Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 09.03.2020 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellerinnen zu 1) und 2) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von Februar 2020 bis Juli 2020 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Im Übrigen (Antragsteller zu 3) wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zu 2/3 zu erstatten. Den Antragstellerinnen zu 1) und 2) wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q, K, beigeordnet. Im Übrigen (Antragsteller zu 3) wird die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der am 00.00.2007 geborenen Antragstellerin zu 2) und des am 00.00.2018 geborenen Antragstellers zu 3). Die Antragsteller leben mit einer weiteren (volljährigen) Tochter der Antragstellerin zu 1) in einem gemeinsamen Haushalt. Die Antragstellerin zu 1) ist seit April 2018 verheiratet mit Herrn N. C. Dieser ist der Vater des Antragstellers zu 3) und lebt getrennt von den Antragstellern in einem Haus im K Weg 3, K1. Der Ehemann ist der Geschäftsführer der Fa. L und war der Arbeitgeber der Antragstellerin zu 1).
Mit Bescheid vom 13.07.2018 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellerinnen zu 1) und 2) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von Juli 2018 bis März 2019. Von Mai 2018 bis September 2018 erhielt die Antragstellerin zu 1) Mutterschaftsgeld. Im August 2018 zeigte die Antragstellerin zu 1) die Geburt des Antragstellers zu 3) an, woraus der Antragsgegner die Eheschließung der Antragstellerin zu 1) entnahm. Im Rahmen einer Stellungnahme hierzu erklärte die Antragstellerin zu 1) im September 2018, sie sei zwar verheiratet, lebe aber von Beginn an vom Ehemann getrennt. Der Antragsgegner stellte die Leistungszahlung ein und hob mit Bescheid vom 20.11.2018 die Leistungsbewilligung ab dem 01.11.2018 auf. Da der Ehemann unterhaltspflichtig sei und derzeit keine Unterlagen von ihm vorlägen, könne die Hilfebedürftigkeit nicht festgestellt werden.
Mit Bescheid vom 03.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2019 hob der Antragsgegner die Leistungsbewilligung bis Oktober 2018 vollständig auf und forderte eine Erstattung iHv insgesamt 4300,45 EUR. Hiergegen haben die Antragsteller am 10.12.2019 bei dem Sozialgericht Köln Klage erhoben (S 13 AS 5033/19).
Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beantragten die Antragsteller im Januar 2020 erneut Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Antragstellerin zu 1) erklärte, sie lebe von dem Ehemann räumlich getrennt und erwäge eine endgültige Trennung. Trotz der Trennung unterstütze der Ehemann sie "finanziell und materiell".
Ohne Aufnahme eines Antragsformulars lehnte der Antragsgegner den Antrag mit Bescheid vom 04.02.2020 ab, da Hilfebedürftigkeit im Hinblick auf die Unterstützung durch den Ehemann nicht festgestellt werden könne. Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller am 12.02.2020 Widerspruch ein, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.
Am 12.02.2020 haben die Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verpflichten. Der Ehemann stelle dem Antragsteller zu 3) monatlich 550 EUR zur Verfügung. Dieses Geld benötigten die Antragsteller, um die Miete iHv 565,80 EUR zu bezahlen. Daneben stehe Kindergeld iHv 408 EUR monatlich zu. Die Antragsteller haben Kontoauszüge vorgelegt und erklärt, die Eheschließung sei nur erfolgt, weil die Antragstellerin zu 1) schwanger gewesen sei. Man habe zu keinem Zeitpunkt zusammen gelebt.
Mit Beschluss vom 09.03.2020 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Der Ehemann gehöre als nicht getrennt lebender Ehegatte gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II zur Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller. Zwar bewohnten die Ehegatten unterschiedliche Wohnungen. Da sie jedoch von Beginn an getrennt gelebt hätten, sei dieser Umstand kein Indiz für eine Trennungsabsicht. Daher seien auch Einkommen und Vermögen des Ehemannes zu berücksichtigen. Aktenkundig sei, dass dieser 2016 aus dem Gewerbebetrieb ein Einkommen iHv über 100.000 EUR erwirtschaftet habe. Ein solches Einkommen stehe der Hilfebedürftigkeit entgegen.
Gegen den am 09.03.2020 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13.03.2020 erhobene Beschwerde der Antragsteller. Die Antragsteller haben Kontoauszüge von Januar 2020 bis zum 02.03.2020, eine eidesstattliche Erklärung des Ehemannes, nach der er den Antragstellern 550 EUR monatlich zahlt sowie Steuerunterlagen des Ehemannes vorgelegt. Auf Aufforderung durch den Senat hat die Antragstellerin zu 1) eidesstattlich erklärt, sie erhalte vom Ehemann 550 EUR monatlich für den Antragsteller zu 3) und lebe von diesem Betrag sowie dem Kindergeld iHv monatlich 408 EUR. Ergänzend haben die Antragsteller erklärt, von September 2018 bis Juli 2019 Elterngeld erhalten zu haben. Die Antragstellerin zu 2) sei Schülerin und habe kein eigenes Einkommen. Die am 23.10.2000 geborene Tochter B. T., die ebenfalls mit im Haushalt wohne, habe bis Dezember 2019 aus einer Tätigkeit in Teilzeit ca 500 EUR Einkommen erzielt, sei derzeit ebenfalls mittellos und erhalte Eingliederungsleistungen vom Antragsgegner, die allerdings derzeit aufgrund der Einschränkungen durch Corona nicht durchgeführt würden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistungszahlung im Wege der einstweiligen Anordnung für die Antragstellerinnen zu 1) und 2) abgelehnt.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 20.02.2019 – L 7 AS 1916/18 B ER und vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER). Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER, vom 05.09.2017 – L 7 AS 1419/17 B ER und vom 21.07.2016 – L 7 AS 1045/16 B ER).
Die Antragstellerinnen zu 1) und 2) haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die volljährige Tochter dürfte ebenfalls als erwerbsfähige Hilfebedürftige iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt sein, ihr Anspruch ist aber nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, weshalb eine entsprechende Verpflichtung des Antragsgegners ausscheidet (§ 123 SGG).
Die Antragstellerin zu 1) befindet sich in der maßgeblichen Altersspanne gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, ist erwerbsfähig iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland iSd § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II. Die Antragstellerin zu 2) lebt mit der Antragstellerin zu 1) gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II in einer Bedarfsgemeinschaft, sodass sie nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II leistungsberechtigt ist. Leistungsausschlussgründe liegen nicht vor. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten.
Die Antragstellerinnen zu 1) und 2) haben ihre Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht. Sie haben glaubhaft gemacht, dass die Bedarfsgemeinschaft – abgesehen vom Kindergeld und den Unterhaltszahlungen des Ehemanns zugunsten des Antragstellers zu 3) iHv 550 EUR monatlich – nicht über eigenes Einkommen oder Vermögen verfügt. Abweichendes ergibt sich insbesondere nicht aus den Kontoauszügen, die keine weiteren Einnahmen ausweisen. Die Antragsteller haben zudem glaubhaft erklärt, seit Ende der Elterngeldzahlung die Unterkunftskosten von den Zahlungen des Ehemannes zu bestreiten und – nachdem auch das Einkommen der volljährigen Tochter der Antragstellerin zu 1) seit Januar 2020 weggefallen ist – im Übrigen ausschließlich vom Kindergeld zu leben. Soweit der Antragsgegner einen Bedarf der Antragsteller iHv insgesamt 1.429,35 EUR festgestellt hat, der durch die Unterhaltszahlungen und das Kindergeld nicht gedeckt sei, steht dies der Glaubhaftmachung von Hilfebedürftigkeit nicht entgegen, da auch ein längerfristiges Leben in prekären Verhältnissen unterhalb des menschenwürdigen Existenzminimums bei der Nichtgewährung von Leistungen durch SGB II-Träger nicht unwahrscheinlich ist. Evtl. verbleibenden Zweifeln ist abschließend im Hauptsacheverfahren nachzugehen.
Der Hilfebedürftigkeit steht nicht entgegen, dass der Ehemann der Antragstellerin mutmaßlich über bedarfsdeckendes Einkommen und ggfs. auch Vermögen verfügt.
Gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3a) SGB II als Partner der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (hier der Antragstellerin zu 1) der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte. Der Ehemann der Antragstellerin zu 1) lebt indes von dieser dauernd getrennt. Bei der Auslegung des Begriffs des "nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten" iS des § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II sind nach der (umstrittenen, hierzu Schoch in: LPK-SGB II § 7 Rn. 66) Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 18.02.2010 – B 4 AS 49/09 R) die Grundsätze anzuwenden, die zum familienrechtlichen Begriff des Getrenntlebens entwickelt worden sind. Neben einer räumlichen Trennung setzt dies einen Trennungswillen voraus. Zwar lässt sich dem Wortlaut des § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II nicht unmittelbar entnehmen, wann ein Getrenntleben iS des SGB II vorliegt. Gegen ein Verständnis dieses Begriffs in dem Sinne, dass Ehegatten immer dann dauernd getrennt leben, wenn sie nicht räumlich zusammen leben, jede räumliche Trennung also bereits ein Getrenntleben beinhaltet, spricht, dass sich das Getrenntleben auf die Ehe iS des § 1353 BGB beziehen muss. Da § 1353 Abs. 1 BGB mit der Bestimmung einer Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft nur die Grundstrukturen der Ehe, nicht jedoch die Art und Weise vorgibt, in der sich das Zusammenleben der Ehegatten vollzieht, ist die häusliche Gemeinschaft zwar ein Grundelement der ehelichen Lebensgemeinschaft, jedoch kann bei Vereinbarung einer abweichenden Lebensgestaltung auch eine Ehe ohne räumlichen Lebensmittelpunkt eine Ehe iS des § 1353 BGB sein. Haben die Ehegatten bei oder nach der Eheschließung einvernehmlich ein Lebensmodell gewählt, das eine häusliche Gemeinschaft nicht vorsieht, kann allein der Wille, diese auf absehbare Zeit nicht herzustellen, ein Getrenntleben nach familienrechtlichen Grundsätzen nicht begründen. Vielmehr muss regelmäßig der nach außen erkennbare Wille eines Ehegatten hinzutreten, die häusliche Gemeinschaft nicht herstellen zu wollen, weil er die eheliche Gemeinschaft ablehnt (§ 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch bei räumlicher Trennung ist für die Annahme eines Getrenntlebens damit maßgeblich, ob eine enge, dem § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB gerecht werdende persönliche und geistige Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft besteht, wobei für ein Getrenntleben nicht erforderlich ist, dass die Eheleute keinerlei Kontakt zueinander haben, nichts Gemeinsames unternehmen und eine totale Trennung vollziehen (so zutreffend Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 7 Rn. 187).
Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, dass die häusliche Gemeinschaft nicht hergestellt wird, weil die Partner die eheähnliche Gemeinschaft ablehnen. Glaubhaft und unstreitig ist, dass der Ehemann und die Antragstellerin zu 1) zu keinem Zeitpunkt in einem Haushalt gelebt haben. Im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin zu 1) zwei weitere Kinder hat, die nicht von dem Ehemann stammen, und die mit der Antragstellerin zu 1) in einer Wohnung leben, erscheint die Entscheidung der Eheleute, nicht zusammenleben zu wollen und ihre Behauptung, nur wegen der Schwangerschaft geheiratet zu haben, plausibel. Den Erklärungen der Eheleute im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren sind keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass eine dem Modell des § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB entsprechende eheliche Lebensgemeinschaft – trotz räumlicher Trennung – beabsichtigt ist. Außer einer Unterhaltszahlung für den Antragsteller zu 3) sind keinerlei Bemühungen des Ehemannes zu erkennen, mit der Antragstellerin zu 1) eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zu bilden.
Abschließend sind die entsprechenden Verhältnisse der Eheleute im Hauptsacheverfahren zu klären. Selbst wenn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren das Nichtbestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft als nicht glaubhaft gemacht angesehen und der Sachverhalt als insoweit offen betrachtet würde, wären Leistungen im Wege der Folgenabwägung zuzusprechen.
Der Anordnungsgrund bzw. die für die Folgenabwägung maßgebliche besondere Eilbedürftigkeit ergeben sich aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen und erfassen auch die Unterkunftskosten (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 14.08.2019 – L 7 AS 1306/19 B ER und vom 06.12.2017 – L 7 AS 2132/17 B ER mwN).
Für den Antragsgegner zu 3) sind hingegen Anordnungsanspruch und -grund nicht glaubhaft gemacht, da dieser unter Berücksichtigung des von seinem Vater gezahlten Unterhalts und des auf ihn entfallenden Kindergeldes über Einkommen verfügt, das seinen Bedarf deckt. Deshalb gehört er gem. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht zur Bedarfsgemeinschaft und hat gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II keinen Anspruch auf Sozialgeld (§ 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Die Dauer der Verpflichtung des Antragsgegners orientiert sich an § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG, die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ff ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 15.06.2020
Zuletzt verändert am: 15.06.2020