Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 11.06.2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Mit Schreiben vom 27.05.2009 zeigte die AOK Westfalen-Lippe der Beklagten eine BK wegen der Diagnose Spondylose Lumbalbereich und Arbeitsunfähigkeit seit 16.12.2008 an und machte einen Erstattungsanspruch geltend. Der Anzeige fügte sie einen Auszug aus dem Vorerkrankungsverzeichnis, Berichte der Orthopäden Dres. G u.a. (04.05.2009) und des Internisten Dr. T (17.01.2009 und 17.04.2009) sowie einen von der Klägerin am 21.04.2009 ausgefüllten "Erhebungsbogen bei Erkrankungen der Lenden- und/oder Halswirbelsäule" an.
Zu ihrer Arbeitsvorgeschichte gab die am 00.00.1959 geborene Klägerin an, nach der Schulentlassung zunächst den Friseurberuf erlernt zu haben und anschließend mit Unterbrechungen im Verkauf, als Zeitungsbotin und Lagerarbeiterin sowie nach einer Umschulung zur Altenpflegerin (1996 – 1999) ebenfalls mit Unterbrechung bis 2009 in diesem Beruf tätig gewesen zu sein.
Die Beklagte holte weitere Auskünfte der Krankenkassen neue BKK und AOK zu Vorerkrankungen sowie der Klägerin und ihrer Arbeitgeber zu den beruflichen Tätigkeiten ein (AMT S [Ausbildung 15.04.1996 – 15.04.1999], I S (01.05.1999 – 28.07.2000), Altenpflegezentrum E (01.08. – 31.10.2000), Pflegezentrum H (01.11.2000 – 31.04.2001), T Pflegedienst (01.02.-15.08.2005), Privater Pflegedienst L (Beschäftigung 01.09.2005 – 31.08.2006), Diakoniestation S (Beschäftigung 01.10.2006 – 30.09.2008), K-Haus I (Beschäftigung 01.10.2008 – 07.01.2009). In den Zwischenzeiten war die Klägerin nach ihrer Auskunft arbeitsunfähig oder arbeitslos. Ebenfalls zog die Beklagte medizinische Berichte bei (Klinikum W, Neurochirurgie, vom 09.07.2009 [stat. Behandlung: 23.06.2009 – 09.07.2009], vom 22.09.2009 [stat. Behandlung: 25.08.2009 – 22.09.2009] und vom 23.11.2009 [stat. Behandlung: 16.11.2009 – 23.11.2009], Röntgenaufnahmen des Ev. KH I, Berichte der Dres. G u.a. vom 29.12.2009 mit weiteren Arztberichten und vom 04.01.2010, Arztbrief der Neurochirurgischen Gemeinschaftspraxis am Klinikum W vom 24.11.2009, Bericht des Dr. T vom 04.01.2010 mit weiteren Fremdarztberichten, Bericht des Orthopäden Dr. K vom 11.01.2010, Bericht des Q-Hospitals S vom 25.11.2009, Bericht des Neurologen und Psychiaters Dr. I vom 08.03.2010 mit weiteren Fremdarztberichten, Bericht des Neurochirurgen W1 vom 18.03.2010 und Entlassungsbrief der N Klinik GmbH vom 24.02.2010 (stat. Behandlung: 15.02. – 22.02.2010) bzw. Arztbrief vom 11.02.2010.
Der Präventionsdienst der Beklagten ermittelte eine Arbeitsplatzexposition nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) von 7,4 x 106 Nh. Dies entspreche 44% des für Frauen geltenden Orientierungswerts von 17 x 106 Nh. Das dritte Zusatzkriterium der Konsenskriterien (hohe Spitzenbelastungen) sei erfüllt (Stellungnahme vom 09.06.2010).
Mit Bescheid vom 24.09.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 ab, da eine ausreichende berufliche Belastung nach dem MDD nicht gegeben sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 14.10.2010 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2011 zurück.
Die Klägerin hat am 24.02.2011 Klage beim Sozialgericht (SG) Dortmund, von dort verwiesen an das SG Gelsenkirchen, erhoben und die Anerkennung einer BK 2108 begehrt. Sie hat weitere Erhebungsbögen zu ihrer Arbeitsbelastung von März 1976 bis Januar 1978 (Firma I) und von August bis November 1995 (Firma Aldi) übersandt. Hierzu hat der Präventionsdienst der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution eine (zusätzliche) berufliche Gesamtdosis von 1,5 x 106 Nh (9% der Gesamtdosis) errechnet.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre Gesamtbelastungsdosis erreiche die Vorgaben des Bundessozialgerichts (BSG) zur notwendigen beruflichen Belastung bei der BK 2108. Ein Ursachenzusammenhang zwischen ihrer schweren beruflichen Tätigkeit und den Bandscheibenschäden sei auch wahrscheinlich. Dies ergebe sich aus dem im gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten des Dr. P. Soweit demgegenüber der gerichtliche Sachverständige Dr. W einen Zusammenhang ablehne, sehe er fälschlich die Konstellation B3 der Konsensempfehlungen als gegeben an. Tatsächlich liege die Konstellation B2 vor, da sie das Zusatzkriterium des besonderen Gefährdungspotentials durch hohe Belastungsspitzen erfülle.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24.09.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihr eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 nicht vorlägen. Sofern der Präventionsdienst während des Klageverfahrens neben der festgestellten Belastung bei der Pflegetätigkeit von 7,4 x 106 Nh eine weitere Dosis von 1,5 x 106 Nh (Arbeitsbelastung 1976-1978 bzw. 1995) errechnet habe, ändere dies nichts am bisherigen Ergebnis. Auch das BSG fordere eine medizinische Begutachtung bei Werten ab 50% nur in "besonders gelagerten Fällen". Dieser liege hier nicht vor. Berücksichtigt werden müsse, dass die Belastung von 1,5 x 106 Nh bis Januar 1978 eingetreten sei und anschließend bis zur Altenpflegetätigkeit knapp 20 Jahre ein belastungsfreies Intervall gelegen habe. Zur Untermauerung ihrer Auffassung, dass kein besonders gelagerter Fall vorliege, hat die Beklagte ergänzend eine chirurgisch-fachärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. F vom 03.08.2012 überreicht. Da keine ausreichende berufliche Exposition gegeben sei, müsse ihrer Auffassung nach von einer Konstellation A2 der Konsensempfehlungen ausgegangen werden.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichts des Orthopäden Dr. K vom 10.05.2012 mit weiteren Fremdarztberichten und anschließend eines orthopädischen Gutachtens des Dr. W vom 19.03.2013 und Ergänzung vom 08.03.2014. Der Sachverständige hat die Auffassung vertreten, dass die beruflichen Belastungen mit relativ niedriger Gesamtdosis im Hinblick darauf, dass ein Teil der Belastung bereits viele Jahre zuvor erfolgt sei, eher gegen als für die Wesentlichkeit der beruflichen Belastung spreche, ohne diese jedoch sicher auszuschließen. Der Zeitpunkt der Erstmanifestation (wohl zwischen 2004 und 2008) mit einem knappen Erreichen der Hälfte des Richtwerts zu diesem Zeitpunkt gebe auch keinen deutlichen Hinweis auf die Wesentlichkeit der Berufstätigkeit. Problematisch sei die Frage, ob bei der Klägerin überhaupt eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen vorliege. Die Veränderungen im Kernspin 2009 (erstgradige Chondrosen und Bandscheibenvorwölbungen in den Segmenten L 3/ L 4 und L 4/ L 5) seien z. T.eventuell gerade eben als altersunüblich anzusehen. Für den Zusammenhang spreche, dass das Segment L4/5 vorrangig betroffen und die Veränderungen belastungskonform an der LWS akzentuiert seien. Dagegen spreche, dass sie nicht, wie belastungskonform zu erwarten, von kopf- nach fußwärts zunähmen, da das am stärksten belastete Segment L5/S1 unauffällig sei. Konkurrenzfaktoren gebe es nicht. Das Schadensbild sei daher am ehesten in die Konstellation B3 einzuordnen. Es müsse daher zur Anerkennung ein Zusatzkriterium vorliegen. Wenn man hier ein besonderes Gefährdungspotential durch Belastungsspitzen annähme, sei ein Zusammenhang vor dem Hintergrund der übrigen Tatsachen dennoch nicht zu bejahen. Die Gesamtbelastung sei gering und die Manifestation bereits vor oder knapp nach Erreichen der Hälfte des Richtwerts erfolgt. Das Schadensbild der Klägerin unterscheide sich nur geringfügig von dem Schadensbild, das im Alter der Klägerin häufig auch ohne Belastung anzutreffen sei. Darüber hinaus handele es sich bei der Konstellation B 2 bereits um einen Grenzfall, so dass die übrigen Kriterien seiner Auffassung nach eindeutig erfüllt sein müssten, um eine ausreichende Trennschärfe zu nicht beruflichen Erkrankungen zu ermöglichen.
Auf Antrag der Klägerin gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG anschließend ein Gutachten des Orthopäden Dr. P vom 16.12.2013 eingeholt. Dieser hat seiner Beurteilung umfangreiche generelle und grundsätzliche Anmerkungen zur BKV, zu medizinisch-biologischen Prozessen und den Grenzen der Differentialdiagnostik sowie zum Thema bandscheibenbedingte Erkrankungen vorangestellt. Insbesondere hat er ausgeführt, dass der Verordnungsgeber nicht definiert und gefordert habe, dass für die medizinische Bejahung der Frage der "haftungsausfüllenden Kausalität" einer BK 2108 eine spezifische Befundkonstellation in der bildgebenden Diagnostik erforderlich sei. Im Zusammenhang mit der BK 2108 habe sich eine absurde und dem Ziel und Zweck der BKV diametral zuwider laufende, scheinbar medizinische Diskussion entwickelt. Durch epidemiologische Untersuchungen sei bekannt, dass Personen, deren berufliche Belastungen die Kriterien der BK 2108 erfüllten, im statistischen Durchschnitt – aber eben nur da – häufiger polysegmentale radiologische Veränderungen zeigten. Diese Gruppenerkenntnisse verlangten aber den Hinweis, dass sich bandscheibenbedingte Erkrankungen nicht mittels der bildgebenden Diagnostik, sondern nur durch subtile Befragung und sorgfältige Untersuchung sowie den Ausschluss alternativer Krankheiten sichern ließen. Soweit Prof. Dr. F und Dr. W sich der Bildgebung widmeten, mache dies keinen Sinn, weil es keine bildgebende Darstellungsmöglichkeit der Wirbelsäule gebe, die den absolut vordergründigen Krankheitsteil, d.h. die sozialmedizinisch relevanten Schmerzen erahnen ließen. Die bildgebenden Befunde könnten grundsätzlich und kategorisch bei einer Einzelfallentscheidung nicht den geringsten Beitrag leisten. Da der Verordnungsgeber im Rahmen der "haftungsausfüllenden Kausalität" ein spezifisches oder besonderes Erkrankungsbild nicht gefordert habe, stünden alle Formen einer bandscheibenbedingten Erkrankung unter dem Schutz der BKV, wenn die weiteren Voraussetzungen erfüllt seien. Unstreitig sei, dass die Klägerin unter einer gravierenden Ausprägung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leide und 2 Operationen nicht den gewünschten Erfolg gebracht hätten. Ob die haftungsbegründenden Kriterien erfüllt seien, müsse das Gericht entscheiden. Soweit das Gericht frage, ob die Bandscheibenerkrankung an der LWS nach den Konsensempfehlungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich auf die Berufstätigkeit zurückzuführen sei, lasse sich diese Frage mit medizinischen Befunden nicht beantworten. Wenn das Gericht die haftungsbegründenden Voraussetzungen für gegeben halte, sei die MdE mit 50 v. H. zu bewerten.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 11.06.2014 stattgegeben und die Beklagte zur Anerkennung einer BK 2108 verurteilt. Zusammengefasst hat es sich auf das Gutachten des Dr. W gestützt, nur dessen Schlussfolgerung nicht geteilt. Zur Überzeugung des Gerichts bestehe eine Konstellation B2 nach den Konsensempfehlungen. Soweit Dr. W keines der Zusatzkriterien dieser Konstellation angenommen habe, gehe er von unrichtigen Voraussetzungen aus, da die Präventionsabteilung eine Spitzenbelastung bejaht habe. Dies entspreche bei Altenpflegern auch der Rechtsprechung. Die Auffassung des Dr. W, auch bei Unterstellung eines Zusatzkriteriums sei ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich, vermöge die Kammer nicht zu überzeugen. Ein Zusammenhang sei auch bei nur grenzwertigen Veränderungen wahrscheinlich. Hier werde eine Unterscheidung in den Konsensempfehlungen nicht vorgenommen. Die Exposition sei ausreichend, wenn sie sich wie hier aus mehreren Abschnitten zusammensetze. Eine Konstellation A, wie von der Beklagten angenommen, liege damit nicht vor.
Gegen das ihr am 02.07.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.07.2014 Berufung eingelegt. Das Gutachten des Dr. P sei ohne jeden Bezug zu den Konsensempfehlungen und sonstigen relevanten Beurteilungsgrundlagen (MDD und entsprechende Rechtsprechung) ergangen und daher keine geeignete Beurteilungsgrundlage. Das SG habe fälschlich eine eigene medizinische Bewertung eingebracht, indem es entgegen Prof. Dr. F und Dr. W den belastungsfreien Zeitraum zwischen 1978 und 1996 als unerheblich sowohl bei der Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen als auch bei der Kausalbewertung angesehen habe. Darüber hinaus habe es bereits die geringe Überschreitung des vom BSG gesetzten Grenzwerts von 50% des MDD als vermeintlich ausreichend angesehen, um eine Verursachungswahrscheinlichkeit ableiten zu können. Das BSG selbst habe hingegen gesagt, dass Orientierungswerte keine unverbindliche Größe seien, die beliebig unterschritten werden könnten. Welches Maß an belastender Einwirkung mindestens erforderlich sei, um eine BK – ggf. unter Einbeziehung weiterer Kriterien – anzuerkennen oder auszuschließen, müsse unter Zuhilfenahme (u.a.) medizinischer Sachkunde nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entschieden werden. Das BSG räume dabei auch ein, dass der von ihm herangezogene Grenzwert von 50% des Orientierungswerts für den Ausschluss einer BK möglicherweise zu niedrig sei. Im konkreten Fall lasse sich nach Auffassung von Prof. Dr. F und Dr. W bei Gesamtwürdigung aller Einzelumstände keine Verursachungswahrscheinlichkeit begründen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 11.06.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ihrer Auffassung nach ermittele das MDD gerade die Lebensarbeitszeitdosis. Einzelne Werte könnten daher nicht herausgerechnet werden. Ebenfalls könne eine nur geringe Überschreitung des Grenzwerts (hier 53% des Orientierungswerts) nicht dazu dienen, eine Kausalität stets als unwahrscheinlicher anzunehmen, weil nicht 100% erreicht würde. Mit einer solchen Argumentation würde die Beklagte quasi die Grenzwerte heraufsetzen. Das SG habe auch keine eigene medizinische Wertung vorgenommen, sondern lediglich die Konsensempfehlungen angewendet und hierbei zurecht die Konstellation B2 angenommen, die eben Belastungsspitzen berücksichtige.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht zur Anerkennung einer BK 2108 verurteilt. Entgegen seiner Auffassung ist die Klage nicht begründet und daher abzuweisen. Der angefochtene Bescheid vom 24.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2011 (§ 95 SGG ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG)). Ein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer BK 2108 besteht nicht.
Rechtsgrundlage für die Anerkennung der begehrten BK ist § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. BKen sind gem. § 9 Abs. 1 SGB VII nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGB I, S. 2623), die sich insoweit nicht mehr geändert hat, ist die BK 2108 als "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können" bezeichnet.
Die Anerkennung einer BK 2108 setzt demnach voraus, dass der Versicherte auf Grund von Verrichtungen bei einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet hat und hierdurch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden ist und noch besteht. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist ein Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Verrichtungen (sachlicher Zusammenhang), diesen Verrichtungen und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) und den Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsbegründende Kausalität) erforderlich. Schließlich muss der Versicherte gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben und die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als Folge des Zwangs auch tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK 2108 nicht vor (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2008 – B 2 U 14/07 R – juris Rn. 23; Urt. v. 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R – juris Rn. 16 f.). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist hingegen keine Voraussetzung für die Anerkennung der BK, sondern lediglich für einen etwaigen, auf dieser BK beruhenden Leistungsanspruch (vgl. hierzu BSG Urt. v. 04.07.2013 – B 2 U 11/12 R – juris Rn. 12).
In beweisrechtlicher Hinsicht müssen die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Hingegen genügt für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.07.2013 – B 2 U 11/12 R – juris Rn. 12; Urt. v. 27.06.2006 – B 2 U 20/04 R – juris Rn. 15; Urt. v. 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – juris Rn. 20). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.09.2012 – B 3 KR 10/12 R – juris Rn. 47 mwN; Urt. v. 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – juris Rn. 20 mwN; Beschl. v. 08.08.2001 – B 9 V 23/01 R – juris Rn. 4 mwN).
Vorliegend ist die Klägerin bei ihrer – versicherten – beruflichen Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen (dazu 1). Ob diese Einwirkungen in einem Ausmaß vorliegen, das die Bedingungen der BK 2108 erfüllt, hält der Senat für zweifelhaft (dazu 2). Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da eine BK 2108 auch dann nicht anzuerkennen ist, wenn man hiervon ausgeht. Zwar ist – wenngleich nur sehr grenzwertig – eine bandscheibenbedingte Erkrankung bei der Klägerin anzunehmen, jedoch fehlt es an einem hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zwischen den schädigenden Einwirkungen und dieser Erkrankung (dazu 3).
1) Die Klägerin ist bei ihrer beruflichen Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK 2108 ausgesetzt gewesen. Nach dem aktenkundigen Sachstand hat sie bei der Firma I (03/1976 bis 01/1978) Lagerarbeiten ausgeführt und dabei Konservenpaletten mit Gewichten von 10 bis 20 kg gehoben und getragen sowie Schweine- und Rindfleisch mit Gewichten von 50 kg zu zweit umgesetzt. Bei der Firma Aldi (07.08.1995 bis 06.11.1995) hat sie Zigarettenstangen in einer Box mit Gewichten von 5 kg bzw. lose Tabakwaren mit Gewichten von 3 kg gehoben und getragen. In besonderem Maß sind relevante Hebe- und Tragetätigkeiten im Rahmen der Tätigkeit als Altenpflegerin in verschiedenen Pflegeeinrichtungen angefallen (15.04.1996 bis 15.04.1999, 01.05.1999 bis 28.07.2000, 01.08. bis 31.10.2000, 01.11.2000 bis 31.01.2001, 01.05. bis 30.11.2001, 01.02. bis 15.08.2005, 01.09.2005 bis 31.08.2006, 01.10.2006 bis 30.09.2008, 01.10.2008 bis 07.01.2009). Bei sämtlichen Tätigkeiten war die Klägerin als Beschäftigte gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Die Hebe- und Tragevorgänge standen in sachlichem Zusammenhang mit der jeweiligen Tätigkeit.
2) Ob die genannten schädigenden Einwirkungen den tatbestandlichen Voraussetzungen der BK 2108 entsprechen, sieht der Senat als zweifelhaft an. Die beruflichen Einwirkungen bei der Klägerin erreichen die Orientierungswerte des MDD nicht (dazu a). Sie entsprechen auch nicht einer "langjährigen" Belastung im Sinne des Merkblatts der BK 2108 (dazu b). Sofern sie die vom BSG in Modifizierung des MDD angenommenen Gesamtbelastungsrichtwerte – lediglich knapp – überschreiten, kann dies allein das Tatbestandsmerkmal nicht belegen (dazu c).
a) Die im Text der BK 2108 verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe "langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten" sowie "langjährige" Tätigkeiten "in extremer Rumpfbeugehaltung" stellen nur ungenau umschriebene Einwirkungen dar und sind auslegungsbedürftig (vgl. BSG Urt. v. 18.03.2003 – B 2 U 13/02 R – juris Rn. 17 auch zur diesbezüglichen Verfassungsmäßigkeit). Als geeignete Grundlage zur Konkretisierung der sog. "arbeitstechnischen Voraussetzungen" der BK ist das MDD heranzuziehen, das zur Überzeugung des Senats jedenfalls derzeit (noch) den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand über die Verursachung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) durch äußere Einwirkungen wiedergibt (vgl. auch BSG Urt. v. 18.11.2008 – B 2 U 14/07 R – juris Rn. 25, 28 und B 2 U 14/08 R – juris Rn. 25; Urt. v. 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R – juris Rn. 22; Urt. v. 19.08.2003, B 2 U 1/02 R juris Rn. 15; Urt. v. 18.03.2003 – B 2 U 13/02 R – juris Rn. 19). Nach dem MDD ist Richtwert für die Gesamtbelastungsdosis im Sinne der BK 2108 bei Frauen ein Wert von 17 x 106 Nh. Den für sie geltenden Richtwert erreicht die Klägerin nicht; vielmehr ist ihre Gesamtbelastungsdosis mit 8,9 MNh anzusetzen. Der Senat folgt hier den im Verfahren erstellten Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten vom 09.06.2010 für den Zeitraum 1996 bis 2009 (7,4 x 106 Nh) bzw. der Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution vom 22.02.2012 für den Zeitraum 1976 bis 1978 und 1995 (1,5 x 106 Nh), gegen die die Klägerin insbesondere im Hinblick auf die angesetzten Arbeitsvorgänge keine Einwände erhoben hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die für die verschiedenen Zeiträume erhobenen Belastungsdosen zusammenzurechnen und der frühere Zeitraum nicht wegen der langen zwischenzeitlichen belastungsfreien Phase außer Acht zu lassen (vgl. auch Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 2108, Anm. 2.2.2; Römer in Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch SGB VII, Anhang zu K § 9 BK-Nrn. 2108-2110 Rn. 7 mwN). Dies entspricht auch dem Grundgedanken der dem MDD vorausgegangenen Mainz-Dortmunder Gespräche (vgl. Jäger u.a., MDD – Retrospektive Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder, ASUMed 1999, 101, 103: Bestimmung einer Lebensdosis).
b) Die berufliche Tätigkeit der Klägerin entspricht auch nicht einer "langjährig" belastenden Berufstätigkeit im Sinne der Definition des Merkblatts zur BK 2108. So sah das Merkblatt in seiner ursprünglichen Fassung vom 18.12.1992 (BArbBl. 3/93, S. 50, unter IV) als Anhaltspunkt für eine langjährige Tätigkeit ca. 10 Berufsjahre als untere Grenze der Belastung an. Dies ist auch der jetzigen Fassung der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 01.09.2006 (BArbBl. 10/2006, S. 30, unter IV) trotz erheblicher Überarbeitung unter anderem mit Bezugnahme auf die Berechnung nach kumulativen Dosismodellen unverändert beibehalten worden. Wenngleich die Merkblätter nicht in erster Linie als juristische Arbeitshilfe, sondern als Hilfsmittel für die ärztliche Untersuchung gedacht waren und entsprechend weder rechtlich verbindlich sind noch den neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergeben (vgl. BSG Urt. v. 18.03.2003 – B 2 U 13/02 R – juris Rn. 20), beziehen sie doch Eckpunkte mit ein, die als Motive für den seinerzeitigen Verordnungsgeber wegweisend waren (vgl. BR-Drs. 773/92; BSG Urt. v. 18.03.2003 – B 2 U 13/02 R – juris Rn. 20). Sie beruhen darüber hinaus auf konkreten epidemiologischen Studien bei Bauarbeitern und Pflegepersonal, nach denen in der Regel nach mehr als zehnjähriger Expositionsdauer ein Anstieg in der Häufigkeit von degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen zu verzeichnen war (vgl. Merkblatt a.a.O.). Besondere Umstände, die erkennen lassen würden, dass bei der Berufstätigkeit der Klägerin, die lediglich für einen Zeitraum von gut fünf Jahren als Altenpflegerin tätig war, besondere Umstände vorlagen, die im Einzelfall (vgl. hierzu auch Merkblatt a.a.O. sowie Jäger ua, ASUMed 1999, 112, 113) eine kürzere Einwirkungszeit ausreichend erscheinen lassen können, sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
c) Die Anerkennung einer BK 2108 scheidet nur dann nicht bereits unmittelbar mangels Vorliegens einer ausreichenden schädigenden Einwirkung aus, wenn man die vom MDD vorgegebenen Orientierungswerte nach der neueren Rechtsprechung des BSG so modifiziert (vgl. hierzu Urt. v. 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R juris Rn. 25; Urt. v. 18.11.2008 – B 2 U 14/07 R juris Rn. 31; Urt. v. 18.11.2008 – B 2 U 14/08 R juris Rn. 30), dass eine ausreichende berufliche Belastung nur unterhalb der Hälfte der Gesamtdosis des MDD unmittelbar zu verneinen ist (d.h. unterhalb einer Gesamtbelastungsdosis von 8,5 MNh bei Frauen und unterhalb von 12,5 MNh bei Männern). Diesen untersten Grenzwert (Schwellenwert) überschreitet die Klägerin sehr knapp um 0,4 MNh. Entsprechend ist nach der Rechtsprechung des BSG eine Anerkennung der BK 2108 nicht – wie bei einem Unterschreiten des Grenzwerts – von vornherein ausgeschlossen, sondern waren (wie erfolgt) einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen vorzunehmen.
Allein aus der Tatsache, dass die Klägerin den vom BSG angesetzten Schwellenwert überschreitet, lässt sich allerdings andererseits auch nicht umgekehrt zur Überzeugung des Senats belegen, dass das in der BK geforderte Tatbestandsmerkmal "langjähriges Heben und Tragen" erfüllt wird.
Hier ist zu beachten, dass die vom BSG vorgenommene Reduzierung des Orientierungswerts des MDD selbst nicht auf gesicherten (neueren) wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Vielmehr führt das BSG lediglich aus, die Ergebnisse der "Deutschen Wirbelsäulenstudie" würden "darauf hindeuten", dass auch unterhalb der Orientierungswerte nach dem MDD ein erhöhtes Risiko für eine bandscheibenbedingte Erkrankung bestehen könne (BSG Urt. v. 30.10.2007 – B 2 U 4/06 R – juris Rn. 21). Entsprechend hat das BSG den von ihm angesetzten Schwellenwert auch nicht unmittelbar der Deutschen Wirbelsäulenstudie entnommen, sondern aufgrund der dortigen Erkenntnisse und Empfehlungen, eine "deutliche" Reduzierung des Orientierungswerts des MDD im Sinne eines "ausreichenden Sicherheitsabschlags" für notwendig erachtet (BSG a.a.O. – juris Rn. 25 f.). Dabei hat es selbst den von ihm gebildeten Grenzwert in Höhe der Hälfte des Orientierungswerts des MDD als "der Begrenztheit richterlicher Erkenntnismöglichkeiten geschuldet" "möglicherweise zu niedrig" angesehen und dies mit der Forderung nach einer Konkretisierung der arbeitstechnischen Voraussetzungen durch den Gesetzgeber verbunden (BSG a.a.O. – juris Rn. 27). Der vom BSG angesetzte Schwellenwert mag eine in der Sache sinnvolle Trennung dazu bieten, ob die Anerkennung einer BK 2108 bereits grundsätzlich abzulehnen oder in eine medizinische Überprüfung des Kausalzusammenhangs einzutreten ist, den das Erreichen der Mindestdosis nicht "automatisch" begründet (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2008 – B 2 U 14/07 R – juris Rn. 32 mwN). Umgekehrt kann das Erreichen eines medizinisch-wissenschaftlich nicht unterlegten Schwellenwertes aber nicht das in der BK formulierte Tatbestandsmerkmal des langjährigen Hebens und Tragens mit dem – wie ausgeführt – hierfür erforderlichen Vollbeweis belegen. Anderenfalls würde die Beweislast – zulasten der Beklagten – von dem klägerseits zu führenden Vollbeweis hinsichtlich der schädigenden Einwirkungen in die Kausalitätsprüfung mit dem Beweismaßstab "nur" hinreichender Wahrscheinlichkeit verlagert.
Letztlich kann im vorliegenden Fall aber dahinstehen, ob die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, da es an einem Kausalzusammenhang zwischen den schädigenden Einwirkungen und dem Bandscheibenschaden fehlt (hierzu im Folgenden unter 3).
3) Bei der Klägerin liegt nach den anwendbaren Konsensempfehlungen (dazu a) – grenzwertig gerade eben – eine bandscheibenbedingte Erkrankung i. S. d. BK 2108 vor (dazu b). Diese ist aber nicht mit der für die Kausalitätsprüfung hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf die schädigenden Einwirkungen während der Berufstätigkeit zurückzuführen (dazu c).
a) In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie und kommen ebenso in Berufsgruppen vor, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, wie in solchen, die schwere körperliche Arbeiten geleistet haben. Aus diesem Grund kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD und erst recht nicht die knappe Überschreitung des vom BSG angesetzten Schwellenwerts die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges begründen (vgl. Merkblatt zu der BK 2108, BArbBl. 2006, S. 30 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhanges bei der BK 2108 bedarf es weiterer Kriterien für die Beurteilung der beruflichen Verursachung. Diese dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS sind in den sogenannten Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung niedergelegt (vgl. Bolm-Audorff ua, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff.). Die Konsensempfehlungen stellen den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen dar (vgl. dazu z. B. LSG Bayern Urt. v. 22.05.2014 – L 18 U 384/10 – juris Rn. 32 mwN; LSG Hessen Urt. v. 07.04.2014 – L 9 U 121/11 – juris Rn. 34; LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 20.03.2014 – L 3 U 105/10 – juris Rn. 59; LSG Mecklenburg-Vorpommern Urt. v. 19.03.2014 – L 5 U 45/09 – juris Rn. 49; Urt. v. 29.01.2014 – L 5 U 3/08 – juris Rn. 99; LSG Sachsen Urt. v. 29.01.2014 – L 6 U 111/11 – juris Rn. 52; LSG Sachsen-Anhalt Urt. v. 18.12.2013 – L 6 U 20/07 – juris Rn. 46; LSG Baden-Württemberg Urt. v. 17.10.2013 – L 10 U 1478/09 – juris Rn. 38; LSG NRW Urt. v. 13.09.2011 – L 15 U 132/09 – juris Rn. 22; vgl. zur Anwendung der Konsensempfehlungen auch BSG Urt. v. 27.10.2009 – B 2 U 16/08 R – juris Rn. 15; Urt. v. 27.06.2006 – B 2 U 13/05 R – juris Rn. 12, 14). Ein neuerer, von den Konsensempfehlungen abweichender Stand der wissenschaftlichen Diskussion, d. h. eine neuere wissenschaftlich geprägte Mehrheitsmeinung (vgl. BSG Urt. v. 27.06.2006 – B 2 U 13/05 R – juris Rn. 16) zu den bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS ist weder von den Sachverständigen benannt worden noch dem Senat aus anderen Verfahren bekannt. Der Senat geht daher davon aus, dass die Konsensempfehlungen nach wie vor zur Beurteilung von Bandscheibenschäden und deren beruflicher Verursachung anzuwenden sind.
b) Eine bandscheibenbedingte Erkrankung i. S. d. BK 2108 setzt nach den Konsensempfehlungen den bildgebenden Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens im Sinne einer Höhenminderung (Chondrose) und/oder einem Bandscheibenvorfall einerseits und eine korrelierende klinische Symptomatik andererseits voraus (vgl. Konsensempfehlungen 1.3/ 1.4 – S. 215 f. sowie zur Berechnung der Bandscheibenhöhen Anhang 3 – S. 224 ff.).
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. W lagen bei der Klägerin ausweislich am 29.06.2009 erstellter Röntgen- und am 02.03.2009 erstellter Kernspinaufnahmen erstgradige Chondrosen und Bandscheibenvorwölbungen (Protrusionen) in den Segmenten L3/L4 und L4/L5 vor. Der Nachweis eines Bandscheibenvorfalls fand sich – wie dies auch durch den Bericht des Dr. M, Radiologische Gemeinschaftspraxis I, vom 02.03.2009 bestätigt wird – nicht.
Chondrosen des Grades I sind nach der Übersicht 1 der Konsensempfehlungen (S. 214) nur dann als altersuntypisch anzusehen, wenn diese vor dem 50. Lebensjahr auftreten. Bei Erstellung der bildgebenden Befunde vom 02.03.2009 stand die Klägerin gut einen Monat vor ihrem 50. Geburtstag. Die Chondrosen sind demnach gerade eben als altersuntypisch zu bewerten. Protrusionen sind nach der Übersicht 8 der Konsensempfehlungen (S. 215) lediglich bis zum Alter von 40 Jahren, somit hier nicht, als altersuntypisch anzusehen.
c) Die bandscheibenbedingte Erkrankung ist – unter Berücksichtigung der Konsensempfehlungen – nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich durch die ausgeübte Berufstätigkeit und die dortigen schädigenden Einwirkungen verursacht worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten unterliegt es dabei der Beurteilungskompetenz des Gerichts, die konkret einschlägige Konstellation der Konsensempfehlungen zu bestimmen, sofern die Anknüpfungstatsachen – wie hier – medizinisch ermittelt sind. Im vorliegenden Fall kann der Senat dahinstehen lassen, ob nach den Konsensempfehlungen 1.4 (S. 216 ff.) eine Konstellation A2 (wie die Beklagte annimmt) oder eine Konstellation D2 bzw. E2 vorliegt (dazu aa). Eine Konstellation B2, wie sie die Klägerin in Übereinstimmung mit dem SG annimmt, ist nicht gegeben. Darüber hinaus wäre der Kausalzusammenhang selbst bei ihrem Vorliegen zur Überzeugung des Senats nicht hinreichend wahrscheinlich (dazu bb).
aa) Die Konstellation A2 ist dadurch gekennzeichnet, dass eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung vorliegt, es jedoch an einer ausreichenden beruflichen Exposition fehlt. Sofern dies der Fall ist (vgl. hierzu die Ausführungen unter 2) ist ein Kausalzusammenhang nach den Konsensempfehlungen (S. 217) abzulehnen.
Die Konstellation D2 erfasst die Fälle, in denen ein Bandscheibenschaden – wie hier – in Form einer Protrusion vorliegt, wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren für die Erkrankung nicht erkennbar sind und eine Begleitspondylose nicht vorliegt. Als Begleitspondylose wird nach den Konsensempfehlungen 1.4 eine Spondylose in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) bzw. in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist, definiert. Um eine positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss die Begleitspondylose über das Altersmaß (s. Punkt 1.2 der Konsensempfehlungen) hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen. Diese Voraussetzungen liegen nach den medizinischen Ermittlungen sämtlich vor. In diesem Fall ist ein Kausalzusammenhang nach den Konsensempfehlungen (S. 218) nicht wahrscheinlich. Lediglich bei Fortführung der belastenden Tätigkeit sei ggf. eine erneute Begutachtung erforderlich, da im weiteren Verlauf eine berufliche Verursachung noch erkennbar werden könnte. Die Klägerin hat ihre Berufstätigkeit jedoch aufgegeben.
Die Konstellation E2 erfasst Bandscheibenschäden in der Ausprägung einer Chondrose des Grades I. Unabhängig davon, dass die geringgradige Chondrose der Klägerin, wie ausgeführt, nicht altersuntypisch ist und hier bereits deshalb die Annahme einer beruflichen Verursachung ausscheidet, ist selbst bei altersuntypischer Höhenminderung im Grad I entsprechend den weiteren Voraussetzungen und der Beurteilung wie bei der Konstellation D2 ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich.
bb) Eine Konstellation B2 (oder wie von Dr. W angenommen B3) liegt zur Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung der im Verfahren beigezogenen medizinischen Befunde und deren Auswertung nicht vor. Mit dem Buchstaben B beginnende Konstellationen erfordern eine Ausprägung des Bandscheibenschadens in Form einer Chondrose Grad II oder höher bzw. eines Bandscheibenvorfalls. Wie bereits ausgeführt haben sowohl die behandelnden Ärzte als auch der Sachverständige Dr. W übereinstimmend "lediglich" Chondrosen Grad I bzw. Bandscheibenprotrusionen festgestellt. Ein Bandscheibenvorfall ist ausdrücklich ausgeschlossen worden. Liegen aber die Grundvoraussetzungen der Konstellation B nicht vor, kommt es auf die Erfüllung der Zusatzkriterien, die die Konstellation B3 von der Konstellation B2 unterscheiden, nicht an.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen Belastung der Klägerin und ihrer bandscheibenbedingten Erkrankung aber auch dann nicht hinreichend wahrscheinlich ist, wenn Chondrosen Grad II oder ein Bandscheibenvorfall festgestellt worden wären. Zu berücksichtigen ist hierbei entsprechend der vom Senat geteilten Auffassung des Dr. W, dass die Konstellation B2 einen Grenzfall darstellt, der nur dann zur Bejahung des Kausalzusammenhangs führen kann, wenn die allgemeinen Kriterien der Zusammenhangsbeurteilung klar vorliegen, weil nur in diesem Fall eine ausreichende Trennschärfe gegenüber nicht wesentlich beruflich verursachten Schäden erzielt werden kann. In der Gesamtschau ist eine berufliche Verursachung im konkreten Fall der Klägerin jedoch nicht ausreichend wahrscheinlich. So sind die in den Konsensempfehlungen aufgestellten Grundvoraussetzungen eines altersuntypischen Bandscheibenschadens sowie einer ausreichenden beruflichen Belastung (vgl. Konsensempfehlungen 1.4, S. 216) wie bereits ausgeführt nur zweifelbehaftet (arbeitstechnische Voraussetzungen) bzw. grenzwertig (Bandscheibenschaden) erfüllt. Unterscheidet sich aber das morphologische Schadensbild – wie hier – nur geringfügig von dem Schadensbild, das im Alter des Versicherten häufig auch ohne berufliche Belastungen anzutreffen ist und sind die beruflichen Belastungen in ihrer Ausprägung nur fraglich als geeignete Ursache für eine Bandscheibenschädigung anzusehen, bestehen, wie Dr. W ausführt, auch bei Erfüllung der Zusatzkriterien der Konstellation B2 medizinisch-wissenschaftliche Bedenken, einen Ursachenzusammenhang anzunehmen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Autoren der Konsensempfehlungen bei ihren Überlegungen zu den einzelnen Konstellationen von einer beruflichen Belastung im Sinne der Orientierungswerte des MDD und nicht im Sinne des nur hälftigen Schwellenwerts des BSG ausgegangen sind. Jedenfalls dann, wenn über die Fraglichkeit bzw. Grenzwertigkeit der Grundvoraussetzungen hinaus weitere Faktoren gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen bzw. es an Aspekten fehlt, die diesen belegen, kann ein solcher Zusammenhang nicht als hinreichend wahrscheinlich angesehen werden. Dies ist hier der Fall. Wesentlich gegen einen Kausalzusammenhang spricht im Fall der Klägerin, dass sich bei ihr das bei beruflicher Belastung regelhaft am stärksten belastete Bewegungssegment L5/S1 als völlig unauffällig dargestellt hat. Auch ist zu berücksichtigen, dass zwischen dem ersten (geringfügigen) Teil der beruflichen Belastung 1976 bis 1978 und der erneut expositionsrelevanten Tätigkeit 1995 bzw. der Pflegetätigkeit ab 1996 ein Zeitraum von knapp 20 Jahren liegt, innerhalb derer in medizinisch-wissenschaftlicher Sicht eine "Erholungsphase für das Bandscheibengewebe" unterstellt werden kann. Schließlich ist auch der Krankheitsverlauf mit einer Erstmanifestation der Erkrankung zwischen 2004 und 2008 bei der bis dahin anzunehmenden Belastungsdosis kein deutlicher Hinweis für eine berufliche Belastung. Relevante Faktoren, die umgekehrt eine berufliche Verursachung aussagekräftig belegen könnten, finden sich hingegen nicht.
Soweit die Klägerin geltend macht, eine nur geringe Überschreitung des Grenzwerts könne nicht dazu dienen, eine Kausalität stets als unwahrscheinlicher anzunehmen, weil nicht 100% erreicht würden, so ist dies auch nicht der Fall. Vielmehr ist das Ausmaß der schädigenden Exposition lediglich ein Faktor, der in die Gesamtabwägung aller Befunde und Umstände des Einzelfalls zur Klärung der Frage, ob mehr für oder gegen eine berufliche Verursachung eines aufgetretenen Gesundheitsschadens spricht, mit einfließt.
Soweit allein der auf Antrag der Klägerin gehörte Sachverständige Dr. P zu einer anderen, für sie günstigen Beurteilung des Kausalzusammenhangs gelangt ist, vermag der Senat dessen Gutachten in keinster Weise zu folgen. Wie durchgängig auch in anderen Verfahren zur BK 2108 erschöpfen sich die Ausführungen des Dr. P in umfangreichen, standardmäßig vorgetragenen generellen Ausführungen sowie in allgemeinen Erläuterungen zu medizinisch-biologischen Prozessen. Einen Bezug zum konkreten Einzelfall weist das Gutachten, wie auch sonst regelmäßig, kaum auf. Sachdienliche Hinweise zur Beurteilung können sich im Übrigen auch schon deshalb nicht finden lassen, weil Dr. P – entgegen der in den Konsensempfehlungen statuierten herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung – unbeirrt daran festhält, bildgebende Befunde könnten grundsätzlich und kategorisch keinen Beitrag bei der Kausalbeurteilung im Einzelfall leisten. Entsprechend ist das Gutachten des Dr. P – wie regelmäßig – in keiner Weise als Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung brauchbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Erstellt am: 19.01.2015
Zuletzt verändert am: 19.01.2015