Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.03.2003 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch im Berufungsverfahren die erstattungsfähigen Kosten der Kläger. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine sachlich-rechnerische Berichtigung. Die Kläger wenden sich gegen die Streichung der Nummer (Nr.) 273 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM), soweit sie am gleichen Tag neben der Nr. 278 EBM abgerechnet wurde.
Die Kläger nehmen als Internisten, Hämatologen und Onkologen im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis in L an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Mit Bescheid vom 18.09.2000 in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 27.10.2000 und mit Nichtabhilfebeschluss vom 08.01.2001 berichtigte die Beklagte das Honorar der Kläger für das Quartal II/2000 im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung, indem die Nr. 273 EBM gestrichen wurde soweit sie neben der Nr. 278 EBM abgerechnet worden war. Zur Begründung gab die Beklagte an, nach der Präambel zu C II EBM (Sonderleistungen) seien bei Blutentnahmen, Injektionen, Infusionen, Transfusionen, Infiltrationen und Implantationen die Leistungspositionen je Behandlungsfall nur einmal berechnungsfähig, wenn über denselben Zugang (Kanüle, Katheter) mehr als eine Injektion, Infusion oder Transfusion erfolge. Die Nr. 273 EBM sei nicht neben Nr. 278 abrechenbar, wenn Medikamente über einen liegenden Katheter zusätzlich appliziert würden.
Mit ihrem Widerspruch machten die Kläger geltend: Die Nr. 273 EBM sei nur einmal pro Behandlungstag berechnet worden. Sie sei neben Nr. 278 EBM abrechenbar, da im EBM kein Ausschluss vorgesehen sei. In der Präambel C II EBM werde nur auf "Leistungspositionen pro Behandlungstag" Bezug genommen; damit werde schon dem Wortlaut nach nur die mehrfache Berechnungsfähigkeit einer Leistungsposition des Kapitels C II EBM, nicht jedoch die gegenseitige Berechnungsfähigkeit der Leistungspositionen ausgeschlossen. Hätte die gleichzeitige Abrechenbarkeit verschiedener Leistungspositionen des Kapitels C II EBM ausgeschlossen werden sollen, so hätte es heißen müssen " … ist pro Behandlungstag nur eine Leistungsposition berechnungsfähig".
Die Beklagte wies den Widerspruch unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung mit Widerspruchsbescheid vom 25.09.2001 zurück.
Mit ihrer Klage vom 09.10.2001 haben die Kläger ergänzend ausgeführt, bei den Nrn. 273 und 278 bis 279 EBM sei neben dem Anschließen der Infusion an einen venösen Zugang die Überwachung und Kontrolle des Patienten wesentlicher Leistungsinhalt; dies gehe aus den Angaben im EBM zur Infusionsdauer hervor. Wenn z. B. einem Tumorpatienten mit Knochenmetastasen an einem Tag zunächst eine Bisphosphonat-Infusion von ca. 2 Stunden infundiert (Nr. 273 EBM) und bei entsprechender Verträglichkeit anschließend eine intravenöse Chemotherapie inkl. begleitender Kochsalzinfusionen mit einer Dauer von 2 bis 3 Stunden durchgeführt werde (Nr. 278 EBM), sei es nicht gerechtfertigt, die Nr. 273 zu streichen. Deren Leistungsinhalt sei nämlich erbracht worden. Für den Inhalt dieser Nr. sei nicht entscheidend, ob ein zusätzlicher Zugang durch das gesonderte Legen einer Infusionskanüle geschaffen werde, sondern vielmehr, ob die im EBM ausgewiesene Mindestinfusionsdauer und die damit verbundene Überwachung und Kontrolle des Patienten eingehalten worden sei.
Die Kläger haben beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen die gestrichenen Leistungen nach Nr. 273 EBM nachzuvergüten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat im Wesentlichen vorgetragen: Die Nr. 273 EBM sei neben der Nr. 278 EBM zu Recht gestrichen worden, da Leistungsbestandteil einer Infusion auch das Einführen einer Infusionsnadel in den Organismus sei. Zur Durchführung der Leistungen nach den Nrn. 278 bis 289 EBM werde bereits ein intravenöser Zugang gelegt. Wenn dann lediglich parallel in diesen Zugang eine zusätzliche Infusion geleitet werde, handele es sich nicht um eine eigens berechnungsfähige Leistung. Vielmehr sei diese Leistung (Einbringung von Medikamenten durch Injektion in einen parenteralen Katheter) bis zum 31.12.1995 nach der früheren Nummer 261 EBM berechnungsfähig gewesen und werde seit Januar 1996 mit der Ordinationsgebühr nach Nr. 1 bzw. der Konsultationsgebühr nach Nr. 2 EBM abgegolten. Nach Auffassung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sei zwingende Voraussetzung für die Abrechnung der Nr. 273 neben den Nrn. 278 bis 280 EBM, dass zumindest in einer anderen Vene ein zusätzlicher Zugang durch das gesonderte Legen einer Infusionskanüle geschaffen werde. Dies könne jedoch nur in ganz seltenen Fällen erforderlich sein. Auch um Patienten unnötige Venenpunktionen zu ersparen, sei die Parallelschaltung einer zusätzlichen Infusion bei Infusionen nach den Nrn. 278 bis 280 EBM, etwa über einen Drei-Wege-Hahn oder einen speziellen Bypass zu der bereits liegenden intravenösen Kanüle, üblich.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat die Beklagte mit Urteil vom 26.03.2003 antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Präambel C II EBM keinen Abrechnungsausschluss der Nr. 273 EBM neben der Nr. 278 EBM enthalte. Zwar könne die Nr. 273 EBM grundsätzlich nur einmal pro Behandlungstag abgerechnet werden, dies schließe aber nicht ihre Abrechnung wegen zusätzlichen Leistungen nach der Nr. 278 EBM aus. Die in Betracht kommenden Leistungsziffern wiesen grundlegende Unterschiede in der Leistungslegende auf: Die intravenöse Injektion (Nr. 253 EBM in der bis zum 31.12.1995 geltenden Fassung) oder die Einbringung von Medikamenten durch Injektion in einen parenteralen Katheter (Nr. 261 EBM in der bis zum 31.12.1995 geltenden Fassung) sei nun mit der Berechnung der Grundleistungen nach den Nrn. 1 bis 4 EBM (Ordinations-, Konsultations-, Verwaltungsgebühr, Konsiliarpauschale) abgegolten. Das Legen des Zugangs bzw. eine intravenöse Infusion von weniger als 10 Minuten Dauer sei insoweit nicht gesondert berechnungsfähig. Infusionen ab 10 Minuten Dauer seien hingegen nach den Nrn. 273 ff EBM abrechenbar. Während die Nr. 273 EBM auf die Mindestdauer der Infusion nicht aber auf das zu infundierende Mittel abstelle, könne die Nr. 278 Alt. 1 EBM nur bei der Infusion der dort genannten Mittel bei HIV-Infizierten und bei einer Dauer von mehr als 90 Minuten angesetzt werden. Dementsprechend sei nicht ersichtlich ist, aus welchen Gründen die Nr. 273 EBM nicht neben der Nr. 278 EBM abrechenbar sein solle.
Gegen das am 09.04.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.04.2003 Berufung eingelegt und unter Vorlage einer Stellungnahme der KBV vom 21.01.2002 vorgetragen: Die Nr. 273 EBM sei nur dann abgesetzt worden, wenn sie am selben Tag wie die Nr. 278 EBM abgerechnet worden sei. Diese Berichtigung sei auch zu Recht erfolgt. Nach dem Wortlaut der Nr. 273 EBM werde die Infusion, intravenös oder in das Knochenmark, von mindestens 10 Minuten Dauer abgegolten. Davon werde nicht nur das Einfließenlassen einer Flüssigkeit in den Körper, sondern auch das Legen des Zuganges, der das Einfließen der Flüssigkeit in den Körper ermögliche, erfasst. Das Legen des Zuganges sei bei der Infusion die aufwändigste ärztliche Tätigkeit. Aus der Präambel zu Kapitel C II EBM ergebe sich, dass die Leistungspositionen je Behandlungstag nur einmal berechnungsfähig seien, wenn über denselben liegenden Zugang mehr als eine Injektion, Infusion oder Transfusion erfolge. Die Präambel beziehe sich nicht nur darauf, dass mehrere Infusionen erfolgen, sondern vielmehr auch darauf, dass z. B. eine Infusion und eine Transfusion an einem Behandlungstag erfolgten. Diese Regelung beruhe ebenfalls auf dem Hintergrund, dass bei den streitigen Leistungen das Legen des Zugangs die aufwändigste ärztliche Tätigkeit darstelle, das Wechseln von Infusionsbehältern nur wenige Sekunden in Anspruch nehme und keine gesonderte Berechnung rechtfertige.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.03.2003 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben, denn die Kläger sind durch die angefochtene Entscheidung der Beklagten beschwert. Sie haben Anspruch auf Vergütung der im Quartal II/2000 nach der Nr. 273 EBM erbrachten Leistungen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die zur sachlich-rechnerischen Berichtigung grundsätzlich befugte Beklagte (§ 45 Abs.1 Bundesmantelvertrag-Ärzte bzw. § 34 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen) war nicht berechtigt, die Leistungen nach Nr. 273 EBM in den Fällen zu streichen, in denen am gleichen Tage (im gleichen Behandlungsfall) auch die Leistungen nach der Nr. 278 EBM erbracht und abgerechnet wurden. Die von ihr herangezogene Präambel zu C II EBM stützt ihre Entscheidung nicht, denn diese enthält keinen Abrechnungsausschluss.
Nach gefestigter Rechtsprechung ist den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bei der Auslegung von Vorschriften über die Bewertung ärztlicher Leistungen in den Bewertungsmaßstäben und Gebührenordnungen Zurückhaltung auferlegt. Dies bedeutet, dass für die Auslegung der vertragsärztlichen Gebührenordnungen in erster Linie der Wortlaut der Leistungslegenden maßgeblich ist. Das vertragliche Regelungswerk dient nämlich dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zwischen Ärzten und Krankenkassen. Es ist in erster Linie Aufgabe des Bewertungsausschusses selbst, Unklarheiten zu beseitigen. Ergänzend kann eine systematische Interpretation im Sinn einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen zur Klarstellung des Wortlauts der Leistungslegende erfolgen. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung unklarer oder mehrdeutiger Regelungen kommt nur in Betracht, wenn Dokumente vorliegen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewandt werden (BSG, SozR 3-5533 Nr. 1460 EBM Nr.1, Nr. 2000 EBM Nr. 1, Nr. 115 EBM Nr.1 sowie Beschluss vom 20.12.1995 – 6 BKa 26/94 -; zuletzt Urteil vom 16.05.2001 – B 6 KA 20/00 R -; LSG NRW, Urteile vom 13.03.1996 – L 11 Ka 146/94 – und vom 19.02.1997 – L 11 Ka 79/96 -).
Davon ausgehend ist dem Wortlaut der Präambel zu C II EBM
"Erfolgen über denselben liegenden Zugang (z.B. Kanüle, Katheter) mehr als eine Injektion, Infusion oder Transfusion, sind die Leistungspositionen je Behandlungstag nur einmal berechnungsfähig."
nicht zu entnehmen, dass die Abrechnung der Nr. 273 EBM neben der Nr. 278 EBM ausgeschlossen ist. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut "sind die Leistungspositionen" lediglich die Einschränkung, dass jede dieser Leistungspositionen nur einmal abgerechnet werden darf, wenn mehrere Leistungspositionen des Kapitels C II EBM an einem Tag erbracht werden, aber nicht, dass von diesen Leistungspositionen dann auch nur eine abrechenbar ist. Zu Recht weisen die Kläger daraufhin, dass ein Berechnungsausschluss in dem von der Beklagten verstandenen Sinn anders lauten müsste, z.B. nicht "sind die Leistungspositionen je Behandlungstag nur einmal berechnungsfähig", sondern "ist nur eine Leistungsposition (ggf. die höchste) je Behandlungstag berechnungsfähig."
Auch in der Gesamtschau der einzelnen Regelungen – insbesondere des Kapitels CII EBM – ergibt sich nichts Anderes. Grundsätzlich wird im EBM, sofern ein Abrechnungsausschluss vorgesehen ist, dieser eindeutig formuliert. Zu verweisen ist hier bereits auf die der Nr. 273 EBM unmittelbar folgende Nr. 274 (intraarterielle Infusion), in der ausgeführt ist: "Neben der Leistung nach Nr. 274 ist die Leistung nach Nr. 254 nicht berechnungsfähig.". Da die Nr. 254 EBM ebenfalls der Präambel zu C II EBM unterfällt, ergibt sich daraus zweifelsfrei, dass die Präambel zu C II EBM einen Abrechnungsausschluss in dem von der Beklagten verstandenen Sinn nicht enthält, denn dann wäre der ausdrückliche Ausschluss in Nr. 274 EBM überflüssig.
Auch aus anderen Gründen ergibt sich kein Abrechnungsausschluss. Weder haben die Kläger den Leistungsinhalt der Nr. 273 EBM unvollständig erbracht noch ist die Nr. 273 EBM Teil des Leistungsinhalts der Nr. 278 EBM (A I EBM (Allgemeine Bestimmungen)). Insbesondere vermag der Hinweis der Beklagten nicht zu überzeugen, dass wesentlicher Bestandteil der Leistung nach der Nr. 273 EBM nicht das Einfließenlassen einer Flüssigkeit, sondern das Legen des Zugangs sei, dieses aber mit der Gebühr nach EBM-Nr. 278 EBM abgegolten werde. Das SG hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass das Legen eines Zugangs bzw. eine intravenöse Infusion von weniger als 10 Minuten Dauer nicht gesondert berechnungsfähig ist, sondern über die Grundleistungen nach den Nrn. 1 bzw. 2 EBM abgegolten wird. Wesentlicher Leistungsinhalt der Nrn. 273 ff EBM ist deshalb neben der Art der eingebrachten Infusion vorrangig die Zeitdauer. Die Abrechnung der Infusionsgebühren setzt nämlich insbesondere voraus, dass der Arzt während der jeweiligen Infusionszeiten anwesend ist (s. dazu Wezel / Liebold, Handkommentar BMÄ, E-GO und GOÄ, zu Nr. 273 EBM). Da die Kläger die Leistungen nach den Nrn. 273 bzw. 278 EBM nicht parallel, sondern – nach konstatierter Verträglichkeit der Erstinfusion – zeitversetzt erbringen, sind beide Leistungen von einander unabhängig und jeweils abrechenbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG a.F.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 1 und 2 SGG).
Erstellt am: 14.04.2005
Zuletzt verändert am: 14.04.2005