Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 07. April 2004 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Dortmund zurückverwiesen. Dieses wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten einer ambulanten perkutanen Laserdiskusdekompression und -nukleotomie (PLDN).
Die bei der beklagten Krankenkasse pflichtversicherte Klägerin beantragte wegen therapieresistenter Rückenbeschwerden im Juni 2002 die Kostenübernahme für eine ambulante PLDN unter Vorlage von Stellungnahmen des Facharztes für Orthopädie und Chirotherapie Dr. T. Mit formlosem Bescheid vom 04.07.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die PLDN durch den "Bundesverband" der Ärzte und Krankenkassen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen worden sei. Man empfehle, sich an den behandelnden Arzt wegen alternativer Heilmethoden zu wenden. Im Übrigen bestehe die Möglichkeit der stationären LD.
Am 16.07.2002 führte Dr. T aufgrund der Diagnose "Prolaps L4/5" ambulant eine PLDN durch, wofür der Klägerin 880,70 Euro in Rechnung gestellt wurden. Für die laut Rechnung am 02.08.2002 erbrachten anaesthesiologischen Leistungen wurden weitere 262,37 Euro berechnet.
Die Klägerin legte am 23.01.2003 Widerspruch ein und machte geltend, die zunächst durchgeführte Behandlung mittels Krankengymnastik und Infusionen habe zu keinem Erfolg geführt. Erst die ambulante Operation habe ihre Schmerzfreiheit bewirkt. Zwecks der weiteren medizinischen Beurteilung könne eine Stellungnahme von Dr. T eingeholt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.02.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, weil es sich bei der PLDN um eine neue Behandlungsmethode handele, zu der sich der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt Gemeinsamer Bundesausschuss) bisher nicht geäußert habe. Infolgedessen könne eine entsprechende Behandlung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden.
Die Klägerin hat am 12.03.2003 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die streitige Behandlungsmethode sei medizinisch ausgereift und wesentliche Nebenwirkungen im Verhältnis zu einer stationären Maßnahme seien nicht zu befürchten. Die fehlende Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, der kein demokratisch legitimiertes Organ sei, könne die Kostentragungspflicht der Beklagten nicht hindern.
Das SG hat eine Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen eingeholt, der mit Schreiben vom 22.12.2003 darauf hingewiesen hat, dass ihm keine Unterlagen vorlägen, die erkennen ließen, ob die PLDN den für die vertragsärztliche Versorgung gesetzlich vorgegebenen Kriterien eines diagnostischen oder therapeutischen Nutzens, medizinischer Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit genüge. Ein Antrag auf Beratung dieser Methode sei ebenfalls nicht gestellt worden. Ob die PLDN einer Position des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) für vertragsärztliche Leistungen entspreche, müsse durch den zuständigen Bewertungsausschuss beantwortet werden. Die Klägerin hat daraufhin eine weitere Stellungnahme des Dr. T vom 31.07.2002 vorgelegt, auf welche verwiesen wird.
Mit Urteil vom 07.04.2004 hat das SG die Klage abgewiesen und sich auf den Standpunkt gestellt, die PLDN stelle eine neue Behandlungsmethode dar, für die bisher keine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses vorliege. Deren Fehlen stelle auch keinen Systemmangel dar, der ausnahmsweise die Abrechnungsfähigkeit der Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertige. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihr am 22.04.2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.04.2004 Berufung eingelegt. Sie hält angesichts der erfolgreichen Behandlung einer Vielzahl von Patienten mittels PLDN die fehlenden positive Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses für willkürlich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Dortmund vom 07.04.2004 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2003 zu verurteilen, ihr 1.143,07 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die begehrte Kostenerstattung müsse bereits daran scheitern, dass die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Kostenerstattung nicht erfüllt seien. Die Klägerin zähle nicht zu dem versicherten Personenkreis, der eine grundsätzliche Kostenerstattung in Anspruch nehmen könne. Eine Notfallbehandlung habe nicht vorgelegen. Schließlich beruhe die beschaffte Leistung nicht auf der ablehnenden Entscheidung, weil die Klägerin den Erlass des Widerspruchsbescheides nicht abgewartet habe.
Der Senat hat eine Auskunft des Bewertungsausschusses eingeholt. Dieser hat die Auffassung vertreten, dass auch die PLDN nach dem EBM abrechnungsfähig sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Auskunft vom 03.09.2004 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist i.S.d. Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und der Zurückverweisung an das SG begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift. Das SG hat seine Entscheidung unter Verletzung des § 103 Satz 1 SGG getroffen, wonach das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen erforscht. Das SG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhängt, ob die von der Klägerin gewählte Behandlungsmethode "neu" i.S.d. § 135 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) ist; es hat aber weder diese Frage hinreichend geklärt noch in ausreichender Weise ermittelt, ob bei Bejahung dieser Frage gleichwohl ausnahmsweise die Einstandspflicht der Beklagten aufgrund eines Mangels des gesetzlichen Leistungssystems – sog. Systemversagen – (vgl. grundlegend BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 21 ff.) vorliegt.
"Neu" i.S.d. § 135 SGB V sind Behandlungsmethoden, die auf einem eigenen theoretisch-wissenschaftlichen Konzept beruhen und die bisher keinen Eingang in die vertragsärztliche Versorgung gefunden haben (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 12 f.; Nr. 14 S. 62; § 92 Nr. 7 S. 50; § 27a Nr. 2 S. 18; § 27a Nr. 3 S. 28), wovon auch das SG ausgegangen ist. Woher das SG seine Kenntnis bezogen hat, dass letzteres nicht der Fall ist, ist nicht nachvollziehbar. Entgegen der Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen hat es keine Stellungnahme des Bewertungsausschusses zu der Frage eingeholt, ob die PLDN Eingang in den EBM gefunden hat und damit zur vertragsärztlichen Versorgung zählt. Die vom Senat eingeholte Auskunft des Bewertungsausschusses widerspricht der Ansicht des SG. Gleichwohl reicht diese Stellungnahme nicht aus, um den Rechtsstreit zu entscheiden.
Der Berufungsausschuss hat seine Auffassung darauf gestützt, dass die einschlägigen EBM-Positionen 2391/2392 den Begriff der "operativen Behandlung" nicht näher definierten. Daher sei auch das Einführen von Kanülen oder Sonden als operative Behandlung i.S. dieser EBM-Ziffern anzusehen. Diese Ansicht begegnet jedoch Bedenken, weil beide EBM-Ziffern den Zusatz "gegebenenfalls mikrochirurgisch" enthalten. Hätten ohnehin jegliche operativen Behandlungsmethoden erfasst werden sollen, hätte es dieses Zusatzes nicht bedurft. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK)/Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenversicherung (MDS) differenziert in seinem Untersuchungsbericht über das Verfahren der ambulanten PLDN – Projektgruppe P 18 – Stand Dezember 1999 – zwischen "offenen" und "mikrochirurgischen" einerseits und "perkutanen" Behandlungsmethoden andererseits (S. VI des Berichts). Auch Dr. T hat in seiner von der Klägerin vorgelegten Stellungnahme vom 31.07.2002 die PLDN nicht als chirurgisches, sondern als "minimal-invasives Schmerztherapieverfahren" bezeichnet. Das SG wird daher zu klären haben, ob die PLDN gleichwohl unter eine (mikrochirurgische) Behandlung i.S.d. EBM-Ziffern 2391/92 fällt. Insoweit bietet sich die Befragung der einschlägigen Fachgesellschaften und/oder Einholung eines Gutachtens von einem mit dieser Materie besonders vertrauten Sachverständigen, gegebenenfalls nach Beiladung des Bewertungsausschusses, an. Sollte sich dabei herausstellen, dass es sich nicht um eine neue Behandlungsmethode, sondern um eine nach dem EBM abrechenbare Position handelt, wird das SG weiter zu klären haben, ob der Eingriff im Falle der Klägerin notwendig und zweckmäßig gewesen ist.
Sollte das SG aufgrund seiner weiteren Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangen, dass die PLDN eine neue Behandlungsmethode i.S.d. § 135 SGB V ist, so wird das SG weiter zu klären haben, ob die bisher fehlende Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses auf einem Systemversagen beruht. Letzteres wäre der Fall, wenn das Anerkennungsverfahren trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt worden ist (BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 21). Dr. T hat in der genannten Stellungnahme auf entsprechende Studien und wissenschaftliche Veröffentlichungen verwiesen, die die Wirksamkeit der PLDN belegten. Diese Angaben werden nicht durch die vom SG eingeholte Stellungnahme des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt Gemeinsamer Bundesausschuss) widerlegt. Dieser hat zwar angegeben, dass ihm keine Unterlagen vorlägen, die erkennen ließen, ob die Methode den gesetzlichen Anforderungen für die vertragsärztliche Versorgung genügten. Gleichzeitig ist aber darauf verwiesen worden, dass sich der Bundesausschuss bisher mit der Methode noch nicht befasst habe und ein entsprechender Antrag bisher auch nicht gestellt sei. Daher ist nicht ersichtlich, dass der Bundesausschuss die Datenlage vollständig überprüft hat. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse in dem hier maßgeblichen Behandlungszeitraum im Jahr 2002 vorlagen und wie der Diskussionsstand in der einschlägigen medizinischen Wissenschaft war, ist daher offen, zumal auch die in den Akten befindliche Stellungnahme des MDK/MDS aus dem Jahr 1999 datiert.
Anlass zu diesen Ermittlungen gibt dabei auch der Umstand, dass die Beklagte die Klägerin im Verwaltungsverfahren ausdrücklich darauf verwiesen hat, dass eine stationäre LD zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden könne. Ob Letzteres der Fall ist, hat die Beklagte im Klageverfahren allerdings mit Nichtwissen bestritten, so dass unklar ist, worauf ihr früherer Hinweis beruhte. Jedenfalls wird das SG dieser Frage nachzugehen und zu klären haben, ob und inwieweit Erkenntnisse vorliegen, die auf den ambulanten Einsatz der PLDN übertragbar sind. Insoweit unterliegt die Beklagte und ihr anscheinend folgend das SG dem Irrtum, der Senat habe den Anspruch auf Versorgung mit neuen Behandlungsmethoden im stationären und im ambulanten Bereich gleichgestellt. Der Senat hat in seinem Beschluss über die Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe lediglich darauf verwiesen, dass die Anwendung neuer Methoden im stationären Bereich möglicherweise Erkenntnisse über den Nutzen auch in der ambulanten Versorgung erbringen könne. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Vorschrift des § 137c SGB V, der die Überprüfung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im stationären Bereich abweichend von § 135 SGB V regelt, erst zum 01.01.2000 in Kraft getreten ist und bis dahin auch im stationären Bereich ein Anspruch auf Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nur mit solchen Behandlungsmethoden bestand, über deren Nutzen ein entsprechender Konsens in der medizinischen Fachwelt aufgrund wissenschaftlicher Studienergebnisse bestand (zur Entwicklung vgl. BSG SozR 4-2500 § 137c Nr. 1 S. 4 ff.). Ob, seit wann und aufgrund welcher wissenschaftlichen Forschungsergebnisse die PLDN im stationären Bereich Einsatz gefunden hat, ist daher zu klären. Inwieweit eine Übertragbarkeit der entsprechenden Erkenntnisse auf den ambulanten Behandlungsbereich möglich ist, wird das SG erst aufgrund dieser Ermittlungen beurteilen können, so dass seine Feststellung, dass "aus der Anwendung im Krankenhausbehandlungsbereich nicht zwingend auf das Vorliegen von Voraussetzungen für die Anwendung im vertragsärztlichen Bereich geschlossen werden könne", keine ausreichende Begründung für seine Untätigkeit darstellt. Sollten sich Hinweise für ein Systemversagen ergeben, hätte das SG darüber hinaus zu prüfen, ob durch bereits anerkannte Behandlungsmethoden eine gleichwertige ausreichende Versorgung der Versicherten möglich war, was ebenfalls die Anwendung der neuen Behandlungsmethode zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausschlösse.
Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich i.S.d. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG, denn die Entscheidung des SG kann auf ihm beruhen.
Der von der Klägerin geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch ist nach dem Ergebnis der noch durchzuführenden Ermittlungen möglicherweise begründet und nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen. Rechtsgrundlage dieses Anspruchs kann allein § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V sein. Danach sind, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die streitigen Kosten durch ihre Ablehnung entstanden. Das insoweit erforderliche Kausalverhältnis zwischen Entstehung der Aufwendungen und der Leistungsablehnung seitens der Krankenkasse ist nicht erst dann gegeben, wenn das Widerspruchsverfahren abgeschlossen ist. Die in diese Richtung geführte Diskussion (vgl. BSG Urt. vom 06.02.1997 – 3 RK 9/96 – = USK 97 112) hat in der jüngeren Rechtsprechung keine Bestätigung gefunden (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 11, S. 56; 22, 106; SozR 4-2500 § 135 Nr. 1 S. 3; vgl. auch Wagner in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung – Kommentar – Rdn. 28 zu § 13 SGB V). Jedenfalls die Ablehnung durch einen (förmlichen oder nicht förmlichen) Bescheid ist ausreichend, um die Entstehung der Kosten als Folge der Ablehnungsentscheidung anzusehen. Auch die infolge einer nicht förmlichen, aber endgültigen Verweigerung der Einstandspflicht erfolgte Selbstbeschaffung der Leistung durch den Versicherten ist durch das Verhalten der Krankenkasse bedingt. Die Beklagte hat ihre Einstandspflicht aber bereits mit dem Schreiben vom 04.07.2002 eindeutig verneint und damit vor Durchführung des operativen Eingriffs am 16.07.2002, dessen Kosten im Streit stehen.
Im Hinblick auf den Umfang der noch durchzuführenden Ermittlungen sieht es der Senat auch zur Erhaltung der Instanzen für die Beteiligten sowie unter Berücksichtigung der Kürze des Berufungsverfahrens als angemessen an, den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen.
Dieses wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 12.06.2006
Zuletzt verändert am: 12.06.2006