahend) entschieden hat. Die Entscheidung in Sa. Dano betraf eine andere Fallgestaltung; sie enthält Ausführungen zur Anwendbarkeit der VO 883/2004 und der URL (s LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 103/13), nicht aber zur Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Damit wäre der Antragsgegner zu 2) außerhalb des Eilverfahrens verpflichtet, eine vorläufige Leistung zu erbringen, die der im einstweiligen Rechtsschutz zuerkannten vorläufigen Leistung entspricht.
Sieht man die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nicht als erfüllt an, folgt der Anordnungsanspruch aus § 19 SGB II; § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, dessen Voraussetzungen glaubhaft gemacht sind.
Ohne Erfolg beanstandet die Antragstellerin, das Gericht habe zu Unrecht sie verpflichtet, vorläufig Leistungen (nach dem SGB XII) zu erbringen, obwohl der Antragsgegner zu 1) dem Leistungssystem des SGB II zuzuordnen sei.
Die vom Sozialgericht insoweit getroffene Regelung ist schon angesichts der aufgezeigten Meinungsvielfalt in Rechtsprechung und Literatur keinesfalls offensichtlich rechtswidrig. Der Senat neigt zwar eher dazu, die Zulässigkeit und Notwendigkeit eines "Systemwechsels" vom SGB II ins SGB XII zu verneinen. Damit wäre weiterhin die Zuständigkeit des Antragsgegners zu 2) als SGB II-Leistungsträger anzunehmen, der – sollte der Leistungsausschluss greifen – (auf einer letzten Stufe) auch über einen möglichen Anspruch des Antragsgegners zu 1) auf Leistungen unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 GG zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz (vgl Kirchhof NZS 2015, 1, 4) zu entscheiden hätte. Die Frage nach dem zuständigen Leistungsträger ist angesichts möglicher Erstattungsansprüche im Verhältnis der Grundsicherungsträger untereinander von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung. Die Klärung der Rechtsfrage ist nicht im Aussetzungsverfahren und auch wohl nicht im Beschwerdeverfahren erforderlich, um wesentliche Nachteile für die Antragstellerin zu verhindern.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar.
Erstellt am: 23.04.2015
Zuletzt verändert am: 23.04.2015