Auf die Beschwerden der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 16.01.2015 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs nach dem SGB II für die Zeit vom 11.12.2014 bis zum 31.08.2015, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter Anrechnung einer Unterhaltsleistung der Tochter in Höhe von 100,- EUR zu zahlen. Der Antragstellerin wird für das erstinstanzliche Verfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin T, L, beigeordnet. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu erstatten. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwältin T, L, beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelbedarfs zu gewähren.
Die im Jahre 1955 geborene Antragstellerin ist belgische Staatsangehörige. Die Antragstellerin und ihr im Jahre 1944 geborener Ehemann, ebenfalls belgischer Staatsangehöriger, sind am 00.07.2014 nach Deutschland eingereist, um in L bei ihrer Tochter zu leben und auch Hilfe bei der Pflege des Ehemannes zu erhalten. Die Antragstellerin bezog drei Monate Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII (für die Zeit des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II). Die Stadt L stellte die Leistungen an die Antragstellerin zum 30.09.2014 ein. Der Ehemann der Antragstellerin bezieht laufend Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII, aufstockend zu einer belgischen Rente.
Seit Oktober 2014 arbeitete die Antragstellerin für zwei- bis drei Stunden die Woche als Haushaltshilfe im Privathaushalt ihrer Tochter und erhielt dafür ein monatliches Gehalt in Höhe von 100, -EUR. Ab Februar 2015 war die Antragstellerin arbeitsunfähig. Gleichwohl zahlt die Tochter, die Arbeitnehmerin ist, der Antragstellerin weiterhin einen Betrag von 100,- EUR monatlich.
Am 23.09.2014 beantragte die Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Antragsgegner, der den Antrag mit Bescheid vom 03.11.2014 ablehnte. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2014 zurück. Bedenken gegen die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit Gemeinschaftsrecht oder dem Grundgesetz würden nach den Ausführungen des EuGH in der Rechtssache "Dano" nicht geteilt. Ein anderer Aufenthaltsgrund im Sinne des § 2 FreizügG liege nicht vor. Die Tätigkeit im Privathaushalt könne aufgrund der Geringfügigkeit keinen Arbeitnehmerstatus begründen. Auch über das Zusammenleben mit dem Ehemann könne kein Aufenthaltsrecht abgeleitet werden, da die Antragstellerin nicht gemäß § 4 FreizügG über ausreichende Existenzmittel verfüge.
Die Antragstellerin hat am 11.12.2014 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Köln gestellt. Am gleichen Tag hat sie Klage gegen den Ablehnungsbescheid erhoben (S 13 AS 4714/14). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei auch derjenige Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsrechts und falle damit nicht unter den Ausschlusstatbestand, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes Einkommen verfüge. Ausgenommen seien nur Tätigkeiten von völlig unwesentlichem und untergeordnetem Umfang. Die Antragstellerin lebe im Übrigen mit ihrem erwerbsunfähigen Ehemann in ehelicher Gemeinschaft in Deutschland. Der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelte Leistungsausschluss sei jedenfalls für Unionsbürger, die sich nicht allein zum Zwecke des Leistungsbezugs im Bundesgebiet aufhielten, nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Mit ihrem Ehemann sei sie zu ihrer Tochter gezogen, die sie unterstütze.
Mit Beschluss vom 16.01.2015 hat das Sozialgericht den Antrag und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13; Rechtssache Dano) sei davon auszugehen, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht europarechtswidrig sei. Der Antragstellerin stehe ein anderweitiges Aufenthaltsrecht im Sinne der Richtlinie 2004/38/EG nicht zu. Sie verfüge nicht über einen Arbeitnehmerstatus, weil nach der erforderlichen Gesamtwürdigung des Beschäftigungsverhältnisses keine Arbeitnehmereigenschaft entstanden sei. Die Tätigkeit sei völlig untergeordnet aufgrund des sehr geringen Arbeitsumfangs und der niedrigen Entlohnung. Auch habe die Antragstellerin kein anderes Aufenthaltsrecht, weil sie nach eigenen Angaben nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge. Der Ausschlusstatbestand in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II werde auch nicht durch Art. 1 EFA verdrängt. Deutschland habe im Dezember 2011 einen Vorbehalt zum EFA notifiziert, wonach keine Verpflichtung übernommen werde, die im SGB II in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden. Dieser Vorbehalt sei nicht unwirksam, weil das EFA ausdrücklich diese Möglichkeit einräume.
Gegen den am 23.01.2015 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 19.02.2015. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei auf sie nicht anwendbar. Die Ausschlussnorm verstoße gegen geltendes EU-Recht, insbesondere gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie. Ihr Freizügigkeitsrecht ergebe sich aus ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmerin, als Familienangehörige des freizügigkeitsberechtigten Rentners und der in Deutschland lebenden Tochter, aber auch aus dem Recht zum Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsuche. Sie sei hilfebedürftig, ihr Konto weise so gut wie kein Guthaben mehr auf. Sie könne derzeit ihrer Tätigkeit krankheitsbedingt nicht mehr nachgehen.
Kosten der Unterkunft macht die Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geltend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs an die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar ergeben sich Zweifel an der Erwerbsfähigkeit, weil die Antragstellerin nach eigenem Vortrag derzeit nicht in der Lage sei, einer Arbeit nachzugehen. Arbeitsunfähigkeit bedeutet jedoch noch nicht Erwerbsunfähigkeit. Im Übrigen wird die Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin nach § 44 a Abs. 1 Satz 7 SGB II fingiert. § 44 a Abs. 1 Satz 7 SGB II unterstellt das Vorliegen der Erwerbsfähigkeit als Voraussetzung eines Anspruchs nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 02.04.2014 – B 4 AS 26/13 R; BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05).
Der Leistungsanspruch der Antragstellerin entfällt nicht aufgrund der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben. Die Antragstellerin hat nach summarischer Prüfung ein Aufenthaltsrecht nicht (nur) zur Arbeitsuche, sondern genießt ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Weitere mögliche Aufenthaltsrechte können daher ungeprüft bleiben.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt Familienangehörige, die den in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürgern nachziehen. Die Tochter der Antragstellerin ist freizügigkeitsberechtigte Unionsbürgerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmerin gemäß § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU. In gerader aufsteigender oder absteigender Linie Verwandte der in § 2 Abs. 2 Nr.1 bis 5 und 7 FreizügG/EU genannten Personen sind gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige, wenn ihnen von diesen Personen Unterhalt gewährt wird. Weil die Tochter der Antragstellerin zumindest 100,- EUR im Monat an Unterstützung zukommen lässt, handelt es sich bei der Antragstellerin um eine Familienangehörige in diesem Sinne. Dass die Tochter der Antragstellerin keinen höheren Unterhalt gewährt, steht der Freizügigkeitsberechtigung der Antragstellerin nicht entgegen. Das Gesetz fordert im Lichte des in Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK verankerten Schutzes der Familie keine ausreichende Unterhaltsgewährung. Vielmehr genügt auch eine nicht bedarfsdeckende Unterhaltszahlung (vgl. Beschluss des Senats vom 15.04.2015 – L 7 AS 428/15 B ER; Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl, 3 FreizügG Rn 40). Der Wortlaut der Norm enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Unterhaltsgewährung nur relevant ist, wenn es sich um einen bedarfsdeckenden Unterhalt handelt. Anders als im Falle des § 3 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU, der für Familienangehörige nicht erwerbstätiger Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU gilt, ist eine Bedarfsdeckung gerade nicht Voraussetzung für das Freizügigkeitsrecht (in diesem Sinne auch BVerwG vom 20.10.1993 – 11 C 1/93).
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie ist nicht in der Lage, den Regelbedarf zu decken. Somit drohen ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können.
Die Begrenzung des Bewilligungszeitraums orientiert sich an § 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren liegen vor (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 119 ZPO). Die Beiordnung der Rechtsanwältin ist unter Berücksichtigung der Schwierigkeit von Sach- und Rechtslage als erforderlich anzusehen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 11.06.2015
Zuletzt verändert am: 11.06.2015