Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 17. Dezember 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung.
Der 1936 geborene Kläger, der an Encephalomyelitis disseminata (MS) mit ausgeprägter Gangataxie leidet und dem ein Grad der Behinderung von 70 nebst Merkzeichen "G" zuerkannt ist, beantragte im Mai 1998 unter Vorlage eines Attestes des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. E vom 15.05.1998 die Gewährung von Pflegeleistungen. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung – MDK – Westfalen-Lippe verneinte in seinem Gutachten vom 03.07.1998 einen Hilfebedarf bei der Grundpflege, woraufhin die Beklagte mit formlosen Bescheid vom 09.07.1998 Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit ablehnte.
Der Kläger legte am 13.08.1998 Widerspruch ein und machte geltend, eine Pflegeperson sei viermal wöchentlich für ca. sieben Stunden bei ihm. Er bedürfe der Hilfe beim Gehen im Freien und Treppensteigen zu seinem Keller, wodurch ein wöchentlicher Hilfebedarf von vier Stunden bedingt werde. Darüber hinaus bedürfe er erheblicher Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Des Weiteren suche er ca. alle 10 Wochen mit dem Taxi den Arzt auf.
In einem ergänzenden Gutachten vom 01.10.1998 verblieb der MDK bei seiner Einschätzung, weil der Keller nicht zu grundpflegerischen Verrichtungen aufgesucht werden müsse und ein Hilfebedarf beim Gehen außerhalb der Wohnung nur anrechnungsfähig sei, sofern es für Arzt- und Therapeutenbesuche erforderlich sei. Der allein an zuerkennende umfassende hauswirtschaftliche Hilfebedarf sei nicht ausreichend, Pflegeleistungen zu bewilligen. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.12.1998 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 25.01.1999 vor dem Sozialgericht – SG – Münster Klage erhoben auf Bewilligung von Pflegegeld nach Pflegestufe I. Er hat geltend gemacht, der wöchentliche Pflegeaufwand betrage 15 bis 20 Stunden. Das Aufsuchen des Kellers sei erforderlich, um Sprudelwasser für die Einnahme von Medikamenten und Nahrungsmittel für das Mittagessen zu holen. Er hat die Ansicht vertreten, die Pflegebedürftigkeit müsse auch dann bejaht werden, wenn der zu Pflegende nur noch unter außergewöhnlichen Anstrengungen seine Mobilität erhalte. Zur Stützung seines Vorbringens hat er eine Bescheiniung des Dr. Esters vom 22.01.1999 vorgelegt, der ohne weitere Begründung eine erhebliche Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe I bescheinigt hat.
Das SG hat ein Gutachten vom Praktischen Arzt/Sozialmediziner Dr. E eingeholt. In seinem Gutachten vom 21.08.1999 ist dieser zu dem Ergebnis gelangt, im Rahmen der Grundpflege benötige der Kläger nur Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, da er sechsmal jährlich in Begleitung einer Pflegeperson den Arzt aufsuche; die Pflegeperson besorge zwölfmal jährlich Medikamente aus der neben der zu besuchenden Arztpraxis gelegenen Apotheke. Daraus resultiere ein berücksichtungsfähiger Zeitaufwand bei der Grundpflege von täglich zwei Minuten neben einem hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf von täglich 60 Minuten.
Demgegenüber hat der Kläger geltend gemacht, der Hilfebedarf bei der Mobilität betrage täglich 60 Minuten und der für die hauswirtschaftliche Versorgung ca. 180 Minuten.
Mit Gerichtsbescheid vom 17.12.1999 hat das SG die Klage abgewiesen, weil nach den Feststellungen des Sachverständigen der tägliche Hilfebedarf bei der Grundpflege lediglich zwei Minuten betrage und daher nicht, wie für die Gewährung von Pflegeleistungen erfor derlich, 45 Minuten übersteige.
Gegen den ihm am 07.01.2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27.01.2000 Berufung eingelegt. Er macht geltend, wegen einer Fallneigung und Schwindelanfällen sei ihm das Gehen im Freien ohne Personenbegleitung nicht möglich. Die Begleitung einer Pflegeperson sei bei allen außerhäuslichen Verrichtungen wie Arzt besuchen, Erledigung von Bankgeschäften, Behördenbesuchen etc. erforderlich. Des Weiteren bedürfe er der Hilfe beim Treppensteigen, wobei zum Verlassen des Hauses drei Stufen zu überwinden seien. Der Hilfebedarf im Bereich der Mobilität betrage daher täglich 60 Minuten. Hinzu komme Hilfebedarf von ca. 180 Minuten bei der hauswirtschaftlichen Versorgung.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom
17.12.2000 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.12.1998 zu verurteilen, ihm Pflegegeld nach Pflegestufe I ab Mai 1998 zu bewilligen, hilfsweise, ein weiteres medizinisches Gutachten zur Frage seiner Pflegebedürftigkeit einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht ihre Entscheidung durch die Gutachten des MDK und des Sachverständigen als bestätigt an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Senat ergehen, da sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise ein verstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil dem Kläger ein Anspruch auf Pflegeleistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nicht zusteht.
Der Anspruch auf Pflegegeld setzt gemäß § 37 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XI – voraus, daß Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 SGB XI vorliegt. Danach sind pflegebedürftig im Sinne des SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer voraussichtlich für mindestens 6 Monate, im erheblichen oder höheren Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen. Gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen in diesem Sinne sind nach § 14 Abs. 4 SGB XI in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Grundpflege) sowie hauswirtschaftliche Versorgung aufgeteilt, so daß allein der Umfang des Pflegebedarfs bei diesen Verrichtungen für die Zuordnung zu einer Pflegestufe von Bedeutung ist (vgl. Bundessozialgericht – BSG – in Sozialrecht – SozR – 3-3300 § 14 Nrn. 2 und 6; BSG Urt. vom 17.06.1999 – B 3 P 10/98 R -). Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI in der hier maßgeblichen Fassung des 1. SGB XI – ÄndG vom 14.06.1996 (BGBl. I, 138) setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) voraus, daß er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Zusätzlich ist nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI erforderlich, daß der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, täglich im Wochendurchschnitt 90 Minuten beträgt, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.
Diese Voraussetzungen sind beim Kläger nicht erfüllt, da ein relevanter Hilfebedarf in der Grundpflege bei ihm nicht festzustellen ist. Dies steht aufgrund des Gesamtergebnisses der Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren unter besonderer Berücksichtigung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. E zur Überzeugung des Senats fest.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen bedarf der Kläger ledig lich der Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Der Kläger selbst macht darüber hinaus einen Hilfebedarf beim Treppen steigen geltend. Es kann dahinstehen, ob das Treppensteigen zwecks Aufsuchens des Kellers, der außerhalb der Wohnung liegt, überhaupt zu dieser Verrichtung und nicht zum Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung gehört (vgl. Begutachtungs-Richtlinien – BRi – der Spitzenverbände der Pflegekassen vom 21.03.1997 Abschnitt D Teil 5.3 Ziff. 14). Jedenfalls zählt das Treppensteigen nur zum Grundpflegebedarf, wenn es in einem Zusammenhang mit den anderen Verrichtungen der Grundpflege steht (BRi a.a.O.; BSG Urt.v.29.04.1999 – B 3 P 7/98 R -). Dies ist nach dem eigenen Vortrag des Klägers jedoch nicht der Fall. Soweit er geltend macht, das Aufsuchen des Kellers sei erforderlich, um Sprudelwasser für die Einnahme von Medikamenten zu holen, fehlt ein Bezug zu den Grundpflegeverrichtungen, da die Medikamenteneinnahme zu den krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen zählt und daher im Bereich der Grundpflege keine Berücksichtigung finden kann (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 2; BSG Urt.v. 17.06.1999 – B 3 P 10/98 R -). Das Aufsuchen des Kellers, um Eßwaren in die Wohnung zu holen, dient der hauswirtschaftlichen Versorgung und kann daher ebenfalls nicht beim Grundpflegebedarf in Anrechnung gebracht werden (vgl. BRi a.a.O., BSG Urt.v. 29.04.1999 – B 3 P 7/98 R -).
Soweit der Sachverständige eine Hilfe beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung zum Zweck des Arzt- und Apothekenbesuchs in Ansatz gebracht hat, können auch diese Zeiten keine Berücksichtigung finden. Zwar sind Arztbesuche grundsätzlich im Rahmen des Pflegebedarfs beachtlich, weil sie "für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen" (Bundesrats- Drucksache 505/93, S. 97). Dies steht nach § 15 Abs. 3 SGB XI aber unter dem Vorbehalt, daß derartige Verrichtungen regelmäßig mindestens einmal wöchentlich anfallen müssen, um sie dem Pflegebedarf zuzurechnen (BSG wie vor), woran es hier fehlt, da die Arztbesuche nicht einmal monatlich nach dem Vorbringen des Klägers stattfinden. Auch Besuche der Apotheke, die zum einen teilweise mit den Arztbesuchen zusammenfallen und zum anderen auch das persönliche Erscheinen des Klägers nicht erforderlich machen, finden lediglich einmal monatlich statt. Dasselbe gilt offensichtlich schließlich für Behördenbesuche. Die Hilfe für das Verlassen und Wiederaufuchen der Wohnung anläßlich sonstiger Aktivitäten ist hingegen im Rahmen des § 14 Abs. 4 SGB XI nicht berücksichtigungsfähig. Selbst wenn man aber mit dem Sachverständigen und nach der Meinung des Klägers für diese Verrichtung einen Hilfebedarf in Ansatz brächte, scheitert der Anspruch des Klägers daran, daß in diesem Fall nur für eine, nicht aber für mehrere der in § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI genannten Verrichtungen ein Hilfebedarf vorliegt. Das Erfordernis des § 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI, daß bei wenigstens zwei Verrichtungen Hilfebedarf bestehen muß, ist aber für den Anspruch auf Pflegeleistungen unverzichtbar (BSG Urt.v. 17.06.1999 – B 3 P 10/98 R -).
Daß der Kläger bei den übrigen Verrichtungen des abschließenden Katalogs des § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI keiner Hilfe bedarf, entspricht sowohl den Feststellungen der Gutachter als auch dem Vorbringen des Klägers selbst. Unter diesen Umständen bestand für den Senat kein Anlaß, ein weiteres medizinisches Gutachten einzuholen, da sein Anspruch offensichtlich nicht begründet ist. Der gegenteiligen Bescheinigung des Dr. E kommt kein Beweiswert zu, da er seine Auffassung nicht konkret bezogen auf die Verrichtungen des § 14 Abs. 4 SGB XI begründet hat.
Die Berufung mußte vielmehr mit der auf § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG – beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Erstellt am: 10.08.2003
Zuletzt verändert am: 10.08.2003