Rev. durch Urteil zurückgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 01.02.2011 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Kostenerstattung für eine im Jahr 2010 durchgeführte Zahnimplantatversorgung in Höhe von 4.029,12 Euro in Anspruch.
Der 1962 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert und gehört zum Personenkreis der Contergangeschädigten. Es bestehen bei ihm u.a. Missbildungen der beiden oberen Extremitäten. Aufgrund einer später erlittenen Kopfverletzung ist er in der Grobmotorik seiner (missgebildeten) Hände stark beeinträchtigt. Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 100 (Merkzeichen B, G, aG) und schwer pflegebedürftig (Pflegestufe II).
Am 18.03.2010 beantragte er bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Zahnimplantatversorgung. Er legte hierzu einen vertragsärztlichen Heil- und Kostenplan (HKP) vom 11.01.2010 und einen privatärztlichen HKP "Implantologie" für die Implantatversorgung von zwei Zähnen (26 und 27) vor. Die hierfür anfallenden Kosten wurden auf ca. 4.500,00 EUR veranschlagt.
Unter dem 25.03.2010 setzte die Beklagte auf dem vertragsärztlichen HKP einen doppelten Festzuschuss nach der Härtefallregelung des § 55 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Höhe von 579,14 Euro fest und teilte dies dem Kläger mit. Die Übernahme der den bewilligten Festzuschuss übersteigenden Kosten einer Implantatbehandlung und eines implantatgestützten Zahnersatzes lehnte die Beklagte demgegenüber ab und führte hierzu aus, dass keine Ausnahmeindikation vorliege, die nach den gesetzlichen Bestimmungen eine Beteiligung der Krankenkasse an diesen Kosten zulasse (Bescheid vom 25.03.2010).
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die Beklagte bei ihrer Entscheidung seine beidseitige, durch Contergan hervorgerufene Armbehinderung und die daraus resultierende Notwendigkeit einer Implantatversorgung nicht berücksichtigt habe.
Den Widerspruch wies die Beklagte zurück und stützte sich im Wesentlichen darauf, dass bei dem Kläger keine der in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie) genannten Ausnahmeindikationen vorliege (Widerspruchsbescheid vom 01.09.2010).
In der Zeit vom 27.04.2010 bis 04.06.2010, im November 2010 und zuletzt am 16.12.2010 hat sich der Kläger bei dem Vertragszahnarzt Dr. T der beantragten Implantatbehandlung unterzogen. Hierfür sind ihm unter dem 12.06.2011, 27.11.2011 und 31.12.2010 insgesamt 4.608,26 Euro in Rechnung gestellt worden. Die für die Implantatversorgung verbleibenden Kosten (nach Abzug des Festzuschusses) von 4.029,12 Euro hat der Kläger zwischenzeitlich vollständig beglichen.
Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen: Aufgrund seiner Conterganschädigung habe die Notwendigkeit eines vermehrten Einsatzes seiner Zähne – z.B. beim Öffnen von Flaschen – bereits im Kindesalter zu einem übermäßigen Verschleiß seiner Zähne geführt. Aufgrund seiner Behinderung sei er nicht in der Lage, herausnehmbare Zahnprothesen einzusetzen und wieder aus dem Mund herauszunehmen. Er müsse zwar einräumen, dass nach dem Wortlaut der Behandlungsrichtlinie keine Ausnahmeindikation für eine Zahnimplantatversorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestehe. Allerdings sei von einem Systemversagen auszugehen. Der GBA als Richtliniengeber habe nämlich die besondere Situation der Contergangeschädigten nicht bedacht. Seine Situation (wie auch die der übrigen Contergangeschädigten) sei durch einen Unfall verursacht worden. Sowohl aus dem Sozialstaatsprinzip als auch aus der mit dem Conterganskandal verbundenen staatshaftungsrechtlichen Fürsorgepflicht ergebe sich, dass eine Gleichstellung mit Unfällen im Sinne einer Ausnahmeindikation nach der Behandlungsrichtlinie zu erfolgen habe. Überdies habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) deutlich gemacht, dass der Gesetzgeber/Staat dafür Sorge tragen müsse, dass die Leistungen der Conterganstiftung auch künftig den jeweiligen Anforderungen gerecht würden. Zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen sei es zu einer Verständigung dahin gekommen, gegenüber thalidomidgeschädigten Versicherten unbürokratisch und unkompliziert zu verfahren. Das ergebe ich aus einem Erlass des BMG vom 15.05.2008.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.03.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2010 zu verurteilen, die Kosten seiner im Jahre 2010 durchgeführten Zahnimplantatversorgung auch über den zugesagten Festzuschuss von 579,14 EUR hinaus zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat entgegnet: Nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des SGB V seien Implantate grundsätzlich vom Leistungsumfang der GKV ausgeschlossen. Dieser grundsätzliche Leistungsausschluss sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch verfassungskonform. Die Festlegung von Ausnahmeindikationen sei allein und ausschließlich dem GBA übertragen worden; der in § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers verbiete weite Ausnahmeregelungen.
Das Sozialgericht (SG) hat Befundberichte von den Zahnärzten Dr. T und Dr. S eingeholt. Diese haben in ihren Berichten vom 27.11.2010, 15.12.2010 und 23.01.2011 übereinstimmend erklärt, dass bei dem Kläger Ausnahmeindikationen für die Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz nicht vorgelegen hätten. Allein aus zahnmedizinischer Sicht wäre eine konventionelle Versorgung ohne Implantation möglich gewesen und zwar durch herausnehmbaren, nicht jedoch festsitzenden Zahnersatz. Aufgrund der schweren Behinderung der Hände erscheine dem Kläger jedoch die Handhabung eines herausnehmbaren Zahnersatzes nicht möglich.
Durch Urteil vom 01.02.2011 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt: Nach § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V gehörten implantologische Leistungen nicht zur zahnärztlichen Behandlung, es sei denn, es lägen seltene, vom GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringe. Die in Abschnitt VII. der Behandlungsrichtlinie genannten Ausnahmeindikationen für die Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz lägen bei dem Kläger nicht vor. Entgegen der Auffassung des Klägers seien die Ausnahmeregelungen auch nicht einer erweiternden Auslegung zugänglich. Die Kammer gehe nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Vortrag des Klägers und den ihr aus Berichten über Contergangeschädigte bekannten Umstände davon aus, dass die beim Kläger vor der streitigen Zahnbehandlung bestehenden Zahn- und Kieferverhältnisse bzw. -schäden zumindest auch und nicht unwesentlich auf seine Conterganschädigung zurückzuführen seien. Denn es sei allgemein bekannt, dass Thalidomidgeschädigte ihre Behinderung u.a. dadurch auszugleichen versuchten, dass sie sich – z.B. beim Öffnen von Flaschen – verstärkt ihrer Zähne bedienten. Daher sei es nachvollziehbar, dass die Beanspruchung der Zähne zu einer das Maß des Normalen übersteigenden Abnutzung führe. Wie sich den Berichten der behandelnden Zahnärzte entnehmen lasse, wäre jedoch dem Grunde nach ein adäquater Zahnersatz durch eine herausnehmbare Zahnprothese möglich gewesen, so dass auch vor diesem Hintergrund eine Ausnahmeindikation nicht vorliege. Weder der Umstand, dass die Zahnschäden mittelbar auf die Conterganschädigung zurückzuführen seien noch die Tatsache, dass dem Kläger aufgrund seiner conterganbedingten Missbildung die Handhabung einer herausnehmbaren Zahnprothese nicht ohne Hilfe Dritter möglich sei, begründeten einen Anspruch auf Implantatversorgung zu Lasten der GKV. Die Einordnung der conterganschädigungsbedingten Zahn- und Kieferdefekte als einen der "besonders schweren Fälle" im Sinne von Abschnitt VII. Ziffer 2. Satz 4 Buchstabe a) letzter Spiegelstrich der Behandlungsrichtlinie lasse sich weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Regelung vereinbaren. Zweifelhaft sei zum einen, ob die über das normale Maß hinaus erfolgte Abnutzung der Zähne bereits einen größeren Defekt des Kiefers darstelle. Weit größere Bedenken bestünden zum anderen dahingehend, die Conterganschädigung mit einem Unfall gleichzusetzen, zumal die Zahndefekte des Klägers allenfalls mittelbar auf die Conterganschädigung zurückzuführen seien. Ein Systemversagen lasse sich nicht begründen. Denn von dem Ausschluss der Implantatversorgung aus dem Leistungskatalog der GKV seien nicht nur Contergangeschädigte, sondern auch andere Versicherte betroffen, die ebenfalls nicht in der Lage seien, herausnehmbaren Zahnersatz eigenständig zu handhaben (z.B. demenzkranke, armamputierte oder sonst schwer- und schwerstpflegebedürftige Versicherte). Würde man behinderten Menschen wie dem Kläger allein wegen der Conterganschädigung den Implantatversorgungsanspruch einräumen, wäre dies gegenüber anderen Versicherten eine mit dem Gleichheitsgrundsatz kaum in Einklang zu bringende Bevorzugung. Wenn Personen wie der Kläger (auch) aufgrund ihrer conterganbedingten Missbildung Schäden erlitten, die noch nicht ausreichend oder angemessenen ausgeglichen seien, komme ggf. eine Ausweitung der Leistungen der "Conterganstiftung für behinderte Menschen" oder eine andere staatliche Lösung in Betracht, die von allen Steuerzahlern zu finanzieren wäre, nicht jedoch nur von der GKV.
Gegen das ihm am 08.02.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.03.2011 Berufung eingelegt.
Er hält an seiner im Widerspruchs- und Klageverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest und trägt vor: Die bei ihm vorliegende Versorgungsnotwendigkeit mit implantatgestütztem Zahnersatz stelle einen besonders schweren Fall gemäß VII. Ziff. 2. a) letzter Spiegelstrich der Behandlungsrichtlinie dar. Diese resultiere nämlich aus einem Unfallereignis mit besonders gravierenden und langfristigen Folgen. Die Conterganschädigung und die damit verbundene eingeschränkte Nutzbarkeit seiner Hände habe von Anfang an dazu geführt, dass er sein Gebiss u.a. zum Halten und Tragen von Gegenständen sowie zum Öffnen von Flaschen eingesetzt habe, so dass es sich insofern um einen "angelegten Schaden" handele. Diese Schadensanlage habe naturgemäß zu einem erhöhten und schnelleren Verschleiß geführt. Daraus habe sich wiederum die Erforderlichkeit einer Implantatversorgung ergeben. Nicht nachzuvollziehen sei in diesem Zusammenhang, dass ein durch einen Verkehrsunfall geschädigter Versicherter, der infolge des Unfallgeschehens einen größeren Kiefer- und Gesichtsdefekt erleide, anders behandelt werde als er. Die ihm aus der Conterganstiftung zufließenden Rentenzahlungen hätten einen schmerzensgeldähnlichen Charakter. Sofern man zu der Auffassung gelangte, dass diese für implantatgestützten Zahnersatz einzusetzen wären, ließe dies möglicherweise auf eine Deckungslücke und ein Systemversagen schließen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 01.02.2011 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.03.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2010 zu verurteilen, an ihn 4.029,12 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 4.029,12 Euro aus § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V, weil die Voraussetzungen für den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht erfüllt sind. Es handelt sich bei der bereits beim Kläger durchgeführten Implantatversorgung nicht um eine Leistung, die die Beklagte als Sachleistung zu erbringen hat. Insofern wird der Kläger durch den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 25.03.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2010 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert.
Das SG hat in dem angefochtenen Urteil sämtliche vom Kläger vorgebrachten Aspekte ebenso ausführlich wie zutreffend gewürdigt. Vor diesem Hintergrund nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf den Inhalt der Gründe des angefochtenen Urteils sowie auf die dort getroffenen Feststellungen und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Das weitere Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Es existiert keine gesetzliche oder untergesetzliche Grundlage, die das Begehren des Klägers stützen könnte. Soweit der Kläger eine Ungleichbehandlung mit denjenigen Versicherten rügt, denen bei einem aus einem Unfallgeschehen resultierenden größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekt ein Anspruch auf Implantatversorgung gemäß VII. Ziff. 2. a) letzter Spiegelstrich der Behandlungsrichtlinie gewährt wird, trägt dies den erhobenen Anspruch nicht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass bei dem Kläger – wie sich den Ausführungen der Dres. T und S in ihren gegenüber dem SG erstatteten Befundberichten entnehmen lässt – eine konventionelle Versorgung mit Zahnersatz ohne Implantate dem Grunde nach möglich gewesen wäre. Erleiden Versicherte aus Anlass eines Unfalls größere Kiefer- oder Gesichtsdefekte und ist gleichwohl eine konventionelle prothetische Versorgung zahnmedizinisch möglich, bestehen ebenfalls keine Ansprüche auf implantatgestützten Zahnersatz (vgl. VII. Nr. 2 Satz 2 und 3 der Behandlungsrichtlinie). Darauf, ob Versicherte in der Lage sind, herausnehmbaren Zahnersatz selbständig einzusetzen und wieder herauszunehmen, stellen weder das Gesetz noch die Behandlungsrichtlinie ab. Der Kläger, bei dem die Pflegestufe II anerkannt ist, ist insofern hinsichtlich seiner sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche jedoch nicht gänzlich unversorgt, weil zumindest das Einsetzen und Reinigen von Zahnersatz unter die Grundpflegeverrichtungen des § 14 Abs. 4 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zu subsumieren ist (vgl. Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches, S. 68; Pfitzner in: BeckOK SozR, § 14 SGB XI, Rdn. 86 m.w.N). Auch wenn das Herausnehmen und Einsetzen von herausnehmbarem Zahnersatz durch eine Pflegeperson für den Kläger im Falle einer Versorgung mit konventionellem Zahnersatz ohne Zweifel mit Unannehmlichkeiten verbunden gewesen wäre, wäre hierdurch seine Menschenwürde (vgl. hierzu Udsching in: Udsching, SGB XI, 3. Aufl. 2010, § 14 Rdn. 24) noch nicht betroffen gewesen.
Eine Auslegung des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in Verbindung mit VII. Ziff. 2. a) letzter Spiegelstrich der Behandlungsrichtlinie in dem vom Kläger geltend gemachten Sinn ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Antwort der Bundesregierung vom 25.07.2011 auf eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die sich mit der Versorgung contergangeschädigter Versicherter in der GKV befasst (BT-Drucks. 17/6679, 1 ff.). Die Bundesregierung hat dort u.a. mitgeteilt: Sie habe aufgrund von individuellen Fallschilderungen Kenntnis darüber erlangt, dass einzelne Versicherte die ihnen zustehenden Ansprüche auf Zahnersatz als unzureichend empfänden und beispielsweise eine Implantatversorgung ohne eine finanzielle Eigenbeteiligung wünschten. Nach geltendem Recht hätten contergangeschädigte Menschen – wie alle anderen Versicherten – einen Leistungsanspruch auf zahnärztliche Tätigkeit. Bei Vorliegen einer vom GBA festgelegten seltenen Ausnahmeindikation bestehe auch ein Sachleistungsanspruch auf implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion. Ein derartiger Anspruch bestehe jedoch nur dann, wenn keine konventionelle prothetische Versorgung möglich sei. Ob und inwieweit die artfremde Nutzung der Zähne als Greif- und Haltewerkzeug sowie die schädigungsbedingte unzureichende Mund- und Zahnpflege erhöhte Kosten für Zahnbehandlungen und Zahnersatz nach sich ziehe und damit verbunden eine Änderung der gesetzlichen Vorgaben zur vertragszahnärztlichen Versorgung bei contergangeschädigten Menschen erforderlich sei, solle sich u.a. im Rahmen einer von der Conterganstiftung für behinderte Menschen in Auftrag gegebenen Studie zeigen. Zudem werde z.Zt. auch vor dem Hintergrund des Konzepts u.a. der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) "Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter" geprüft, ob bzw. inwieweit ein Handlungsbedarf im Hinblick auf andere Bereiche der vertragszahnärztlichen Versorgung, wie z.B. die Prophylaxe, bestehe. Aussagen über gesetzgeberische Konsequenzen ließen sich gegenwärtig noch nicht treffen (BT-Drucks. 17/6679, 4 f.). Selbst wenn man diese Meinungsäußerung der Bundesregierung im Sinne einer Auslegungshilfe berücksichtigt, ergibt sich daraus, dass auch die Bundesregierung gegenwärtig davon ausgeht, dass sich die Versorgung contergangeschädigter Versicherter – streng – nach den Vorgaben des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V sowie der Behandlungsrichtlinie zu orientieren hat und eine erweiternde Auslegung oder entsprechende Anwendung der Ausnahmeindikationen zugunsten contergangeschädigter Versicherter nicht in Betracht kommt.
Aus dem Erlass des BMG vom 15.05.2008 ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine erweiternde Auslegung. Dieser Erlass fasst das Ergebnis von auf Ministeriums- und Spitzenebene geführter Fachgespräche hinsichtlich der Versorgungssituation contergangeschädigter Versicherter zusammen und gibt Hinweise für "eine sachgerechte Anwendung des geltenden Rechts bei der Versorgung contergangeschädigter Menschen mit Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung". Die Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz wird dort nicht thematisiert.
Ein Systemversagen im Bereich der GKV lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers schließlich nicht unter der Annahme konstruieren, dass Versicherte die Finanzierung der ungedeckten Kosten für implantatgestützten Zahnersatz aus den ihnen zufließenden Zahlungen aus der Conterganstiftung für behinderte Menschen zu bestreiten hätten und dies dem schmerzensgeldähnlichen Charakter der Zahlungen zuwiderliefe. Denn auch unter Zugrundelegung dieser Prämisse hätte es nach Auffassung des Senats dabei zu bleiben, dass die Folgen des Conterganskandals für die davon gesundheitlich Geschädigten durch den Staat und die Gemeinschaft der Steuerzahler abzumildern wären, nicht jedoch ausschließlich durch die GKV und die dahinter stehenden Beitragszahler. In eine ähnliche Richtung deuten die Handlungsempfehlungen der in der mündlichen Verhandlung angesprochenen Studie "Contergan – Wiederholt durchzuführende Befragungen zu Problemen, speziellen Bedarfen und Versorgungsdefiziten von contergangeschädigten Menschen" des Instituts für Gerontologie der Ruprecht Karls Universität Heidelberg vom 21.12.2012. Dort wird auf S. 243 die Empfehlung ausgesprochen, für die Zahnimplantatversorgung eine anderweitige Erstattung vorzusehen, nachdem ein Sachleistungsanspruch gegenüber der GKV grundsätzlich nicht bestehe.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Erstellt am: 08.04.2014
Zuletzt verändert am: 08.04.2014